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Pollenallergie – vom Winde verweht …
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Autor:
Dr. med. Ulli Enzenberg
Ärztin für Allgemeinmedizin<br> Gesund in Schönbrunn, 1130 Wien<br> Allergiezentrum Wien West, 1150 Wien<br> E-Mail: enzenberg@gesundinschoenbrunn.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Schon 20 Pollen/m<sup>3</sup> reichen aus, um allergische Reaktionen auszulösen. Die Pollensaison beginnt oft schon an warmen Wintertagen und endet erst im Herbst. Die immunologischen Abläufe und die wichtigsten Vertreter der Inhalationsallergene werden im Folgenden vorgestellt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Es sind die windbestäubten Pflanzen, deren ungeheure Pollenmassen durch den Wind verweht werden. Die Pollen gelangen mit der Atemluft auf die Schleimhäute. Das Immunsystem reagiert mit der Bildung spezifischer IgE-Antikörper, die vor allem an Mastzellen binden und in der Folge zur Freisetzung von Mediatoren führen. Das klinische Bild entspricht einer allergischen Soforttypreaktion, bei der innerhalb weniger Minuten Schleimhautschwellung und Sekretproduktion auftreten.</p> <h2>Pathomechanismus</h2> <p>Die Pollenproteine (Allergene) induzieren die Bildung von allergenspezifischen IgE-Antikörpern. Diese binden an die Oberfläche der Mastzellen, wodurch die Ausschüttung von Histamin und anderen Entzündungsmediatoren (u.a. Leukotriene, C4, Bradykinin, TNF-α) erfolgt. Rötung, Schwellung, Juckreiz und Sekretproduktion treten unmittelbar auf und vermitteln die bekannten Allergiesymptome: Konjunktivitis, Rhinitis, Asthma bronchiale und Exanthem. Diese rasch einsetzende Frühphasenreaktion erreicht nach 30 bis 60 Minuten ein Plateau mit gleichbleibenden Beschwerden, auch bei weiter anhaltender Exposition. Eine Persistenz der zellulären Entzündungsreaktion mit hoher eosinophiler Infiltration der ödematös geschwollenen Schleimhäute führt zur Obstruktion der Nasenatmung sowie der Bronchien in der Spätphase der allergischen Typ-I-Reaktion.</p> <h2>Ein biologisches System mit vielen Variablen</h2> <p>Die Wahrscheinlichkeit von einer Allergie betroffen zu sein nimmt zu. Genetische Disposition und Umweltfaktoren werden als Auslöser diskutiert. Die Reduktion frühkindlicher Infekte durch Hygienemassnahmen und das Aufwachsen in Kleinfamilien im städtischen Raum begünstigten das Entstehen von Allergien. Stillen bis mindestens zum 4. Lebensmonat wirkt protektiv, das Hormon Östrogen erhöht bei Mädchen und Frauen vor der Menopause sowie bei postmenopausalen Frauen unter Östrogentherapie das Asthmarisiko. Die messbare Zunahme von Umweltgiften wie Feinstaub, Stickoxiden, Ozon und Nikotin inklusive Passivrauchbelastung ebenso wie die Verwendung von Duftstoffen in Innenräumen erhöhen einerseits die Empfindlichkeit der Schleimhäute durch chronische Reizung, andererseits binden Pollen bzw. einzelne Fragmente an die toxischen Partikel und dringen so tiefer in die Schleimhaut ein, wodurch die oben beschriebenen Entzündungsreaktionen ausgelöst werden. Lang anhaltende Infekte während der Winterzeit schwächen das Immunsystem und begünstigen so die Exazerbation von allergischen Symptomen am Beginn der Baumblüte.</p> <h2>Aerobiologie</h2> <p>Der Klimawandel bewirkt generell eine Zunahme von Dauer und Intensität des Pollenfluges, was Anpassungen der Pollenflugkalender im 10-Jahres-Rhythmus erforderlich macht. Diese beschreiben, wann in einer Region bestimmte Pollen fliegen, ohne die Intensität, die von Wind und Wettereinflüssen abhängt, zu erfassen.<br /><br /> Zunächst erscheinen die Baumpollen, wobei Erle und Hasel bei Temperaturen von 5–8°C austreiben. Während Birken in Nordeuropa stark verbreitet sind, sind die Eschenpollen vor allem wegen ihrer Kreuzreaktionen mit mediterranen Ölbaumgewächsen und den damit verbundenen Beschwerden bei Aufenthalten im Süden interessant. Charakteristisch ist bei allen Bäumen der Wechsel von starken und schwachen Blühjahren.<br /> Die Gräserpollen als häufigste Auslöser von Inhalationsallergien zeigen über Jahre eine leicht ansteigende Konzentration, wobei sehr enge Kreuzreaktionen zwischen Wildgräsern (Knäuel- und Lieschgras) und Kulturgräsern (vor allem Roggen) bestehen. Die Pollen der niedrig wachsenden Gräser kommen in geringerer Konzentration vor, womit der Windrichtung eine entscheidende Rolle zukommt.<br /> Unkräuterpollen von Beifuss und Ambrosia, die als Kulturfolger des Menschen an Wegrändern, Lagerstätten, Bahnlinien und «ungepflegten» Flächen auftreten, blühen ab August. Ambrosia-Pollen gehören zu den stärksten Allergieauslösern, mit ständiger Zunahme der Verbreitungsgebiete, sodass heute ca. 35 % der Patienten mit inhalativen Allergien gegen Ambrosia sensibilisiert sind, mit auffallend hoher Asthmahäufigkeit.<br /> Nicht zu vergessen ist die sehr heterogene Gruppe der Pilzsporen mit ihren Vertretern Alternaria, Cladosporium, Aspergillus und vielen weiteren Arten, deren Sporen bei feuchter Witterung ab dem Hochsommer in der Luft und ansonsten indoor wie outdoor ubiquitär vorhanden sind.