© robertonencini iStock Editorial

Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP)

Lunge und Umwelt

Dadurch, dass die diesjährige SGP-Jahrestagung in Zusammenarbeit mit dem «Espace Francophone de Pneumologie» (EFP) organisiert wurde, ergaben sich vielfältige Möglichkeiten für einen Blick über die Schweizer Grenzen hinaus. So war beispielsweise in einer spannenden Session zum Thema «Lunge und Umwelt» zu erfahren, dass es einen Risikofaktor für die Entwicklung einer COPD gibt, der global gesehen eine noch wichtigere Rolle spielt als das Rauchen, nämlich das Kochen mit Biomassebrennstoffen.

COPD und häusliche Umweltbelastung

Das Rauchen wurde bereits in den 1950er-Jahren als Risikofaktor für die Entwicklung einer COPD erkannt und ist der bekannteste und am besten untersuchte COPD-Risikofaktor. Der Anteil an Nichtrauchern unter den COPD-Patienten ist mit ungefähr 25–45% (die Zahlen schwanken von Land zu Land) aber beträchtlich.1 Obwohl die Forschung zur COPD bei Rauchern die Erforschung anderer Risikofaktoren etwas in den Hintergrund gedrängt hat, gibt es doch zahlreiche Erkenntnisse im Hinblick auf weitere COPD-Risikofaktoren.

«Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass Kinder mit Asthma und einer verminderten Zunahme der Lungenfunktion während des Wachstums ein höheres Risiko für eine fixierte Atemwegsobstruktion und die Entwicklung einer COPD bereits im jungen Erwachsenenalter haben», erklärte Prof. Dr. med. Chantal Raherison Semjen, Bordeaux.2 In einer grossen populationsbasierten Studie wurden neben dem Rauchen kindliches Asthma, respiratorische Infekte, Pneumonie, allergische Rhinitis, Ekzem, familiäre Belastung mit Atopien sowie mütterliches Rauchen als Risikofaktor für die Entwicklungen einer späteren COPD identifiziert.3

Biomassebrennstoffe

Global gesehen stellt die Verwendung von Biomasse als Brennstoff wahrscheinlich den wichtigsten COPD-Risikofaktor dar. Den weltweit 1,01Mrd. Rauchern stehen 3Mrd. Menschen gegenüber, die dem Rauch von Biomassebrennstoffen, wie Holz, Holzkohle, Dung oder Agrarabfällen, ausgesetzt sind. In Entwicklungsländern werden 50% der COPD-bedingten Todesfälle der Exposition gegenüber Biomasserauch zugeschrieben, wobei der Anteil der Frauen circa 75% beträgt.1 In Indien, Schwarzafrika und China verwenden über 80% der Haushalte zum Kochen Biomassebrennstoffe, in ländlichen Gebieten Lateinamerikas beträgt der Anteil 30–75%. «Es sind vorwiegend die Frauen und Kleinkinder, die in diesen Weltgegenden über Jahre hinweg mehrere Stunden pro Tag in engen, oft schlecht belüfteten Räumen dem schädlichen Rauch von Biomassebrennstoffen ausgesetzt sind», so Raherison Semjen.

In Entwicklungsländer sind akute respiratorische Infekte die häufigste Todesursache bei Kindern. Das Verbrennen von Biomasse in Innenräumen stellt dabei einen der wichtigsten Faktoren dar.1 Die Kinder, welche an den Infekten nicht sterben, haben geschädigte Lungen und ein erhöhtes Risiko, später an einer COPD zu erkranken.

Eine Metaanalyse zeigt, dass die Exposition gegenüber dem Rauch von Biomassebrennstoffen mit dem Auftreten von COPD (OR: 2,80; 95% CI: 1,85–4,0) und chronischer Bronchitis (OR: 2,32; 95% CI: 1,92–2,8) assoziiert ist.4

Die Umweltbelastung im Haushalt durch Verbrennen von Biomasse hat auch einen grossen Einfluss auf die Mortalität: Weltweit gehen schätzungsweise 3,5–4Mio. Todesfälle auf deren Konto, etwa gleich viele, wie der Umweltverschmutzung zugerechnet werden.5

Eine andere Form der häuslichen Umweltbelastung ist die Verwendung von sog. Mückenspiralen in Innenräumen. Untersuchungen haben gezeigt, dass deren Verwendung in geschlossenen Räumen sogar höhere Konzentrationen an Feinstaubpartikeln und Kohlenmonoxid verursacht als das Kochen mit Biomassebrennstoffen und somit ebenfalls einen Risikofaktor für Lungenerkrankungen darstellt.6

Pestizide

«Eine häufig unterschätzte Form der häuslichen Umweltbelastung ist die Verwendung von Pestiziden. In erster Linie sind die Bauern, die mit den Pestiziden und Herbiziden hantieren, betroffen. Sie haben ein deutlich erhöhtes Risiko, eine COPD oder eine chronische Bronchitis zu entwickeln»,7 sagte Raherison Semjen. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass auch Menschen, die in der Nähe von behandelten Feldern wohnen, gefährdet sind.

