
Eine App-basierte Intervention in der Behandlung von Depression
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Achtsamkeitsorientierte Therapien finden eine Anwendung auch in der Behandlung von Depression. Internetbasierte Interventionen sind leicht verfügbar und könnten eine sinnvolle Ergänzung der Standardtherapie sein, nicht zuletzt bei der eingeschränkten Verfügbarkeit des therapeutisch begleiteten Achtsamkeitstrainings im ambulanten Rahmen. Die Wirksamkeit einer frei verfügbaren Achtsamkeits-App wird nun in einer randomisierten kontrollierten Studie untersucht.
Keypoints
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App-basierte Interventionen können dazu beitragen, die therapeutische Lücke im ambulanten Rahmen zu schliessen.
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Bei der Anwendung einer solchen App ist die Regelmässigkeit und somit die Compliance entscheidend.
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Die ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass depressive Symptome durch die Anwendung einer Achtsamkeits-App (10 Minuten am Tag) positiv beeinflusst werden können.
Hintergrund
Patienten mit unipolarer Depression erleiden trotz medikamentöser Prophylaxe oft ein Rezidiv.
Durch achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (Mindfulness-based Cognitive Therapy, MBCT) kann das Risiko für Rückfälle nachweislich stark verringert werden und MBCT ist somit effektiv in der Rezidivprophylaxe.1 MBCT ist als geleitete Gruppentherapie konzipiert, neben den theoretischen Grundlagen werden spezielle Übungen erlernt (bewusste Wahrnehmung eigener Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen), um die ersten Warnsymptome einer depressiven Episode besser/früher erkennen zu können. Das Angebot richtet sich an Patienten, die unter Depression leiden, sich aber derzeit in einer Remission befinden.2
Für stationäre Patienten hat sich das Konzept der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-based Stress Reduction, MBSR) durchgesetzt. Auch dieses Training besteht aus mehreren (meistens sechs bis acht) Sitzungen und kombiniert Psychoedukation mit gezielten Übungen. Das Ziel des Trainings ist u.a. die bewusste und wertfreie Wahrnehmung der Umwelt, des eigenen Körpers sowie der inneren psychischen Phänomene.
Trotz der scheinbar widersprüchlichen Nomenklatur verfolgen beide Interventionen (MBCT und MBSR) das gleiche Ziel, auch im stationären Rahmen wird selbstverständlich eine Reduktion der depressiven Symptomatik angestrebt, also eine über eine Stressreduktion hinausgehende Wirkung. Und obwohl Achtsamkeitstraining sowohl bei der Stressreduktion als auch in der Behandlung von Depression hilfreich ist, sind die Wirkmechanismen zum Teil als unabhängig zu betrachten.3
Der Zugang zu Gruppentherapien kann allerdings des Öfteren erschwert sein: Zunächst können sie aus zeitlichen (Warteliste) und örtlichen (kein Angebot vor Ort) Gründen erst einmal gar nicht bzw. temporär nicht zur Verfügung stehen. Ferner sind sie empfindsam im Falle einer Kontaktbeschränkung, wie wir es in den letzten zwei Jahren erleben durften: Während der Corona-Pandemie wurden Arztkontakte sowie sämtliche therapeutische Angebote teilweise eingestellt, drastisch reduziert oder – wo es möglich war – durch telefonische oder Video-Konsultationen ersetzt. Gruppentherapien, die nicht virtuell stattfinden konnten, fielen aus. Nicht zuletzt können Entfernung, Terminkollisionen, Mangel an Antrieb und Durchhaltevermögen sowie persönliche Hemmungen in einer Gruppe nicht unerhebliche Hürden darstellen.
Internetbasierte Interventionen sowie mobile Applikationen sind hingegen leicht verfügbar und bieten eine hohe Flexibilität (allerdings bei meistens fehlendem Feedback). Auch in der Patientenpopulation mit depressiver Erkrankung nimmt jedes Jahr die Anzahl der handy- und internetaffinen Patienten zu und somit steigt auch die Nachfrage nach geeigneten, fachlich fundierten Angeboten.
Fragestellung und Zwischenergebnisse
Bisherige Studien zur Wirksamkeit von achtsamkeitsbasierten mobilen Apps wurden hauptsächlich an Freiwilligen ohne psychische Erkrankung durchgeführt. In der einzigen Studie an Patienten mit Depression war die achtsamkeitsbasierte App gleich wirksam wie Aktivierung (Abb. 1).
