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Langzeitüberleben mit Adenokarzinom der Nasennebenhöhlen – ein Fallbericht
Jatros
Autor:
OA Dr. Robert Unterweger
Abteilung für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie<br> LKH Feldkirch – Universitäres Lehrkrankenhaus<br> E-Mail: robert.unterweger@lkhf.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Bösartige Tumoren der inneren Nase und der Nasennebenhöhlen machen etwa 3 % der Malignome im Kopf-Hals-Bereich aus. Ihre Inzidenz liegt bei 1/100.000. Adenokarzinome stellen dabei nach Plattenepithelkarzinomen (ca. 60 % ) mit etwa 9 % die zweitgrößte Tumorentität in Nase und Nasennebenhöhlen dar.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Ätiopathogenese ist noch unzureichend geklärt, als karzinogen gelten insbesondere Hartholzstäube, aber auch Chromverbindungen, wobei zwischen Exposition und Auftreten des Tumors eine Latenzzeit von mehr als 15 Jahren liegen kann. Vor allem Personen im holzverarbeitenden Gewerbe (z.B. Tischler, Bodenleger), aber auch in der Textil- und Lederindustrie Beschäftigte sind betroffen. In Österreich gelten zumindest Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen (NNH), welche im Zusammenhang mit beruflich bedingter Holzstaubexposition auftreten, als anerkannte Berufserkrankung und sind als solche meldepflichtig. Das heißt, dass bei Vorliegen der Diagnose „Adenokarzinom der Nase- und/oder der Nasennebenhöhlen“ sowie einer entsprechenden beruflichen Exposition der diagnostizierende Arzt verpflichtet ist, eine Meldung an einen der vier Unfallversicherungsträger (AUVA, SVB, VAEB oder BVA) in Österreich zu erstatten, damit der Betroffene oder im Todesfall dessen Angehörige eine finanzielle Entschädigung erhalten können.<br /> Die Therapie der Adenokarzinome der Nase/der NNH besteht analog den Plattenepithelkarzinomen nach Möglichkeit in einer radikalen (endoskopischen) Tumorresektion, der Tumor ist mäßig strahlen- und chemotherapiesensibel. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt etwa 35 % .</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1604_Weblinks_Seite39.jpg" alt="" width="405" height="1093" /></p> <h2>Falldarstellung</h2> <p>Im Juni 1999 wurde uns ein damals 42-jähriger Patient von einem niedergelassenen HNO-Arzt aufgrund einer malignitätssuspekten Raumforderung in der linken Nasenhaupthöhle vorgestellt. Der Mann hatte den HNO-Arzt wegen linksseitigen Nasenblutens, welches seit mehreren Wochen wiederholt auftrat, aufgesucht. Der Patient war von 1971 bis 1988 durchgehend als Tischler tätig gewesen, bevor er 1989 den Beruf wechselte und von diesem Zeitpunkt an als Briefträger beschäftigt war. Eine Zangenbiopsie aus der linken Nasenhaupthöhle lieferte den feingeweblichen Befund eines mäßig differenzierten Adenokarzinoms G2.<br /> Nach primärem Staging mittels CT und Sonografie erfolgte Ende Juni 1999 eine endoskopisch assistierte Tumorresektion über einen Augenbrauenrandschnitt links sowie eine selektive Neck-Dissection links (Level II, III + IV). Intraoperativ fand sich ein die gesamte Nasenhaupthöhle ausfüllender Tumor ausgehend von der linken mittleren Nasenmuschel mit beginnender Infiltration der medialen Orbitawand und Schädelbasis. Bei initialem Tumorstadium cT3 pN0 cM0 G2 Rx wurde der Patient einer postoperativen Strahlentherapie mit 60Gy zugeführt. Es folgten regelmäßige klinische und bildgebende Tumornachsorgeuntersuchungen, wobei im Juli 2008 (nach 9 rezidivfreien Jahren!) im Bereich der linken Siebbeinhöhle eine Raumforderung mit Destruktion des Siebbeindaches auffiel. Nach bioptischer Verifizierung eines gering differenzierten Adenokarzinoms im Sinne eines Lokalrezidivs wurde im August 2008 eine endoskopische Tumorresektion im Bereich des vorderen und hinteren Siebbeindaches sowie im Bereich des Septums mit Abtragung der knöchernen Rhinobasis und nachfolgender Abdichtung mit Lyodura und Fibrinkleber durchgeführt. Anschließend erhielt der Patient eine adjuvante Brachytherapie mit 32,5Gy. Knapp 2,5 Jahre später, im Februar 2011, trat ein weiteres Lokalrezidiv im Bereich der linken Keilbeinhöhle auf, welches sich – wie sich bildgebend (CT und MRT) zeigte – nach intrakraniell (Durchmesser 2cm) in die vordere Schädelgrube ausbreitete und an den linken N. opticus heranreichte. Dem Patienten ging es damals dennoch sehr gut, er litt weder unter neurologischen Ausfällen oder Krampfanfällen noch unter Rhinoliquorrhö oder einer Visusminderung. Unter dem Gesichtspunkt der