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Der Thoraxschmerz aus Sicht der Osteopathie

<p class="article-intro">Osteopathische Medizin ergänzt und erweitert das etablierte Medizinsystem im Kontext einer integrierten Patientenversorgung, die sowohl evidenzbasiert als auch patientenzentriert arbeitet. Sie beinhaltet insbesondere eine umfassende manuelle Untersuchung, Diagnostik, Therapie und Prävention von Funktionsstörungen – somatischen Dysfunktionen – im muskuloskelettalen System (parietal), den viszeralen Organen (viszeral) und dem peripheren und zentralen Nervensystem (kraniosakral). </p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Interdisziplin&auml;res Netzwerk</h2> <p>Im Verst&auml;ndnis ganzheitlicher Schmerz&shy;medizin ist es unabdingbar, den Thoraxschmerz im interdisziplin&auml;ren Netzwerk in enger Abstimmung mit Fachkollegen aus den Gebieten innere Medizin/Kardiologie, Pulmologie, Allgemeinmedizin, Neurologie, Rheumatologie und bei Bedarf auch Herz-/Thoraxchirurgie und Wirbels&auml;ulenchirurgie zu diagnostizieren und zu behandeln. Gerade im niedergelassenen Bereich bedarf es des Aufbaus eines suffizienten Facharztnetzwerkes, um f&uuml;r gr&ouml;&szlig;tm&ouml;gliche Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit zu sorgen.</p> <h2>Grundlagen</h2> <p>In den Hinterhorn-Laminae des R&uuml;ckenmarkes kommt es bei Afferenzen aus der Peripherie (C-Fasern, A-beta- und A-delta-Fasern) zu einer Konvergenz von Neuronen aus verschiedenen Organen sowie aus mehreren R&uuml;ckenmarksegmenten. Hierbei spielen sog. &bdquo;Wide dynamic range&ldquo;(WDR)-Neurone eine wesentliche Rolle. Durch r&auml;umliche und zeitliche Summation kann es zudem zu einer verst&auml;rkten afferenten Weiterleitung im ZNS kommen (EPSP &ndash; exzitatorische postsynaptische Potenziale). Weiters kommt es auch zu einer Verschaltung auf efferente Fasern (Alpha-Motoneurone und autonom sympathische Neurone). Diese f&uuml;hren zu typischen Gewebsver&auml;nderungen, welche in der osteopathischen Medizin als somatische Dysfunktion beschrieben werden: TART (&bdquo;Tissue texture change &ndash; asymmetry &ndash; restriction &ndash; tenderness&ldquo;). <br />Beim Thoraxschmerz spielen diese afferent-efferenten Regelkreise viszerosomatisch und somatoviszeral eine wesentliche Rolle. So kann es z.B. durch eine l&auml;ngerfristige Pathologie am Herzen zu einem segmentalen Hypertonus der tiefen kurzen WS-Muskulatur und Dysfunktion des 2.&ndash;4. BWK kommen. Dieses Ph&auml;nomen wird &bdquo;Fazilitation&ldquo; genannt und dient in der Osteopathie zur Diagnostik und Behandlung von Dysfunktionen. <br />In der Diagnostik ist es von Bedeutung, kardiale und vertebragene Erkrankungen, ggf. durch interdisziplin&auml;re Zusammenarbeit, zu erkennen und zu bewerten, um inad&auml;quate invasive Diagnostik oder insuffiziente manuelle Behandlung zu vermeiden.</p> <h2>Thoraxschmerz</h2> <p>In der physikalisch-osteopathischen Facharztpraxis werden Patienten meist mit subakutem bis chronischem Thoraxschmerz vorstellig, akute Symptomatiken sind die Ausnahme. <br />Die von den Patienten ge&auml;u&szlig;erten Beschwerden reichen von einem stechenden &uuml;ber ziehenden, brennenden bis dr&uuml;ckenden Schmerz, welcher dauerhaft oder nur gelegentlich auftritt und teilweise bewegungs- oder atemabh&auml;ngig ist. Der Schmerz ist im Bereich des Sternums, der Synchondrose der Rippen, entlang der Rippen sowie der Rippenzwischenr&auml;ume und der BWS lokalisiert. Begleitsymptomatiken wie Unwohlsein, vermehrtes Schwitzen, Blutdruckerh&ouml;hung, erh&ouml;hter Ruhepuls und Atemnot werden h&auml;ufig ge&auml;u&szlig;ert.