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Tuberkulosescreening in den Industrienationen
Jatros
30
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06.10.2016
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<p class="article-intro">Wer soll auf latente Tuberkulose (TB) gescreent werden und wie soll das Screening erfolgen? Diese Frage beantwortet eine Leitlinie der WHO, die auf die Gegebenheiten in Ländern mit niedriger TB-Prävalenz zugeschnitten wurde.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite22.jpg" alt="" width="625" height="686" /></p> <p>Tuberkulose ist in den westlichen Industrienationen heute glücklicherweise von untergeordneter Bedeutung. Doch verschwunden ist sie nicht. Sorgen bereitet nicht nur die mögliche Wiederkehr der Erkrankung (mit möglicherweise resistenten Erregern), sondern auch die Reaktivierung latenter Tuberkulose durch immer häufiger eingesetzte immunsuppressive oder immunmodulierende Therapien. Die WHO hat aus diesem Grund Guidelines für das Management der latenten TB in „low burden countries“ erarbeitet, die im Rahmen des ERS-Kongresses in London erörtert wurden. Die WHO erstellt ihre Leitlinien nach dem GRADE-System, das nicht nur Nutzen und Schaden abwägen und bevorzugte Vorgehensweisen benennen, sondern auch die Nutzung von Ressourcen einbeziehen soll. Letzteres ist im Zusammenhang mit der TB auch insofern wichtig, als die WHO seit Jahren die Wirksamkeit von Antibiotika als „natürlicher Ressource“ also gewissermaßen als wertvollen Rohstoff einstuft. Eine starke Empfehlung bedeutet, dass die meisten Patienten die empfohlene Handlungsweise „wollen würden“, während dies bei einer eingeschränkten („conditional“) Empfehlung nur auf eine Mehrheit der Patienten zutrifft. Bei eingeschränkten Empfehlungen sollen Kliniker die Patienten bei ihrer Entscheidung beraten.</p> <h2>Weltweit enorme Prävalenz der latenten TB</h2> <p>Die latente Tuberkulose wird von der WHO definiert als „Zustand persistierender Immunantwort auf Stimulation durch Mycobacterium-tuberculosis-Antigen ohne Hinweis auf klinisch manifeste, aktive TB.“ Dieser Zustand ist keineswegs selten, wie Dr. Haileyesus Getahun vom Global TB Programme der WHO betont. In Südostasien ist davon fast die Hälfte der Bevölkerung betroffen und selbst im Niedrigrisiko-Kontinent Europa sind es noch 14 % .<sup>1</sup> Nach Schätzungen könnten 30 % der Weltbevölkerung betroffen sein. Eine Reaktivierung der TB ist möglich. Laut Schätzungen der WHO werden so aus weltweit rund 2 Mrd. latent Infizierten jährlich etwa 9 Mio. aktive Tuberkulosefälle.<br /> Die neue WHO-Leitlinie richtet sich an 113 Länder mit mittlerem oder hohem Pro-Kopf-Einkommen und einer TB-Inzidenz unter 100 Fällen auf 100.000 Einwohner. Die empfohlenen Maßnahmen entsprechen zwar einem „public health approach“, sollten aber nicht auf Kosten des individuellen Benefits gehen. Die Empfehlungen für ein Screening auf latente TB fallen folglich auch sehr restriktiv aus. Eine starke Empfehlung für ein Screening auf latente TB und subsequente Therapie wurde gegeben für Personen mit HIV-Infektion, Erwachsene und Kinder mit Kontakt zu TB-Patienten, vor Beginn einer Therapie mit einem TNF-Inhibitor, vor Organtransplantationen, für Patienten an der Dialyse und für Patienten mit Silikose. In Erwägung gezogen werden sollte ein Screening („conditional recommendation“) bei Häftlingen, medizinischem Personal, Obdachlosen, Drogenkonsumenten sowie Migranten aus Hochrisikoregionen. Dr. Getahun fügt allerdings hinzu, dass die Evidenz für diese Empfehlungen schwach bis sehr schwach ist. Bei allen anderen Personengruppen, bei denen Screeningmaßnahmen angedacht werden, wie zum Beispiel Rauchern oder Diabetikern, spricht sich die WHO gegen ein systematisches Screening aus.