Auswirkungen des Klimawandels auf die Lunge

«Alle Veränderungen der Umwelt haben einen Einfluss auf die Gesundheit der Lunge, weil diese in stetiger offener Kommunikation mit der Umwelt steht», hielt Prof. Dr. med. Agnès Hamzaoui, Tunis, fest. «Veränderungen der Umwelt ziehen unweigerlich Veränderungen der Fauna und der Flora sowie die Migration von Menschen nach sich. Kurz: Es entsteht ein neues Biotop, an das wir uns nach und nach anpassen müssen.» Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit.

Temperaturanstieg erhöht Mortalität

Hohe Temperaturen führen zu einem Anstieg der Zahl an Hospitalisationen wegen respiratorischer Probleme bei älteren Menschen. In einer Studie in zwölf europäischen Städten nahmen die pneumologischen Hospitalisationen in der Gruppe der 75-Jährigen bei einem Anstieg der Maximaltemperatur um 1°C in mediterranen Städten um 4,5% und in nord- und mitteleuropäischen Städten um 3,1% zu.8 Mit dem Anstieg der Temperatur nehmen die Feinstaub- und die Ozonkonzentration kontinuierlich zu. Klimaforscher haben errechnet, dass in einem Szenario mit weiterhin sehr raschem Wirtschaftswachstum und einer ausgewogenen Nutzung aller Energiequellen (SRES-Szenario A1B) allein aufgrund des Anstiegs der Feinstaubkonzentration weltweit jährlich mit 100000 zusätzlichen vorzeitigen Todesfällen und damit verbunden mit jährlich rund 900000 verlorenen Lebensjahren zu rechnen ist.9

Zunahme von Allergien

Eine andere Auswirkung des Klimawandels auf die Lungengesundheit ist die Zunahme von Allergien. «Aufgrund der höheren Temperaturen wird die Dauer der Pollensaison länger werden, es werden vermehrt sog. Pollenstürme, eine sehr hohe Pollenbelastung in Kombination mit starken Winden, auftreten, neue Pflanzengattungen werden aus wärmeren Gegenden einwandern und die molekulare Zusammensetzung der Pollen wird sich verändern», so Hamzaoui. Dies wird zu einer Zunahme der Allergien, dem Auftreten neuer Allergien und damit verbunden zu einer Zunahme von Asthma und Asthmaexazerbationen führen.10,11

Dadurch, dass häufiger Gewitter auftreten wird, wird auch das Phänomen des Gewitterasthmas an Bedeutung gewinnen. «Es wird angenommen, dass aufgrund der elektrostatischen Ladung der Luft während eines Gewitters mehr Pollen freigesetzt werden, die aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit platzen und grosse Mengen an Allergenen freisetzen», erklärte Hamzaoui.12,13

Vektorübertragene Infektionen

Zu rechnen ist auch mit einer Zunahme von vektorübertragenen Infektionen, da sich aufgrund der veränderten klimatischen Bedingungen Tiere in unseren Breiten ansiedeln werden, die bisher nur in (sub)tropischen Zonen heimisch waren.

«Wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lunge geht, besteht unsere Aufgabe als Pneumologen vorwiegend in der Prävention, der Aufklärung, der Beratung und der Schulung auf individueller, aber auch gesellschaftlicher und politischer Ebene. Packen wir das Problem gemeinsam an», ermunterte Hamzaoui das Publikum.

Luftverschmutzung und Covid-19-Pandemie: Gibt es eine Verbindung?

«Die Frage, welche Rolle die Luftverschmutzung bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2 und der Entwicklung der Pandemie spielt, wurde bereits im Frühjahr 2020 aufgeworfen und in den Medien diskutiert», sagte Prof. Dr. Dr. med. Nino Künzli, Basel. Die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene (EKL) hat deshalb bereits im Sommer 2020 zu Händen der Schweizer Regierung ein Papier zum Thema Luftverschmutzung und Covid-19-Pandemie herausgegeben. Künzli gab an der SGP-Jahresversammlung ein Update zu den in diesem Papier erläuterten Aspekten.

Hatte der Lockdown einen Einfluss auf die Schadstoffbelastung?

Studien zeigen, dass die aus dem Strassen- und Luftverkehr stammenden Emissionen während des ersten Lockdowns im Frühling 2020 weltweit signifikant zurückgingen. Gemäss einer Studie in 34 Ländern betrug der bevölkerungsgewichtete Durchschnitt für die Reduktion von Stickoxiden 60%, und die Konzentration der ultrafeinen Partikel nahm um 31% ab.14

Begünstigt eine hohe Feinstaubbelastung die Ausbreitung von SARS-CoV-2?

