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Schlaf und NIV
Jatros
30
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Sowohl die Schlafmedizin als auch die Intensivmedizin sollten gemeinsam betrachtet werden. Denn Patienten auf Intensivstationen mit Schlafstörungen entwickeln häufig Atemstörungen, die wiederum Interventionen nach sich ziehen. Bei der nicht invasiven Beatmung (NIV) scheinen höhere Beatmungsdrücke das Überleben zu verlängern.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1604_Weblinks_Seite21.jpg" alt="" width="858" height="446" /></p> <h2>NIV bei COPD und Hyperkapnie: der neue Goldstandard?</h2> <p>„Als Goldstandard werden Verfahren bezeichnet, die bisher unübertroffen sind“, so OA Dr. David Walker, II. Medizinische Klinik/Pneumologie, Lungenzentrum Bodensee, Klinikum Konstanz. „In den COPD-GOLD-Guidelines gibt es derzeit nicht genügend Beweise, um irgendwelche Empfehlungen hinsichtlich NIV zu machen.“<br /> COPD-Patienten mit respiratorischer Insuffizienz haben eine überlastete Atempumpe und eine reduzierte Atemmuskelkraft. „Das Ziel der NIV ist es, die Atemmuskulatur zu entlasten“, so Walker.<br /> <br /><strong> Beatmungsdruck</strong><br /> Niedrige Beatmungsdrücke bei NIV scheinen keinen Überlebensvorteil zu bringen.<sup>1, 2</sup> Physiologischerweise bringt erst eine hohe Beatmungsintensität eine deutliche Entlastung der Atempumpe.<sup>3</sup> „Im deutschen Sprachraum arbeiten wir mit wesentlich höheren Beatmungsdrücken“, kommentiert Walker. Dreher et al<sup>4</sup> ver­glichen NIV mit hohen vs. niedrigen Drücken (IPAP 28,6mbar und EPAP 4,5mbar vs. IPAP 14mbar und EPAP 4mbar). Walker: „Sehr deutlich konnte gezeigt werden, dass eine hohe Beatmungsintensität das PaCO<sub>2</sub> signifikant von über 60 auf unter 50mmHg senken kann. Unterschiede hinsichtlich der Schlafqualität zwischen Patienten mit niedrigintensiver NIV vs. hochintensiver NIV gab es nicht.“<br /> <br /> In einer randomisierten kontrollierten Studie von Köhnlein et al<sup>5</sup> wurde das Überleben bei Patienten mit NIV untersucht. Unter NIV konnte nach zwölf Monaten das PaCO<sub>2</sub> von 60 auf 48,8mmHg reduziert werden. Die Mortalität in der NIV-Gruppe lag bei 12 % , in der Kontrollgruppe dagegen bei 33 % .<br /> <br /><strong> Leitlinie</strong><br /> „Zur nicht invasiven und invasiven Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz gibt es eine S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin<sup>6</sup> aus dem Jahr 2010, die derzeit überarbeitet wird“, informiert Walker. Demnach ist NIV bei COPD indiziert, wenn der PaCO<sub>2</sub> tagsüber >50mmHg liegt, der PaCO<sub>2</sub> nachts >55mmHg beträgt und der transkutane Anstieg des PaCO<sub>2</sub> >10mmHg nachts überschreitet. Außerdem besteht in der aktuellen Leitlinie eine Indikation für NIV bei zwei Exazerbationen mit respiratorischer Azidose in 12 Monaten sowie im Anschluss an akute, beatmungspflichtige Exazerbationen.<br /> <br /><strong> Respiratorische Insuffizienz</strong><br /> Eine rezente dänische Studie<sup>7</sup> mit Patienten mit respiratorischer Insuffizienz konnte zeigen, dass ein Jahr nach NIV die Spitalseinweisungen aufgrund respiratorischer Insuffizienz im Vergleich zum Jahr davor deutlich abgenommen haben. Auch die Verweildauer auf pulmologischen Stationen wurde deutlich reduziert. „Das ist zwar vielversprechend, aber leider ist die Datenlage dazu noch nicht ausreichend“, weiß Walker. Dazu laufen aktuell noch Studien.