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Antipsychotika und Benzodiazepine in der Geriatrie

<p class="article-intro">Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Inzidenz chronischer Krankheiten – bei Menschen über 70 Jahre finden wir durchschnittlich sechs relevante Diagnosen. Dementsprechend erhalten sie in der Regel mehrere Dauerverordnungen von Medikamenten zur Kontrolle der vorliegenden Symptome bzw. zur Sekundärprophylaxe von Ereignissen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Dauerverordnungen sollten jedoch gerade bei Älteren wegen des erhöhten Risikos für unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Arzneimittelinteraktionen immer wieder kritisch hinterfragt werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Sowohl Benzodiazepine als auch Antipsychotika werden &auml;lteren Patienten sehr h&auml;ufig verschrieben, obwohl sie sehr oft ernste Nebenwirkungen haben.</li> <li>Daher ist oberste Maxime bei der Verschreibung, auf strenge und kritische Indikationsstellung zu achten und auch auf deren Aktualit&auml;t!</li> <li>Durch Aufkl&auml;rung von Patienten und deren betreuenden Angeh&ouml;rigen muss auch ein zumindest basales Problembewusstsein geweckt werden.</li> </ul> </div> <p>Neben den altersphysiologischen Ver&auml;nderungen tragen diese chronischen Krankheiten zu einer zunehmenden Vulnerabilit&auml;t der Betroffenen bei, deren erkennbare Anzeichen</p> <ul> <li>ein langsamer Gang (= &lt;0,8 m/Sek., d.h. f&uuml;r das Gehen &uuml;ber eine Strecke von 4 m d&uuml;rfen maximal 5 Sekunden gebraucht werden) und</li> <li>eine reduzierte Handkraft sind.</li> </ul> <p>Diese ist messbar, was aber in nicht spezialisierten Praxen nicht &uuml;blich ist. Wenn Patienten darauf angewiesen sind, zum Aufstehen aus dem Sitzen die H&auml;nde zur Hilfe zu nehmen, so ist dies ebenfalls ein Hinweis auf eine reduzierte Muskelkraft in den Oberschenkeln. Zu dieser erh&ouml;hten Vulnerabilit&auml;t geh&ouml;ren auch ver&auml;nderte (milde bis atypische) Krankheitspr&auml;sentation, nachlassende Immunabwehr, verl&auml;ngerte Rekonvaleszenzdauer, ver&auml;nderte Pharmakokinetik und -dynamik und dadurch steigende Empfindlichkeit f&uuml;r Medikamenten- Nebenwirkungen, geringere Kompensationsf&auml;higkeit gegen&uuml;ber Belastungen der Hom&ouml;ostase (z.B. Elektrolyte), sinkende cholinerge Reservekapazit&auml;t des ZNS sowie auch eine erh&ouml;hte Anf&auml;lligkeit f&uuml;r psychische St&ouml;rungen. Dies sind vor allem Depressionen und Angstst&ouml;rungen &ndash; h&auml;ufig im Kontext einer Anpassungsst&ouml;rung &ndash; und das h&auml;ufigste Symptom, auf dessen Linderung Patienten dr&auml;ngen, sind Schlafst&ouml;rungen.</p> <h2>Benzodiazepine (BZD)</h2> <p>Benzodiazepine sind in dieser Situation die am h&auml;ufigsten verordneten Medikamente und erf&uuml;llen &ndash; vor allem anfangs &ndash; auch meistens die Erwartungen. Messungen haben gezeigt, dass der objektive Beitrag zur Schlafdauer nur ca. eine halbe Stunde betr&auml;gt und die Wachphasen um durchschnittlich 0,6-mal reduziert werden.<br /> Dagegen sind die subjektiv in aller Regel kaum registrierten Nebenwirkungen bei geriatrischen Patienten aber durchaus ein guter Grund, bei der Verordnung und vor allem bei der Weiterverordnung vorsichtig und &auml;u&szlig;erst kritisch vorzugehen.