In den Medien kam letztes Jahr rasch die Vermutung auf, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der hohen Feinstaubbelastung in Wuhan und in der Lombardei und der schnellen Ausbreitung von SARS-CoV-2 in diesen Regionen. «Die Hypothese war, dass das Virus an den kleinen Partikeln anhaftet und sich so gut verbreiten kann», erklärte Künzli. Aber auch wenn diese Theorie gut klingen mag, gibt es bisher keinerlei belastbare Daten, die dies belegen würden. «Auch die zahlreichen im letzten Jahr publizierten Editorials, Kommentare und Reviews zu diesem Thema tragen nicht zur Klärung bei. Zum grössten Teil handelt es sich dabei spekulative Erzählungen und massive Überinterpretationen von theoretisch möglichen Zusammenhängen», so Künzli. Zurzeit gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Feinstaubbelastung die Ausbreitung von Viren begünstigen könnte, die sich über Tröpfcheninfektion ausbreiten.

Hat die Schadstoffbelastung einenEinfluss auf die individuelle Anfälligkeit?

Es ist bekannt, dass eine hohe Luftverschmutzung einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat, die Infektabwehr schwächt und zu vermehrten Hospitalisationen wegen Lungen- und Herzkreislaufkrankheiten führt. Es wäre plausibel, dass ein Virus wie SARS-CoV-2 in diesem Zusammenhang zu einer zusätzlichen Belastung führt. «Wir müssen uns jedoch vergegenwärtigen, um welche Grössenordnungen es dabei geht», so Künzli. So geht beispielsweise eine Zunahme der Feinstaubbelastung um 10μg/m3, wie sie in der Schweiz im Winter nicht selten vorkommt, mit einer Erhöhung der Zahl an Hospitalisationen wegen Atemwegserkrankungen um etwa 1% einher. Im Vergleich dazu stiegen die die Covid-19-Fallzahlen vor dem Lockdown täglich um 25–50%. Die Luftverschmutzung spielte in der Schweiz im Vergleich zu den Treibern der Pandemie somit kaum ein Rolle und das Infektionsgeschehen hätte mit Massnahmen zur notfallmässigen Reduktion der Luftverschmutzung nicht wesentlich beeinflusst werden können.

Schwächt die Luftverschmutzung die Resilienz der Bevölkerung?

COPD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes etc., Krankheiten, für die es einen klaren Zusammenhang mit der Luftverschmutzung gibt, sind mit einem höheren Risiko für schwere Covid-19-Verläufe assoziiert. «Es ist deshalb anzunehmen, dass in Regionen mit einer hohen Luftverschmutzung mehr Menschen von schweren Covid-19-Verläufen betroffen sind als in Regionen mit gesünderer Luft», sagte Künzli. Allerdings kann die Frage, wie gross der Beitrag der Luftverschmutzung an schweren Covid-19-Verläufen ist, derzeit noch nicht beantwortet werden, da die Literatur zu diesem Thema sehr heterogen ist. «Klar ist hingegen, dass Populationen mit einer niedrigeren Umweltbelastung gesünder und resilienter sind und alle Anstrengungen für eine sauberere Luft auch die Gesundheit der Bevölkerung fördern und deren Widerstandskraft stärken», schloss Künzli.

Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP), 17. und 18. Juni 2021

1 Salvi SS, Barnes PJ: Chronic obstructive pulmonary disease in non-smokers. Lancet 2009; 374: 733-43 2 McGeachie MJ et al.: Patterns of growth and decline in lung function in persistent childhood asthma. N Engl J Med 2016; 374: 1842-52 3 Bui DS et al.: Childhood predictors of lung function trajectories and future COPD risk: a prospective cohort study from the first to the sixth decade of life. Lancet Respir Med 2018; 6: 535-44 4 Kurmi OP et al.: COPD and chronic bronchitis risk of indoor air pollution from solid fuel: a systematic review and meta-analysis. Thorax 2010; 65: 221-8 5 Gordon SB et al.: Respiratory risks from household air pollution in low and middle income countries. Lancet Respir Med 2014; 2: 823-60 6 Salvi D et al.: Indoor particulate matter < 2.5 μm in mean aerodynamic diameter and carbon monoxide levels during the burning of mosquito coils and their association with respiratory health. Chest 2016; 149: 459-66 7 Alif SM et al.: Occupational exposure to pesticides are associated with fixed airflow obstruction in middle-age. Thorax 2017; 72: 990-7 8 P Michelozzi et al.: High temperature and hospitalizations for cardiovascular and respiratory causes in 12 European cities. Am J Respir Crit Care Med 2009; 179: 383-9 9 Fang Y et al.: Impacts of 21st century climate change on global air pollution-related premature mortality. Climatic change 2013; 121: 239-53 10 Ziska LH et al.: Temperature-related changes in airborne allergenic pollen abundance and seasonality across the northern hemisphere: a retrospective data analysis. Lancet Planet Health 2019; 3: e124-31 11 D’Amato G et al.: Meteorological conditions, climate change, new emerging factors, and asthma and related allergic disorders. A statement of the World Allergy Organization. World Allergy Organ J 2015; 8: 25 12 Kevat A: Thunderstorm asthma: looking back and looking forward. J Asthma Allergy 2020; 12: 293-9 13 A AlQuran A et al.: Community response to the impact of thunderstorm asthma using smart technology. Allergy Rhinol 2021; 12: 21526567211010728 14 Venter ZS et al.: COVID-19 lockdowns cause global air pollution declines. Proc Natl Acad Sci 2020; 117: 18984-90

Back to top