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Workshop „Lunge – Umwelt – Arbeitsmedizin“

Klimakrise: aktueller Stand und Relevanz für die Gesundheit

<p class="article-intro">Betrachtet man die Erde als Patienten, so lautet der Befund, dass die Temperatur steigt, und die Diagnose, dass dies auf exzessive Konzentration an Treibhausgasen zurückzuführen ist. Die Prognose lässt erwarten, dass es noch viel schlimmer wird, wenn die Konzentration weiter steigt. Die Therapie liegt auf der Hand: die Zufuhr an Treibhausgasen einstellen. Da dies nicht von heute auf morgen im erforderlichen Maß geht, muss auch Symptombekämpfung betrieben werden, d. h. Anpassung an den Klimawandel ist erforderlich. Langfristig muss es um Ursachenbekämpfung gehen, d. h. um die Änderung jener Systeme, die zu diesem Zustand geführt haben.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In &Ouml;sterreich ist die Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit deutlich st&auml;rker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt.</li> <li>Wird dem Temperaturanstieg nicht entgegengewirkt, k&ouml;nnte sich die Zahl der hitzebedingten Sterbef&auml;lle in &Ouml;sterreich verdreifachen.</li> <li>Kurzfristige Anpassungen betreffen unter anderem bauliche Ver&auml;nderungen an H&auml;usern, Hochwasserschutz und Bew&auml;sserungssysteme in der Landwirtschaft.</li> <li>Langfristig m&uuml;ssen die Emissionen von Treibhausgasen auf null gesenkt werden, vor allem durch Meiden fossiler Brennstoffe.</li> </ul> </div> <h2>Befund</h2> <p>Die Temperatur ist gegen&uuml;ber vorindustrieller Zeit global um etwa 1,1 &deg;C gestiegen, wobei etwa die H&auml;lfte des Anstieges auf die letzten 30 Jahre zur&uuml;ckgeht.<sup>1</sup> Regional kann der Anstieg von diesem Mittelwert abweichen &ndash; in &Ouml;sterreich stieg die Temperatur zum Beispiel in derselben Zeit um etwa 2,3 &deg;C. Mit dem Anstieg der Temperatur nimmt auch die Zahl der Extremereignisse zu. Temperaturen, die fr&uuml;her in Wien im Schnitt alle f&uuml;nf Jahre aufgetreten sind, werden jetzt statistisch gesehen schon jedes Jahr beobachtet.<sup>2</sup> Da warme Luft wesentlich mehr Wasserdampf enthalten kann als kalte, treten auch immer intensivere Niederschl&auml;ge, insbesondere bei Gewittern, auf: Pro Grad Erw&auml;rmung kann die Niederschlagsmenge um bis zu 10 % zunehmen.<sup>3</sup> Die resultierenden 23 % mehr Wasser &uuml;bersteigen h&auml;ufig die Kapazit&auml;t der Kanalisationssysteme sowie der Versickerungsfl&auml;chen und k&ouml;nnen daher zu &Uuml;berschwemmungen f&uuml;hren. Die h&ouml;heren Temperaturen bedeuten auch, dass die Null-Grad-Grenze in gr&ouml;&szlig;ere H&ouml;hen verschoben wird, sodass Niederschlag, der fr&uuml;her als Schnee im Gebirge zwischengelagert wurde, jetzt rasch in die B&auml;che und Fl&uuml;sse gelangt und ebenfalls Hochwasser und &Uuml;berschwemmungen ausl&ouml;sen kann.