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Weiterentwicklung der ANQ-Qualitätsmessungen

Einführung des Kliniktyps Alterspsychiatrie

Der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) führt auf der Grundlage des Schweizer Krankenversicherungs-gesetzes (KVG) seit 2012 nationale Messungen in Psychiatrien durch. Unter Einbezug der Leistungserbringer (Spitäler und Kliniken) wurden die Messungen laufend weiterentwickelt. Eine homogenere und realitätsnähere Erfassung der Behandlungsqualität auf Basis von Strukturmerkmalen ist heute dank definierter Kliniktypen möglich. Dies zeigt sich auch im zuletzt eingeführten Kliniktyp Alterspsychiatrie.

Keypoints

  • Der ANQ koordiniert die nationalen Messungen in den Schweizer Spitälern und Kliniken. Die Messergebnisse werden national vergleichend dargestellt und geben den Institutionen wichtige Anhaltspunkte für die laufende Verbesserung ihrer Ergebnisqualität.

  • In der Erwachsenenpsychiatrie sind die Messergebnisse zur besseren Vergleichbarkeit risikoadjustiert nach Kliniktypen stratifiziert. Der neuste Kliniktyp fasst die Kliniken der Alterspsychiatrie zusammen. Damit können die alterspsychiatrischen Behandlungen und deren Effekte besser in den nationalen Qualitätsmessungen abgebildet werden.

Gemäss KVG müssen Leistungen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen werden, wirtschaftlich, effektiv und zweckmässig sein. Es schreibt zudem vor, dass Diagnostik und Behandlung von guter Qualität sind und dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen. Mit der KVG-Revision von 2021 wurde dieser Fokus auf Qualität und Wirtschaftlichkeit weiter gestärkt. Der Begriff «Qualität» fasst verschiedene Dimensionen zusammen, etwa die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Diese Dimensionen sind mithilfe von entsprechenden Qualitätsindikatoren messbar. Die Indikatoren sind kein direktes Mass der Qualität, sondern vielmehr Instrumente zur Leistungsbewertung, die auf potenzielle Problembereiche hinweisen können.

Pionierarbeit Qualitätsmessungen

Um die gesetzlichen Vorgaben zur Qualitätssicherung zu erfüllen, gründeten die Verbände der Leistungserbringer und der Versicherer sowie die Kantone im Jahr 2009 den ANQ. Seither koordiniert der ANQ national vergleichende Qualitätsmessungen in den stationären Bereichen der Akutsomatik, der Psychiatrie und der Rehabilitation. Im Jahr 2011 unterzeichneten der Spitalverband H+, der Versichererverband santésuisse, die eidgenössischen Sozialversicherer sowie die Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) den Nationalen Qualitätsvertrag ANQ. Dieser wurde später auch von curafutura, dem 2013 gegründeten zweiten Versichererverband, anerkannt. Dem Nationalen Qualitätsvertrag ANQ traten bis heute alle Spitäler und Kliniken, alle Versicherer, alle Kantone sowie das Fürstentum Liechtenstein bei. Damit verpflichten sich die Leistungserbringer zur Durchführung der ANQ-Messungen und die Versicherer und Kantone zur Aufnahme der Messungen in ihre Tarifverträge beziehungsweise Leistungsaufträge. Mit diesem ersten Nationalen Qualitätsvertrag leistete der ANQ Pionierarbeit.

ANQ-Messungen seit 2012

In der Erwachsenenpsychiatrie führt der ANQ seit 2012 Messungen durch. Diese erfassen primär die Ergebnisqualität, mit dem Ziel, eine transparente und nationale Vergleichbarkeit zu erreichen, sodass Spitäler und Kliniken gezielt Massnahmen zur Verbesserung ihrer Qualität ableiten können. 2013 implementierte der ANQ den Messplan der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Herbst 2015 folgte die erste Publikation der Messergebnisse der Erwachsenenpsychiatrie, im Herbst 2016 die erste Publikation der Ergebnisse der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seither werden die Ergebnisse jährlich transparent veröffentlicht. Heute beteiligen sich 131 Klinikstandorte/Einheiten der Erwachsenenpsychiatrie und 30 Klinikstandorte/Einheiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem stationären Angebot an den Messungen. Erfasst werden die Symptombelastung (Fremd- und Selbstbeurteilung) und die freiheitsbeschränkenden Massnahmen (Abb. 1). Beide Messindikatoren sind heute in den Kliniken etabliert. Zur Einführung eines neuen Messindikators stützt sich der ANQ auf das Methodenpapier des aQua-Institutes. Dabei ist zentral, dass ein Indikator einen fairen Vergleich zwischen den Kliniken ermöglicht und Differenzen in der Ergebnisqualität aufzeigen kann.

