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Das „schwierige“ Tracheostoma
Jatros
Autor:
Gabriele Iberl
Atmungstherapeutin DGP<br>Thoraxklinik<br>Universitätsklinikum Heidelberg<br>E-Mail: gabriele.iberl@med.uni-heidelberg.de
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Die Tracheostomie und die eventuell anschließende außerklinische Versorgung von Patienten mit einer Trachealkanüle erfolgen zur Sicherung des Atemwegs, z.B. bei fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren, aber auch als Folge eines Weaningversagens oder bei elektiver Anlage bei progredienten neuromuskulären Erkrankungen mit schwerer ventilatorischer Insuffizienz. Zur elektiven Anlage führen hier meist schwerwiegende Sekretretention und/oder chronische Aspiration.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der direkte Zugang zu den Atemwegen verbessert die Möglichkeiten zur bronchialen Reinigung, z.B. durch endotracheale Absaugung oder den Einsatz von mechanischen Insufflatoren/Exsufflatoren (MI-E), und stellt einen sicheren Beatmungszugang dar. Eine Trachealkanüle ist aber zugleich ein störender Fremdkörper. Zu den bekannten unerwünschten Langzeiteffekten einer Tracheostomie zählen insbesondere Schluckstörungen, das Unvermögen zu sprechen, tracheale Granulome und Tracheomalazie.<sup>1, 2</sup> Auch lebensbedrohliche Blutungen kommen vor.</p> <h2>Kanülenauswahl</h2> <p>Für viele Patienten findet sich in der großen Auswahl der verfügbaren Standardkanülen verschiedener Hersteller eine passende Kanüle (bronchoskopische Lagekontrolle: freie Lage in der Trachea, ausreichender Abstand zur Bifurkation) als zentrales Element der Atmung, Beatmungs- und Atemtherapie und der Lebensqualität.<br />Allgemeine Kanüleneigenschaften:</p> <ul> <li>Material: weiches PVC (Polyvinylchlorid) + Edelstahlspirale; semiflexibles PVC: thermosensibel; Polyurethan: thermosensibel, Silikon, Silber, metallfreie Kanülen für MRT/Radiatio</li> <li>feste oder variable Länge (auch proximale bzw. distale Verlängerung möglich)</li> <li>mit oder ohne Cuff (Größe, Material, Art)</li> <li>mit oder ohne Fensterung bzw. Siebung</li> <li>mit oder ohne Innenkanüle (Seele)</li> <li>mit oder ohne subglottische Absaugung</li> <li>Biegewinkel (90–110°, 120° bei Kindern)</li> <li>Schild: beweglich oder fest; Kanülenflügel: beweglich oder fest; bzw. Individualanfertigung</li> </ul> <h2>Anforderungen an die Trachealkanüle</h2> <p>Eine für die außerklinische Versorgung vorgesehene Trachealkanüle muss eine gute Atemqualität (spontan/unter Beatmung) und ein effizientes Sekretmanagement (Husten, endotracheales Absaugen, MI-E) sicherstellen und darf keine Schmerzen verursachen.<br />Falls ursächlich möglich, sollten die Sprechfähigkeit und Schluckfähigkeit erhalten bleiben. Der außerklinische Wechsel einer Trachealkanüle muss gefahrlos möglich sein.</p> <h2>Komplikationen beim Kanülenwechsel</h2> <p>Blutung, Verlust des Atemwegs und Via falsa sind die häufigsten Ursachen für Tracheotomie-assoziierte Todesfälle.<sup>3</sup><br /><strong>Kulissenphänomen</strong></p> <p>Der erste und/oder schwierige Kanülenwechsel nach einer Tracheostomie sollte in Seldinger-Technik über eine Führungsschiene (z.B. Absaugkatheter, gekürzt) erfolgen, um dem Risiko des „Kulissenphänomens“ vorzubeugen.<sup>4</sup> Dabei können sich Schilddrüse, Muskel oder Fettgewebe über den Tracheostomakanal legen und diesen im schlimmsten Fall verschließen. Unter Umständen kann das Kulissenphänomen aber auch im späteren Verlauf, z.B. durch akzidentelle Dekanülierung, auftreten und bei Rekanülierung zu schweren Komplikationen, wie z.B. Pneumothorax, Pneumomedia­stinum, subkutanem Emphysem, führen.<sup>5</sup><br />Im Equipment tracheotomierter Patienten müssen daher Trachealspreizer vorgehalten werden, um im Notfall das Tracheostoma wiedereröffnen zu können.