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Urikostatikatherapie bei Gicht sicherstellen

«Nur gemeinsam können wir Therapietreue erreichen»

Eine Strategie, bestehend aus stationärem Gichtmanagement plus nachstationärer Betreuung durch Pflegende, erhöht die Chance – so eine Studie aus London–, dass Gichtpatienten ihre Tabletten nehmen und mehr von ihnen die Harnsäure-Zielwerte erreichen.1 Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie weniger Schübe haben und seltener stationär aufgenommen werden müssen. Dr. Marinescu aus Zürich erklärt, warum eine solche pflegebasierte Gichtbetreuung in jedem Schweizer Spital implementiert werden sollte.

Die Strategie, die im Londoner King’s College Hospital im Rahmen der Studie implementiert wurde, bestand zum einen aus einem Gichtmanagement-Pfad, basierend auf den Leitlinien, zum anderen aus einem einmaligen Telefongespräch mit einer Pflegekraft zwei Wochen nach der Entlassung.1

Was halten Sie von der in der Studie beschriebenen pflegebasierten Strategie?

C. V. Marinescu: Ich finde das Vorgehen gut, da es bei anderen chronischen Krankheiten schon Hinweise darauf gibt, dass die pflegerische Betreuung zusätzlich zur Standardversorgung die Ergebnisse verbessert.2–4 Ich denke, ein strukturiertes, von Pflegekräften geleitetes Patientenmanagement-Programm würde den Patienten einen Benefit bringen. Und zwar erstens, weil die Patienten sich «wahrgenommener» fühlen, weil ihnen mehr Zeit gewidmet wird. Das macht sie zufriedener und bessert ihre Lebensqualität. Zweitens steigt damit die Chance, dass sie ihre harnsäuresenkenden Medikamente einnehmen, sodass sie dann auch medizinisch davon profitieren. Drittens haben die Kollegen aus London gezeigt, dass die Strategie im Vergleich zur üblichen Versorgung auch noch kosteneffektiver ist.

In der Studie bestand die Betreuung durch die Pflegekraft lediglich aus einem Telefonat 2 Wochen nach der Entlassung. Reicht ein einmaliger Termin?

C. V. Marinescu: Das bezweifle ich. Gerade in dieser «sensiblen» Phase der Behandlung wären vermutlich mehr Termine notwendig, um adäquat auf den Patienten eingehen zu können, ihm seine Fragen zu beantworten und ihn immer wieder daran zu erinnern, wie wichtig die Tabletten sind.

Warum ist es so schwierig, Patienten davon zu überzeugen, Urikostatika einzunehmen?

C. V. Marinescu: Das Erreichen einer Therapietreue umfasst komplexe pflegerische, patienten-, behandlungs- und arztbezogene Faktoren. Es wäre gut, wenn die Londoner Kollegen jetzt noch die Faktoren untersuchen würden, die mit Einleitung und Einhaltung der harnsäuresenkenden Therapie assoziiert sind. Ein Problem sehe ich in der Primärversorgung, wo das von den rheumatologischen Fachgesellschaften empfohlene „Treat to target“-Konzept nicht ausreichend stringent verfolgt wird. Das zweite Problem scheint zu sein, dass nicht konsequent gleich zu Beginn des Gichtanfalls eine duale Therapie eingeleitet wird, also die symptomatische und die kausale Therapie. Wir müssen nicht nur vonseiten der Ärzteschaft und der Pflegenden alles dafür tun, dass die Behandlung verbessert wird, sondern wir müssen auch die Patienten selbst und die Angehörigen aufklären und stärken. Nur gemeinsam und interdisziplinär können wir die Therapietreue erreichen. Das ist entscheidend für den Erfolg.

Wie beurteilen Sie den Studienaufbau?

