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„Treatable traits“: Gibt’s die im klinischen Alltag?
Jatros
30
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10.05.2018
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<p class="article-intro">Beim ERS-Kongress 2017 in Mailand stellte eine internationale Gruppe die Forderung, die bekannten Diagnosen Asthma und COPD zu verlassen und stattdessen von „treatable traits“ zu sprechen. Im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) 2018 wurde die Frage diskutiert, was das für die Praxis bedeuten könnte.</p>
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<p class="article-content"><p>Konzepte sind selten mit völlig klarer Evidenz hinterlegt“, sagt Prof. Dr. Andreas Rembert Koczulla, Deutsches Zentrum für Lungenforschung, Standort Marburg, und weist darauf hin, dass es sich beim Konzept der „treatable traits“1 um die Forderung nach Dekonstruktion der Atemwegserkrankungen handle – weg von abgegrenzten pathophysiologischen Entitäten hin zu deren Komponenten, die gemessen und potenziell auch modifiziert werden können. Dahinter steht die Idee der Präzisionsmedizin, die versucht, innerhalb von Patientenpopulationen Endotypen zu definieren, die auf bestimmte Therapien bestmöglich und mit minimalen Nebenwirkungen ansprechen. „Das ist eine schöne Theorie, aber leider scheitern wir sehr oft an der Identifikation valider Biomarker der verschiedenen Endotypen“, gibt Koczulla zu bedenken.</p> <p>Nun stelle sich die Frage, wie gut Endotypen der Atemwegserkrankungen Asthma und COPD definiert werden können und ob die vorhandene Evidenz bereits ausreiche, um das Konzept der „treatable traits“ sinnvoll zur Anwendung zu bringen. Wie schwer es sein kann, die beiden Erkrankungen auseinanderzuhalten, zeigte beispielweise eine niederländische Studie, in der vom Allgemeinmediziner gestellte Asthma- oder COPD-Diagnosen von einem Spezialisten-Team zu rund 50 % nicht bestätigt werden konnten.<sup>2</sup> „Diese Zahlen zeigen schon, dass hier Bedarf an Weiterentwicklung besteht“, so Koczulla.</p> <h2>Eosinophile Atemwegsentzündung</h2> <p>Als Beispiel für die Stärken, aber auch die Probleme der „treatable traits“ nennt Koczulla die eosinophile Atemwegsentzündung, die sowohl bei Asthma als auch bei COPD auftreten kann. So wurde in der SIRIUS-Studie mit dem gegen IL-5 gerichteten Antikörper Mepolizumab bei Patienten mit eosinophilem Asthma eine Reduktion der Exazerbationen gezeigt,<sup>3</sup> deren Ausmaß von der Eosinophilen-Zahl abhängt. In der METREX-Studie wurde ein ähnliches Ergebnis bei Patienten mit COPD und erhöhter Eosinophilen-Zahl beobachtet.<sup>4</sup> Auch das Ansprechen auf Steroide konnte bei COPD-Patienten mit der Zahl der Eosinophilen korreliert werden. Der Nachteil dieser Arbeiten liege jedoch darin, so Koczulla, dass es sich in vielen Fällen um Post-hoc-Analysen handle. Dies sei insbesondere aufgrund methodischer Schwächen von Post-hoc-Analysen problematisch.<sup>5</sup> Daraus ergeben sich für den Experten mehrere praktische Konsequenzen: „Eosinophilie gibt es sowohl bei Asthma als auch bei COPD. Wir haben es hier also mit einem ,treatable trait‘ zu tun, der mit zielgerichteten Medikamenten behandelt werden kann. Was den dahinterliegenden Endo- bzw. Phänotyp angeht, ist allerdings noch Forschung notwendig. Wir brauchen Studien, die das Konzept der ,treatable traits‘ mit höherem Evidenzniveau untersuchen.“</p> <h2>Chronische respiratorische Insuffizienz</h2> <p>Ein weiterer „treatable trait“, der mit verschiedenen der heute gebräuchlichen pulmologischen Entitäten in Zusammenhang stehen kann, ist die chronische respiratorische Insuffizienz. Als Behandlungsoptionen stehen hier Sauerstoff, nicht invasive Beatmung (NIV) und als Ultima Ratio die Lungentransplantation zur Verfügung. Sauerstoff wird gegenwärtig (unter anderem) eingesetzt, wenn der Sauerstoffpartialdruck unter 55mmHg fällt. Die Datenlage, auf deren Basis diese Empfehlung definiert wurde, bezeichnet Koczulla als inhomogen. In einer 2017 publizierten Arbeit konnte schließlich gezeigt werden, dass die Kombination von Sauerstoff und NIV der Sauerstoffgabe ohne NIV überlegen ist.<sup>6</sup> Laut Koczulla kann man nun die Datenlage zu diesem „treatable trait“ folgendermaßen zusammenfassen: „Die Datenlage zu Sauerstoff ist kryptisch, unsere Leitlinien sind veraltet. Respiratorische Insuffizienz ist behandelbar, die Patientenselektion muss jedoch sehr sorgfältig erfolgen.“</p> <p>Alles in allem lehnt Koczulla die „Abschaffung der Begriffe Asthma und COPD“ ab, zumal sich diese Begrifflichkeiten bei der Mehrzahl der Patienten gut bewähren. Allerdings gibt es eben auch Patienten, die nicht so leicht in eines der Schemata passen. Koczulla: „In solchen Fällen können pneumologische ,treatable traits‘ zumindest weiterhelfen, die Erkrankung in ihre Bestandteile zu zerlegen. Das kann zumindest eine Hilfestellung sein. Und nicht zuletzt gilt es auch, die nicht pulmologischen ,treatable traits‘ zu beachten, die wir bislang als Komorbiditäten bezeichnet haben.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1802_Weblinks_jatros_pneumo_1802_s7_bild.jpg" alt="" width="1455" height="950" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 59. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
und Beatmungsmedizin e.V. (DGP), 14.–17. März 2018,
Dresden
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Agustí A et al.: Eur Respir J 2017; 50(4). pii: 1701655 <strong>2</strong> Lucas AE et al.: Respir Med 2012; 106(8): 1158-63 <strong>3</strong> Bel EH et al.: N Engl J Med 2014; 371(13): 1189-97 <strong>4</strong> Pavord ID et al.: N Engl J Med 2017; 377(17): 1613-29 <strong>5</strong> Hjortrup PB et al.: Crit Care Resusc 2016; 18(1): 55-8 <strong>6</strong> Murphy PB et al.: JAMA 2017; 317(21): 2177-86</p>
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