<br /> Benzodiazepine f&uuml;hren zu signifikanter Konzentrationseinbu&szlig;e, Tagesschl&auml;frigkeit, kognitiven Nebenwirkungen, Schwindel und Balancest&ouml;rungen. Dazu kann sich die unterschiedlich ausgepr&auml;gte muskelrelaxierende Wirkung bei sarkopenischen, schlecht konditionierten Personen zus&auml;tzlich negativ auswirken.<br /> Die schwerwiegendste negative Folge ist eine erh&ouml;hte Sturzneigung, weil das Gehen in fortgeschrittenem Alter bereits physiologischerweise durch Zunehmen der K&ouml;rperschwankungen und verringerte Reaktionsgeschwindigkeit bei den Kompensationsbewegungen deutlich mehr Konzentration erfordert als in j&uuml;ngeren Jahren.<br /> St&uuml;rze haben nicht nur h&auml;ufig schwere Verletzungen wie Oberarm- oder H&uuml;ftfraktur zur Folge, die fast regelhaft eine einschneidende Verschlechterung der alltagspraktischen F&auml;higkeiten nach sich ziehen, sondern f&uuml;hren &ndash; auch ohne schwere Verletzungsfolgen &ndash; zu oft sehr ausgepr&auml;gter Sturzangst mit konsekutiver Einschr&auml;nkung des Bewegungsradius und damit zu einer signifikanten Reduktion der sozialen Teilhabe und in weiterer Folge auch der Funktionalit&auml;t.<br /> Funktionalit&auml;tseinbu&szlig;en beginnen immer mit messbaren, subjektiv aber oft noch nicht registrierten Verschlechterungen der Mobilit&auml;t wie reduzierter Ganggeschwindigkeit und zunehmender Gangunsicherheit und f&uuml;hren in der Folge zu Einschr&auml;nkungen in den IADL (instrumentelle Aktivit&auml;ten des t&auml;glichen Lebens), die dann bereits zu einer Abh&auml;ngigkeit von Betreuungsleistungen f&uuml;hren. Die BADL (basale Aktivit&auml;ten des t&auml;glichen Lebens) sind in der Regel erst sehr sp&auml;t betroffen.<br /> Bei der Behandlung von Schlafst&ouml;rungen &auml;lterer Menschen gelten daher nicht medikament&ouml;se Ma&szlig;nahmen wie die kognitive Verhaltens&auml;nderung als Mittel der ersten Wahl und der Einsatz von Medikamenten sollte nur wenn unbedingt n&ouml;tig f&uuml;r den Anfang herangezogen werden. Hier zeigen die &bdquo;Z-drugs&ldquo; (z.B. Zolpidem) ein etwas g&uuml;nstigeres Nebenwirkungsprofil als die BZD.<br /> Antidepressiva sollten nur dann zum Einsatz kommen, wenn bei dem Betroffenen auch depressive Symptome erhebbar sind.</p> <p>SSRI sind auch bei der Behandlung von starker Sturzangst indiziert &ndash; eine begleitende Physiotherapie zum Training der Gangsicherheit ist allerdings obligat.<br /> Bei der Verordnung &ndash; und vor allem der Weiterverordnung &ndash; von BZD f&uuml;r &auml;ltere Patienten sind neben der sorgf&auml;ltigen Erhebung, welche St&ouml;rung den beklagten Beschwerden tats&auml;chlich zugrunde liegt, folgende Punkte wichtig:</p> <ol> <li>Aufkl&auml;rung &uuml;ber die physiologischen Ver&auml;nderungen des Schlafes mit zunehmendem Alter (Tab. 1)</li> <li>Beratung &uuml;ber nicht medikament&ouml;se Ma&szlig;nahmen zur Schlafverbesserung (Tab. 2)</li> <li>Genaue Erkl&auml;rung der Vor- und Nachteile/ Risiken der m&ouml;glichen medikament&ouml;sen Therapie &ndash; der Patient sollte unbedingt ein Risikobewusstsein entwickeln.</li> <li>Auch als Nichtgeriater auf Frailty-Zeichen achten (Tab. 3)!</li> <li>Sozialen und r&auml;umlichen Bewegungsradius und IADL-Status erheben!