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Nanopartikel: Gefahr durch kleinste Teilchen
Jatros
30
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06.10.2016
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<p class="article-intro">Dieselabgase enthalten kleinste Partikel in großer Menge. Die gesundheitlichen Folgen werden zunehmend verstanden. Allerdings werden wir diesen Partikeln nicht nur durch Abgase ausgesetzt. Nanoteilchen werden auch gezielt produziert und finden reichlich industrielle Anwendung.</p>
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<p class="article-content"><p>Der Londoner Smog des Jahres 1952 wurde mit Tausenden Todesfällen in Verbindung gebracht und führte zu entschlossenen politischen Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität, insbesondere zu einem Verbot von Kohle als Heizmaterial. Die umweltpolitischen Herausforderungen des Jahres 2016 sehen zumindest in Europa anders aus. Während die relativ großen Rußpartikel aus der Verbrennung von Kohle kaum noch eine Rolle spielen, bereiten den Experten sehr viel kleinere Teilchen Sorgen: Nanopartikel mit weniger als 100nm ∅, was in etwa der Größe eines durchschnittlichen Virus entspricht. Aufgrund ihrer Größe weisen sie besondere thermische, magnetische, elektrische und optische Eigenschaften auf. Mit abnehmender Größe verschiebt sich das Verhältnis von Volumen zu Oberfläche. Durch die relativ größere Oberfläche werden die Partikel reaktiver. Nano­partikel sind in Dieselabgasen reichlich vorhanden. In der Lunge durchdringen Nanopartikel leicht die Gas-Blut-Barriere. Sie gelangen sowohl über die Blutbahn als auch über die Lymphe in den gesamten Organismus inklusive Gehirn, werden über die Niere ausgeschieden und sind im Urin nachweisbar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite26.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Verschlechterung der Lungenfunktion durch Abgase</h2> <p>Dass sich Autoabgase in den in Europa auftretenden Konzentrationen unmittelbar auf die Gesundheit auswirken können, wurde bereits vor zehn Jahren in der „Oxford Street“-Studie gezeigt. Testpersonen mit Asthma bronchiale entwickelten asymptomatische, aber signifikante Einschränkungen der Lungenfunktion (FEV<sub>1</sub>, FVC), wenn sie der Londoner Innenstadtluft in der Oxford Street ausgesetzt wurden.<sup>1</sup> Prof. Dr. Junfeng Zhang von der Duke University in Durham, North Carolina, Seniorautor der Studie, berichtet nun von einer noch unpublizierten Oxford Street Study II, die den Feldversuch mit COPD-Patienten und gesunden Kontrollen wiederholte. Zusätzlich wurden dabei kardiovaskuläre Risikoparameter bestimmt. Die Oxford Street Study II fand, so Prof. Zhang, ähnliche Ergebnisse wie die Oxford Street Study I und konnte zusätzlich eine Steigerung des kardiovaskulären Risikos (gemessen als arterielle Steifigkeit) sowohl bei den COPD-Patienten als auch bei den Kontrollpersonen nachweisen.<br /> <br /> Die toxischen Wirkungen dieser Partikel rühren nicht zuletzt von dem Umstand her, dass sie den Organismus kaum mehr verlassen. Bei Exposition durch die Atemluft werden, so Prof. Dr. Flemming R. Cassee von der Universität Utrecht in den Niederlanden, die sehr großen und die sehr kleinen Partikel kaum wieder ausgeatmet. Teilchen mit einem Durchmesser von um die 10nm gelangen fast zu 100 % in die unteren Atemwege und verbleiben auch dort. Sie werden entweder phagozytiert oder durch die alveolären Epithelzellen in den Organismus aufgenommen. In Experimenten mit Nano-Goldpartikeln wurde demonstriert, dass sich die Teilchen im gesamten Organismus verteilen und sehr langsam ausgeschieden werden. Im Urin der Probanden war 3 Monate nach der Exposition noch immer Gold nachweisbar. Das hat messbare gesundheitliche Folgen, wie nicht nur die „Oxford Street“-Studien, sondern mittlerweile auch zahlreiche experimentelle Arbeiten zeigen. Beispielsweise konnten nach einer 2-stündigen Exposition gegenüber Dieselabgasen eine Abnahme der Reaktivität des Gefäßendothels und in der Folge eine Erhöhung des Blutdrucks nachgewiesen werden.<sup>2</sup> Auch eine erhöhte Neigung zur Thrombosebildung wurde in Experimenten durch Abgasbelastung induziert. Diese Effekte blieben jedoch aus, wenn die Abgase durch einen Partikelfilter gefiltert wurden.<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite28.