
Anti-Doping-Bestimmungen: Was ist bei Ausnahmebewilligungen zu beachten?
Autor:
Dr. med. Christian Imboden, EMBA
Präsident der SGSPP
Ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinikleitung
Privatklinik Wyss AG
Münchenbuchsee
E-Mail: christian.imboden@pkwyss.ch
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die meisten in der Psychiatrie eingesetzten Substanzen sind im Sport erlaubt. Bei Stimulanzien wird jedoch eine Ausnahmebewilligung zu therapeutischen Zwecken (ATZ) benötigt, weswegen für Ärzt:innen in der Betreuung von Athlet:innen spezifische Kenntnisse notwendig sind. Erfahren Sie hier mehr über die Umsetzung dieser Regelungen.
Anti-Doping-Bestimmungen haben den Zweck, fairen Sport zu fördern und Athlet:innen sowie deren Gesundheit zu schützen. Zahlreiche Substanzen sind aufgrund einer möglichen Leistungssteigerung entweder nur während des Wettkampfs oder auch ausserhalb des Wettkampfes verboten, und ein Nachweis dieser Substanzen im Rahmen einer Dopingprobe kann zu Sanktionen für die betreffenden Athlet:innen führen. Betreuungspersonen – inklusive behandelnder Ärzt:innen – können bei einem wissentlichen Verstoss aber ebenso sanktioniert werden.1
Aus diesen Gründen ist es sowohl zum Schutz der Athlet:innen vor unbeabsichtigten Verstössen als auch zum persönlichen Schutz vor einer Sanktion für Ärzt:innen, welche kompetitive Athlet:innen behandeln, wichtig, die grundlegenden Aspekte der Anti-Doping-Bestimmungen zu kennen.
Weltweit koordiniert die World Anti Doping Agency (WADA) die Aktivitäten zur Dopingbekämpfung im Sport und erlässt das Welt-Anti-Doping-Programm (WADP), welches aus dem Welt-Antidoping-Code («Code»), der regelmässig aufdatierten Dopingliste2 sowie weiteren internationalen Standards und technischen Dokumenten besteht.
In der Schweiz wird der Code mit dem Doping-Statut von Swiss Olympic3 umgesetzt. Als nationale Anti-Doping-Organisation ist Swiss Sport Integrity (SSI, ehemals Antidoping Schweiz) verantwortlich für Anti-Doping-Aktivitäten wie Dopingkontrollen, Prävention und weitere Massnahmen. Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind im Sportförderungsgesetz (SpoFöG) zu finden.
Rolle der Ärzt:innen
Grundsätzlich gilt für Athlet:innen «strict liability» (verschuldensunabhängige Haftung), das heisst, sie sind verantwortlich dafür, dass sie nicht gegen Anti-Doping-Bestimmungen verstossen, und können für alle verbotenen Substanzen haftbar gemacht werden, welche in einer Dopingprobe nachgewiesen werden.1
Daher sind sie angewiesen, behandelnde Fachpersonen darüber zu informieren, dass sie den Anti-Doping-Bestimmungen unterliegen, und jeweils zu prüfen, ob verordnete Arzneimittel als verbotene Substanzen gelistet sind. Ärzt:innen, welche Leistungssportler:innen behandeln, die offensichtlich den Anti-Doping-Bestimmungen unterliegen, tragen aber gemäss Standesordnung der Swiss Medical Association (FMH) eine Mitverantwortung. Bei der Therapieplanung sollte dieser Umstand berücksichtigt werden.4
Gemäss dem Code werden Substanzen oder Methoden auf der Dopingliste geführt, falls sie zwei von drei Kriterien erfüllen:
-
(Potenzielle) Leistungssteigerung
-
(Potenzielles) Gesundheitsrisiko
-
Verletzung des «Spirit of Sport»5
Auf der Website von SSI kann über die «Medikamentenabfrage» einfach geprüft werden, ob ein verordnetes Medikament in der entsprechenden Sportart erlaubt ist. Die in der psychiatrischen Pharmakotherapie üblicherweise eingesetzten Substanzen sind zum überwiegenden Teil in allen Sportarten erlaubt. Wichtige Ausnahmen sind aber Stimulanzien, welche häufig bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie bei Narkolepsie eingesetzt werden.
Auch die bei Angsterkrankungen nach wie vor ab und zu eingesetzten Betablocker sind in gewissen Sportarten (z.B. Schiessen, Bogenschiessen, Billard) verboten. Da es für sie in aktuellen Behandlungsrichtlinien keine Empfehlung gibt, sollten sie aber in der Psychiatrie kaum noch verordnet werden.6
Ausnahmebewilligungen zu therapeutischen Zwecken (ATZ)
Die ATZ (englisch «therapeutic use exemptions», TUE) soll Athlet:innen, welche aus medizinischen Gründen zwingend auf eine verbotene Substanz als Medikament angewiesen sind, ermöglichen, nicht vom Sport ausgeschlossen zu werden, indem sie eine Ausnahmebewiligung für diese Substanz beantragen können.
