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Klimakrise: aktueller Stand und Relevanz für die Gesundheit
Jatros
Autor:
em. Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb
Universität für Bodenkultur, Wien<br/> E-Mail: helga.kromp-kolb@boku.ac.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Betrachtet man die Erde als Patienten, so lautet der Befund, dass die Temperatur steigt, und die Diagnose, dass dies auf exzessive Konzentration an Treibhausgasen zurückzuführen ist. Die Prognose lässt erwarten, dass es noch viel schlimmer wird, wenn die Konzentration weiter steigt. Die Therapie liegt auf der Hand: die Zufuhr an Treibhausgasen einstellen. Da dies nicht von heute auf morgen im erforderlichen Maß geht, muss auch Symptombekämpfung betrieben werden, d. h. Anpassung an den Klimawandel ist erforderlich. Langfristig muss es um Ursachenbekämpfung gehen, d. h. um die Änderung jener Systeme, die zu diesem Zustand geführt haben.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In Österreich ist die Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt.</li> <li>Wird dem Temperaturanstieg nicht entgegengewirkt, könnte sich die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle in Österreich verdreifachen.</li> <li>Kurzfristige Anpassungen betreffen unter anderem bauliche Veränderungen an Häusern, Hochwasserschutz und Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft.</li> <li>Langfristig müssen die Emissionen von Treibhausgasen auf null gesenkt werden, vor allem durch Meiden fossiler Brennstoffe.</li> </ul> </div> <h2>Befund</h2> <p>Die Temperatur ist gegenüber vorindustrieller Zeit global um etwa 1,1 °C gestiegen, wobei etwa die Hälfte des Anstieges auf die letzten 30 Jahre zurückgeht.<sup>1</sup> Regional kann der Anstieg von diesem Mittelwert abweichen – in Österreich stieg die Temperatur zum Beispiel in derselben Zeit um etwa 2,3 °C. Mit dem Anstieg der Temperatur nimmt auch die Zahl der Extremereignisse zu. Temperaturen, die früher in Wien im Schnitt alle fünf Jahre aufgetreten sind, werden jetzt statistisch gesehen schon jedes Jahr beobachtet.<sup>2</sup> Da warme Luft wesentlich mehr Wasserdampf enthalten kann als kalte, treten auch immer intensivere Niederschläge, insbesondere bei Gewittern, auf: Pro Grad Erwärmung kann die Niederschlagsmenge um bis zu 10 % zunehmen.<sup>3</sup> Die resultierenden 23 % mehr Wasser übersteigen häufig die Kapazität der Kanalisationssysteme sowie der Versickerungsflächen und können daher zu Überschwemmungen führen. Die höheren Temperaturen bedeuten auch, dass die Null-Grad-Grenze in größere Höhen verschoben wird, sodass Niederschlag, der früher als Schnee im Gebirge zwischengelagert wurde, jetzt rasch in die Bäche und Flüsse gelangt und ebenfalls Hochwasser und Überschwemmungen auslösen kann.</p> <h2>Diagnose</h2> <p>Die wissenschaftliche Diskussion über die Ursachen der Erwärmung ist längst abgeschlossen; der Klimawandel mit all seinen Begleiterscheinungen lässt sich durch die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre am besten erklären. Es gibt keine vergleichbar erklärungsmächtige Theorie. Die Änderung der Sonnenintensität führt zwar derzeit auch zu einer leichten Erwärmung – viel geringer als der beobachtete Temperaturanstieg –, diese wird aber durch den Abkühlungseffekt erhöhter Vulkanaktivität mehr als kompensiert. Die beobachtete Erwärmung geht daher vollständig auf den Menschen zurück, und hier zu etwa 90 % auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Landnutzungsänderungen und landwirtschaftliche Aktivitäten zeichnen im Wesentlichen für die restlichen 10 % verantwortlich.<sup>4</sup></p> <h2>Prognose</h2> <p>Der weitere Verlauf hängt wesentlich vom Verhalten der Menschen ab: Emittieren sie weiter Treibhausgase wie bisher, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen und mit nur geringem Bemühen, die Energieeffizienz zu steigern und auf erneuerbare Energien umzusteigen, dann muss mit globaler Erwärmung von etwa 5 °C bis Ende des Jahrhunderts gerechnet werden. Werden die im Pariser Klimaabkommen festgeschriebenen Ziele eingehalten, wird die Temperatur sich bei 1,5 °C bis 2 °C stabilisieren. Die derzeit von den Staaten angekündigten Maßnahmen führen zu einem zwischen diesen Extremen liegenden Wert von etwa 3,6 °C.