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ERS 2016

Kongenitale Muskeldystrophien: lebensrettende Beatmung

<p class="article-intro">Patienten mit kongenitalen Muskeldystrophien haben heute eine deutlich bessere Prognose als noch vor wenigen Jahren. Einen Beitrag dazu hat die nicht invasive Beatmung geleistet, die vielen Betroffenen ein Überleben bis jenseits der 40 ermöglicht.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite30.jpg" alt="" width="385" height="519" /></p> <p>Nicht invasive Beatmung hat sich in den vergangenen Jahrzenten deutlich weiterentwickelt. Prof. Dr. Anita Simonds vom London Royal Brompton and Hare&shy;field NHS Foundation Trust verweist auf &Uuml;berlebensdaten zur Muskeldystrophie vom Typ Duchenne, die zeigen, dass durch den Einsatz nicht invasiver Ventilation eine dramatische Steigerung der Lebenserwartung erreicht werden konnte. Gegenw&auml;rtig ist im Alter von rund 40 Jahren noch rund die H&auml;lfte der Patienten am Leben, w&auml;hrend in vergangenen Jahrzehnten Betroffene kaum ihren 25. Geburtstag erlebten.<sup>1</sup> Prof. Simonds: &bdquo;Es hat auch den Anschein, dass die Beatmung den Verlauf der Krankheit beeinflusst und es so etwas wie einen Plafondeffekt gibt.&ldquo; Dieses deutlich verl&auml;ngerte &Uuml;berleben habe freilich nicht ausschlie&szlig;lich mit der Beatmung zu tun, sondern sei zum Teil auch anderen Aspekten der verbesserten Pflege geschuldet. Eine 1993 begonnene Beobachtung einer Kohorte mit mittlerweile fast 500 p&auml;diatrischen Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen, die im Alter von weniger als 17 Jahren am Royal Brompton Hospital mit der Beatmung begannen, zeigt, dass 40 % dieser Patienten mittlerweile das Erwachsenenalter erreicht haben, 24 % verstorben sind und bei manchen (abh&auml;ngig von der zugrunde liegenden Erkrankung) die Beatmung auch wieder erfolgreich beendet werden konnte.<sup>2</sup><br /> <br /> Damit m&uuml;sse man sich heute, so Prof. Simonds, v&ouml;llig neuen Problemen und Fragen stellen. Erstmals habe man mit langfristigen, sp&auml;ten Komplikationen neuromuskul&auml;rer Erkrankungen zu tun, Interaktionen zwischen Genotyp und Ph&auml;notyp dieser Erkrankungen m&uuml;ssten beachtet und Therapien personalisiert werden, Probleme der Transition von der p&auml;diatrischen zur Erwachsenenbetreuung m&uuml;ssten gel&ouml;st und potenzielle Nebenwirkungen der Beatmung beherrscht werden. Hinzu kommen soziodemografische Aspekte und die Chancen auf neue Therapien.</p> <h2>Unterschiedliche Ph&auml;notypen und genetische Vielfalt der Erkrankungen</h2> <p>Das zunehmende Verst&auml;ndnis der dahinterliegenden Genetik hat zu einem ver&auml;nderten Blick auf die neuromuskul&auml;ren Erkrankungen und zur Definition von Subpopulationen gef&uuml;hrt. Die verschiedenen Genotypen der Muskeldystrophie sind mit einem sehr unterschiedlich ausgepr&auml;gten Verlust an Lungenfunktion verbunden.<sup>3</sup> So ben&ouml;tigen Patienten mit einer Bethlem-Myopathie meist langfristig keine Beatmung, w&auml;hrend die kongenitale Muskeldystrophie Typ Ullrich zu einer raschen und fr&uuml;hen Abnahme der Lungenfunktion f&uuml;hrt. Auch zwischen kongenitaler Myasthenie und den Autoimmunformen muss sorgf&auml;ltig unterschieden werden, wobei auch hinter den erblichen Formen zahlreiche unterschiedliche genetische Konstellationen stehen k&ouml;nnen, die sich hinsichtlich des Outcomes unterscheiden.<sup>4</sup> Prof. Simonds: &bdquo;Basierend auf diesem Genotyping k&ouml;nnen wir individuelle Pflegepl&auml;ne erstellen.&ldquo; Das betrifft besondere Ma&szlig;nahmen bei Gefahr pl&ouml;tzlicher Apnoe und n&auml;chtliche Beatmung. Dar&uuml;ber hinaus sollte aber auch Kindern mit geringem Risiko, denen es zwischen den Myastheniekrisen relativ gut geht, die M&ouml;glichkeit einer nicht invasiven Beatmung f&uuml;r Notf&auml;lle zur Verf&uuml;gung stehen. Prof. Simonds: &bdquo;Apnoe-Ereignisse k&ouml;nnen bei manchen Patienten auch nach langen Phasen ohne Krise, beispielsweise in Zusammenhang mit banalen Erkrankungen, wieder auftreten.&ldquo; Das evidenzbasiert optimale Vorgehen in der nicht invasiven Beatmung von Kindern mit kongenitaler Myasthenie wurde in einer Leitlinie der British Thoracic Society definiert.