C. V. Marinescu: Ich finde es faszinierend, wie viel Energie die Autoren in diese komplexe Best-Practice-Behandlung investiert haben. Positiv finde ich – und ehrlich gesagt hat es mich auch überrascht –, dass mehr als 90% der Patienten mit einer harnsäuresenkenden Therapie begonnen haben, nachdem das Programm implementiert worden ist. Hierzulande sehen Hausärzte und Rheumatologen die Indikation zur Einleitung einer harnsäuresenkenden Therapie im Schub mitunter divergent, das heisst, die Notwendigkeit der Einhaltung eines Zielwertes wird nicht ausreichend berücksichtigt. Das liegt vermutlich daran, dass bislang die Empfehlung galt, mit der harnsäuresenkenden Therapie erst nach dem vollständigen Abklingen des akuten Gichtanfalls zu beginnen. Die Studie der Kollegen zeigt aber, dass der Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie während eines akuten Anfalles möglich und empfehlenswert ist. Als Schwäche der Studie sehe ich nur die mit 6 Monaten ziemlich kurze Nachbeobachtungszeit.

Sollte so eine Strategie in allen Schweizer Spitälern implementiert werden?

C. V. Marinescu: Einen Versuch wäre es wert. Im Vergleich zu üblicher hausärztlicher Versorgung hätte das pflegebasierte Modell den Vorteil, dass damit die Patienten nicht nur frühzeitig und sorgfältig ihre harnsäuresenkenden Medikamente nehmen, was den Therapieerfolg erhöhen könnte, sondern es scheint auch noch die Kosten zu senken. Das ist gerade angesichts der steigenden Gesundheitsausgaben ein wichtiger Faktor. Ich denke, dieses Pflegemodell eignet sich für unsere Schweizer Spitäler unter der Voraussetzung, dass die Patienten umfassend informiert und engagiert sind und eine „Treat to target“-Strategie für die harnsäuresenkende Therapie verwendet wird.

Wie sorgen Sie dafür, dass Ihre Patienten im Unispital Zürich ihre Medikamente sorgsam nehmen und keinen Rückfall bekommen?

C. V. Marinescu: Das ärztliche Team wird kontinuierlich dahingehend geschult, dass es prompt eine harnsäuresenkende Therapie verschreibt. Ob auch wir im Unispital Zürich das Patientenmanagement mit einer zusätzlichen pflegebasierten Strategie verbessern können, wäre interessant zu wissen. Abgesehen davon kommt es in der sensiblen Phase nach dem Gichtanfall und bis die Uratziele erreicht werden, nicht nur auf die Betreuung durch den Hausarzt an, sondern auch auf die am Anfang engmaschige Nachsorge in unserem Ambulatorium. Ich muss gestehen, dass uns das aufgrund begrenzter Ressourcen nicht immer zeitnah gelingt.

Meinen Sie, die Situation ist auf den Alltag übertragbar? Im Rahmen einer solchen Studie erscheint es «normal», dass die Patienten therapietreu sind.

C. V. Marinescu: Nach einem so engagierten Einsatz sowohl von Ärzten als auch von Pflegenden wie in der Londoner Studie war eine solch hohe Therapietreue zu erwarten. Da hat sicherlich die Studiensituation mit der intensiven Betreuung eine Rolle gespielt. Im Alltag ist es aber eine Herausforderung, die Therapietreue zu erreichen, das erleben wir immer wieder bei unseren Patienten. Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist die Aufklärung der Patienten über alle Aspekte der Gichtbehandlung und -erkrankung in einer laienverständlichen Sprache.

Was sind die grössten Hürden in der Gichttherapie?

C. V. Marinescu: Eine Herausforderung ist die Behandlung von multimorbiden Patienten, zum Beispiel Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko, deutlicher Niereninsuffizienz oder Organtransplantation. Erschwert wird die Behandlung durch Wechselwirkungen der Gichtmedikamente mit der Komedikation. Gichtpatienten haben häufig mit dem gesellschaftlichen Stigma zu kämpfen, dass Gicht durch ungesunden Lebensstil und schlechte Ernährung verursacht wird. Gichtpatienten haben oft Angst, zum Arzt zu gehen und um Hilfe zu bitten, weil sie fürchten, nicht ernst genommen oder für ihre Lebensgewohnheiten verurteilt zu werden. Eine gute Aufklärung über die Krankheit und die Therapiemöglichkeiten ist entscheidend für den Therapieerfolg und man muss sich Zeit nehmen, um gegen diese Vorurteile anzugehen. Priorität sollte weiterhin die Schulung des Gesundheitspersonals hinsichtlich der Gichterkrankung haben, da auf dieser Seite erhebliche Hürden für ein optimales Gichtmanagement bestehen.

