© Getty Images/iStockphoto

Neuromuskuläre Erkrankungen bei Kindern

Evaluation der respiratorischen Situation

<p class="article-intro">Eine periphere Muskelschwäche führt zu klinischen Auffälligkeiten, die leicht quantifizierbar sind. Im Gegensatz dazu ist eine Atemmuskelschwäche viel subtiler und meist viel schwieriger zu evaluieren. In diesem Artikel werden Möglichkeiten und Vorgangsweisen zur zeitgerechten Diagnosestellung einer Atemmuskelschwäche dargestellt.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Einleitung</h2> <p>Die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD), die spinale Muskelatrophie (SMA) und kongenitale Muskelkrankheiten (CMD) geh&ouml;ren zu den h&auml;ufigsten neuromuskul&auml;ren Erkrankungen im Kindesalter. Die Evaluation der respiratorischen Situation ist hierbei notwendig, um das sukzessive Versagen der Atempumpe rechtzeitig feststellen zu k&ouml;nnen. Zudem m&uuml;ssen atemunterst&uuml;tzende Ma&szlig;nahmen bereits zu einem fr&uuml;hen Zeitpunkt eingeleitet werden, um einerseits pr&auml;ventiv gegen akutes Atemversagen vorzugehen und andererseits lebensbedrohliche Situationen wie respiratorische Infekte gut vorbereitet durchzustehen.</p> <h2>Problematik bei neuromuskul&auml;ren Erkrankungen</h2> <p>Es kommt zu einem Atempumpversagen, da die Last der Atempumpe (z. B. durch einen respiratorischen Infekt) die Kapazit&auml;t der Atemmuskulatur &uuml;bersteigt und keine kompensatorische Steigerung der Atmung m&ouml;glich ist. Diese w&auml;re jedoch notwendig, um die Situation auszugleichen. Bei einer neuromuskul&auml;ren Erkrankung wird die Atemmuskulatur prinzipiell schon um das Zwei- bis Dreifache mehr belastet. Der steife Brustkorb, das Bestehen von Mikroatelektasen und der mechanische Nachteil durch die Skoliose verursachen die gesteigerte Belastung der Atemmuskulatur.</p> <h2>Klinische Anamnese</h2> <p>Hierbei geht es zum Einen um die allgemeine Muskelschw&auml;che und die Leistungsf&auml;higkeit generell. Zum Anderen werden die subjektive Ver&auml;nderung der Sprechlautst&auml;rke und der Hustenkraft, die Speichelproduktion sowie der bisherige Ablauf von respiratorischen Infekten erfasst. Dazu z&auml;hlen H&auml;ufigkeit, Schwere und Sekretmanagement bei respiratorischen Infekten in der Vergangenheit. Komorbidit&auml;ten wie Skoliosen und kardiale Beteiligungen sind ebenfalls zu erheben.</p> <h2>Schlafanamnese</h2> <p>Der Schlaf stellt im Allgemeinen durch ver&auml;nderte mechanische Komponenten und das ver&auml;nderte Ventilations-Perfusions- Verh&auml;ltnis eine Risikosituation dar. Einerseits kommt es zu einem erh&ouml;hten Atemwegswiderstand, andererseits sind die funktionelle Residualkapazit&auml;t, die Aktivit&auml;t der interkostalen Muskulatur, die muskul&auml;re Aktivit&auml;t im Bereich der oberen Atemwege, der zentrale Atemantrieb und die Chemosensitivit&auml;t vermindert. Daher ist es notwendig, Schlafst&ouml;rungen, Atempausen, Schnarchen, morgendlichen Kopfschmerz und Tagesm&uuml;digkeit abzufragen.</p> <h2>Besonderheiten in der P&auml;diatrie</h2> <p>Durch den Beginn einer neuromuskul&auml;ren Erkrankung w&auml;hrend der fr&uuml;hen Kindheit ist das Wachstum von Lunge und Brustkorb eingeschr&auml;nkt. Dies f&uuml;hrt in weiterer Folge sehr fr&uuml;h zu Thorax-Deformit&auml;ten. Die Durchf&uuml;hrung von Tests, die die Mitarbeit des Patienten erfordern (z. B. Lungenfunktionsdiagnostik), ist bei S&auml;uglingen und Kleinkindern nicht m&ouml;glich.</p> <h2>Atemmuskeltests</h2> <p>Man unterscheidet bei den Atemmuskeltests invasive und nicht invasive Tests. Zu den nicht invasiven Tests geh&ouml;rt die Beurteilung des Atemmusters.<br /> Zur Analyse der Bewegung im Bereich des Thorax und des Abdomens kann die <strong>optoelektronische Plethysmografie (OEP)</strong> herangezogen werden. Mithilfe von Elektroden wird das Bewegungsausma&szlig; im Bereich des oberen Brustkorbs, der Rippen und des Abdomens in verschiedenen Positionen evaluiert und Abnormit&auml;ten der Bewegung beim Husten genau dargestellt.<br /> Die <strong>Sonografie des Zwerchfells</strong> ist ein probates Mittel zur Beurteilung der Struktur und der Dynamik des Zwerchfells.<br /> Weitere Beurteilungsm&ouml;glichkeiten der Atemmuskulatur sind <strong>Lungenfunktionsparameter</strong>. Anhand der Atemfrequenz (AF) und des Tidalvolumens (Vt) kann das Atemminutenvolumen bestimmt werden. Aus diesen Parametern kann auch der Rapid Shallow Breathing Index (AF/Vt) errechnet werden. Dieser Wert beschreibt das Verh&auml;ltnis der Tiefe der Atemz&uuml;ge zu ihrer Frequenz. Der Wert wird umso gr&ouml;&szlig;er, je schneller und flacher die Atmung ist.