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Akutpsychiatrie@Home

Gemeindeintegrierte Akutbehandlung im Kanton Luzern

Akut psychisch zu erkranken, führt zu erheblichen Einbussen im Bereich der Selbstwirksamkeit und im Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle. Gerade dann ist es wichtig, die Sicherheit und Geborgenheit des eigenen Zuhauses nicht verlassen zu müssen. Hier bietet die Gemeindeintegrierte Akutbehandlung (GiA) – Akutpsychiatrie@Home – seit mehr als 17 Jahren das geeignete Behandlungsangebot.

Akutpsychiatrie@Home zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Akutbehandlung äquivalent zu einer akutstationären Klinikbehandlung ist, diese aber primär aufsuchend im häuslichen Lebensumfeld der Patient:innen erfolgt. Ein multiprofessionales Team von Ärzt:innen, Psycholog:innen und Pflegefachpersonen übernimmt die Behandlung und gewährleistet die Behandlungskontinuität auch in der Nacht und am Wochenende (Gühne et al.).

In Deutschland ist das Intensive Hometreatment seit 2018 unter dem Begriff der stationsäquivalenten Behandlung (StäB) als neue Form der Krankenhausbehandlung gesetzlich verankert. Die Voraussetzungen für StäB umfassen die Eignung und Zustimmung des häuslichen Umfelds, die Berücksichtigung des Kindeswohls und regelmässig stattfindende Patient:innenkontakte (Knorr et al.). Die Behandlungsplanung muss konsequent aus Sicht der Betroffenen im Kontext des sozialen Umfelds gewährleistet sein, sodass der Aufnahmeprozess ortsungebunden (z.B. in der Wohnung der Betroffenen) stattfinden kann. Weiter wird verlangt, auf den steten Einbezug der Familie und des sonstigen sozialen Umfelds zu achten. Drei Jahre nach Einführung hatten in Deutschland bisher weniger als 10% der psychiatrischen Kliniken ein Angebot mit StäB.

In der Schweiz existieren inzwischen in diversen Kantonen (z.B. Aargau, Basel, Bern, Luzern, Tessin, Zürich) intermediäre aufsuchende gemeindepsychiatrische Angebote (Stulz et al.). Intensives Hometreatment im eigentlichen Sinn als Alternative zu einer akutpsychiatrischen stationären Behandlung wird allerdings selten angeboten. Hierbei wird nämlich die Behandlung durch ein eigenständiges Team an jedem beliebigen Wochentag und rund um die Uhr gewährleistet. Aus unserer Sicht ist es für die Versorgung akutpsychiatrischer Patient:innen elementar, dass alle Teammitglieder auch im Notfall Kenntnis des individuellen Behandlungsplanes haben und dass Patient:innen und ihre Angehörigen die Gewissheit haben, dass das Behandlungsteam bei Krisen jederzeit erreichbar ist (Wyder et al.). Die Therapie der Patient:innen findet täglich zu Hause statt, was die Möglichkeit für unmittelbare Lernprozesse in vivo ermöglicht. Der Einbezug der Angehörigen, ihre Beratung und Unterstützung, findet unkompliziert und praktisch am Küchentisch statt.

Akutpsychiatrisches Hometreatment in der Luzerner Psychiatrie AG (lups)

Die lups gewährleistet als einzige institutionelle Anbieterin psychiatrische Dienstleistungen für die rund 510000 Einwohnenden der Kantone Luzern, Obwalden und Nidwalden. Im ambulanten Bereich bietet die lups in sieben über die Kantone verteilten Ambulatorien und drei Tageskliniken eine sozialpsychiatrische, gemeindenahe Versorgungstruktur an. Seit Jahrzehnten stellt auch eine aufsuchende ambulante Behandlung durch Pflegefachpersonen einen festen Bestandteil des Angebots der sozialpsychiatrischen Ambulatorien dar.

Anfang 2000 mussten in der Region Luzern-Stadt 80% der ausserkantonalen Hospitalisationen aufgrund Bettenmangels bewilligt werden, weil die Anzahl verfügbarer psychiatrischer Betten mit knapp 0,3 Betten für 1000 Einwohner:innen im schweizweiten Vergleich sehr niedrig war. Der Ausbau der Bettenstationen wurde, unter anderem aufgrund der höheren Kosten, verworfen. Als Alternative konnte so bereits 2007 im Kanton Luzern das erste Intensive Hometreatment (Gemeindeintegrierte Akutbehandlung, GiA) der Deutschschweiz für die Region Luzern-Stadt aufgebaut werden, um im Rahmen einer Pilotphase die Effektivität des Angebots im Vergleich zu einem stationären Angebot nachzuweisen. Während 27 Monaten konnten 240 Patient:innen in die Behandlung ins Hometreatment eingeschlossen werden. Die gesamte Behandlungsdauer von 27 Tagen war vergleichbar mit der konventionellen Behandlung im stationären Setting. Der Anteil stationärer Behandlungstage an der gesamten Behandlungsdauer war im Rahmen des Hometreatments jedoch niedriger. Da der Nachweis der Vergleichbarkeit gelang, konnte Intensives Hometreatment im Jahr 2010 in den Regelbetrieb aufgenommen und im Jahre 2013 durch Gründung eines zweiten Teams auch auf den ländlichen Bereich des Kantons Luzern ausgeweitet werden.