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Zu unterscheiden ist, ob der Patient beim &auml;rztlichen Osteopathen prim&auml;r zur Vorstellung kommt oder ob er von einem Kollegen, z.B. vom Kardiologen, &uuml;berwiesen wurde. <br />Bei &Uuml;berweisung sollten zuerst s&auml;mtliche vorliegenden medizinischen Befunde gesichtet werden. Eventuell wurde bereits im Vorfeld mit dem Fachkollegen Kontakt aufgenommen und der Fall interdisziplin&auml;r er&ouml;rtert. In diesem Fall kann gleich mit der osteopathischen Diagnostik einschlie&szlig;lich einer ausf&uuml;hrlichen Schmerzanamnese begonnen werden. Kommt der Patient jedoch ohne vorhergehende fach&auml;rztliche Abkl&auml;rung, so richtet sich die Anamnese zuerst auf Symptomatiken des Herzens, der Gef&auml;&szlig;e und der Lunge sowie auf Medikamenten- und Familienanamnese. Daran schlie&szlig;t sich eine orientierende Untersuchung des Herzens, der Gef&auml;&szlig;e und der Lunge sowie ein 12-Kanal-Ruhe-EKG. Sollten hierbei Auff&auml;lligkeiten bestehen, wird der Patient zum entsprechenden Facharztkollegen oder Allgemeinmediziner zur weiteren Abkl&auml;rung &uuml;berwiesen. <br />Bei unauff&auml;lligem Befund erfolgt nun eine Untersuchung der gesamten Wirbels&auml;ule und der Extremit&auml;ten. Hier ist insbesondere auf Fehlhaltungen, Bewegungseinschr&auml;nkungen und Angabe von Schmerz zu achten. In Bezug auf den Bewegungsapparat sollten insbesondere Hinweise auf Wirbelk&ouml;rpereinbr&uuml;che, rheumatische Erkrankungen, oss&auml;re Metastasierungen oder Prim&auml;rtumoren genauestens erfasst werden. Anschlie&szlig;end erfolgt noch eine neurologische Untersuchung, v.a. gilt es, eine Myelopathie oder radikul&auml;re Symptomatiken thorakal auszuschlie&szlig;en. <br />Wenn dieser &bdquo;allgemeine&ldquo; Teil der Untersuchung abgeschlossen ist, erfolgt eine ausf&uuml;hrliche manuelle osteopathische Diagnostik von somatischen Dysfunktionen nach den TART-Kriterien an der Brustwirbels&auml;ule (&bdquo;Blockierungen&ldquo;), den Kostotransversalgelenken (CTG), dem Sternum mit den Synchondrosen, der Interkostalmuskulatur und der R&uuml;ckenmuskulatur. Danach erfolgt die viszeral-osteopathische Untersuchung (nach denselben Kriterien wie parietal-thorakal) von Herz, Lunge, Mediastinum, Zwerchfell, Magen, Leber und ggf. auch Nieren, D&uuml;nn- und Dickdarm. <br />Die gesamten erhobenen Befunde ergeben nun in Zusammenschau mit der Anamnese ein Bild der Schmerzursache. Die Diagnostik wird in den meisten F&auml;llen durch ein konventionelles R&ouml;ntgen der BWS in 2 Ebenen im Stehen erg&auml;nzt. Eine weiterf&uuml;hrende Bildgebung mittels CT/MRT ist nur in Ausnahmef&auml;llen bei konkretem Verdacht auf intraoss&auml;re oder neurologische Symptomatiken notwendig. Gegebenenfalls erfolgt auch eine Blutabnahme. <br />Osteopathisch finden sich h&auml;ufig Hypomobilit&auml;ten TH2&ndash;4 in Steilstellung und eine verminderte Kyphose mit CTG-Dysfunktionen der entsprechenden Rippen auf der schmerzdominanten Seite. Dabei kommt es auch meist zu einem Druckschmerz an der zugeh&ouml;rigen Synchondrose. Sind Dysfunktionen Th4&ndash;6 zu finden, zeigen sich auch fast immer schmerzhafte viszerale Dysfunktionen in Epigastrium/Magen/Leber. Bei Patienten nach kardialen/mediastinalen Operationen kann eine erh&ouml;hte Spannung der mediastinalen Strukturen diagnostiziert werden und