</li> </ol> <h2>Antipsychotika</h2> <p>Erstaunlich h&auml;ufig finden sich im t&auml;glichen &bdquo;Tablettenmen&uuml;&ldquo; betagter Patienten Antipsychotika, f&uuml;r die es keine klare aktuelle Indikation gibt.<br /> Die vermutlich h&auml;ufigste Ursache daf&uuml;r ist die unkritische Weiterverordnung nach einer deliranten Episode im Rahmen eines Spitalsaufenthalts. Leider ist es nach wie vor schlechte g&auml;ngige Praxis, diese deliranten Episoden weder in den Diagnosen noch in der Epikrise zumindest als &bdquo;Durchgangssyndrom&ldquo; zu erw&auml;hnen, w&auml;hrend ein einmal zu Hilfe genommenes Neuroleptikum kommentarlos in die Liste der sonstigen Dauerverordnungen &uuml;bernommen wird.<br /> Eine andere Indikation, die aber ebenfalls eine Dauerverordnung nicht ohne Weiteres rechtfertigt, ist der Einsatz von neueren Antipsychotika zur Behandlung von BPSD (Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia) im Rahmen einer Demenzerkrankung. Auch hier stellt sich oft die Frage, ob es sich tats&auml;chlich um BPSD gehandelt hat oder doch um Symptome eines Delirs im Rahmen eines Infekts oder bei zu geringer Fl&uuml;ssigkeitsaufnahme. Daf&uuml;r sind demenzkranke Personen in besonders hohem Ma&szlig;e anf&auml;llig.<br /> Da die Nebenwirkungen dieser Substanzen neben D&auml;mpfung (Sturzgefahr!), weiterer Reduktion der kognitiven F&auml;higkeiten und unterschiedlichen Graden an anticholinergen Symptomen auch eine deutliche Steigerung der Schlaganfallinzidenz sowie eine Verl&auml;ngerung der QT-Zeit, die bei pr&auml;disponierten Menschen (Tab. 4) zu malignen Herzrhythmusst&ouml;rungen f&uuml;hren kann (Torsade de Pointes), umfassen, ist dieser &Uuml;bergebrauch &auml;u&szlig;erst kritisch zu sehen. Bei Delirepisoden ist der Einsatz unbedingt mit den sehr gut wirksamen nicht medikament&ouml;sen Ma&szlig;nahmen zu kombinieren und auf die niedrigstm&ouml;glichen Dosierungen und die k&uuml;rzeste n&ouml;tige Dauer zu beschr&auml;nken.<br /> Bei demenzkranken Personen ist bei allen psychotischen Symptomen IMMER zuerst an die M&ouml;glichkeit eines Delirs zu denken und dementsprechend sind die m&ouml;glichen Ursachen daf&uuml;r zu suchen und zu behandeln.<br /> Jedenfalls wird aufgrund der sehr ernsten Folgekrankheiten (Insult, Torsade) empfohlen, bei notwendig scheinender l&auml;nger dauernder Verordnung in regelm&auml;&szlig;igen Abst&auml;nden (ca. 3 Monate) dokumentierte Reduktions- und Absetzversuche zu machen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1803_Weblinks_jatros_neuro_1803_s37_tab1+3+4.jpg" alt="" width="2102" height="896" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1803_Weblinks_jatros_neuro_1803_s38_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="2176" /></p> <div id="fazit"> <h2>Beachten Sie:</h2> <p>Das Verh&auml;ltnis von NNT (&bdquo;number needed to treat&ldquo;) vs. NNH (&bdquo;number needed to harm&ldquo;) ist f&uuml;r Benzodiazepine in der Geriatrie ung&uuml;nstig: NNT 13 : NNH 6.</p> </div> <p><br /><strong>Weitere Informationen:</strong><br /> www.akdae.de (Arzneimittelkommission der deutschen &Auml;rzteschaft)<br /> www.clinicalpharmacology.com<br /> www.dosing.de (Universit&auml;t Heidelberg)<br /> www.drug-interactions.com<br /> www.mediq.ch<br /> www.torsades.org</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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