</p> <h2>Diagnose</h2> <p>Die wissenschaftliche Diskussion &uuml;ber die Ursachen der Erw&auml;rmung ist l&auml;ngst abgeschlossen; der Klimawandel mit all seinen Begleiterscheinungen l&auml;sst sich durch die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosph&auml;re am besten erkl&auml;ren. Es gibt keine vergleichbar erkl&auml;rungsm&auml;chtige Theorie. Die &Auml;nderung der Sonnenintensit&auml;t f&uuml;hrt zwar derzeit auch zu einer leichten Erw&auml;rmung &ndash; viel geringer als der beobachtete Temperaturanstieg &ndash;, diese wird aber durch den Abk&uuml;hlungseffekt erh&ouml;hter Vulkanaktivit&auml;t mehr als kompensiert. Die beobachtete Erw&auml;rmung geht daher vollst&auml;ndig auf den Menschen zur&uuml;ck, und hier zu etwa 90 % auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Landnutzungs&auml;nderungen und landwirtschaftliche Aktivit&auml;ten zeichnen im Wesentlichen f&uuml;r die restlichen 10 % verantwortlich.<sup>4</sup></p> <h2>Prognose</h2> <p>Der weitere Verlauf h&auml;ngt wesentlich vom Verhalten der Menschen ab: Emittieren sie weiter Treibhausgase wie bisher, ohne R&uuml;cksicht auf die Auswirkungen und mit nur geringem Bem&uuml;hen, die Energieeffizienz zu steigern und auf erneuerbare Energien umzusteigen, dann muss mit globaler Erw&auml;rmung von etwa 5 &deg;C bis Ende des Jahrhunderts gerechnet werden. Werden die im Pariser Klimaabkommen festgeschriebenen Ziele eingehalten, wird die Temperatur sich bei 1,5 &deg;C bis 2 &deg;C stabilisieren. Die derzeit von den Staaten angek&uuml;ndigten Ma&szlig;nahmen f&uuml;hren zu einem zwischen diesen Extremen liegenden Wert von etwa 3,6 &deg;C.<sup>5</sup> Der derzeitige Pfad wird zu einem &Uuml;berschreiten der 1,5-&deg;C-Grenze zwischen 2035 und 2045 f&uuml;hren.<sup>6</sup><br />Im Gesundheitsbereich bedeutet dies, dass zum Beispiel die Zahl der Hitzetoten in &Ouml;sterreich unter Ber&uuml;cksichtigung der Alterung der Bev&ouml;lkerung von derzeit rund 1000 pro Jahr auf 3000 steigen k&ouml;nnte.<sup>7</sup> In St&auml;dten sind Menschen mit geringerem Einkommen st&auml;rker betroffen, weil in den &auml;rmeren Vierteln weniger Gr&uuml;n zu finden ist und daher h&ouml;here Temperaturen herrschen, die H&auml;user schlechter isoliert sind und die W&auml;rme deshalb st&auml;rker eindringt, die Fenster aber auch nachts geschlossen bleiben m&uuml;ssen, weil die Stra&szlig;en laut sind. Geringere Mobilit&auml;t begrenzt die Fluchtm&ouml;glichkeiten ins k&uuml;hlere Gr&uuml;n und ganzt&auml;gige Arbeit bringt eine schlechtere Betreuung von Kindern und Alten mit sich, die in Hitzeperioden zum Trinken angehalten werden m&uuml;ssen.<br />Der k&uuml;rzlich fertiggestellte Sachstandsbericht &bdquo;Gesundheit, Demographie und Klimawandel&ldquo; des Climate Change Center Austria (CCCA) weist nach der Hitze die Pollenbelastung und die Luftverunreinigung (Ozon- und Feinstaubbelastung) als wichtigste gesundheitliche Folgen des Klimawandels in &Ouml;sterreich aus.<sup>7</sup> &Uuml;berschwemmungen, Muren u. &Auml;. sind zwar f&uuml;r die Betroffenen dramatisch und oft auch traumatisch, insgesamt sind jedoch weniger Menschen betroffen.<br /> Je h&ouml;her die Temperatur steigt, desto dramatischer die Auswirkungen. Nach Modellberechnungen muss bis Ende des Jahrhunderts mit einem Meeresspiegelanstieg von 80 bis 90 Zentimetern gerechnet werden &ndash; das bedingt voraussichtlich rund 150 Millionen Fl&uuml;chtlinge. Da das wissenschaftliche Verst&auml;ndnis f&uuml;r den Zerfall von Eis noch mangelhaft ist, lohnt es sich, auch die Daten direkt heranzuziehen. In der ung&uuml;nstigsten Interpretation ergibt sich dann ein Anstieg des Meeresspiegels von einem Meter bis 2070 und von 2,4 Metern bis 2080 &ndash; ein Beispiel f&uuml;r die Nichtlinearit&auml;t der Entwicklungen und warum rasches Handeln so notwendig ist.