<br /> <br /> „Ein wichtiges Thema bei der Beatmung ist die Entlastung bzw. Belastung. COPD-Patienten können ihre Atemmuskulatur trainieren, wobei insbesondere Patienten mit einer schwachen Atemmuskulatur von einem Atemmuskeltraining profitieren“,<sup>8</sup> stellt Walker fest. „Ob jedoch auch hyperkapnischen COPD-Patienten ein solches Training zumutbar ist, bleibt noch offen.“</p> <h2>Polysomnografie bei NIV</h2> <p>„In der Schlafmedizin müssen wir uns auch um das Thema Beatmung kümmern und in der Intensivmedizin wiederum müssen wir uns Gedanken um den Schlaf machen, um z.B. die Beatmung besser einzustellen“, unterstreicht Prof. Dr. Winfried Randerath, Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Allergologie, Krankenhaus Bethanien, Solingen, und Universität zu Köln.<br /> <br /><strong> Schlafstörungen in der Intensivmedizin</strong><br /> „Den Schlaf auf der Intensivstation zu messen ist nicht trivial. Daten zeigen, dass die Gesamtschlafzeit etwas reduziert ist und der Schlaf sich von der zirkadianen Rhythmik weg in den Tag hinein verlagert – 50 Prozent der Schlafzeit werden tags­über abgedeckt. Die Schlaflatenz ist zwar unverändert, aber die Schlafeffizienz ist deutlich verringert, mit extremen Schlaffragmentierungen und Aufwachzeiten, Leichtschlaf sowie reduziertem Anteil am Tiefschlaf“, berichtet Randerath. Dies zeigte auch eine Metaanalyse<sup>9</sup> aus 38 Studien, in welcher Polysomnografien bei Patienten auf Intensivstationen durchgeführt wurden. „Die Patienten schliefen nicht weniger, hatten aber deutliche qualitative Schlafeinbußen – insbesondere unter Beatmung“, ergänzt Randerath.<br /> „In der Regel werden schlafunterstützende Maßnahmen bei Intensivpatienten nach dem persönlichen Eindruck der Pflegekräfte durchgeführt“, weiß Randerath. „Aber die Einschätzung des Schlafes durch medizinisches Personal stimmt überhaupt nicht mit Ergebnissen einer Polysomnografie überein.“<sup>10</sup> Ein erholsamer Schlaf war nur bei Patienten mit regelmäßiger Sedierungspause nachweisbar.<sup>11</sup> „Die in der Intensivmedizin eingesetzten Schlafmedikamente weisen unterschiedliche Auswirkungen auf den Schlaf auf, in den meisten Fällen führen sie zu einer deutlichen Reduktion des REM- bzw. des Tiefschlafes zugunsten einer Erhöhung der Schlafzeit, aber auch der Leichtschlafphasen“, weiß Randerath. „Ein großes Problem ist der Schlafmangel auf der Intensivstation, der durch verschiedene Aspekte begünstigt wird.“ So kommt es achtmal pro Stunde zu Schlafunterbrechungen durch Pflegemaßnahmen. Durch Interventionen werden 19 % der Wachperioden verursacht. Auch die Lautstärke spielt eine wesentliche Rolle, sie liegt auf Intensivstationen oft bei 53–59dB – empfohlen sind dagegen nur 30dB. Wichtige Lärmquellen stellen Teamkonversationen am Bett des Patienten sowie Alarme dar.<sup>9</sup><br /> „Dabei beeinflussen Störungen des Schlafes die Beatmungssituation. Jedes Mal, wenn der Patient geweckt wird, hyperventiliert er und reduziert sein PaCO<sub>2</sub>, als Konsequenz kommt es zu zentralen Atemstörungen. Was dann wieder eine Intervention an der Beatmung hervorruft“, gibt Randerath zu bedenken.<br /> Um Schlafstörungen in der Intensivmedizin vorzubeugen, sollte(n)<sup>10</sup></p> <ul> <li>Sedierungspausen durchgeführt werden (tägliche Unterbrechungen der Sedierung),</li> <li>Pflegemaßnahmen gebündelt werden (systematische Pflegeplanung),</li> <li>für Lärmreduktion gesorgt werden (Besprechungen nicht im Patientenzimmer bzw. Ohrstöpsel für Patienten),</li> <li>das Beatmungsverfahren überdacht werden,</li> <li>kleine Atemzugvolumina bevorzugt werden, um eine zentrale Schlafapnoe zu vermeiden.