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Was Nanopartikel mit der Lunge machen</h2> <p>Doch Nanopartikel sind nicht nur in Dieselabgasen enthalten. Sie werden als sphärische Teilchen, als Fasern (Nanofibers) oder als Nanotubes auch gezielt produziert und technologisch eingesetzt. In die Umwelt freigesetzt werden sie dabei durchaus bewusst. Nanopartikel kommen in den unterschiedlichsten Technologien zum Einsatz, etwa in Biosensoren oder für den Transport von Medikamenten im Organismus. Die Anwendungen reichen vom Kontrastmittel für Ultraschalluntersuchungen über Kosmetikprodukte bis hin zur Bekleidungsindustrie. Als Material kommen Kohlenstoff, Metalle, Metalloxide oder Kunststoffe infrage. Die noch kleineren Quantenpunkte („quantum dots“) werden aus Halbleitermaterial hergestellt. Besonders verbreitet sind die antibakteriell wirksamen Silber-Nanopartikel, die beispielsweise bei der Herstellung von Bekleidung Verwendung finden. Dazu Prof. Dr. Terry Tetley vom University College London: „Aufgrund des breiten Einsatzes dieser Materialien gibt es sehr ernste Befürchtungen, dass die Exposition während der Produktion, während der Verwendung und nach der Entsorgung gesundheitliche Folgen hat.“ Einige Nanomaterialien zeigen etwa auffällige strukturelle Ähnlichkeiten mit Asbest. Ihren Weg durch die Lunge bahnen sich die kleinen Teilchen über komplexe Transportmechanismen. Dabei interagieren sie mit dem Feuchtigkeitsfilm des alveolären Epithels.<br /> <br /> In In-vitro-Studien zeigte die Gruppe von Prof. Tetley, dass Silber-Nanodrähte sowohl mit künstlichem Surfactant als auch mit Maus-Surfactant oder Dipalmitoylphosphatidylcholin (DPPC) reagieren.<sup>4</sup> Surfactant und Phospholipide binden an die Silberpartikel. Dies hat einen protektiven Effekt auf die alveolären Epithelzellen vom Typ I, nicht aber auf jene vom Typ II. Diese sind der Toxizität der Silberpartikel auch in Gegenwart von Surfactant ausgesetzt.<sup>5</sup> Es bestehe, so Prof. Tetley, Grund zur Sorge, dass diese Schädigung die Immunabwehr in der Lunge schwächen könnte. Nanopartikel können sowohl über aktive als auch passive Mechanismen ins Zytoplasma der Epithelzellen gelangen, wobei sich die Lunge teilweise über protektive Mechanismen schützt. Surfactant scheint die Aufnahme der Partikel in die Zellen zu erschweren. Generell dürften für die alveolären Epithelzellen – im Gegensatz zu den Makrophagen – die kleinsten Partikel gefährlicher sein als die größeren; sie bewirken unter anderem eine stärkere Freisetzung von Interleukin (IL) 8.<sup>6</sup> Epithelzellen vom Typ I erlauben den Partikeln auch das Eindringen in den Organismus durch das Epithel. Hier wird auch eine Ursache der prothrombotischen Wirkung von Nanopartikeln vermutet: Sie bewirken die Hochregulation von Gewebefaktor und Plasminogenaktivator bei gleichzeitiger Downregulation des Plasminogenaktivator-Inhibitors.<br /> <br /> Hinzu kommt das Phänomen der „frustrierten Phagozytose“. Makrophagen versuchen, Nanotubes zu phagozytieren. Sind diese jedoch zu lang, überleben die Immunzellen den Versuch der Phagozytose nicht.<sup>7</sup> Dieses Phänomen ist von Asbestfasern bekannt und wird mit der Entstehung von Mesotheliomen in Verbindung gebracht. Längere Karbon-Nanotubes verhalten sich diesbezüglich wie Asbest. Sie verursachen bei den Makrophagen im Vergleich zu kürzeren Fasern auch mehr oxidativen Stress sowie verstärkte Ausschüttung von Zytokinen und bewirken über mehrere Tage eine Downregulation der Phagozytose.</p></p>
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<p><strong>1</strong> McCreanor J et al: Respiratory effects of exposure to diesel traffic in persons with asthma. N Engl J Med 2007; 357(23): 2348-58 <strong>2</strong> Mills NL et al: Combustion-derived nano­particulate induces the adverse vascular effects of diesel exhaust inhalation. Eur Heart J 2011; 32(21): 2660-71 <strong>3 </strong>Lucking AJ et al: Particle traps prevent adverse vascular and prothrombotic effects of diesel engine exhaust inhalation in men. Circulation 2011; 123(16): 1721-8 <strong>4</strong> Theo­dorou IG et al: Static and dynamic microscopy of the chemical stability and aggregation state of silver nanowires in components of murine pulmonary surfactant. Environ Sci Technol 2015; 49(13): 8048-50 <strong>5</strong> Sweeney S et al: Silver nanowire interactions with primary human alveolar type-II epithelial cell secretions: contrasting bioreactivity with human alveolar type-I and type-II epithelial cells. Nano­scale 2015; 7(23): 10398-409 <strong>6</strong> Sweeney S et al: Multi-walled carbon nanotube length as a critical determinant of bioreactivity with primary human pulmonary alveolar cells. Carbon N Y 2014; 78: 26-37 <strong>7</strong> Sweeney S et al: Functional consequences for primary human alveolar macrophages following treatment with long, but not short, multiwalled carbon nanotubes. Int J Nanomedicine 2015; 10: 3115-29</p>
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