Es gilt der Grundsatz, dass niemand aufgrund einer Erkrankung (bzw. der damit verbundenen Therapie) vom Sport ausgeschlossen werden soll. Die Grundlage ist also einerseits Fairness, andererseits das Diskriminierungsverbot. Damit eine ATZ erteilt werden kann, müssen vier Bedingungen erfüllt sein.
Die verbotene Therapie:
-
ist notwendig für die Behandlung einer diagnostizierten Erkrankung;
-
bewirkt keine zusätzliche Leistungssteigerung, ausser der erwarteten Rückkehr zur normalen Gesundheit;
-
ist indiziert und es gibt keine angemessene, erlaubte Therapiealternative;
-
ist nicht aufgrund einer früheren Anwendung einer gemäss Dopingliste verbotenen Substanz oder Methode (ohne ATZ) notwendig.
Athlet:innen müssen in einem solchen Fall rechtzeitig einen ATZ-Antrag mit dem offiziellen Antragsformular von SSI stellen. Sie füllen diesen gemeinsam mit dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin aus und legen dem Antrag die relevanten Arztberichte bei. Welche Berichte benötigt werden, ist aus den Antragskriterien für verschiedene Erkrankungen auf der Website von SSI ersichtlich.7 Anträge werden durch die ATZ-Kommission der zuständigen Anti-Doping-Organisation geprüft. Diese Kommission besteht aus Ärzt:innen aus verschiedenen Fachrichtungen und kann Anträge genehmigen, mit Begründung ablehnen oder weitere Dokumente und Abklärungen verlangen. Eine ATZ ist immer für einen begrenzten Zeitraum gültig und muss verlängert werden, falls die betreffenden Athlet:innen weiterhin aktiv sind.
Vorgängige versus nachträgliche ATZ
Für Athlet:innen auf nationaler Ebene definiert SSI, in welchen Ligen oder auf welchen Leistungsniveaus eine vorgängige ATZ beantragt werden muss. Diese Athlet:innen müssen vor Beginn einer im Sport verbotenen Therapie über eine ATZ verfügen. Ausnahmen sind Notfalltherapien. Im Fussball gilt diese Regelung beispielsweise für die Nationalliga A. Alle übrigen Athlet:innen können im Fall einer Dopingkontrolle bei SSI einen nachträglichen Antrag stellen. Auch dafür müssen Diagnose und Wahl der Therapie medizinisch umfassend dokumentiert sein.8 Athlet:innen können auf der Website von SSI über den «ATZ-Wizard» anfragen, welche Regelung für sie gilt, oder direkten Kontakt mit SSI aufnehmen.
Für international tätige Athlet:innen werden die jeweiligen ATZ-Bestimmungen durch die internationalen Sportverbände definiert. Dadurch können Athlet:innen, welche national keine vorgängige ATZ benötigen, auf internationaler Ebene dennoch davon betroffen sein – dies kann auch für einzelne Wettkämpfe gelten.
Ärzt:innen, welche Athlet:innen betreuen, sollte das Vorgehen bei den jeweiligen Athlet:innengruppen bekannt sein. Einerseits, um diese möglichst gut beraten zu können, andererseits, um die Diagnose und Behandlung entsprechend gründlich medizinisch zu dokumentieren, sodass bei einer allfälligen ATZ alle benötigten Unterlagen vorhanden sind.
ATZ bei psychischen Erkrankungen
Wie bereits erwähnt, sind die meisten in der Psychiatrie eingesetzten Substanzen gemäss Dopingliste erlaubt. Bei ADHS und Narkolepsie eingesetzte Stimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminderivate, Modafinil) sind aber alle auf der Dopingliste als im Wettkampf verbotene Substanzen aufgeführt.
Derzeit ist eine ATZ für Methylphenidat, Lisdexamfetamin und andere Amphetaminderivate nur bei einer ADHS-Diagnose respektive für Methylphenidat und Modafinil bei Narkolepsie möglich. Bei anderen zugrunde liegenden Diagnosen ist eine ATZ nur schwer zu rechtfertigen, da in den meisten Fällen erlaubte Alternativen möglich sind. Falls diese ausgeschöpft oder aufgrund medizinischer Kontraindikationen nicht möglich sind, kann eine ATZ theoretisch erteilt werden, sofern die drei weiteren Bedingungen für eine ATZ erfüllt sind. Bei einer Augmentation der Depressionsbehandlung durch Stimulanzien ist dies aber kaum denkbar, da aktuelle Richtlinien vom Einsatz von Stimulanzien klar abraten.9
SGSPP-Nachrichten
Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) bezweckt die Förderung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie über die Lebensspanne – im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung – in der Schweiz. In Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie wird regelmässig über die jüngsten Entwicklungen der Sportpsychiatrie und -psychotherapie und ihre Tätigkeitsfelder im Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport berichtet, nunmehr seit 2019 in jeder Ausgabe.
Werden Stimulanzien bei einer Autismusspektrumstörung mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefiziten eingesetzt, muss die Einschränkung gut quantifiziert und die Therapiewahl klar begründet werden können. Zudem muss (bei Therapiebeginn vor dem Antrag auf eine ATZ) die Wirkung der Substanz gründlich und nachvollziehbar dokumentiert sein.
