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Durchbruch in der Immunonkologie
Jatros
30
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Die Immunonkologie erlebt mit der Erforschung von Immunsignalwegen und der Zulassung von Medikamenten, die in der Mikroumgebung eines Tumors wirken, einen wahren Höhenflug. Zahlreiche Studiendaten belegen außerdem die geringeren Nebenwirkungsraten im Vergleich mit der Standardchemotherapie. Allerdings gilt es noch zu klären, welche klinischen Prädiktoren und Biomarker den Therapieeffekt erhärten.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1604_Weblinks_Seite30.jpg" alt="" width="477" height="342" /></p> <p>Immunmodulatorische Wirkstoffe beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) werden bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten erforscht. „Wichtige Play­er in der Immunonkologie beim NSCLC sind die zytotoxische T-Zelle, der Hauptkämpfer im Angriff gegen Tumorzellen, und die dendritische Retikulumzelle, die Antigene präsentiert“, erläuterte Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, Zentrum für Onkologie und Hämatologie, 1. Medizinische Abteilung, Wilhelminenspital, Wien, im Rahmen des diesjährigen PneumoUpdates in Igls. Es gibt zahlreiche Immun-Checkpoints, die zwischen der Immunzelle (T-Zelle) und der Tumorzelle interagieren. Die Regulierung der T-Zell-Aktivierung erfolgt über aktivierende und inhibierende Checkpoint-Moleküle. Immun-Checkpoints limitieren eine dauerhafte Immunantwort und verhindern die Zerstörung von gesundem Gewebe. So hilft die negative Kostimulation (Koinhibition), Immunantworten hinunterzuregeln. Beispiele für koinhibitorische Checkpoint-Moleküle sind PD-1 („programmed cell death protein 1“), CTLA-4 („cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4“) und LAG-3 („lymphocyte-activation gene 3“). Die Amplitude und Qualität der T-Zellantwort werden durch eine Balance zwischen aktivierenden und inhibitorischen Signalen reguliert.<sup>1</sup></p> <h2>Fundamentaler Blockbuster</h2> <p>„Wir haben nicht nur erfolgversprechende Immuntherapiedaten beim Melanom, sondern auch beim NSCLC, beim Nierenzellkarzinom, bei Morbus Hodgkin sowie bei anderen hämatologischen Entitäten. So recht haben wir nicht daran geglaubt, dass es den einen, fundamentalen Blockbuster geben wird, der mit einem ähnlichen Mechanismus bei zahlreichen Entitäten zum Einsatz gebracht werden kann, aber offensichtlich ist damit doch ein Durchbruch in der Onkologie gelungen“, so Hilbe.<br /> <br /> Ein wichtiger Signalweg in der Mikroumgebung des Tumors ist PD-1, der die T-Zell-Aktivierung in der Peripherie während einer Immunreaktion kontrolliert. Ein anderer Signalweg führt über CTLA-4, welches die Amplitude der frühen Aktivierung von naiven und Memory-T-Zellen in den Lymphknoten reguliert. „Knapp vor der Zulassung stehen die Immun-Checkpoint-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab als PD-1-Inhibitoren in der Zweitlinie beim NSCLC. Das sind zwei neue Substanzklassen, die zur Verfügung stehen. Unter PD-1-Blockade konnte eine rasche Rückbildung des Lungentumors nachgewiesen werden“, berichtete Hilbe und setzte fort: „Zahlreiche weitere Wirkstoffe werden intensiv beforscht und bei verschiedenen Tumorentitäten zum Einsatz gebracht.“</p> <h2>Nivolumab</h2> <p>Die Studie CheckMate 017 verglich bei Patienten mit NSCLC im Stadium IIIb/IV (n=272) Nivolumab (3mg/kg i.v. alle zwei Wochen) mit Docetaxel (75mg/m<sup>2</sup> i.v. alle drei Wochen) in der Zweitlinie.