Abb. 1: ANQ-Messplan stationärer Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Erwachsenenpsychiatrie

Faire Klinikvergleiche

Ergebnisqualitätsmessungen werden durch viele Faktoren beeinflusst, die eine Klinik nicht verändern kann. Beispielsweise kann eine unterschiedliche Patient:innenstruktur einer Klinik (z.B. mit/ohne Patient:innen in fürsorgerischer Unterbringung oder mit/ohne Alterspsychiatrie) die Ergebnisqualität beeinflussen. Mittels Risikoadjustierung können klinikspezifische Unterschiede, von denen eine Beeinflussung erwartet wird, bis zu einem gewissen Anteil ausgeglichen werden. Die Risikoadjustierung soll somit einen möglichst fairen Klinikvergleich erlauben und die Verzerrung der Ergebnisse durch Einflussfaktoren und Unterschiede (Störfaktoren) minimieren.

Trotz einer optimalen Risikoadjustierung bleibt eine gewisse Unsicherheit aufgrund unbekannter und nicht messbarer und somit nicht berücksichtigter Einflussfaktoren zurück. Hinzu kommen zufällige Schwankungen der Messergebnisse. Diese können unter Voraussetzung einer genügend hohen Fallzahl durch weitere statistische Methoden korrigiert werden. Die Methoden einer Risikoadjustierung sind vielfältig, und es bietet sich ergänzend eine Stratifizierung nach bestimmten Merkmalen an.

Bildung von Kliniktypen

Bereits kurz nach der Einführung des Messplans Psychiatrie äusserten sich Kliniken der Erwachsenenpsychiatrie kritisch über die bisher vorgenommenen Risikoadjustierungen. Sie stellten fest, dass diese die grossen Unterschiede zwischen den Kliniken nicht angemessen ausgleichen können. Daher forderten sie, für die Klinikvergleiche eine Stratifizierung der Messergebnisse nach Kliniktypen vorzunehmen, um Gruppen von homogeneren Kliniken zu erhalten, sodass ein differenzierter Klinikvergleich möglich wird.

Der ANQ nahm die kritisierten Punkte auf. Da es in der Schweiz keine einheitlichen Strukturmerkmale für Kliniken der Erwachsenenpsychiatrie gibt, gründete er die Expert:innengruppe «Strukturvariablen». Sie sollte einheitliche strukturelle Kriterien für die Qualitätsmessungen und zur besseren Vergleichbarkeit erarbeiten, damit diese in die Auswertung einbezogen werden können. Die Arbeit der Expert:innengruppe führte im Jahr 2015 zur Einführung von drei Kliniktypen: Kliniken der Akut- und Grundversorgung (Kliniktyp I), Kliniken mit Schwerpunktversorgung (Kliniktyp II) und Kliniken zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen (Kliniktyp III). Im Jahr 2019 folgte mit den Kliniken der forensischen Psychiatrie ein weiterer Kliniktyp (Kliniktyp IV). Die Einteilung in Kliniktyp I und II erfolgte anhand einer Selbstdeklaration, die bis heute Gültigkeit hat. Die Einteilung in den Kliniktyp III basiert auf der Hauptdiagnose «Sucht». Bei Kliniktyp IV handelt es sich um spezialisierte Kliniken zur Behandlung von Patient:innen mit einer psychiatrischen Erkrankung, die im Freiheitsentzug oder aufgrund gerichtlich angeordneter Massnahmen in Behandlung sind.

Gesonderte Betrachtung der Alterspsychiatrie

Der Stellenwert der Einflüsse alterspsychiatrischer Patient:innen auf die Messresultate der Erwachsenenpsychiatrie war lange Zeit Gegenstand von Diskussionen: Für die gesonderte Betrachtung der Alterspsychiatrie spricht der grosse prozentuale Anteil hirnorganischer Erkrankungen, vor allem Demenzen, die in der Erwachsenenpsychiatrie nicht repräsentiert sind (Abb. 2) und beim Qualitätsindikator der Selbstbeurteilung mit der «Brief Symptom Checklist» (BSCL) aufgrund hoher Dropout-Zahlen (Abb.3)keine validen Ergebnisse liefern. Auch die freiheitsbeschränkenden Massnahmen sind in der Alterspsychiatrie teilweise unter anderen Gesichtspunkten einzuschätzen als in der Erwachsenenpsychiatrie. Aufgrund dieser Überlegungen wurde im Jahr 2019 eine ANQ-Expert:innengruppe «Alterspsychiatrie» eingesetzt. Sie hat die Aufgabe, die Alterspsychiatrie in den nationalen Qualitätsmessungen abzubilden, um Behandlungen und Effekte realitätsnäher wiedergeben zu können. In einem ersten Schritt wurde auf Initiative der Expert:innengruppe eine datenbasierte Analyse in Auftrag gegeben. Neben der Evaluation der behandlungsbezogenen Ergebnisse mit Selbst- und Fremdratings sollte sie insbesondere die Frage klären, ob die Anforderungen für statistisch valide und reliable behandlungsbezogene Ergebnisse erfüllt sind. Für die Bildung eines neuen Kliniktyps spielte die Verteilung der Fallzahlen auf die einzelnen Kliniken eine zentrale Rolle, um zufällige Schwankungen korrigieren zu können. Bei zu kleinen Fallzahlen ist die Unsicherheit der Messergebnisse zu gross und eine Aussage über die Ergebnisqualität ist nicht zulässig. Die Analyse ergab neben einer ausreichend hohen Datengrundlage auch, dass für ältere Patient:innen eine Symptombelastungsreduktion erreicht und erfasst werden kann – dies sowohl aus Sicht der Behandelnden als auch aus Patient:innensicht. Die Symptombelastung bleibt somit ein relevanter Messindikator für die Alterspsychiatrie.