<sup>5</sup> Der derzeitige Pfad wird zu einem Überschreiten der 1,5-°C-Grenze zwischen 2035 und 2045 führen.<sup>6</sup><br />Im Gesundheitsbereich bedeutet dies, dass zum Beispiel die Zahl der Hitzetoten in Österreich unter Berücksichtigung der Alterung der Bevölkerung von derzeit rund 1000 pro Jahr auf 3000 steigen könnte.<sup>7</sup> In Städten sind Menschen mit geringerem Einkommen stärker betroffen, weil in den ärmeren Vierteln weniger Grün zu finden ist und daher höhere Temperaturen herrschen, die Häuser schlechter isoliert sind und die Wärme deshalb stärker eindringt, die Fenster aber auch nachts geschlossen bleiben müssen, weil die Straßen laut sind. Geringere Mobilität begrenzt die Fluchtmöglichkeiten ins kühlere Grün und ganztägige Arbeit bringt eine schlechtere Betreuung von Kindern und Alten mit sich, die in Hitzeperioden zum Trinken angehalten werden müssen.<br />Der kürzlich fertiggestellte Sachstandsbericht „Gesundheit, Demographie und Klimawandel“ des Climate Change Center Austria (CCCA) weist nach der Hitze die Pollenbelastung und die Luftverunreinigung (Ozon- und Feinstaubbelastung) als wichtigste gesundheitliche Folgen des Klimawandels in Österreich aus.<sup>7</sup> Überschwemmungen, Muren u. Ä. sind zwar für die Betroffenen dramatisch und oft auch traumatisch, insgesamt sind jedoch weniger Menschen betroffen.<br /> Je höher die Temperatur steigt, desto dramatischer die Auswirkungen. Nach Modellberechnungen muss bis Ende des Jahrhunderts mit einem Meeresspiegelanstieg von 80 bis 90 Zentimetern gerechnet werden – das bedingt voraussichtlich rund 150 Millionen Flüchtlinge. Da das wissenschaftliche Verständnis für den Zerfall von Eis noch mangelhaft ist, lohnt es sich, auch die Daten direkt heranzuziehen. In der ungünstigsten Interpretation ergibt sich dann ein Anstieg des Meeresspiegels von einem Meter bis 2070 und von 2,4 Metern bis 2080 – ein Beispiel für die Nichtlinearität der Entwicklungen und warum rasches Handeln so notwendig ist.<sup>8</sup><br />Klimaschutzmaßnahmen sind auch deshalb dringlich, weil nicht garantiert ist, dass sich das Klima oberhalb einer gewissen Schwelle überhaupt noch stabilisieren lässt. Werden sogenannte Kipp-Punkte überschritten, werden selbstverstärkende Prozesse so dominant, dass die Menschen einen kontinuierlichen Temperaturanstieg nicht verhindern können. Der neueste Bericht des IPCC legt nahe, dass diese Schwelle bei 1,5 °C liegen könnte.<sup>6</sup></p> <h2>Therapie</h2> <p>Kurzfristig muss man sich bemühen, mit dem Fieberzustand zurechtzukommen – Anpassung an den gegenwärtigen und den noch zu erwartenden Klimawandel sind unerlässlich: Außenjalousien, um die Wärme aus den Wohnungen draußenzuhalten, Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft, Umstieg von Weiß- auf wärmeliebenden Rotwein, Hochwasserschutz und vieles mehr.<br /> Die kurz- und mittelfristige Therapie besteht darin, die Emission von Treibhausgasen in den Industrienationen bis 2050 auf null zu senken. Das lässt den Entwicklunsgländern noch einen kleinen Spielraum. Vom rein ethischen Standpunkt aus müsste Österreich bei den derzeitigen Emissionen von rund 80 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030 emissionsfrei sein – aber etwa 50 % aller Haushalte heizen in Österreich noch fossil und der Verkehr ist zu weit über 80 % von fossilen Brennstoffen abhängig.<sup>9</sup> Man sieht, die Therapie droht schmerzlich zu werden.