Für eine ATZ müssen die jeweilige Diagnose und Therapiewahl schlüssig durch eine ärztliche Fachperson dokumentiert sein, sodass die ATZ-Kommission diese nachvollziehen kann. Bezüglich der Fachrichtung und Aktualität der Berichte bestehen ebenfalls klare Vorschriften, welche den Antragskriterien für eine ATZ bei ADHS entnommen werden können10 und in Tabelle 1 zusammengefasst sind.
Tab. 1: Vorgaben zur ärztlichen Spezialisierung und zu einzureichenden Unterlagen bei einer Ausnahmebewilliung zu therapeutischen Zwecken (ATZ) für Stimulanzien bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) in Abhängigkeit vom Alter. Auszug aus den Antragskriterien bei der Diagnose ADHS von SSI10. ADHS-SB = ADHS-Selbstbeurteilungsskala; DIVA = Diagnostic Interview for ADHD in adults; WURS-k = Wender Utah Rating Scale
Die Limitierung der zugelassenen Berichte auf wenige Fachrichtungen sowie die Notwendigkeit, eine ADHS-Diagnose bei Athlet:innen ab 18 Jahren bestätigen zu lassen, ist zwar für Athlet:innen und behandelnde Ärzt:innen aufwendig, hat aber zum Zweck, dass wirklich nur Athlet:innen eine ATZ erhalten, welche die entsprechende Substanz aus medizinischen Gründen benötigen. Weil Stimulanzien ein Potenzial für eine Leistungssteigerung haben,11 ist dies aus Fairnessgründen gegenüber den anderen Athlet:innen zwingend notwendig.
Weiterführende Literatur:
Herzog C et al.: Anti-Doping-Bestimmungen. In Claussen MC, Seifritz E (Hrsg.): Lehrbuch der Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Hogrefe AG, Bern 2022
Literatur:
1 World Anti-Doping Agency: World Anti-Doping Code 2021 Montreal, Canada 2021. Available from: https://www.wada-ama.org/sites/default/files/resources/files/2021_code.pdf 2 World Anti-Doping Agency: Prohibited List 2023. Available from: https://www.wada-ama.org/en/prohibited-list 3 Swiss Olympic. Doping-Statut 2021, 2020. Available from: https://www.swissolympic.ch/dam/jcr:7a1d6e43-cfe8-4671-9ad3-f1dcaba272ca/10.1_Doping-Statut_2021.pdf 4 FMH Swiss Medical Association: Anhang 5 zur Standesordnung FMH, Richtlinien für die ärztliche Betreuung von Sporttreibenden, Revision vom 25.10.2018, 2018. Available from: https://www.fmh.ch/files/pdf24/anhang-5-standesordnung-fmh.pdf 5 World Anti-Doping Agency: WADA Ethics Panel: Guiding Values in Sport and Anti-Doping 2016. Available from: https://www.wada-ama.org/sites/default/files/resources/files/wada_ethicspanel_setofnorms_oct2017_en.pdf 6 Bandelow B et al.: World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for treatment of anxiety, obsessive-compulsive and posttraumatic stress disorders - Version 3. Part II: OCD and PTSD. World J Biol Psychiatry 2023; 24(2): 118-34 7 Swiss Sport Integrity (SSI). ATZ-Antrag 2023. Available from: https://www.sportintegrity.ch/anti-doping/medizin/ausnahmebewilligung-atz/atz-antrag 8 Swiss Sport Integrity (SSI): Ausführungsbestimmungen zu Ausnahmebewilligungen zu therapeutischen Zwecken 2022. Available from: https://www.sportintegrity.ch/sites/default/files/abatz_2022_de.pdf 9 Bundesärztekammer (BÄK) KBK, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale Versorgungs-Leitlinie Unipolare Depression – Leitlinienreport, Version 3.0.2022 [cited 2023 05-15] 10 Swiss Sport Integrity (SSI): Antragskriterien für einen ATZ-Antrag Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) 2022. Available from: https://www.sportintegrity.ch/sites/default/files/atz_antragskriterin_adhs_de.pdf 11 Berezanskaya J et al.: ADHD Prescription medications and their effect on athletic performance: A systematic review and meta-analysis. Sports Med Open 2022; 8(1): 5
Das könnte Sie auch interessieren:
Das «Feeling Safe»-Programm und eine neue postgraduale Fortbildungsmöglichkeit in der Schweiz
Evidenzbasierte Psychotherapie für Menschen mit Psychosen ist sehr wirksam. Sie gilt heute wie auch die Pharmakotherapie als zentraler Bestandteil einer modernen, Recovery-orientierten ...
Psychedelika in der Psychiatrie
Stellen Sie sich vor, Ihr Gehirn ist wie eine verschlungene Landkarte, auf der die immer gleichen Wege gefahren werden. Diese Strassen sind Ihre Denkmuster, Gefühle und Erinnerungen. ...
Klinische Interventionsstudie bei ME/CFS
An der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik des Universitätsspitals Zürich wird eine Sprechstunde für chronische Fatigue angeboten. Seit 2023 wird hier in Zusammenarbeit mit ...