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Hitze und andere Wetterextreme
Jatros
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Hanns Moshammer
Medizinische Universität Wien<br> Zentrum für Public Health<br> Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin<br> E-Mail: hanns.moshammer@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Extreme Wetterereignisse fanden auch in der Vergangenheit statt, sodass ihre Auswirkungen auf die Gesundheit relativ gut untersucht sind. Sowohl extreme Kälte als auch extreme Hitze führen zu einem deutlichen Anstieg der Sterblichkeit, wobei das Risiko vor allem ältere und chronisch kranke Menschen betrifft. Dies unterstreicht auch die Verantwortung der Ärzte bei der Behandlung und Schulung dieser Patienten.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Extreme Wetterverhältnisse sind nicht neu, nehmen aber zu.</li> <li>Ärzten kommt bei der Bewältigung der individuellen Gesundheitsfolgen besondere Bedeutung zu.</li> <li>Neben physischen müssen auch psychische Folgen berücksichtigt werden.</li> </ul> </div> <p>Andere Extremereignisse wie Trockenheit, Starkregen, Sturm, Überschwemmungen usw. führen bei uns dank guter Schutzvorkehrungen, Hilfsdiensten und Infrastruktur nur zu sehr wenigen zusätzlichen Todesfällen. Die Langzeitschäden an Hab und Gut können allerdings schwerwiegend sein und gerade Personen aus Randgruppen der Gesellschaft hart treffen. Längerfristige, besonders psychische Beeinträchtigungen sind in diesem Fall zu befürchten.</p> <h2>Einleitung</h2> <p>Das Klima war immer variabel. Aber noch nie in der Geschichte menschlicher Zivilisationen hat es sich so rasch geändert wie derzeit und ebenfalls erstmalig in der Geschichte ändern die Menschen ihre Umwelt nicht nur lokal, sondern auf einem globalen Maßstab.<sup>1</sup> <br />Der Klimawandel kann sich auf drei unterschiedliche Arten auf uns und unser Wohlergehen auswirken: Extreme Wetterereignisse können uns unmittelbar (be)treffen. Die Klimaänderung kann in unserer Umwelt Veränderungen hervorrufen. Das betrifft Ökosysteme, die Landwirtschaft, aber auch technische Einrichtungen und Infrastruktur sowie die atmosphärische Chemie, den globalen Wasserhaushalt und vieles mehr. Zuletzt ist zu bedenken, dass der Klimawandel als weltweites Phänomen auch in entfernten Weltgegenden Auswirkungen hat. Das betrifft gerade Nationen und Gemeinschaften, die nicht genügend Ressourcen haben, um sich an die Veränderung anzupassen. In einer vernetzten Welt können wir uns auch diesen entfernten Folgen nicht verschließen.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Temperaturextreme</h2> <p>In diesem Beitrag werden vor allem die direkten Wirkungen extremer Wetterereignisse beschrieben. Diese hat es zwar „immer schon gegeben“. Es ist aber mehrfach belegt, dass mit der globalen Erwärmung extrem heiße Wetterlagen zunehmen werden. Würde sich einfach die mittlere Temperatur ändern, aber die Temperaturvariation in etwa gleich bleiben, die Glockenkurve der Temperaturverteilung sich also nur verschieben, wäre das wahrscheinlich nicht so schlimm: Auch bisher schon lebten Menschen in ganz unterschiedlichen Klimazonen und haben sich an die jeweilige Klimazone angepasst. Eine Temperatur, bei der zum Beispiel Bewohner von Stockholm bereits unter einer Hitzewelle stöhnen, wird von einem Bewohner in Rom wahrscheinlich als ganz normale Sommertemperatur empfunden. Es ist natürlich die Frage, wie rasch sich das Klima ändert. Anpassungsvorgänge laufen auf sehr verschiedenen und unterschiedlich raschen Wegen ab. Das reicht von Verhaltensanpassungen über physiologische Veränderungen der Wasser- und Kreislaufregulation sowie bauliche, technische und institutionelle Anpassungen bis hin zu – sehr langfristig – genetischen Anpassungen (z. B. Körpergröße, Körperfettverteilung). Der derzeitige Klimawandel dürfte jedoch in seiner Geschwindigkeit manche dieser Vorgänge überholen. <br />Leider zeigt es sich, dass sich die Glockenkurve nicht nur einfach verschiebt, sie