<sup>2</sup> Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben („overall survival“, OS). „Bei einem Teil der Patienten wurde die PD-1-Expression untersucht, wobei über 50 % eine PD-1-Expression von ≥1 % zeigten“, so Hilbe. „Beim Plattenepithelkarzinom lag das OS im Vergleichsarm bei 6 Monaten, unter Nivolumab betrug dieses 9,2 Monate. Die Wahrscheinlichkeit, ein Jahr zu überleben, lag unter klassischer Chemotherapie bei 24 % , unter Nivolumab immerhin bei 42 % . Nach 18 Monaten lag das OS bei 28 % unter Nivolumab vs. 13 % unter Docetaxel“, erläuterte Hilbe und betonte: „Das ist ein klinisch relevanter Unterschied für die Patienten.“ Auch beim progressionsfreien Überleben (PFS) zeigte sich ein Vorteil zugunsten von Nivolumab.<br /> <br /> Hilbe weiter: „Bei diesen Therapien treten zwei unterschiedliche Nebenwirkungsprofile und Toxizitäten aufgrund der unterschiedlichen Wirkungskonzepte auf: In der Gesamtereignisrate sehen wir Grad-III/IV-Nebenwirkungen bei 8 % der Patienten unter Nivolumab vs. 56 % der Patienten unter Docetaxel.“ Häufig ist mit Chemotherapie die Hämatotoxizität assoziiert, welche zu lebensbedrohlichen Nebenwirkungen führen kann. Eine wichtige Nebenwirkung der Chemotherapie ist auch die Neuropathie. Hilbe: „Unter einem PD-1-Inhibitor tritt keine Neuropathie auf, was für den Patienten ein relevanter Vorteil ist.“<br /> <br /> In der Studie CheckMate 017 verbesserte sich unter Nivolumab die Lebensqualität der Patienten deutlich, zudem konnte auch eine eindeutige Verbesserung in der radiologischen Bildgebung nachgewiesen werden.<br /> Die Studie CheckMate 057 war gleich aufgebaut wie CheckMate 017, eingeschlossen waren Patienten mit Nichtplattenepithelkarzinom-NSCLC, im Stadium III/IV (n=582).<sup>3</sup> Bei 78 % der Patienten konnte eine PD-1-Expression dargestellt werden. Das OS in der zweiten Behandlungslinie betrug unter Nivolumab 12,2 Monate (vs. 9,4 Monate unter Docetaxel). Das Ein-Jahres-Überleben lag bei 51 vs. 39 % zugunsten von Nivolumab. Unter Nivolumab traten deutlich weniger Nebenwirkungen vom Grad III/IV auf (10 vs. 54 % unter Docetaxel).<br /> <br /> Wohin geht der Weg? Hilbe: „In laufenden Studien wird die Immuntherapie beim Plattenepithelkarzinom mit Chemotherapie kombiniert oder zwei Immunregulatoren werden gemeinsam eingesetzt.“ Derzeit befinden sich diese Studien in Phase II bzw. III.</p> <h2>PD-1 als Biomarker?</h2> <p>„Der Einsatz von PD-1 als Biomarker scheint zunächst logisch: Wir produzieren einen Antikörper, der spezifisch gegen einen Rezeptor gerichtet ist. Der Nachweis desselben erscheint als idealer Biomarker. Das Problem dahinter ist, dass das Therapieansprechen im Zielorgan nicht unbedingt vom PD-1-Status abhängt: Es gibt PD-1-positive Patienten, die nicht ansprechen, und PD-1-negative Patienten, die ansprechen. Das Gleiche gilt auch bei unbekanntem PD-1-Status“, so Hilbe. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Dauer des Ansprechens („duration of response“): Dieses kann auch bei PD-1-negativen Patienten durchaus lang anhalten. Zudem entwickeln Pharmafirmen unterschiedliche Antikörper mit unterschiedlichen Cut-off-Werten, was wiederum für jede PD-Therapie einen eigenen Biomarker erforderlich machen würde.<sup>4</sup><br /> <br /> So zeigte CheckMate 057, dass das Ansprechen desto besser war, je stärker die PD-L1-Expression war.