<br /> Bei neuromuskul&auml;ren Erkrankungen zeigt sich in der Lungenfunktionsdiagnostik das charakteristische Bild einer restriktiven Lungenerkrankung. Eine reduzierte Vitalkapazit&auml;t kombiniert mit einer reduzierten totalen Lungenkapazit&auml;t ist Zeichen f&uuml;r eine inspiratorische Atemmuskelschw&auml;che, Ankylosen und Skoliose. Ein gesteigertes Residualvolumen ist Zeichen f&uuml;r eine exspiratorische Atemmuskelschw&auml;che.<br /> Zur Einsch&auml;tzung der Progression des &minus; &uuml;blicherweise linear verlaufenden &minus; Verlusts der Atemmuskelkraft ist eine regelm&auml;&szlig;ige Durchf&uuml;hrung einer Lungenfunktionsdiagnostik zu empfehlen.<br /> Der <strong>Peak Cough Flow</strong> ist ein wichtiges Werkzeug zur Beurteilung der Hustkraft. Er korreliert mit dem Geschlecht, der Gr&ouml;&szlig;e und der K&ouml;rperoberfl&auml;che. Bei Erwachsenen liegt der kritische Wert, um eine Sekretentfernung im Bedarfsfall sicherstellen zu k&ouml;nnen, bei 160 l/min. Ein Wert &uuml;ber 360 l/min erm&ouml;glicht hingegen einen effektiven Hustensto&szlig;.<br /> <strong>Maximale statische Drucke</strong> geben Auskunft &uuml;ber die inspiratorische Muskelkraft (PImax &minus; von der funktionellen Residualkapazit&auml;t aus gemessen) und auch die exspiratorische Muskelkraft (PEmax &minus; von der maximalen Einatmung aus gemessen). Da die jeweilige Kraftanstrengung f&uuml;r mindestens 1 Sekunde gehalten werden muss, sind diese Werte bei ganz jungen Kindern oft sehr schwierig zu messen.<br /> Eine gute Alternative ist das <strong>Sniff-Nasal-Inspiratory-Pressure</strong>(SNIP)-Man&ouml;ver. Hierbei wird die dynamische inspiratorische Atemmuskelkraft gemessen. Diese Methode kann auch schon bei Kindern im Alter von drei bis vier Jahren zur Beurteilung der inspiratorischen Muskelkraft angewendet werden. Das rasche Aufziehen von Luft durch die Nase ist ein nat&uuml;rliches Man&ouml;ver, leicht erkl&auml;rbar und nicht zeitabh&auml;ngig.<br /> Die <strong>Polysomnografie</strong> ist eine weitere M&ouml;glichkeit zur Evaluation der respiratorischen Situation bei neuromuskul&auml;ren Erkrankungen. Dieses Verfahren ist nicht invasiv, mitarbeits- und altersunabh&auml;ngig. Hierbei k&ouml;nnen wichtige Informationen &uuml;ber die respiratorische Situation im Schlaf gewonnen werden.<br /> Zu den invasiven Tests zur Evaluation der respiratorischen Situation z&auml;hlt die Messung des <strong>transdiaphragmatischen Drucks</strong> (Pdi). Mithilfe von Druckmesssonden im Magen und im &Ouml;sophagus wird bei einem schnellen maximalen inspiratorischen Man&ouml;ver die Zwerchfellkraft bestimmt.<br /> Der <strong>Crying Pdi</strong> ist eine effektive Variante der transdiaphragmatischen Druckmessung, um bei S&auml;uglingen die Zwerchfellkraft zu bestimmen.</p> <h2>Weitere Tests mit invasiver Druckmessung</h2> <p>W&auml;hrend eines Hustman&ouml;vers wird &uuml;ber eine Druckmessung im Magen die exspiratorische Muskelkraft (<strong>Pgas cough</strong>) evaluiert. Zur Bestimmung der Ausdauer des Zwerchfells und der globalen inspiratorischen Ausdauer dient der <strong>Tension- Time Index</strong> des Diaphragmas bzw. der Speiser&ouml;hre. Die letztgenannten Parameter werden in der Regel im normalen Klinikalltag eher selten angewendet, da sie sehr aufwendig sind.</p> <h2>Empfehlungen zum klinischen Management</h2> <p>Aktuelle Empfehlungen zum weiteren Vorgehen nach der Evaluation enth&auml;lt Tabelle 1.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1901_Weblinks_jatros_pneumo_1901_s29_tab1_wagner.jpg" alt="" width="550" height="378" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Da Muskelschw&auml;che zu ineffektivem Husten und somit zu Sekretansammlungen f&uuml;hren kann, sind Kinder mit einer neuromuskul&auml;ren Erkrankung besonders f&uuml;r rezidivierende Pneumonien und Atelektasen pr&auml;disponiert, was zu einer verminderten Lungen-Compliance, erh&ouml;htem Atemwegswiderstand und gesteigerten ventilatorischen Anforderungen f&uuml;hrt. In weiterer Folge entwickelt sich eine respiratorische Insuffizienz, die sich &minus; beginnend in der Nacht &minus; bei Progression der Erkrankung auch tags&uuml;ber in einer Hypoventilation manifestiert.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
Back to top