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Kimawandel – Lebenswandel: Parallelen in Ursachen und Lösung
Jatros
Autor:
Dr. Heinz Fuchsig
Arbeits- und Umweltmedizin, Baubiologe<br> Referat für Umweltmedizin, ÖÄK<br> E-Mail: h.fuchsig@ikbnet.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Die Erderhitzung ist zur spürbaren Realität geworden: bei uns durch Sommer, die von April bis Oktober dauern, ganzjährig drohende Starkniederschläge und – bei ungebremsten Emissionen – Ansteigen der Schäden auf geschätzte 8,8 Milliarden Euro österreichweit im Jahr 2050. Kosten, die schließlich auch dem Gesundheitswesen Geld entziehen werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Klimaverschlechterung ist für die meisten Regionen schon jetzt Realität und bietet Konfliktpotenzial.</li> <li>Bei Hitzewellen steigt das Sterberisiko von Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten.</li> <li>Durch den Klimawandel steigt die Allergenbelastung, unter anderem durch Ansiedelung neuer Pflanzenarten.</li> <li>Ohne Änderungen des persönlichen Lebensstils können die Klimaziele nicht erreicht werden.</li> <li>Klimaschutz ist auch Menschenschutz.</li> </ul> </div> <p>Drei Klimarisiken führen den World Risk Report des World Economic Forums 2019 („Davos“) an, noch vor einer allgemeinen Wirtschaftskrise. Und bereits 2009 schrieb „The Lancet“ „Climate change is the biggest health threat of the 21<sup>th</sup> century“. Das Thema führt auch die WHO-Risiko-Liste an. Klimaverschlechterung ist für die meisten Regionen schon jetzt Realität: Selbst bei Einhaltung des 2°C-Zieles von Paris reduziert die Hitze nach Berechnungen der Weltbank die Produktivität in den USA um 2 % pro Jahr, erreicht Deutschland aufgrund der derzeit noch tieferen Temperaturen ein Optimum, dagegen wird es in den südlicheren Ländern – also auch in Österreich – schlechter. Abbildung 1 zeigt, wie sich unterschiedliche Temperatursteigerungen auswirken. <br />Heute schon müssen 350 Millionen Inder zunehmend in der Nacht arbeiten, weil es tagsüber zu heiß ist. Wir sollten also statt von „global warming“ von Erderhitzung sprechen. Indien, Bangladesh und Pakistan sind mit ihrer hohen Bevölkerungsdichte, der Anfälligkeit für Hitzeperioden, Dürren und Fluten besonders gefährdet. Mit radikalisierten Bevölkerungen und Regierungen werden Konflikte (zum Beispiel der Kampf ums Wasser) angeheizt. So zwang die „Syrian drought“ (2006 bis 2011) zwei Millionen Bauern vom Land in die Städte – ein Ursprung des Bürgerkrieges. Waldbrände, Dürre und die Ausbreitung von Wüsten führen zudem in vielen Regionen zu einer hohen Staubbelastung und als Folge zu gesundheitlichen Schäden.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1902_Weblinks_jatros_pneumo_1902_s31_abb1_fuchsig.jpg" alt="" width="750" height="348" /></p> <p> </p> <h2>Weg von fossilen Brennstoffen</h2> <p>China hat mit 140 Millionen Menschen, die bei einem Meeresspiegelanstieg von vier Metern fliehen müssen, am meisten Betroffene. Das Land „decarbonisiert“ (reduziert fossile Brennstoffe) entschlossen – nicht nur wegen der Luftschadstoffe. Während 2013 noch 500 Millionen Chinesen fünf Jahre Lebenserwartung durch schlechte Luft verloren, sind es heute „nur“ mehr 300 Millionen. 130 Kohlekraftwerke wurden bereits geschlossen, die chinesische Windkraft hat schon 2014 die US-Atomkraft (98 Reaktoren, Frankreich 58) „überflügelt“ und ist inzwischen doppelt so leistungsfähig. Nirgends werden mehr Elektrofahrzeuge zugelassen; es ist zu befürchten, dass hier ein Technologievorsprung entsteht. Ein Grund, warum manch deutscher Hersteller noch so am Diesel hängt? <br />Es geht nicht um Klimaschutz, sondern um Menschenschutz, wenn eine weitere Destabilisierung des Klimas verhindert wird. Erst im Holozän (die letzten 10 000 Jahre) hat eine besondere Stabilität des Klimas Ackerbau, ständige Siedlungen und das Entstehen von Hochkulturen ermöglicht. Davor haben Klimaschwankungen die Menschheit mehrfach an den Rand des Aussterbens gebracht. Nun sind wir dabei, diese Schwankungen selbst zu erzeugen. Das Anthropozän steht vor der Anerkennung, weil unsere Spuren in allen Böden der Welt zu finden sind und wir alle Regionen verändern.