<br /> Neu sind umfassende Analysen zu sogenanntem Gewitter-Asthma, die heftige pollenassoziierte Asthmaanfälle bei Starkregenfällen beschreiben: Die bei Gewitterlage erhöhte elektrostatische Aufladung der Luft führt zu massiver Freisetzung der Pollen, die durch die Feuchtigkeit stark aufquellen und zerplatzen, sodass kleinste Pollenfragmente tiefer als gewöhnlich in die Schleimhaut der unteren Atemwege eindringen und somit anfallsartig Asthmaanfälle auslösen können. Bewegung und Sport im Freien sind erst zwei Stunden nach Abklingen der Regenfälle empfehlenswert, was insbesondere für die Teilnahme am Schulsport und für wettkampforientiertes Training relevant ist.</p> <h2>One airway – one disease</h2> <p>Unter «one airway – one disease» wurde die organübergreifende Manifestierung der Pollenallergie an den oberen und unteren Atemwegen zusammengefasst. Moderne Testverfahren stehen in den Allergiezentren, aber auch bei niedergelassenen Spezialisten zur Verfügung. Am wichtigsten ist ein ausführliches Anamnesegespräch zu Beginn, das bereits deutlich Art, Intensität, betroffene Organe und zeitlichen Verlauf der Allergie aufzeigt. Die Pricktestung erfolgt oberflächlich an der Haut der Unterarme, wobei schon nach wenigen Minuten ein deutliches Ergebnis durch rote Quaddelbildung sichtbar ist. Mit der RAST-Bestimmung im Blut werden spezifische IgE-Antikörper identifiziert. Besonders die neue Bestimmung der rekombinanten Allergene (Allergen-Chip-Test) ermöglicht ein genaues Erfassen des individuellen Antikörpermusters und eine Erfolgsprognose für eine Immuntherapie.<br /> Provokative Testungen mit Inhalationen oder dem Aufbringen von nativen Substanzen auf die Haut sind nur bei speziellen Fragestellungen erforderlich und spielen in der Routineabklärung keine Rolle. Umso wichtiger ist die Durchführung einer Lungenfunktionsuntersuchung zum Einschätzen des Asthmarisikos. In Diskussion ist die Bedeutung eines labortechnischen Screenings vor der ärztlichen Untersuchung. Da der blutchemische Nachweis von IgE-Antikörpern jedoch nicht gleichbedeutend mit symptomatischer Allergie ist, wird gemäss den allergologischen Leitlinien die Diagnose nur durch die charakteristische Anamnese UND den Nachweis spezifischer IgE-Antikörper im Haut- oder Bluttest gestellt.</p> <h2>Bedarfsorientierte Therapie</h2> <p>Die jeweils beste Massnahme im Zusammenhang mit einer Allergie ist das Meiden des Auslösers, angefangen bei Schutzmassnahmen wie Pollengittern und Pollenfiltern im Wohnbereich bis zum Urlaub in pollenfreien Regionen.<br /> Für die symptomatische Behandlung stehen gut wirksame und nahezu nebenwirkungsfreie Antihistaminika der 2. Generation in Form von Tabletten und Schmelztabletten sowie Darreichungsformen zur oralen Einnahme für Kinder zur Verfügung. Wichtig ist es, die Allergiker darüber zu informieren, dass die Kombination eines Antihistaminikums mit mehreren Präparaten zur topischen Anwendung an Augen, Nase und Lunge erforderlich und sinnvoll ist. ARIAGuidelines (Abb. 1) und GINA-Guidelines (Abb. 2) geben den Rahmen für die Stufen der Behandlung von allergischer Rhinopathie und Asthma bronchiale.<br /> Die kausale Behandlung besteht in Form der sogenannten Allergieimpfung mit Allergenextrakten mit möglichst hoher Konzentration des Major-Allergens, die entweder präsaisonal oder perennial als subkutane Injektionen verabreicht werden oder prä- und perisaisonal in Tabletten- oder Tropfenform vom Patienten selbst eingenommen werden, wobei auch hier die erste Gabe unter ärztlicher Aufsicht erfolgen muss. Egal welche Form der Immuntherapie gewählt wird, wichtig ist ein frühestmöglicher Beginn nach Diagnosestellung, besonders im Kindesalter – bereits ab dem 5. Lebensjahr.<br /> Als gute ergänzende Massnahmen haben TCM-Medizin, Akupunktur und Homöopathie sowie Nahrungsergänzungsmittel ihren Stellenwert. Das zunehmende Wissen über das Mikrobiom des Darmes zeigt auch, dass eine stabile Darmflora wesentlich zur Allergieprävention sowie zur Stabilisierung der allergischen Beschwerden beiträgt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s6_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="857" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s6_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="977" /></p> <h2>Schlussfolgerungen</h2> <p>Reaktionsmuster der Soforttypallergie betreffen mehrere Organe und sämtliche Altersstufen. Oberstes Ziel der Behandlung ist es, einerseits Symptomfreiheit zu erzielen, andererseits den gefürchteten Etagenwechsel von der Nase auf die Lunge zu verhindern. Erfolgreich betriebene Allergologie berücksichtigt immer den ganzen Menschen, sucht individuelle Lösungen und erfordert eine «sprechende» Medizin, für die die Hausärzte zumeist die erste Anlaufstelle sind.</p></p>
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<p>bei der Verfasserin</p>
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