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Große Löcher in der Familie
Jatros
Autor:
Dr. Jens Bräunlich
Abteilung für Pneumologie<br> Medizinische Klinik und Poliklinik I<br> Universität Leipzig<br> E-Mail: jens.braeunlich@medizin.uni-leipzig.de
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Der Fallbericht einer 52-jährigen Patientin mit gehäuften Pneumothoraces unterstreicht die Bedeutung einer detaillierten Anamneseerhebung.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Seltene autosomal-dominant vererbte Erkrankung</li> <li>Beeinflussung des mTOR-Signaltransduktionweges</li> <li>Gutartige Hauttumoren</li> <li>Lungenzysten und rezidivierende Pneumothoraces</li> <li>Prognosebestimmende renale Manifestation durch maligne Nierentumoren</li> <li>Therapie der Karzinomata, der Komplikationen und Symptome</li> </ul> </div> <h2>Kasuistik</h2> <p>Die Patientin wurde erstmals 2002 pneumologisch vorgestellt. Sie berichtete über Müdigkeit, Abgeschlagenheit und eine Verschlechterung des Allgemeinzustands. Eigenanamnestisch war 07/2000 eine Hemikolektomie rechts bei Adenokarzinom zu eruieren. Auffällig war das Auftreten von Pneumothoraces in den Jahren 1977, 1983 und 1993. Der 1993 aufgetretene Pneumothorax musste durch eine Thorakotomie versorgt werden und führte zu einer ausgeprägten Schwarte im unteren rechten Thorax. Die Patientin berichtete, dass ihre beiden Töchter ebenfalls 3 Pneumothoraces erlitten hatten. Beruflich war die Patientin technische Zeichnerin, Nieraucherin und gab Asbestkontakt bei ihrer Arbeit auf Baustellen an. In der Lungenfunktion zeigte sich eine restriktive Ventilationsstörung.<br /> Im Februar 2007 erlitt die Patientin erneut einen linksseitigen Pneumothorax. Im Rahmen einer chirurgischen Thorakoskopie wurde eine vermeintliche Bulla reseziert. Es erfolgten weitere pneumologische Verlaufskontrollen. Im Jahr 2013 wurde die Patientin in deutlich reduziertem Allgemeinzustand und mit Zeichen eines pulmonalen Infektes stationär eingewiesen. Sie berichtete anamnestisch über ausgeprägten Gewichtsverlust während der letzten 3 Monate. Unter anderem wurde eine CT des Thorax durchgeführt. Diese zeigte eine ausgeprägte Schwarte der rechten Pleura und eine Reihe intrapulmonaler Zysten (Abb. 1).<br /> Elf Jahre nach der erstmaligen pneumologischen Vorstellung begann nun die Suche nach einer möglichen Ursache der rezidivierenden Pneumothoraces und pulmonalen Veränderungen. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen zystischer Lungenerkrankungen sind in Tabelle 1 dargestellt. Insbesondere musste im Falle unserer Patientin an eine Lymphangioleiomyomatose (LAM) gedacht werden. Die Bronchoskopie mit BAL ergab keinen wegweisenden Befund. Es erfolgten eine Nachuntersuchung des histologischen Materials von 2007 und eine genetische Untersuchung zum Ausschluss eines Birt-Hogg-Dubé-Syndroms. Hier zeigte sich eine wahrscheinlich pathogene Mutation im Follikulin-Gen (FLCN).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1604_Weblinks_Seite26.jpg" alt="" width="820" height="343" /></p> <h2>Das Birt-Hogg-Dubé-Syndrom (BHDS)</h2> <p>Das 1977 erstmals beschriebene BHDS beruht auf einer autosomal-dominant vererbten Mutation im FLCN-Gen auf 17p12q11.2. Etwa 200 betroffene Familien sind bekannt. Follikulin interagiert mit den „follikulin interacting“ Proteinen (FNIP1 und FNIP2), welche wiederum mit mTOR interagieren. Möglicherweise kommt es durch die Erhöhung von 6S-Kinase, VEGF und HIF-1a zu einer Aktivierung der Angiogenese. Auch gibt es Hinweise auf eine Funktion von FLCN als Tumorsuppressorgen.