<sup>3</sup> Bei CheckMate 017 war dies nicht so deutlich: Der Überlebensvorteil unter Nivolumab war unabhängig von der PD-1-Expression.<sup>2</sup><br /> „Die PD-1-Expression ist ein funktioneller Status zu einem bestimmten Zeitpunkt, es ist daher nicht leicht, die Cut-off-Werte zu definieren“, gibt Hilbe zu bedenken. „Je mutagener ein Tumor ist, desto stärker kann er immunogen wirken, desto mehr Antigene bildet er. Derzeit gibt es daher noch keinen Zulassungstext, der die Therapie an einen Biomarker bindet, weil es noch keine Meinung von pathologischen Gremien bzw. der European Medicines Agency, EMA, dazu gibt.“</p> <h2>Pembrolizumab</h2> <p>Die Studien KEYNOTE-001 und KEYNOTE-010 (Zulassungsstudie) mit Pembrolizumab vs. Docetaxel bei Patienten mit NSCLC zeigten: Je höher die PD-L1-Expression war, desto länger war das OS, und desto länger war auch das PFS (jeweils länger als bei der Kontrollgruppe unter Docetaxel).<sup>5, 6</sup> Immunvermittelte Toxizität tritt zwar auf (Hyper-/Hypothyreoidose, Pneumonitis, Kolitis, schwere Hautreaktionen etc.), ist jedoch auf 2–3 % der Patienten beschränkt (Ausnahme: Hypothyreoidose bei 8 % , sie ist jedoch gut behandelbar).</p> <h2>NCCN-Empfehlungen</h2> <p>Das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) 2016 empfiehlt beim Plattenepithelkarzinom-NSCLC in der Zweitlinie (Immuntherapie als Standard­option):</p> <ul> <li>Performancestatus (PS) 0–2: vorzugsweise systemische Immun-Checkpoint-Inhibitoren (Nivolumab oder Pembrolizumab) oder eine andere systemische Therapie (Docetaxel oder Gemcitabin oder Ramucirumab + Docetaxel)</li> <li>PS 3–4: „best supportive care“ (siehe NCCN-Leitlinien für palliative Behandlung).</li> </ul> <p>Beim Nichtplattenepithelkarzinom-NSCLC in der Zweitlinie gibt es seitens des NCCN keine spezifischen Empfehlungen, dafür verschiedene Optionen:</p> <ul> <li>PS 0–2: vorzugsweise systemische Immun-Checkpoint-Inhibitoren (Nivolumab oder Pembrolizumab) oder eine andere systemische Therapie (Docetaxel oder Pemetrexed oder Erlotinib oder Gemcitabin oder Ramucirumab + Docetaxel)</li> <li>PS 3–4: Erlotinib oder Afatinib oder Gefitinib oder Crizotinib (wenn nicht bereits verab­reicht) oder „best supportive care“ (siehe NCCN-Leitlinien für palliative Behandlung).</li> </ul> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die Immuntherapie beim NSCLC wird mittlerweile als wirksame Therapie­option bei Lungenkarzinom angesehen. Hilbe: „Im Vergleich zu einer klassischen Chemotherapie in der zweiten Behandlungslinie bieten diese neuen Substanzklassen eine verbesserte Wirksamkeit, führen zu einer geringeren Nebenwirkungsrate und besseren Lebensqualität und sind damit zu einer neuen Behandlungssäule geworden. Wir müssen unser ganzes Engagement daran setzen, über die Definition von klinischen Prädiktoren und Biomarkern die Wirksamkeit dieser Therapien richtig einzustufen.“</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Pardoll DM: Net Rev Cancer 2012; 12(4): 252-64 <br /><strong>2</strong> Spigel DR et al: J Clin Oncol 2015; 33(suppl; abstr 8009) <br /><strong>3</strong> Borghaei H et al., N Engl J Med 2015; 373(17): 1627-39 <br /><strong>4</strong> Sholl LM: Arch Pathol Lab Med 2015; 139(4): 469-80 <br /><strong>5</strong> Garon EB et al: N Engl J Med 2015; 372(21): 2018-28 <br /><strong>6</strong> Herbst RS et al: Lancet 2016; 387(10027): 1540-50</p>
</div>
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