wird auch breiter, die Variation der Wetterparameter wie Temperatur, Feuchte, Niederschlag oder Windgeschwindigkeit nimmt zu. Wenn es also im Mittel etwas wärmer wird, dann werden die extremen Hitzewerte noch viel deutlicher zunehmen. Und obwohl es insgesamt wärmer wird, wird es trotzdem immer wieder, wenn auch seltener, sehr kalte schneereiche Winter geben. An Extremereignisse können wir uns aber zunehmend schlechter anpassen, je extremer sie ausfallen. <br />Wie sich Extremwetterlagen auf die Gesundheit auswirken, können wir im Prinzip an historischen Daten untersuchen. Aus langjähriger Erfahrung ist bekannt, dass die Sterblichkeit in den gemäßigten Breiten im Winter höher ist als im Sommer.<sup>4, 5</sup> Wir wissen, dass diese Übersterblichkeit im Winter weniger unmittelbar von der Kälte am Sterbetag bestimmt wird, sondern dass eher eine lang dauernde Kälteperiode, etwa die Durchschnittstemperatur über mehrere Wochen, für das Sterberisiko verantwortlich ist. Die pathophysiologischen Ursachen für die Kältesterblichkeit sind vielfältig. So finden sich beispielsweise erhöhte Entzündungsmarker, insbesondere Fibrinogen.<sup>6</sup> Diese größere Entzündungsbereitschaft dürfte einerseits aufgrund schlechterer Hautdurchblutung entstehen, die zu Zellschädigungen beiträgt. Andererseits steigt im Winter auch das Risiko für Atemwegsinfektionen. Dieses ist nicht nur Folge der niedrigen Temperatur, sondern besteht unter anderem auch wegen geringerer (desinfizierender) Ozonwerte.<sup>7</sup> Zudem ist die UV-Strahlung im Winter geringer, die eventuell über die Vitamin-D-Bildung positiv wirkt.<sup>8, 9</sup> <br />Im Gegensatz dazu wird die Übersterblichkeit bei Hitze fast ausschließlich durch die unmittelbaren Temperaturen am gleichen und allenfalls am Vortag bestimmt. Nachdem man den langfristigen Trend und die saisonalen Schwankungen herausgerechnet hat, findet man bereits ab relativ moderaten Temperaturen einen zunehmend steilen Anstieg des Sterberisikos (Abb. 1). Man könnte vermuten, dass die Hitze vor allem das Herz-Kreislauf-System belastet. Wenn man allerdings die offiziellen Todesursachen betrachtet, findet man ein erhöhtes Risiko für fast alle Todesursachen. So sind etwa sowohl bei Kälte als auch bei Hitze Todesfälle mit traumatischen Ursachen wahrscheinlicher. Und im Gegensatz zu fast allen anderen Todesursachen betrifft dies in besonderem Maße Männer. Insgesamt ist das relative Sterberisiko bei Hitze für Frauen höher und nimmt mit zunehmendem Alter zu (Abb. 2). Das größte relative Risiko bei Hitze betrifft aber Atemwegserkrankungen als Todesursache. Atemwegserkrankungen sind auch eine der wenigen Ursachen für Krankenhauseinweisungen, die bei Hitze signifikant mehr sind. Dabei verursacht wahrscheinlich nicht der Hitzestress selbst die Atemwegserkrankungen. Vielmehr dürften Personen mit bestehenden chronischen Atemwegserkrankungen besonders stark in ihrer Adaptationsfähigkeit eingeschränkt sein. Hier kommt der Ärzteschaft eine besondere Aufgabe zu, da sie Patienten beraten und schon vorsorglich unter anderem für eine gute Einstellung der Medikation sorgen muss.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1902_Weblinks_jatros_pneumo_1902_s34_abb1_moshammer.jpg" alt="" width="650" height="552" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1902_Weblinks_jatros_pneumo_1902_s35_abb2_moshammer.jpg" alt="" width="650" height="450" /></p> <h2>Weitere Extremwetterereignisse</h2> <p>Neben der Hitze (und Kälte) spielen selbstverständlich auch andere Extremereignisse eine Rolle. Aufgrund funktionierender Infrastruktur und sozialer Einrichtungen sind allerdings Trockenheit, Sturm, Starkregen und Überschwemmung bei uns bisher nur mit sehr wenigen direkten Todesfällen verbunden und werden daher bezüglich dieser Maßzahl von Hitzewellen weit in den Schatten gestellt. <br />Überschwemmungen, Vermurungen und dergleichen setzen aber oft auch langfristige Schäden. Aus lungenfachärztlicher Sicht ist an Wasserschäden an Gebäuden mit nachfolgendem Schimmelbefall zu denken.