</p> <h2>Mehr Belastung für Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten</h2> <p>In Hitzewellen gibt es bei chronischen Lungenerkrankungen ein zusätzliches tägliches Sterberisiko von 14 %, bei längeren Hitzewellen kumulativ bis plus 43 %. Das ist mehr als der Anstieg der kardialen Sterblichkeit. Die dahinter vermuteten Pathomechanismen sind: Entzündung der Bronchialschleimhaut, Senkung der bronchokonstriktorischen Schwelle, vermehrter Flüssigkeitsverlust und dadurch Änderungen von Perfusion und Ventilation. Entzündungen des Endothels via ROS und p38-MAPK sowie TRPV-Rezeptor-vermittelte Bronchokonstriktion treten bereits unterhalb der gewebstoxischen Schwelle von 42 °C auf. Abbildung 2 (nächste Seite) zeigt, dass die Zahl von Tagen über 30 °C seit 1981 deutlich zugenommen hat. <br />Für Asthmatiker und Pollinotiker bedeutet das mehr Allergene, z. B. durch Trockenstress der Pflanzen, aber auch neue Allergene. Das bisher wichtigste ist Ragweed, doch pro Woche kommen rund 50 neue in die EU; in Österreich wurden bereits 2000 Neobiota festgestellt. Laut einer Berechung der LMU München und des Helmholtz-Institutes könnte die Zahl der Ragweed-Allergiker in Österreich auf rund 800 000 steigen. <br />Dazu kommen Waldbrandabgase, die im Mittelmeerraum vielen Asthmatikern zusetzen. Doch auch der hohe Norden ist nicht verschont von solchen Abgasen („arktischer ring of fire“ 2018 oder Torfbrände in Sibirien). Hochwasser, Starkniederschläge und Sommerkondensation (es wird auch feuchter!) können die Atemwege durch Schimmel ebenso beeinträchtigen wie durch Traumatisierung.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1902_Weblinks_jatros_pneumo_1902_s33_abb2_fuchsig.jpg" alt="" width="750" height="489" /></p> <p> </p> <h2>Was ist zu tun – was wirkt für Gesundheit und Klima?</h2> <p>Körperliche Bewegung kann fast jedem empfohlen werden: Wer zu Fuß zum Zug geht, gewinnt mehr an Lebensjahren als der „weekend warrior“, der sich nur am Wochenende sportlich abkämpft. Wer mit dem Rad schon etwas angestrengt zur Arbeit fährt, reduziert seine Sterblichkeit um 46 % und spart dem Arbeitgeber rund 1000 Euro Gesundheitsfolgekosten pro Jahr. <br />Langlebiger sollten auch unsere Produkte werden. Elektromotoren funktionieren ohne Wartung oft Jahrzehnte – hoffentlich ist der Rest des Autos ebenso dauerhaft (updatefähige Elektronik wird wohl das Wichtigste sein). Wir produzieren 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr – davon zwei Drittel aus Kunstfaser – ein enormer Verursacher von Mikroplastik. Brauchen wir wirklich mehr als 12 neue Kleidungsstücke, 12 kg Fasern (auch für Teppiche etc.) pro Kopf und Jahr? Wie viel wird nur einmal getragen? In der Lungenflüssigkeit sind von harmlosen PP- oder PE-Fasern nach 180 Tagen gerade einmal 5 % aufgelöst. <br />Im Sommer sollte man auf extreme Kühlung unter 24 °C und im Winter auf Überheizen über 22 °C verzichten: Beides macht krank, im Winter reduziert Kipplüftung bei kalten Temperaturen zusätzlich die Luftfeuchte vor allem in Büros unter 25 %. Zusammen mit Stress können dann Schleimhäute trocken und gereizt werden. Klimatisierung für Krankenhäuser und Altenheime in Tieflagen ist mittelfristig unvermeidbar. Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) hat an einer Empfehlung für Patienten mitgearbeitet. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) empfiehlt Telemedizin und Hausbesuche in Hitzephasen.</p> <h2>Luftschadstoffe und Treibhausgase reduzieren</h2> <p>300 Millionen Kinder atmen hochtoxische Luft, das heißt, dass die WHO-Grenzwerte um das Sechsfache überschritten werden. In der EU leben rund 90 % der Bevölkerung in Gegenden, wo der WHO-Grenzwert für die lungengängigen Feinstäube PM<sub>2,5</sub> (PM = „particulate matter“) überschritten wird. Vielleicht ist dies der Grund, warum die EU ihren Grenzwert zweieinhalbfach höher gesetzt hat, während in den USA mangels Schutz eine Reduktion auf die Hälfte diskutiert wird – also ein Fünftel des EU-Wertes! Durch die Feinstaubbelastung sterben rund 400 000 EU-Bürger gesichert Jahr für Jahr, während die Sterblichkeit durch Stickstoffdioxid (NO<sub>2</sub>) unsicher ist und nur bei hohen Überschreitungen Asthma ausgelöst wird. Wir aber diskutieren NO<sub>2</sub> und nicht den Feinstaub, weil