Daten aus anderen Ländern weisen darauf hin, dass eine harnsäuresenkende Therapie nur bei einer Minderheit der Patienten gestartet wird. Meinen Sie, das ist hierzulande auch so?

C. V. Marinescu: Diese Daten werden in der Schweiz nicht systematisch erhoben, aber leider scheinen meiner Erfahrung nach auch Schweizer Gichtpatienten zu selten eine harnsäuresenkende Therapie zu bekommen. Damit wir dieses Problem in den Griff bekommen, braucht es einen «Sinneswandel» sowohl in der Gesellschaft, die Gicht als Zivilisationskrankheit verurteilt, an der der Patient Schuld habe, als auch im Spital. Patient und Personal müssen wissen: Einen Gichtanfall kann man effektiv behandeln, der Arzt muss frühzeitig harnsäuresenkende Medikamente verschreiben und der Patient profitiert sehr davon, diese zu nehmen.

Wie gehen Sie in der Praxis vor?

C. V. Marinescu: Ich setze oft und primär Allopurinol ein. Mit diesem Medikament haben wir sehr viel Erfahrung, zudem ist es noch preiswert und birgt ein geringeres kardiovaskuläres Risiko als Febuxostat. Allopurinol hat darüber hinaus eine Zulassung für die Vorbeugung von rezidivierender Kalziumnephrolithiasis bei Patienten mit Hyperurikosurie, was eine grosse Rolle spielt, da ein relevanter Teil von Gichtpatienten auch unter dieser Nierenerkrankung leidet. Ich beginne mit Allopurinol 100mg täglich und erhöhe alle 2 bis 5 Wochen um 100mg, bis der Serumharnsäure-Zielwert erreicht ist. Das American College of Rheumatology empfiehlt einen Harnsäure-Zielwert von weniger als 6,0mg/dl für alle Patienten mit Gicht. Bei einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium 4 und höher sollte Allopurinol mit einer Tagesdosis von 50mg verschrieben und die Dosis alle 2 bis 5 Wochen um 50mg erhöht werden, bis der Serumharnsäure-Zielwert erreicht ist.

Allopurinol ist dialysierbar. Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz unter Hämodialyse oder Peritonealdialyse kann mit 50mg Allopurinol an abwechselnden Tagen begonnen werden, verabreicht nach der Dialyse, mit vorsichtiger Steigerung der Dosis, um die Serumharnsäure-Zielwerte zu erreichen. Achten muss man auf Patienten han-chinesischer oder thailändischer Abstammung, unabhängig von der Nierenfunktion. Diese Patienten haben ein besonders hohes Risiko für ein Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom. Das American College of Rheumatology empfiehlt eine Bestimmung des HLA-B*5801-Genotyps vor Beginn der Behandlung mit Allopurinol. Ein universelles HLA-B*5801-Allopurinol-Screening wird jedoch nicht empfohlen, da die HLA-B*5801-Prävalenz und das Risiko für ein Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom in anderen Populationen signifikant niedriger sind.

Bei einem Gichtanfall oder in der Prophylaxe arbeite ich mit Colchicin, sofern der Patient es verträgt und es nicht kontraindiziert ist.

1 Russell MD et al.: Rheumatology 2023; kead574 2 Wojeck RK et al.: BMC Nursing 2023; 22: 232 3 Ramelet AS et al.: BMC Pediatr 2017; 17: 168 4 Markle-Reid M et al.: PLoS One 2021; 16(7) :e0254573

● Richette P et al.: Ann Rheum Dis 2020; 79(1): 31-8 ● FitzGerald JD et al.: Arthritis Care Res 2020; 72: 744-60

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