</li> </ul> <p><strong>Schlafqualität bei ventilatorischer Insuffizienz</strong><br /> „NIV verbessert die Symptome der Hypoventilation sowie die Blutgase“, so Randerath. In einer Studie<sup>12</sup> bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen wurde die Polysomnografie vor der NIV, nach sechs Monaten in einer NIV-Pause sowie nach 12 Monaten mit und ohne NIV durchgeführt, wobei es zu einer kontinuierlichen Verbesserung unter Spontanatmung im Verlauf kam: Sauerstoffsättigung unter der Therapie (auch am Tag), Schlafeffizienz und der Gesamtschlaf verbesserten sich, die Wachphasen wurden reduziert, die REM- und Tiefschlafanteile nahmen zu.<br /> Eine zweite Arbeitsgruppe<sup>13</sup> untersuchte NIV bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS). „Im Rahmen der ALS kommt es zu einem kontinuierlichen Abfall der Sauerstoffsättigung, welcher mit einem Anstieg des transkutan gemessenen PaCO<sub>2</sub> assoziiert ist. Der Schlaf ist erheblich gestört, was zu einer Verminderung der Lebensqualität beitragen kann“, erklärt Randerath. Nach NIV verbesserten sich die Sauerstoffsättigung und das PaCO<sub>2</sub> deutlich, und auch die Schlafqualität nahm zu. Die NIV hat somit auch lang­fristig den Schlaf kontinuierlich verbessert und stabilisiert.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Gestörter Schlaf und Schlafmangel sind wesentliche Probleme von Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen der Atmungsorgane. Betroffen sind sowohl Patienten auf Intensivstationen als auch Patienten mit chronischer ventilatorischer Insuffi­zienz. „Der gestörte Schlaf wiederum kann zentrale Atmungsstörungen hervorrufen, die möglicherweise zu überschießenden Maßnahmen zwingen oder drängen. Die Analyse von Atmungsstörungen unter Beatmung ist schwierig und erfordert eine Erfassung der Atmungscharakteristika, um die Beatmung zu optimieren“, betont Randerath abschließend. „Wie verschiedene Studien zeigen, kann die NIV den Schlaf verbessern. Aus meiner Sicht ist es daher notwendig, die Polysomnografie in der Beatmungsmedizin konsequent einzusetzen.“</p> </div></p>
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<p><strong>1</strong> McEvoy RD et al: Thorax 2009; 64(7): 561-66 <br /><strong>2</strong> Clini E et al: Eur Respir J 2002; 20(3): 529-38 <br /><strong>3</strong> Lukácsovits J et al: Eur Respir J 2012; 39(4): 869-75 <br /><strong>4</strong> Dreher M et al: Thorax 2010; 65(4): 303-8 <br /><strong>5</strong> Köhnlein T et al: Lancet Respir Med 2014; 2(9): 698-705 <br /><strong>6</strong> Windisch W et al: Pneumologie 2010; 64(4): 207-40 <br /><strong>7</strong> Ankjærgaard KL et al: Eur Clin Respir J 2016; 3: 28303 <br /><strong>8</strong> Gosselink R et al: Eur Respir J 2011; 37(2): 416-25 <br /><strong>9</strong> Pisani MA et al: Am J Respir Crit Care Med 2015; 191(7): 731-8 <br /><strong>10</strong> Andersen JH et al: Minerva Anestesiol 2013; 79(7): 804-15 <br /><strong>11</strong> Oto J et al: Anaesth Intensive Care 2011; 39(3): 392-400 <br /><strong>12</strong> Schönhofer B et al: Thorax 2000; 55(4): 308-13 <br /><strong>13</strong> Boentert M et al: J Neurol 2015; 262(9): 2073-82</p>
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