es juristisch und medial einfacher ist. Das Nachrüsten von Partikelfiltern bei Schwerfahrzeugen (für Neufahrzeuge erst seit 2014 Pflicht) könnte hier rasch dem Klima und der Gesundheit helfen. <br />Elektrifizierung aller Antriebe, Maschinen und Schmelzvorgänge: Nicht nur im Verkehr, sondern auch in der Stromerzeugung und in Hochöfen etc. werden große Schadstoffmengen freigesetzt. Europas Kohlekraftwerke töten auf diese Weise 23 000 Menschen pro Jahr. Der Ersatz fossiler Anwendungen in Verkehr, Wärme und Industrie benötigt rund 70 % mehr Strom, der erneuerbar hergestellt werden kann. Im Sommer gelingt das mit Photovoltaik und kleinen Speichern wie Elektroautos. Eine Firma in Niederösterreich tankt tagsüber überschüssigen Sonnenstrom in die Elektroautos der Mitarbeiter, die zu Hause ihren Strom aus dem Auto entnehmen! Sollten alle Autos elektrifiziert werden, speichern sie den dreifachen Gesamttagesstrombedarf. <br />Im Winter geht es nicht ohne Wind, der zwei Drittel seiner Leistung im Winterhalbjahr abliefert, während Sonne und Wasser schwächeln. In Deutschland kommen bereits mehr als 40 % des Stroms aus Wind und Sonne. Ein wenig kann im Winter auch Biomasse liefern, wenn diese „stromgeführt“ sauber verbrannt und die Wärme in Puffern zwischengespeichert wird. Ein mit dem Lebensstil assoziiertes Klimaproblem (Methan, Flächen-, Düngerund Transportaufwand) ist hoher Konsum an Fleischprodukten, der übrigens auch mit Lungenproblemen assoziiert ist. Die gute Nachricht: Die großen Fleischverarbeiter der Welt (der größte in Deutschland schlachtet 25 000 Schweine pro Woche!) haben inzwischen fast alle vegane Fleischprodukte im Angebot; diese werden geschmacklich und optisch besser und gleichzeitig billiger. <br />Fliegen ist die einzige Möglichkeit, an einem Tag mehr zu emittieren als der Durchschnittsweltbürger in einem Jahr. Nur 7 % der Weltbevölkerung sind schon einmal geflogen, ein besonderes Privileg also, das seinen Preis haben sollte. Zahlen sollte man für Flughafengründe (in Österreich gratis von Staat, Bundesland), Steuern (ein Kerosinpreis von 43 Cent pro Liter bedeutet ½ Milliarde Subvention pro Jahr in Österreich) und auch den CO<sub>2</sub>-Ausstoß. Wer sein Gewissen halbwegs beruhigen will, kompensiert bei atmosfair oder myclimate. Letztere haben allein in Madagaskar in mehr als hunderttausend Hütten Öfen statt offener Feuerstellen schaffen können. Damit reduzierte sich die Schadstoffbelastung stark, was auch die Asthmahäufigkeit senkte. Die Abholzung und das Holzschleppen (durch Frauen) nahmen ab. Außerdem kam es kaum mehr zu schwerwiegenden Verbrennungen bei Kindern!</p> <h2>Was macht unser Geld sonst?</h2> <p>Der Weltärztebund WMA hat zu Divestment aufgerufen: raus aus fossilen Veranlagungen – also auch aus OMV-Aktien – und rein in die Erneuerbaren! Fragen Sie doch einmal ihren Wohlfahrtsfonds und ihre Bank … <br />Letztlich sollten wir uns die Frage stellen, ob Gesundheit Selbstzweck ist oder erfülltem Leben dient. Ist das stressige, atemraubende Steigerungsspiel, die „Zuvielitis“, in der auch viele nicht mehr mithalten und sich von den politischen „Eliten“ abwenden, wirklich erfüllend? Ist es oft nicht viel mehr Anlass zu Stress, zusätzlichen Sorgen und Ängsten? <br />Nichts ist so mit Glück verbunden wie Gesundheit, ermöglicht sie doch ungehindertes Schaffen, erfüllende Beziehungen, Weisheit und Dankbarkeit. Nicht der Glückliche ist dankbar, sondern der Dankbare ist glücklich (…). <br />Nachsatz: Zwei österreichischen Ärztinnen danke ich, die in Afrika sehr engagiert sind. Ärztinnen, die Unglaubliches geleistet haben und leisten, die mit weit über 70 noch Feuer voller Freude ausstrahlen: DDr. Christine Wallner, die mit 62 ihre Zelte in Österreich abgebrochen und in Tansania ein Spital, vier Schulen und 280 Arbeitsplätze geschaffen hat; Dr. Maria Hengstberger, die neben ihrer gynäkologischen Praxis eine Geburtenkontrolle für Mittellose auf den Weg gebracht hat, die in 36 Ländern Anwendung findet und in fünf eigenen Spitälern gelehrt wird. Auch Euch beiden verdanke ich Motivation für bereits 20 Jahre Tätigkeit im Umweltreferat der Ärztekammer.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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