<br /><strong>Tracheobronchiale Instabilität</strong></p> <p>Eine tracheobronchiale Instabilität verursacht, dass sich während der (forcierten) Ausatmung die elastische Hinterwand der Trachea (Pars membranacea) unphysiologisch eng bis hin zum totalen Kollaps an die Knorpelspangen anlegen kann. Die Kanüle sollte beim Wechsel daher während der Inspiration eingelegt werden bzw. sollte man bei Zwischenatmung innehalten bis zur nächsten Inspiration, um Verletzungen zu vermeiden. Das „Eindrehen“ der Kanüle von lateral nach dorsal-kaudal vermindert zudem das Touchieren der trachealen Hinterwand.<br />Auch die endotracheale Sekretabsaugung sollte während der Inspiration durchgeführt werden, damit sich der Katheter nicht an der Bronchialschleimhaut ansaugt.<br />Eine einfach durchzuführende digitale Palpation des Tracheostomas beim Kanülenwechsel unter Verwendung von wasserlöslichen Gleitmitteln oder Lokalanästhetika (z.B. Xylocain® Gel 2 % ) kann unter anderem Hinweise auf verletzte Knorpelspangen, Stomaverlauf und Engstellen im Stoma geben und ermöglicht deren schonende Dilatation. Während der vorübergehenden Dekanülierung werden die Sprechfähigkeit, Hustenstoß- und Kehlkopfbeweglichkeit therapeutisch überprüft.</p> <h2>Granulationsgewebe und ödematöse Schwellungen</h2> <p>Einige Patienten entwickeln nach längerer Tracheostomie vor allem oberhalb des Tracheostomas an der ventralen Wand Granulationsgewebe und/oder ödematöse Schwellungen. Dies kann zu einer Obs­truktion führen, die einer endgültigen Dekanülierung entgegensteht. Mithilfe von Platzhaltern, z.B. Primasafe®, kann das Gewebe zusammengepresst und das tracheale Lumen wieder erweitert werden.<sup>6</sup> Der Luftstrom der physiologischen Atmung und abschwellende Inhalationen, z.B. von Epinephrin®, können wirksam sein. Ansonsten gibt es die Möglichkeit der Entfernung des Gewebes, z.B. durch Argonplasmakoagulation, oder der Anlage eines Silikon-Stents (z.B. Dumon®, Leufen Medical), um das Lumen wieder zu eröffnen.</p> <h2>Präventionsmaßnahmen nach Tracheostomie</h2> <p>Einige gravierende Folgeschäden am Tracheostoma, wie z.B. Ausweitung des Tracheostomas, Druckstellen oder Verletzungen der Schleimhaut, können durch achtsame Pflege und Krankenbeobachtung häufig vermieden werden.<br />Dazu gehören die korrekte Fixierung des Kanülenbands und Beatmungsschlauchs bei Bedarf sowie die Kontrolle der Kanülenlage (besonders bei flunschbaren Kanülen). Die sorgfältige Justierung beweglicher Kanülenflügel optimiert z.B. die Kanülenlage, indem sich der Druck auf den oberen Trachealrand vermindern lässt und so einer Ausdehnung des Tracheostomas vorbeugt.</p> <h2>Ausgedehntes Tracheostoma</h2> <p>Ungünstige Zugkräfte und Hebelwirkungen begünstigen die Ausdehnung des Tracheostomas („Wanderstoma“). Die entstehenden Undichtigkeiten fördern Wundheilungsstörungen (feuchte Kammer). Hustenstoß- und Sprechfähigkeit sind bei entblockter Kanüle vermindert. Dauerhaft beatmete Patienten können zum Sprechen nicht mehr sicher „entblockt“ werden, da ansonsten zu viel Luft während der Inspiration aus dem Tracheostoma entweicht. Die Luft fließt nicht mehr ausreichend entlang der Stimmbänder und die Beatmung wird bei entblockter Kanüle zunehmend insuffizient. Ein zusätzliches Problem ist die Austrocknung der Schleimhäute, bedingt durch die hohen Luftflüsse aufgrund der Leckagekompensation der Heimbeatmungsgeräte in den druckgesteuerten Beatmungsmodi. Hier werden im Bedarfsfall individualisierte Kanülen bzw. Tracheostoma-Epithesen (Silikon in verschiedenen Härtegraden) eingesetzt.</p> <h2>Kanülenspezifische Probleme bei anatomischen Abnormitäten</h2> <p>Bei anatomischen Abnormitäten kann es bereits unmittelbar nach der Anlage des Tracheostomas und später außerklinisch zu schweren kanülenspezifischen Problemen kommen. Ein Beispiel dafür ist die Kyphoskoliose mit erheblicher Verziehung der Trachea sowie verkürztem Abstand von Sternum und Brustwirbelsäule. Bereits früh nach der Tracheostomie kann eine unpassende Kanüle Schmerzen, Hypersalivation sowie Druckstellen am Tracheostoma und in der Trachea verursachen. Mögliche, häufig lageabhängige, gravierende Folgen sind eine verringerte Beatmungsqualität und erschwertes Sekretmanagement, z.B. durch bronchialen Kollaps. Auch initial passende Kanülen erweisen sich in der Langzeitversorgung unter Umständen als problematisch.