Seither wird im Kanton Luzern eine flächendeckende akutpsychiatrische Versorgung im Hometreatment angeboten (Abb. 1). Es werden zwei multiprofessionelle Teams eingesetzt, um derzeit 40 akut behandlungsbedürftige Patient:innen ab dem 15./16. Lebensjahr diagnoseunabhängig zu versorgen. Wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme sind eine minimale Kooperations- und Absprachefähigkeit sowie die Akzeptanz vonseiten der Angehörigen der Behandlung zu Hause. Hieraus hat sich insbesondere auch ein beliebtes Behandlungsangebot für Patient:innen mit betreuungsbedürftigen Kindern im Haushalt entwickelt.

Abb. 1: Einzugsgebiete und Standorte der Gemeindeintegrierten Akutbehandlung Luzern Stadt und Luzerner Landschaft

Befragungen von Betroffenen ergaben, dass besonders die Vermeidung eines Klinikaufenthalts und der hieraus resultierende hohe Erhalt der Selbstbestimmung und Freiheit geschätzt werden. So können Verpflichtungen und Freizeitaktivitäten weiter wahrgenommen und Beziehungen weitergeführt werden, wobei der Einbezug der Angehörigen und vor allem auch der Kinder eine deutliche Entlastung biete (Hepp & Stulz). Die Zusammenarbeit mit dem ganzen Behandlungsteam wird trotz der unterschiedlichen Personen, die nach Hause kommen, positiv bewertet, auch da die Kenntnis des Wohnumfeldes ein besseres Verständnis für den Patient:innen und eine ganzheitliche und ressourcenorientierte Herangehensweise ermöglicht. Der/Die Patient:in bleibt in der gastgebenden Rolle, dies verschafft ihm/ihr mehr Kontrolle und unterstützt eine Begegnung auf Augenhöhe.

Die Indikation für die Aufnahme in das akutpsychiatrische Hometreatment wird nicht durch bestimmte Diagnosen begrenzt, wobei der grösste Anteil der Behandelten an affektiven Störungen (F3), gefolgt von neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4) sowie Schizophrenie und wahnhaften Störungen (F2) leidet. Die Zuweisungen erfolgen etwa zur Hälfte durch Grundversorger, nahezu ein Drittel wird durch niedergelassene Psychiater:innen oder aus den eigenen Ambulatorien angemeldet, während Übernahmen aus dem stationären Bereich noch immer eher selten sind.

Herausforderungen oder Grenzen im akutpsychiatrischen Hometreatment stellen vor allem die zunehmend grössere Gruppe fremdsprachiger Patient:innen, Betroffene mit einem hohen Pflegeaufwand oder direkt zu versorgende Angehörige mit Demenz oder Invalidität dar. Psychiatrisch stellen akute Fremdgefährdung, fehlende Absprachefähigkeit und akute Intoxikationen Ausschlusskriterien dar.

Im deutschsprachigen Raum weist die Luzerner Psychiatrie im Bereich des akutpsychiatrischen Hometreatments die grösste Expertise auf. In 15 Jahren konnten deutlich mehr als 4000 Patient:innen im Kanton Luzern akutpsychiatrisch zu Hause behandelt werden.

Ein interessantes Ergebnis findet sich auch in unseren Auswertungen der letzten fünf Jahre, in denen sich zeigt, dass die Wiederaufnahmerate im Hometreatment gering ist, was mit den Ergebnissen von Nikolaidis und Kollegen übereinstimmt (Nikolaidis et al.).

Fazit

Akutpsychiatrie@Home zeichnet sich durch eine gute Evidenz in der Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen aus (Johnson et al.). Sie ist eine äquivalente Behandlungsform für einen stationären Aufenthalt, ermöglicht unmittelbare Lernprozesse in vivo und ist deshalb inzwischen in zahlreichen Regionen ein zentraler Baustein der allgemeinpsychiatrischen Akutversorgung. Patient:innen und Behandlungsteams werden herausgefordert, eingefahrene Rollen und Abläufe zu hinterfragen und zu verbessern.

Gühne U et al.: Psychiat Prax 2011; 38: 114-22 ● Hepp U, Stulz N: Nervenarzt 2017; 88: 983-8 ● Johnson S et al.: (ed), Crisis resolution and home treatment in mental health. Cambridge University Press 2008 ● Knorr R et al.: Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89: 12-22 ● Nikolaidis K et al.: Psychiatr Prax 2024; 51: 92-98 ● Stulz N et al.: Br J Psychiatry 2020; 216: 323-30 ● Wyder et al.: Psychiatr Prax 2018; 45: 405-11

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