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Ein Trauerspiel in Fortsetzungen
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Manfred Neuberger
Institut für Umwelthygiene<br> Medizinische Universität Wien<br> Web: www.aerzteinitiative.at
30
Min. Lesezeit
10.05.2018
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<p class="article-intro">Österreichs Parlament hat unlängst als einziges Land weltweit eine Verschlechterung des Nichtraucherschutzes beschlossen. Dies entspricht allerdings nicht den Wünschen der Bevölkerung, wie der breite Zulauf an Unterstützungswilligen für das Volksbegehren „Don’t smoke“ deutlich werden lässt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die in Tabelle 1 zusammengefassten Rückschläge beim Versuch, ein Tabakgesetz ähnlich jenen in unseren Nachbarstaaten, in Nord- und Westeuropa, in Nordamerika oder Australien zu entwickeln, fordern folgende Fragen heraus: Wer hat den Wahlkampf von Parteien finanziert, die sich danach für Interessen von Tabakindustrie und Trafikanten engagiert haben? Welche Politiker geben vor, „Raucherinteressen“ zu verteidigen, um ihre eigene Schwäche aus dem Bewusstsein zu verdrängen, und welche sind einfach korrupt? Welche Politiker waren skrupellos, um an die Macht zu kommen, und welche waren nur so einfältig, dass sie nicht merkten, wie sie von der Tabakindustrie gegängelt wurden?</p> <p>Österreich ist weltweit das einzige Land, in dem das Parlament eine Verschlechterung des Nichtraucherschutzes beschlossen hat. Internationale Studien haben nachgewiesen, dass die Tabakindustrie der einzige Verlierer bei Einführung einer rauchfreien Gastronomie wäre (Tab. 2).</p> <p>Die am 11. Dezember 2017 getroffene Koalitionsvereinbarung wurde als „Berliner Lösung“ bezeichnet, was ein Etikettenschwindel ist, weil weder die Raucherplatzabgabe noch das Rauchverbot auf Tanzflächen von Berlin übernommen wurde. Außerdem ist in Deutschland die Raucherquote in Berlin am höchsten und die Umsetzung des partiellen Rauchverbots stieß dort auf ähnliche Probleme wie in Österreich, während das Rauchverbot in allen Lokalen in Bayern, Nordrhein-Westfalen und im Saarland einfach zu überwachen war, als gerecht empfunden wurde und die Zustimmungsraten in der Bevölkerung ansteigen ließ.</p> <p>Scheinheilig war auch die von der österreichischen Regierung großspurig angekündigte „Verbesserung des Jugendschutzes“. Schon im März 2017 hatten zwar die dafür zuständigen Landesjugendreferenten auf Drängen der Ärzteinitiative und der Jugendanwaltschaften die Anhebung der Altersgrenze für Tabakkauf von 16 auf 18 Jahre beschlossen und wollten das bis Mitte 2018 in allen Bundesländern einführen, aber die Bundesregierung, die sich jetzt mit fremden Federn schmückt, hat die Einführung lediglich bis 2019 verzögert und bis heute nichts beigetragen (kein „mystery shopping“ zur Alterskontrolle durch eine unabhängige Stelle aus Mitteln der Tabaksteuer, keine Abschaffung der Zigarettenautomaten, deren elektronische Alterskontrolle nachweislich versagte). Das angekündigte Verbot des Zutritts zu Raucherräumen für Minderjährige wurde wieder zurückgenommen. Das Geschäft der Wirte mit Familien inklusive Kindern im Raucherbereich und mit Jugendlichen, die dort oft ihre erste Zigarette rauchen, war den Regierungsparteien wichtiger als der Jugendschutz. Auch die schon bisher weiche Bestimmung zum Schutz der Lehrlinge in der Gastronomie wird durch eine Kann-Bestimmung (mögliche Verordnung) kaum verbessert. Der Wirt hat keine Verpflichtung, minderjährige Gäste abzuweisen, und kann auch seine eigenen Kinder ungestraft im Raucherraum servieren lassen. Der Wirt entscheidet auch, welcher Raum als Raucherraum herangezogen wird („authentische Interpretation“ des §13a Abs 2, gegen das Urteil des VfGH). Das Feigenblatt „Jugendschutz“ besteht, nach dem am 22. März 2018 beschlossenen Gesetz, nur mehr aus einem Rauchverbot im privaten PKW beim Mitführen Minderjähriger, für das aber keine Kontrolle und keine Strafen vorgesehen sind. Die Polizei kann auch nicht wie in Italien Strafmandate verhängen, wenn sich Wirte und Gäste nicht an das Gesetz halten, sondern es wird weiterhin nur ineffiziente, zeit- und kostenaufwendige Verwaltungsstrafverfahren geben, bei denen ein Gast als Kläger auftreten muss, um dann als „Vernaderer“ gebrandmarkt und mit Lokalverbot belegt zu werden.</p> <p>Während bereits mehr als die Hälfte der EU-Länder keine Zigarettenautomaten mehr haben und Nachbarländer wie Ungarn die Zahl ihrer Tabakverkaufsstellen drastisch reduziert haben und keine Außenwerbung sowie keinen Zutritt für Minderjährige zulassen, gibt es solche Zutrittsverbote in Österreich nur für Spielhöllen und Solarien. Trafiken bieten Waren für Kinder an und dürfen sie der Tabakwerbung und dem Tabakrauch aussetzen. Bei jeder Einführung einer neuen Marke dürfen Trafikanten Gratiszigaretten verteilen. Neben 5784 „Tabakfachgeschäften“, die Kinder auch mit Kinderheften, Spielwaren, Softdrinks und Süßigkeiten anlocken, gibt es noch 2417 andere Geschäfte und Tankstellen sowie 933 Gaststätten, die Tabakwaren führen,<sup>1</sup> und etliche Lebensmittelmärkte, die neben Süßigkeiten für Tabak werben.</p> <p>70 % der österreichischen Bevölkerung haben sich heuer für die Beibehaltung der 2015 vom Parlament für 1. Mai 2018 beschlossenen rauchfreien Gastronomie ausgesprochen.<sup>2</sup> Vom 15. Februar bis 4. April 2018 wurden von der Österreichischen Ärztekammer Unterstützungserklärungen für das Volksbegehren „Don’t smoke“ (www.dontsmoke.at) gesammelt, das voraussichtlich in einer Woche im Oktober komplettiert werden wird. Demokratiepolitisch und gesundheitspolitisch ist zu hoffen, dass möglichst viele Menschen von ihrem Wahlrecht auf einem Gemeindeoder Bezirksamt Gebrauch machen oder von zu Hause per Mobiltelefon<sup>3</sup> oder Bürgerkarte. Auch in Bayern hatte die Regierung nach einem erfolgreichen Volksbegehren eingelenkt und einen Volksentscheid mittels Volksbefragung zugelassen, der zu einer rauchfreien Gastronomie führte, mit der heute alle zufrieden sind. Österreich muss versuchen, noch während seiner EU-Ratspräsidentschaft und vor der FCTC-Konferenz (COP8) im Oktober in Genf seine Rolle als „Aschenbecher Europas“ zu verlassen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1802_Weblinks_jatros_pneumo_1802_s39_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="2153" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1802_Weblinks_jatros_pneumo_1802_s40_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="1142" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> http://blogs.bmj.com/tc/2018/01/09/austrias-new-government- a-victory-for-the-tobacco-industry-and-publichealth- disaster <strong>2</strong> http://www.aerzteinitiative.at/UmfrageGfK18. pdf <strong>3</strong> http://www.bmi.gv.at/411/</p>
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</p>