Palliation und im vollen Bewusstsein des operativen Risikos, der postoperativen Komplikationsmöglichkeiten und der Tatsache, dass eine lokal sanierende Operation technisch nicht durchführbar ist, wagten wir nach zahlreichen z.T. kontroversiellen Diskussionen im interdisziplinären Tumorboard (in welchen auch die Möglichkeit einer Protonenbestrahlung evaluiert wurde) im August 2011 in Kooperation mit den neurochirurgischen Fachkollegen über eine Kraniotomie eine Entfernung der intrakraniellen Tumorkomponente. Wiewohl der Patient den Eingriff komplikationslos überstand, kam es durch Progress eines nicht resezierbaren intrakraniellen Tumorrestes, welcher in weiterer Folge den linken N. opticus bedrängte, Anfang Dezember 2012 zu zunehmenden Gesichtsfeldausfällen bis hin zur Erblindung des linken Auges im Jänner 2013.<br /> Da alle Möglichkeiten der Chirurgie und Strahlentherapie ausgeschöpft schienen, wurde im interdisziplinären Tumorboard im Februar 2013 die Umsetzung einer palliativen Chemotherapie mit Gemcitabin und Carboplatin beschlossen. Trotz anfänglichen Therapieansprechens ließ sich in der MR-Verlaufskontrolle im Juni 2013 eine Größenzunahme der Raumforderung in der linken Keilbeinhöhle (von 19 auf 23mm im Transversaldurchmessser) nachweisen, weshalb im Juli 2013 die Umstellung auf ein Taxan (Paclitaxel mono) und bei weiterem Progress im September 2013 auf 5-Fluorouracil mono erfolgte. Nachdem die MR-Verlaufskontrolle im März 2014 eine stabile Erkrankung gezeigt hatte, wurde eine Therapiepause vereinbart. Der Patient stellte sich dann allerdings erst wieder im Oktober 2014 mit einer Hemianopsie rechts temporal vor, die Folge eines massiven Tumorprogresses in der linken Keilbeinhöhle mit Infiltration von Chiasma opticum, beider Sehnerven und einer Mittellinienverlagerung des Gehirns um 7mm. In einer neuerlichen Zangenbiopsie ließen sich ein Proliferationsindex Ki67 von 80 % und eine massive EGFR-Überexpression nachweisen.<br /> Da der Patient explizit eine Therapie wünschte, begannen wir Ende Oktober 2014 eine palliative Chemoimmuntherapie mit Capecitabin (per os) und Cetuximab (Abb. 1a), wobei wir wegen eines Hand-Fuß-Syndroms das Einnahmeintervall von Capecitabin schon sehr bald von 14 auf 10 Tage mit nachfolgender Einnahmepause von 1 Woche bis zum Beginn des nächsten Zyklus reduzieren mussten. Da der Wohnort des Patienten 50 km vom Krankenhaus entfernt war, gingen wir aus Komfortabilitätsgründen dazu über, dem Patienten die Immuntherapie mit Cetuximab alle 2 Wochen (in der doppelten Standarddosierung von 500mg/m²) tagesklinisch zu verabreichen. Mehr als überrascht waren wir, als sich in der MRT eine deutliche Größenregredienz des Tumors zeigte (Abb. 1b) und der Patient von einer leichten Besserung der Gesichtsfeldeinschränkung berichtete. Nachdem auch in bildgebenden Kontrollen im April, August und November 2015 eine weitere Größenreduktion des Tumors (wenn auch in geringerem Ausmaß) zu erkennen gewesen war, führten wir dieses bewährte Behandlungsregime mit Capecitabin/Cetuximab bis Anfang Februar 2016 durch. Nach 15 Monaten kontinuierlicher Chemoimmuntherapie sahen wir uns aufgrund zunehmender Hauttoxizität gezwungen, eine 4-wöchige Therapiepause einzulegen. Innerhalb dieser kurzen Therapiepause kam es – wie bereits in der Nasenendoskopie klinisch und in der nachfolgenden MRT unschwer zu erkennen war – zu einem massiven Tumorprogress mit beginnender Erblindung des rechten Auges. Auf Wunsch des Patienten und seiner Angehörigen wurde die medikamentöse Tumor­therapie deshalb im März 2016 abgebrochen und der Weg von „best supportive care“ eingeschlagen. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass der Patient einen Tag vor seinem 60. Geburtstag – 17 Jahre nach Erstdiagnose seiner Tumorerkrankung – zu Hause verstorben war.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Im vorliegenden Patientenfall war es möglich, durch radikale Tumorresektion und postoperative Strahlentherapie über viele Jahre eine sehr gute lokale Tumorkontrolle zu erreichen. In der Palliativsituation ist es vor allem durch die Kombination eines oral zu Hause einzunehmenden 5-FU-Prodrug in Kombination mit einem Anti-EGFR-Antikörper, welcher alle 2 Wochen tagesklinisch verabreicht wurde, gelungen, den Spagat zu schaffen zwischen dem Wunsch des Patienten, möglichst viel Zeit bei guter Lebensqualität zu Hause zu verbringen, und einer wirksamen medikamentösen Tumortherapie mit tolerablem Nebenwirkungsprofil.</p> </div></p>