<sup>8</sup><br />Klimaschutzma&szlig;nahmen sind auch deshalb dringlich, weil nicht garantiert ist, dass sich das Klima oberhalb einer gewissen Schwelle &uuml;berhaupt noch stabilisieren l&auml;sst. Werden sogenannte Kipp-Punkte &uuml;berschritten, werden selbstverst&auml;rkende Prozesse so dominant, dass die Menschen einen kontinuierlichen Temperaturanstieg nicht verhindern k&ouml;nnen. Der neueste Bericht des IPCC legt nahe, dass diese Schwelle bei 1,5 &deg;C liegen k&ouml;nnte.<sup>6</sup></p> <h2>Therapie</h2> <p>Kurzfristig muss man sich bem&uuml;hen, mit dem Fieberzustand zurechtzukommen &ndash; Anpassung an den gegenw&auml;rtigen und den noch zu erwartenden Klimawandel sind unerl&auml;sslich: Au&szlig;enjalousien, um die W&auml;rme aus den Wohnungen drau&szlig;enzuhalten, Bew&auml;sserungssysteme in der Landwirtschaft, Umstieg von Wei&szlig;- auf w&auml;rmeliebenden Rotwein, Hochwasserschutz und vieles mehr.<br /> Die kurz- und mittelfristige Therapie besteht darin, die Emission von Treibhausgasen in den Industrienationen bis 2050 auf null zu senken. Das l&auml;sst den Entwicklunsgl&auml;ndern noch einen kleinen Spielraum. Vom rein ethischen Standpunkt aus m&uuml;sste &Ouml;sterreich bei den derzeitigen Emissionen von rund 80 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030 emissionsfrei sein &ndash; aber etwa 50 % aller Haushalte heizen in &Ouml;sterreich noch fossil und der Verkehr ist zu weit &uuml;ber 80 % von fossilen Brennstoffen abh&auml;ngig.<sup>9</sup> Man sieht, die Therapie droht schmerzlich zu werden.<br /> Allerdings sind die Ma&szlig;nahmen auch mit vielen Vorteilen ausgestattet: Etwas weniger Fleisch, daf&uuml;r mehr Gem&uuml;se, Getreide und Obst aus heimischer, saisonaler und biologischer Produktion tun der Gesundheit gut. Denn man ist mit weniger Fett und Eiwei&szlig; n&auml;her an der von &Auml;rzten empfohlenen Nahrungspyramide und man nimmt weniger Gifte, unerw&uuml;nschte Hormone und Antibiotoka zu sich. Man verursacht weniger Tierleid, weil weniger Tiere gehalten werden m&uuml;ssen und diese in biologischer Landwirtschaft einen Mindestauslauf haben. Zugleich f&ouml;rdert man den Humusaufbau im Boden, wodurch das R&uuml;ckhalteverm&ouml;gen f&uuml;r Wasser steigt &ndash; wichtig gegen D&uuml;rre und gegen &Uuml;berschwemmungen, d. h. der Boden wird resistenter gegen die Extrema, die mit dem Klimawandel h&auml;ufiger werden. Vor allem aber bedeutet der Humusaufbau, dass Kohlenstoff im Boden gebunden wird, statt in die Atmosph&auml;re zu entweichen. Die Treibhausgasemissionen aus der Fleischproduktion (D&uuml;ngemittelproduktion, Rodung von Regenw&auml;ldern und Methanausgasungen von Wiederk&auml;uern) gehen ebenfalls zur&uuml;ck.