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1604_Weblinks_Seite27.jpg" alt="" width="575" height="396" /></p> <h2>Klinische Manifestationen des BHDS</h2> <p>Die kutane Manifestation besteht aus der Trias Fibrofollikulom (gutartiger Adnextumor des Haarfollikels), Trichodiskom (von den Haarscheiben ausgehend) und Acrochordon (Manifestation in den Hautfalten). Meist erfolgt eine lokale Therapie aus kosmetischen Gründen, eine maligne Entartung ist nicht beschrieben. Eine Studie mit topisch verabreichtem Rapamycin war nicht effektiv.<sup>2</sup></p> <h2>Renale Manifestation ist prognosebestimmend</h2> <p>Von einer renalen Manifestation sind 34 % der Patienten betroffen. Dabei zeigen sich meist um das 50. Lebensjahr bilaterale, multifokale und indolente Tumoren. Es besteht ein 7-fach erhöhtes Risiko für eine maligne Entartung. Dabei finden sich „hybrid oncocytic/chromopho­be tumors“ (HOCT) (50 % ), Onkozytome (5 % ), chromophobe Nierenzellkarzinome (9 % ) und klarzellige Nierenzellkarzinome (9 % ). Diese metastasieren selten, sind jedoch in der Mehrzahl der Fälle prognosebestimmend.<sup>2</sup> Aus diesem Grund sollten betroffene Patienten engmaschig kontrolliert werden. Eine Nephron-sparende Resektion ist bei Tumoren mit einer Größe >3cm indiziert.</p> <h2>Meist werden Patienten mit pulmonaler Symptomatik auffällig</h2> <p>Ca. 85 % der BHDS-Patienten weisen pulmonale Zysten auf. Sie sind häufig die Erstmanifestation ab dem 36. Lebensjahr und bleiben oft asymptomatisch und ohne Progredienz. Es besteht ein 50-fach höheres, mit der Zystengröße korrelierendes Risiko für (rezidivierende) Pneumothoraces. Häufig lässt eine histologische Aufarbeitung des Resektats keine Diagnose einer Zyste mehr zu und es kommt wie im Falle unserer Patientin zur Beschreibung einer anderen Entität.<sup>3</sup> Die Therapie beschränkt sich auf die Behandlung der Pneumothoraces. Die Patienten sollten nicht rauchen bzw. das Rauchen aufgeben. Die Erkrankung führt nur selten zu einer respiratorischen Insuffi­zienz.</p> <h2>Diagnose anhand von Major- und Minorkriterien</h2> <p>Die Diagnose eines BHDS kann gestellt werden, wenn 1 Majorkriterium oder 2 Minorkriterien positiv sind. Mehr als 5 his­tologisch gesicherte Fibrofollikulome oder eine nachgewiesene Mutation im FLCN-Gen sind Majorkriterien. Minorkriterien sind typische pulmonale oder renale Manifestationen oder ein Verwandter 1. Grades mit BHDS-Manifestationen.<sup>3</sup><br /> Wie ging es mit unserer Patientin weiter? Im Verlauf blieb sie respiratorisch stabil und erlitt keine weiteren Pneumothoraces. Es kam zu keiner Nierenmanifestation und nur geringen Hautmanifestationen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Schmidt LS et al: Molecular genetics and clinical features of Birt-Hogg-Dubé syndrome. Nat Rev Urol 2015; 12(10): 558-69 <br /><strong>2</strong> Furuya M et al: Birt-Hogg-Dubé syndrome: clinicopathological features of the lung. J Clin Pathol 2013; 66(3): 178-86 <br /><strong>3</strong> Dal Sasso AA et al: Birt-Hogg-Dubé syndrome. State-of-the-art review with emphasis on pulmonary involvement. Respir Med 2015; 109(3): 289-96</p>
</div>
</p>
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