<br /> Der Test auf latente Tuberkulose kann in Ländern mit niedrigem Risiko mittels Tuberkulin-Hauttest (TST) oder Interferon-Gamma Release Assay (IGRA) erfolgen. Allerdings soll der TST in Ländern mit hohem Risiko nicht den überlegenen IGRA ersetzen. Basis dieser Empfehlung ist eine von der WHO durchgeführte Metaanalyse verschiedener Studien, die den Prädiktionswert der Tests im Hinblick auf eine Reaktivierung der Tuberkulose untersuchten. Dabei ergab sich kein nennenswerter Unterschied. „Das genügt nicht, um zu sagen, einer wäre besser als der andere. Es gibt daher eine starke Empfehlung, allerdings bei schwacher Evidenz, da direkte Vergleichsstudien fehlen.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite23.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Aktive TB mittels Anamnese und Röntgen ausschließen</h2> <p>Eine aktive TB muss mittels Anamnese und unter Umständen mittels eines Thoraxröntgens ausgeschlossen werden, bevor eine latente TB behandelt wird (Abb. 1). Die Kombination von Anamnese und Röntgen weist eine Sensitivität von 100 % auf, es ist also nicht damit zu rechnen, dass TB-Fälle übersehen werden. Dr. Getahun: „Wenn Klinik und Röntgen unverdächtig sind, können Sie davon ausgehen, dass keine aktive Tuberkulose im Spiel ist und die latente TB behandeln.“ Allerdings liegt die Spezifität bei lediglich 61 % , sodass weiterführende Untersuchungen erforderlich sind, wenn TB-Symptome angegeben oder radiologische Auffälligkeiten gefunden werden.<br /> Bei positivem Test und nach Ausschluss einer aktiven TB empfiehlt die WHO unterschiedliche antibiotische Regime: Isoniazid über sechs Monate (6H), Isoniazid über neun Monate (9H), Rifapentin und Isoniazid über drei Monate (3HP), drei bis vier Monate Rifapentin plus Rifampicin (3–4HR) oder drei bis vier Monate Rifampicin-Monotherapie (3–4R). Allerdings wurde, so Dr. Getahun, die Empfehlung für Rifampicin sowohl in Kombination als auch in Monotherapie lediglich mit einer knappen Mehrheit im Leitlinien-Komitee ausgesprochen. Dr. Getahun: „In der Diskussion konnte kein Konsens erreicht werden – was ungewöhnlich war – und wir mussten abstimmen. Mit knapper Mehrheit wurde entschieden, dass Rifampicin den anderen Optionen gleichwertig ist.“ Um die verfügbare Evidenz zu bewerten, wurde ein komplizierter Review von Vergleichsstudien zwischen den einzelnen Regimen im Hinblick auf die TB-Inzidenz und die Hepatotoxizität durchgeführt. Sie zeigt eine vergleichbare Wirksamkeit aller empfohlenen Therapien, allerdings mit einer deutlich höheren Hepatotoxizität von Rifampicin im Vergleich zu Isoniazid.<br /> Hinsichtlich des Managements der Nebenwirkungen werden die Kontrolle in Form monatlicher Visiten sowie die gründliche Aufklärung der Patienten über mögliche Nebenwirkungen empfohlen. Basierend auf dem individuellen Risiko sollten vor Beginn der Therapie Laborwerte erhoben werden. Studiendaten zeigen bei korrekter Anwendung der Therapien kein signifikantes Risiko der Entwicklung von Resistenzen. Das Guideline-Komitee empfiehlt jedoch, nationale Programme zur Überwachung möglicher Resistenzentwicklungen zu etablieren.<br /> Die neue Leitlinie enthält auch Empfehlungen, wie bei Personen vorgegangen werden soll, die Kontakt zu Patienten mit multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) hatten. Die Leitlinie empfiehlt keine medikamentöse Therapie, aber engmaschiges Monitoring hinsichtlich des Auftretens aktiver Tuberkulose über mindestens zwei Jahre. Ein Update dieser Empfehlung sei jedoch, so Dr. Getahun, gegenwärtig in Arbeit.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Corbett EL et all: The growing burden of tuberculosis: global trends and interactions with the HIV epidemic. Arch Intern Med 2003; 163(9): 1009-21</p>
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