<br /> &Auml;hnlich vielf&auml;ltiger Nutzen l&auml;sst sich f&uuml;r mehr aktive Mobilit&auml;t darstellen: Menschen, die mit dem Rad oder zu Fu&szlig; zur Arbeit gehen, sind nachweislich ges&uuml;nder, k&ouml;nnen Stress besser abbauen und haben mehr Kontakt mit ihren Mitmenschen. Luftverunreinigung und L&auml;rm gehen zur&uuml;ck, die St&auml;dte werden sicherer, haben mehr Platz f&uuml;r k&uuml;hlende B&auml;ume, Parks und Begegnungszonen. Kosten werden auch gespart.<br /> Im Grunde geht es darum, wegzukommen von der Pflicht, einen Lebensstandard zu erhalten &ndash; gemessen an Einkommen, Auto, Urlaubsreise oder Fernsehbildschirm, kurz an materiellen G&uuml;tern, die Ressourcen und Energie brauchen. Statt dessen gilt es die Lebensqualit&auml;t zu erh&ouml;hen, gemessen an Zufriedenheit und Gl&uuml;ck, die prim&auml;r auf sozialer Einbettung, Gesundheit, Selbstbestimmtheit, Bildung und Kultur sowie intakter Natur beruhen.9 Dass dies ein Abwenden von dem derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsystem mit sich bringt, ist anzunehmen, doch entspricht diese Entwicklung auch den nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO: ein &bdquo;gutes Leben f&uuml;r alle&ldquo; (menschliches Wohlergehen) innerhalb der &ouml;kologischen Grenzen des Planeten zu erm&ouml;glichen. Die Herausforderung ist, beide synergistisch zu verfolgen und nicht gegeneinander auszuspielen.<sup>10</sup></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> #SCIENTISTSFORFUTURE 2019. Gemeinsame Stellungnahme von deutschen, &ouml;sterreichischen und Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu den Protesten f&uuml;r mehr Klimaschutz &ndash; die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt. <strong>2</strong> APCC (ed.) 2014: &Ouml;sterreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014 (AAR14). Vienna: Austrian Panel on Climate Change (APCC)<strong> 3</strong> Formayer H, Fritz A: Temperature dependency of hourly precipitation intensities - surface versus cloud layer temperature. Int J Climatol 2017; 37: 1-10 <strong>4</strong> IPCC 2013: Working Group 1. Contribution to the IPCC fifth assessment report. Climate Change 2013: the physical science basis. Stockholm, Schweden <strong>5</strong> UNEP 2018: The Emissions Gap Report 2018. United Nations Environment Programme, Nairobi <strong>6</strong> IPCC 2018: Summary for policymakers. In: Global warming of 1.5&deg;C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5&deg;C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty. World Meteorological Organization, Geneva, Switzerland <strong>7</strong> Haas W et al.: &Ouml;sterreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (ASR18) &ndash; Zusammenfassung f&uuml;r Entscheidungstragende und Synthese. Verlag der &Ouml;sterreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, &Ouml;sterreich, 2018 <strong>8</strong> Hansen J et al.: Ice melt, sea level rise and superstorms: evidence from paleoclimate data, climate modeling, and modern observations that 2&deg;C global warming could be dangerous. Atmos Chem Phys 2016; 16: 3761-812 <strong>9</strong> Kromp-Kolb H, Formayer H: 2 Grad. Warum wir uns f&uuml;r die Rettung der Welt erw&auml;rmen sollten. Molden, Wien, 2018 <strong>10</strong> Griggs D et al.: Sustainable development goals for people and planet. Nature 2013; 495: 305-7</p> </div> </p>
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