<sup>10−12</sup> Studien in anderen Ländern weisen auch auf bedeutende psychische Folgen im Sinne eines posttraumatischen Stress-Syndroms hin.<sup>13, 14</sup> Diese Folgen sind in Österreich aber bisher nicht untersucht worden. Solche Studien sind allerdings notwendig, da gerade hinsichtlich psychischer Effekte soziale Resilienzfaktoren entscheidend sein können und daher Ergebnisse ausländischer Studien nicht unmittelbar auf Österreich übertragbar sind. Wichtig wäre es natürlich, besonders die Auswirkungen auf soziale Randgruppen zu untersuchen. Gerade hier ist der Zugang zu validen Daten jedoch schwierig.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Extremwetterereignisse sind keine neuen Phänomene und unser Gesundheitssystem sollte theoretisch in der Lage sein, mit den diesbezüglichen Bedrohungen umzugehen. Dennoch besteht die begründete Sorge, dass es durch die starke Zunahme der Extreme an Intensität und Häufigkeit an seine Grenzen stößt. Neben institutionellen Hilfsdiensten wird lokalen Netzwerken sowohl während der akuten Bedrohungssituation als auch zur Unterstützung nach dem Ereignis eine immer größere Bedeutung zukommen. Die Ärzteschaft vor Ort kann durch ihre Erfahrung und ihr Vorbild solche Netzwerke anregen und stärken. Letztlich muss es aber klar sein, dass Anpassungen alleine nur eine Teillösung der Bedrohung durch die Erderwärmung sein können. Es erspart uns sicher nicht, Klimaschutzmaßnahmen – endlich – deutlich intensiver als bisher umzusetzen.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Austrian Panel on Climate Change (APCC): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014 (AAR14). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014. ISBN: 978-3-7001-7699-2 <strong>2</strong> APCC: APCC Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel 2018 (ASR18). Pre-Print-Version (http://sr18.ccca.ac.at/download/apcc-sr18-final-report-volltext-de-pre-print) <strong>3</strong> Hutter H-P et al.: Klimawandel und Gesundheit: Auswirkungen. Risiken. Perspektiven. MedUni Ratgeber. Wien: MANZ Verlag, 2017. ISBN: 978-3-214-07803-4 <strong>4</strong> Donaldson GC, Keatinge WR: Excess winter mortality: influenza or cold stress? Observational study. BMJ 2002; 324: 89- 90 <strong>5</strong> Todd N, Valleron AJ: Space-time covariation of mortality with temperature: a systematic study of deaths in France, 1968-2009. Environ Health Perspect 2015; 123: 659-64 <strong>6</strong> Basu R et al.: Estimating the associations of apparent temperature and inflammatory, hemostatic, and lipid markers in a cohort of midlife women. Environ Res 2017; 152: 322-7 <strong>7</strong> Ali ST et al.: Ambient ozone and influenza transmissibility in Hong Kong. Eur Respir J 2018; 51: 1800369 <strong>8</strong> Cannell JJ et al.: Epidemic influenza and vitamin D. Epidemiol Infect 2006; 134: 1129-40 <strong>9</strong> Geier DA et al.: A longitudinal ecological study of seasonal influenza deaths in relation to climate conditions in the United States from 1999 through 2011. Infect Ecol Epidemiol 2018; 8: 1474708 <strong>10</strong> Johanning E et al.: Review of health hazards and prevention measures for response and recovery workers and volunteers after natural disasters, flooding, and water damage: mold and dampness. Environ Health Prev Med 2013; 19: 93-9 <strong>11</strong> Rath B et al.: Adverse respiratory symptoms and environmental exposures among children and adolescents following Hurricane Katrina. Public Health Rep 2011; 126: 853-60 <strong>12</strong> Rando RJ et al.: Respiratory health effects associated with restoration work in post-Hurricane Katrina New Orleans. J Environ Public Health 2012; 2012: 462478 <strong>13</strong> Lowe D et al.: Factors increasing vulnerability to health effects before, during and after floods. Int J Environ Res Public Health 2013; 10: 7015-67 <strong>14</strong> Fernandez A et al.: Flooding and mental health: a systematic mapping review. PLoS One 2015; 10: e0119929</p>
</div>
</p>