ggf. dabei der Schmerz unmittelbar ausgel&ouml;st werden. <br />Auch auf Ver&auml;nderungen der Haut (Schwitzen, Unreinheit) wird genauestens geachtet. Entsprechende Reflexzonen nach Jarricot geben Hinweise auf St&ouml;rungen innerer Organe, ebenso Chapman-Reflexpunkte, welche thorakal-ventral, nahe am Sternum in den Interkostalr&auml;umen, aufgefunden werden. <br />Abschlie&szlig;end werden die erhobenen Befunde mit dem Patienten ausf&uuml;hrlich besprochen und das weitere Behandlungsregime wird festgelegt. In Summe sind f&uuml;r die gesamte Diagnostik min&shy;des&shy;tens 45 Minuten einzuplanen. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1603_Weblinks_Seite32.jpg" alt="" width="687" height="966" /></p> <h2>Osteopathische Therapie</h2> <p>Der Umfang und die H&auml;ufigkeit der Behandlung richten sich nach der Schwere der Befunde, der Dauer der Symptomatik und dem individuellen Ansprechen des Patienten auf die Behandlung. Erfahrungsgem&auml;&szlig; sind 3 Behandlungen &agrave; 45 Minuten im Abstand von 1 Woche und 3 weitere Behandlungen alle 3&ndash;4 Wochen sinnvoll. Zudem erh&auml;lt der Patient ein individuelles Eigen&uuml;bungsprogramm, v.a. zur Mobilisation der BWS, sowie eine Anleitung zur ad&auml;quaten WS-Haltung. Bei Bedarf werden physikalische Therapien, wie z.B. myofasziale Sto&szlig;welle, Elektrotherapie, W&auml;rmeanwendungen sowie Neuraltherapie o.&Auml;., verordnet. <br />Die osteopathische Medizin bietet eine Vielzahl an verschiedenen Behandlungstechniken, von manipulativer HVLA (&bdquo;high velocity low amplitude&ldquo;) &uuml;ber MFR (&bdquo;myofascial release&ldquo;), MET (Muskelenergietechniken), BLT (&bdquo;balanced ligamentous tension&ldquo;) bis zu sanften Techniken im Viscerum, den Gef&auml;&szlig;en und Nerven. Eine umfangreiche Ausbildung erm&ouml;glicht es dem Osteopathen, die einzelnen Techniken dem Patienten anzupassen und ein bestm&ouml;gliches Behandlungsergebnis zu erzielen. <br />Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine rasche Besserung bei prim&auml;rer Behandlung der BWS mit myofaszialen und manipulativen Techniken zu erzielen ist. Anschlie&szlig;end werden die CTG behandelt. Weiters erfolgt die Behandlung dysfunktioneller innerer Organe und des Zwerchfells. Abschlie&szlig;end werden noch detonisierende myofasziale Techniken und Techniken zur Behandlung des thorakalen Sympathikus angewendet. Bei sehr irritierbaren, schmerzgeplagten Patienten muss in den ersten Sitzungen oft auf manipulative Techniken g&auml;nzlich verzichtet werden. <br />Dieser Behandlungsablauf hat sich in den letzten Jahren bei vielen Thoraxschmerzpatienten bew&auml;hrt. Der Behandlungsablauf und die verwendeten Techniken unterscheiden sich jedoch von Therapeut zu Therapeut entsprechend der individuellen Ausbildung und Erfahrung. Wichtig ist, dass der Patient ein ad&auml;&shy;qua&shy;tes Eigen&uuml;bungsprogramm selbstst&auml;ndig langfristig durchf&uuml;hrt, um Rezidive zu vermeiden. <br />Eine regelm&auml;&szlig;ige, dauerhafte Behandlung &uuml;ber einen l&auml;ngeren Zeitraum ist nur in Ausnahmef&auml;llen notwendig. Eine &bdquo;Abh&auml;ngigkeit&ldquo; des Patienten von &bdquo;seinem&ldquo; Osteopathen ist unbedingt zu vermeiden. Osteopathische Behandlungsserien im Intervall, nach entsprechenden Pausen der Behandlung mit Eigenmanagement durch den Patienten, sind bei chronischen Beschwerden einer regelm&auml;&szlig;igen Dauerbehandlung vorzuziehen.</p></p>
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