<sup>5</sup><br /> <br /> Eine besondere Patientengruppe sind die &bdquo;Supersurvivors&ldquo; mit Duchenne-Muskeldystrophie. Diese, rund 30 % der Duchenne-Population, leben bis in das vierte, zum Teil aber auch das sechste Lebensjahrzehnt. Die Beziehungen zwischen Genotyp und Ph&auml;notyp sind in dieser Gruppe offenbar komplizierter bzw. werden zum Teil noch nicht verstanden. Prof. Simonds: &bdquo;Diese Patienten m&uuml;ssen erst sp&auml;t in den Rollstuhl, sie entwickeln erst sp&auml;t respiratorisches Versagen und sie k&ouml;nnen mit nicht invasiver Beatmung &uuml;ber lange Zeit sehr gut kontrolliert werden. Die Kardiomyopathie ist unter Therapie stabil oder schreitet nur langsam fort. In dieser Gruppe kommen zu den respiratorischen Problemen andere Pathologien hinzu, die schlie&szlig;lich bestimmend f&uuml;r die Prognose sein k&ouml;nnen.&ldquo; Prof. Simonds nennt Fragen der Lebensqualit&auml;t und der Langzeitpalliation sowie generelle Probleme des &Auml;lterwerdens. Zu den Sp&auml;tkomplikationen im h&ouml;heren Alter geh&ouml;ren Dysphagie und Mangelern&auml;hrung ebenso wie Nierensteine, tiefe Beinvenenthrombosen oder Diabetes mellitus. <br /> <br /> Auch hinsichtlich der Therapie erscheinen neue Optionen am Horizont. Prof. Simonds nennt das urspr&uuml;nglich f&uuml;r die Alzheimerbehandlung entwickelte, anti&shy;oxidativ bzw. auf die Mitochondrien wirkende Idebenon sowie Ataluren, einen experimentellen Wirkstoff, der bei Krankheiten, die auf Nonsense-Mutationen beruhen, ein Ablesen des Gens &uuml;ber das Stopcodon hinaus erm&ouml;glichen soll. Diese Strategie k&ouml;nnte sich bei einer Subpopulation der Duchenne-Patienten als wirksam erweisen. Die bislang beobachteten Effekte sind durchaus erfreulich, bewegen sich allerdings in relativ bescheidenem Rahmen. Ein erhebliches Problem der neuen Therapien w&auml;ren jedoch die exorbitanten Kosten.</p> <h2>Problemfeld Transition: Erwachsenwerden mit chronischer Krankheit</h2> <p>Ein ganz spezielles Problem im Umgang mit den erwachsen werdenden Patienten stellt der &Uuml;bergang von der p&auml;diatrischen Versorgung zur Erwachsenenmedizin dar. Dieses Ph&auml;nomen ist von allen chronischen Krankheiten der Kindheit bekannt, die lange genug &uuml;berlebt werden. Schwierigkeiten bei der Transition k&ouml;nnen sich durchaus negativ auf das Outcome auswirken und die Prognose der jungen Patienten deutlich verschlechtern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Transition in eine Lebensphase f&auml;llt, die auch abseits von der medizinischen Betreuung mit massiven Ver&auml;nderungen verbunden ist und auch f&uuml;r gesunde Jugendliche sehr belastend sein kann. Bei kranken Jugendlichen kann diese Phase noch deutlich schwieriger sein. Insbesondere, so Prof. Simonds, wenn sich in einem Alter, in dem die Freunde zunehmend unabh&auml;ngig werden, immer st&auml;rkere Abh&auml;ngigkeit von medizinischen Einrichtungen und Ger&auml;ten einstellt. Das betrifft die ganze Familie. In der Phase der Transition wurden auch vermehrt depressive Episoden bei Eltern und Verhaltensauff&auml;lligkeiten bei Geschwistern beobachtet. Prof. Simonds r&auml;t, pl&ouml;tzliche Ver&auml;nderungen zu vermeiden und den &Uuml;bergang geplant und langsam zu gestalten. Seitens der P&auml;diater sollte ein Transferplan erstellt werden, der eine sichere &Uuml;bergabe des Patienten erlaubt. Ganz wichtig sei es auch, die jungen Patienten als selbstst&auml;ndig werdende Person ernst zu nehmen, sie also auch ohne Beisein der Eltern nach ihren Pr&auml;ferenzen zu fragen. Ganz besonders wichtig sei nicht zuletzt, niemals zu untersch&auml;tzen, wie viel heute in der Betreuung von Patienten mit Muskeldystrophien erreicht werden kann.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ishikawa Y et al: Duchenne muscular dystrophy: survival by cardio-respiratory interventions. Neuromuscul Disord 2011; 21(1): 47-51 <strong>2</strong> Chatwin M et al: Long term non-invasive ventilation in children: impact on survival and transition to adult care. PLoS One 2015; 10(5): e0125839 <strong>3</strong> Foley AR et al: Natural history of pulmonary function in collagen VI-related myopathies. Brain 2013; 136(Pt 12): 3625-33 <strong>4</strong> Robb SA et al: Respiratory management of congenital myasthenic syndromes in childhood: Workshop 8th December 2009, UCL Institute of Neurology, London, UK. Neuromuscul Disord 2010; 20(12): 833-8 <strong>5</strong> Hull J et al: British Thoracic Society guideline for respiratory management of children with neuromuscular weakness. Thorax 2012; 67 Suppl 1: i1-40</p> </div> </p>
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