<br /> Allerdings sind die Maßnahmen auch mit vielen Vorteilen ausgestattet: Etwas weniger Fleisch, dafür mehr Gemüse, Getreide und Obst aus heimischer, saisonaler und biologischer Produktion tun der Gesundheit gut. Denn man ist mit weniger Fett und Eiweiß näher an der von Ärzten empfohlenen Nahrungspyramide und man nimmt weniger Gifte, unerwünschte Hormone und Antibiotoka zu sich. Man verursacht weniger Tierleid, weil weniger Tiere gehalten werden müssen und diese in biologischer Landwirtschaft einen Mindestauslauf haben. Zugleich fördert man den Humusaufbau im Boden, wodurch das Rückhaltevermögen für Wasser steigt – wichtig gegen Dürre und gegen Überschwemmungen, d. h. der Boden wird resistenter gegen die Extrema, die mit dem Klimawandel häufiger werden. Vor allem aber bedeutet der Humusaufbau, dass Kohlenstoff im Boden gebunden wird, statt in die Atmosphäre zu entweichen. Die Treibhausgasemissionen aus der Fleischproduktion (Düngemittelproduktion, Rodung von Regenwäldern und Methanausgasungen von Wiederkäuern) gehen ebenfalls zurück.<br /> Ähnlich vielfältiger Nutzen lässt sich für mehr aktive Mobilität darstellen: Menschen, die mit dem Rad oder zu Fuß zur Arbeit gehen, sind nachweislich gesünder, können Stress besser abbauen und haben mehr Kontakt mit ihren Mitmenschen. Luftverunreinigung und Lärm gehen zurück, die Städte werden sicherer, haben mehr Platz für kühlende Bäume, Parks und Begegnungszonen. Kosten werden auch gespart.<br /> Im Grunde geht es darum, wegzukommen von der Pflicht, einen Lebensstandard zu erhalten – gemessen an Einkommen, Auto, Urlaubsreise oder Fernsehbildschirm, kurz an materiellen Gütern, die Ressourcen und Energie brauchen. Statt dessen gilt es die Lebensqualität zu erhöhen, gemessen an Zufriedenheit und Glück, die primär auf sozialer Einbettung, Gesundheit, Selbstbestimmtheit, Bildung und Kultur sowie intakter Natur beruhen.9 Dass dies ein Abwenden von dem derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsystem mit sich bringt, ist anzunehmen, doch entspricht diese Entwicklung auch den nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO: ein „gutes Leben für alle“ (menschliches Wohlergehen) innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten zu ermöglichen. Die Herausforderung ist, beide synergistisch zu verfolgen und nicht gegeneinander auszuspielen.<sup>10</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> #SCIENTISTSFORFUTURE 2019. Gemeinsame Stellungnahme von deutschen, österreichischen und Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu den Protesten für mehr Klimaschutz – die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt. <strong>2</strong> APCC (ed.) 2014: Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014 (AAR14). Vienna: Austrian Panel on Climate Change (APCC)<strong> 3</strong> Formayer H, Fritz A: Temperature dependency of hourly precipitation intensities - surface versus cloud layer temperature. Int J Climatol 2017; 37: 1-10 <strong>4</strong> IPCC 2013: Working Group 1. Contribution to the IPCC fifth assessment report. Climate Change 2013: the physical science basis. Stockholm, Schweden <strong>5</strong> UNEP 2018: The Emissions Gap Report 2018. United Nations Environment Programme, Nairobi <strong>6</strong> IPCC 2018: Summary for policymakers. In: Global warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty. World Meteorological Organization, Geneva, Switzerland <strong>7</strong> Haas W et al.: Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (ASR18) – Zusammenfassung für Entscheidungstragende und Synthese. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, Österreich, 2018 <strong>8</strong> Hansen J et al.: Ice melt, sea level rise and superstorms: evidence from paleoclimate data, climate modeling, and modern observations that 2°C global warming could be dangerous. Atmos Chem Phys 2016; 16: 3761-812 <strong>9</strong> Kromp-Kolb H, Formayer H: 2 Grad. Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten. Molden, Wien, 2018 <strong>10</strong> Griggs D et al.: Sustainable development goals for people and planet. Nature 2013; 495: 305-7</p>
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