Kann ein App-basiertes Achtsamkeitstraining Patienten im ambulanten Setting zusätzlich dabei unterstützen, die depressive Symptomatik weiter zu reduzieren oder ein Rezidiv zu verhindern? Um diese Frage besser beantworten zu können, führen wir eine randomisierte, kontrollierte Studie durch.
Die Intervention besteht aus der täglichen Nutzung einer achtsamkeitsbasierten mobilen App über 30 Tage. Bei der Applikation handelt es sich um eine breit etablierte App, die auch in mehreren wissenschaftlichen Studien benutzt wurde. Die Kontrollgruppe kann auch als Wartegruppe betrachtet werden, da bei dem zweiten Messtermin die App auch dieser Gruppe vorgestellt wird. Die depressive Symptomatik wird mittels Beck-Depressions-Inventar sowie Hamilton Depression Rating Scale beurteilt, als sekundäre Endpunkte werden Vitalzeichen wie Blutdruck und Herzfrequenz sowie der Konsum von Alkohol, Nikotin und Tranquilizern vor und nach der Intervention erhoben. Rehospitalisationen während des Beobachtungszeitraums werden ebenfalls erfasst.
In der Zwischenanalyse wurden die Daten von insgesamt 60 Probanden sowie die Probandenrückmeldungen (insbesondere aus der Interventionsgruppe) ausgewertet.
Tab. 1: Studien zu achtsamkeitsbasierten mobilen Applikationen – Übersicht. Nur eine Studie, markiert in Grün, schloss in das Probandenkollektiv Patienten mit Depression ein
Die ersten Daten deuten darauf hin, dass die depressive Symptomatik durch die tägliche Nutzung einer Achtsamkeits-App über 30 Tage in einem geringen Umfang (bis 10 Minuten am Tag) positiv beeinflusst werden kann im Vergleich zu der Kontrollgruppe. Ferner zeichnet sich in der Interventionsgruppe nach 30 Tagen eine niedrigere Herzfrequenz ab, wenn sie mit der Baseline verglichen wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Unterschiede auch bei der finalen Analyse als signifikant erweisen werden. Die Endresultate können Ende 2023 erwartet werden. Im Gegensatz zu der Einnahme von Psychopharmaka, die zwar eine Adhärenz voraussetzt, aber ansonsten keinen Aufwand darstellt, erfordert ja jede therapeutische Intervention ein gewisses Mass an Mitarbeit. Mit Achtsamkeitsübungen ist es nicht anders – auch hier sind wir auf die Compliance der Patienten angewiesen. Die bisherigen Rückmeldungen von Probanden der Interventionsgruppe erlauben bereits einige Rückschlüsse auf die Erfahrungen mit der App im Alltag: Die Übungen wurden meistens als hilfreich wahrgenommen, insbesondere als Anstoss, Anker oder Innehalten im «Alltagsstrudel». In der Tat deutet einiges darauf hin, dass die Regelmässigkeit wichtiger ist als die «Dosis» – ähnlich wie z.B. beim Sport. Einige Probanden taten sich auch mit der Umsetzung von ein paar Minuten Achtsamkeit am Tag schwer. Dieses Hindernis konnte zum Teil mittels verschiedener Reminder bzw. Weckerfunktionen überwunden werden, dennoch schieden einige Probanden als Drop-outs aus. Sollte sich die zeitlich begrenzte Kurzintervention als wirksam erweisen, wären im nächsten Schritt die Langzeiteffekte sowie die Adhärenz bei einer kontinuierlichen Nutzung zu prüfen.
Literatur:
1 Kuyken W et al.: Efficacy of mindfulness-based cognitive therapy in prevention of depressive relapse: an individual patient data meta-analysis from randomized trials. JAMA Psychiatry 2016; 73(6): 565-74 2 MBCT [Internet]. MBSR-Verband Schweiz. [cited 2023 Jan 4]. Available from: https://www.mindfulness.swiss/kurse/mbct/ 3 Sarlon J et al.: Electrophysiological correlates of mindfulness in patients with major depressive disorder. Front Neurosci 2022; 16: 971958
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