</p> <h2>Können Voruntersuchungen absehbare Probleme verhindern?</h2> <p>Bei absehbaren Problemen geben Voruntersuchungen wie Bronchoskopie, Röntgen oder (Low-Dose-)Computertomografie Hinweise auf die erforderlichen Kanüleneigenschaften. Aufgrund der dynamischen Prozesse z.B. beim Wechsel der Körperposition oder Husten können jedoch meist nicht alle Aspekte erfasst werden. Die Vorhaltung bzw. Vorabherstellung individueller Kanülen ist deshalb wenig sinnvoll. Bei Problemen sollte das behandelnde Krankenhaus aber die Notwendigkeit der weiteren Kanülenanpassung im Überleitprozess deutlich formulieren. Die Entlassung in die Häuslichkeit erfolgt bei „schwierigem Tracheostoma“ häufig vorläufig mit dem Provisorium einer Standardkanüle. Dieses darf allerdings nicht zu Schäden führen. Ein gewissenhaftes Entlassungsmanagement und eine sorgfältige Schulung des übernehmenden Pflegeteams sind unabdingbar. Infolgedessen sollten nach der Entlassung das Pflegeteam, Versorger und Fachklinik in engem Kontakt zueinander stehen.<br />Außerklinisch evaluiert das Pflegeteam in Zusammenarbeit mit den Therapeuten die funktionellen Probleme. Im weiteren Verlauf und in der ambulanten Weiterbetreuung durch das Fachzentrum können mithilfe des Fachhandels individuelle Kanülen angefertigt werden und auch bei schwierigen anatomischen Verhältnissen zu guten Ergebnissen führen.</p> <h2>Weiterentwicklung der Diagnostik</h2> <p>Während die 3-D-Technologie zur etablierten Fertigung individueller Tracheostoma-Epithesen vor allem dem Ausgleich von Langzeitschäden (Ausdehnung des Tracheostomas, Wanderstoma) dient, gibt es Hinweise darauf, dass z.B. die Möglichkeit einer verbesserten Darstellung mithilfe HR-CT-Scan und Anfertigung von Stereolithografien zur Herstellung optimierter personifizierter Kanülen verwendet werden kann.<sup>7</sup></p> <h2>Fallbeispiel</h2> <p>Eine 52-jährige Patientin mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) erhält nach langjähriger nicht invasiver Beatmung (NIV) eine elektive Tracheotomie bei Verschlechterung der Ventilation und des Sekretmanagements. Im CT zeigt sich eine Kyphoskoliose mit erheblicher Verziehung der Trachea sowie verkürztem Abstand von Sternum und Brustwirbelsäule (Abb. 1, Abb. 2). Da die eingesetzte Standardkanüle der Patientin Probleme beim Sitzen bereitet (Abb. 3), wird in weiterer Folge ein Wechsel auf eine personalisierte Silikonkanüle vorgenommen (Abb. 4).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1803_Weblinks_s24_1.jpg" alt="" width="1417" height="744" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1803_Weblinks_s24_2.jpg" alt="" width="1411" height="820" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>Eine passgenaue Kanüle ist der „Dreh- und Angelpunkt“ für die Lebensqualität eines tracheostomierten, chronisch kranken und später außerklinisch versorgten Patienten. Um die Kanülenanpassung zu optimieren, wäre für die Betroffenen die Weiterentwicklung der Diagnostik wünschenswert.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Law JH et al.: Increased frequency of obstructive airway abnormalities with long-term tracheostomy. Chest 1993; 104: 136-8 <strong>2</strong> Sue RD, Susanto I: Long-term complications of artificial airways. Clin Chest Med 2003; 24: 457-71 <strong>3</strong> Klemm E, Nowak AK: Tracheotomy-releated deaths. Deutsches Ärzteblatt 2017; 4: 273-279 <strong>4</strong> Hess DR, Altobelli NP: Tracheostomy tubes. Respir Care 2014; 6: 956-971 <strong>5</strong> Saeed S et al.: Tracheostomy exchange resulting in rare combination of pneumomediastinum, pneumothorax, massive pneumoperitoneum, and subcutaneous emphysema. Cureus 2017; 7: e 1489 <strong>6</strong> Köhler D et al.: Pneumologie, ein Leitfaden für rationales Handeln in Klinik und Praxis. Stuttgart: Thieme-Verlag, 2014. 389 <strong>7</strong> West AJ et al.: Innovation in respiratory therapy and the use of three-dimensional printing for tracheostomy management. Can J Respir Ther 2015; 51: 69-71</p>
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