Abb. 2: Anteil der Fälle mit einer F0-Diagnose (F00–F09) nach Alter in der Erwachsenenpsychiatrie (2022). Der Anteil der F0-Diagnosen (F00–F09) liegt bei den unter 65-Jährigen bei 2.2% im Vergleich zu 40.9% bei den über 65-Jährigen

Einführung des Kliniktyps Alterspsychiatrie

Aufgrund dieser Überlegungen konnte am 1. Januar 2023 der Kliniktyp V «Alterspsychiatrie» eingeführt werden. Als Strukturkriterium zur Einteilung in den Kliniktyp V bestimmte die Expert:innengruppe die Anerkennung als zertifizierte Weiterbildungsstätte zum Schwerpunkt Alterspsychiatrie und -psychotherapie gemäss dem Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF). Das SIWF zertifiziert diese Kliniken nach gleichen Standards bezüglich Patient:innenstruktur und Behandlungsangeboten. Aktuell sind 31 Klinikstandorte/Einheiten als Weiterbildungsstätte anerkannt und werden unter dem neu eingeführten Kliniktyp geführt. Die Messergebnisse 2023 können voraussichtlich im Herbst 2024 stratifiziert publiziert werden, wodurch erstmals ein differenzierter Vergleich der Kliniken der Alterspsychiatrie möglich wird.

Anpassung und Weiterentwicklung der Qualitätsindikatoren

Das erste Ziel der Expert:innengruppe, die Abbildung der Alterspsychiatrie in den nationalen Qualitätsmessungen, konnte mit der Einführung des gleichnamigen Kliniktyps erreicht werden. Das zweite Ziel war, die Anwendbarkeit der BSCL, welche die Symptombelastung aus Patient:innensicht erfasst, in der Alterspsychiatrie zu klären. Obwohl eine Reduktion der Symptombelastung auch bei älteren Patient:innen erzielt werden kann, ergab eine zweite Analyse eine zu geringe Ausfüllquote für die BSCL (Abb. 3). Viele Patient:innen der Alterspsychiatrie können dieses Messinstrument mit 53 Fragen aufgrund ihrer Erkrankung nicht vollständig ausfüllen. Dies hat den Ausschluss des Fragebogens aus der Messung zur Folge und führt zu einer verringerten Fallzahl, wodurch ein Klinikvergleich nicht mehr zulässig ist. Die Expert:innengruppe prüfte diese Problematik auf der Grundlage der vorhandenen Daten (Fälle). In der Folge wurde das Messinstrument BSCL rückwirkend per 1. Januar 2023 für den Kliniktyp V sistiert. Das Instrument HoNOS, welches die Symptombelastung aus Sicht der Behandelnden erfasst und eine gute Datenqualität erreicht, ist weiterhin Bestandteil des Messplans.

Abb. 3: Anteile an BSCL-Dropouts aufgrund von Krankheit nach Alter in der Erwachsenenpsychiatrie (2022). Der Anteil der BSCL-Dropouts liegt bei den unter 65-Jährigen bei 17.2% im Vergleich zu 51.0% bei den über 65-Jährigen

Auf Basis einer Umfrage in den Kliniken der Alterspsychiatrie diskutierte die Expert:innengruppe Alterspsychiatrie im Frühling 2023 neue Messindikatoren/-instrumente, die die Behandlungen und Effekte in der Alterspsychiatrie besser abbilden, um dadurch weitere Qualitätsverbesserungsmassnahmen zu initiieren. Diese Diskussionen berücksichtigen immer auch den Aufwand der Messungen für die Kliniken. In erster Linie sollten Parameter/Indikatoren herangezogen werden, die in den (meisten) Kliniken bereits erhoben werden und so zu keinem erhöhten Messaufwand, aber zu einem Zugewinn an Information und damit an Qualität führen. Stürze werden bereits von vielen Kliniken der Alterspsychiatrie erfasst. Daher werden derzeit die Sturzerfassung und deren Folgen als neuer Qualitätsindikator für die Alterspsychiatrie evaluiert.

Die Prüfung neuer Messindikatoren in der Alterspsychiatrie ist somit angestossen. Mit der künftigen möglichen Einführung eines neuen Messindikators in der Alterspsychiatrie erhebt der ANQ rund 30 Messindikatoren in der stationären Akutsomatik, Psychiatrie und Rehabilitation. Dank der stetigen Weiterentwicklung der Messpläne unter Einbezug der Spitäler und Kliniken sowie der 130 Fachexpert:innen und der Mitgliederorganisationen des ANQ wird der Nutzen für alle Beteiligten sowie für Patient:innen kontinuierlich gesteigert.

bei den Verfassern

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