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Allergien individuell behandeln
Jatros
30
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14.07.2016
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<p class="article-intro">Endlich gibt es zusehends auch Biologika-Therapien gegen allergische Erkankungen, womit gestörte Signalwege gezielt unterbrochen werden können. Nachfolgend präsentieren wir Ihnen dazu einige Highlights vom Kongress der European Academy of Allergy and Clinical Immunology in Wien.</p>
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<p class="article-content"><p>Mehr als 7.400 Ärzte und Forscher trafen einander Anfang Juni in Wien beim Allergiekongress der EAACI. „Wir europäische Allergologen können stolz sein“, sagte Priv.-Doz. Dr. Stefan Wöhrl, Allergologe am Floridsdorfer Allergiezentrum. „Der EAACI ist inzwischen wichtiger als der große amerikanische Allergiekongress.“ <br />Eines der interessantesten Themen, die diskutiert wurden, betraf die personalisierte Medizin: Krankheiten werden schon seit Längerem erfolgreich mit gezielten Tests und „personalisierten“ Medikamenten behandelt, die in gestörte Stoffwechselwege eingreifen, zum Beispiel diverse Krebsarten oder Psoriasis. „Bei allergischen Krankheiten haben wir jetzt endlich auch mehr solcher Tests und Medikamente“, berichtete Wöhrl. <br />Mithilfe der komponentenbasierten Dia­­gnostik („component resolved diagnosis“, CRD) können Allergologen inzwischen bestimmen, gegen welche Allergene jemand sensibilisiert ist. „Damit können wir zum Beispiel sagen, ob eine Immuntherapie Erfolg haben wird oder wie schlimm eine mögliche allergische Reaktion wird“, sagte Prof. Dr. Heimo Breiteneder, Allergieforscher an der MedUni Wien. So lösen die Haselnuss-Allergene Cor a1 oder 2 meist nur ein Kribbeln oder ein pelziges Gefühl auf der Zunge aus, und Cor a9 oder 11 eine heftigere Reaktion mit Atemnot. Patienten mit milder Allergie vertragen noch kleine Mengen Haselnüsse, während bei jenen mit der schweren Form schon geringe Spuren einen lebensbedrohlichen Schock auslösen können und sie Haselnüsse strikt vermeiden müssen. Reagiert ein Birkenpollenallergiker auf Bet v1 oder ein Gräserpollenallergiker auf Phl p1 oder 5, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er mit der Immuntherapie seine Al­lergie los wird. „Die besten Tests nützen aber nichts, wenn man sie nicht interpretieren kann“, erklärte Doz. Wöhrl. „Einige Kollegen lassen leider oft eine ganze Palette Tests durchführen, ohne eine vernünftige Anamnese zu machen. Die CRD ist super, aber man sollte gezielt nur auf die Allergene testen, bei denen man eine Allergie vermutet.“ <br />Allergologen träumen schon seit Langem davon, die Immuntherapie stärker zu personalisieren. Bisher sind in den Immuntherapie-Lösungen (Impflösungen) Extrakte enthalten, zum Beispiel aus Pollen oder Insektengift. „Diese enthalten aber nicht immer alle Allergene in ausreichenden Mengen, was für den Therapieerfolg problematisch sein kann“, erklärte Prof. Breiteneder. So erlitt ein Patient mit Bienengiftallergie in Zürich trotz einer mehrjährigen Immuntherapie einen schweren allergischen Schock. Später stellte sich heraus, dass er gegen Api m3 allergisch ist, wovon in der Impflösung wenig enthalten war.<sup>1</sup> <br />Aktuell werden neue Immuntherapien mit einzelnen Allergenen oder Mischungen daraus, etwa Gräser- oder Birkenpollenallergenen, getestet. „Bei diesen Studien hat man aber zuvor nicht untersucht, ob die Studienteilnehmer wirklich gegen diese oder gar gegen andere Allergene aller­gisch sind, die in den Präpa­raten nicht enthalten waren“, berichtete Prof. Stefan Vieths, Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen, Deutschland. „Die Therapien waren nicht wirksamer als die klassische Immuntherapie mit dem Extrakt.“ Daher könnte es sich möglicherweise als sinnvoller erweisen, die Extrakte auf andere Weise zu verbessern, etwa indem man dem Extrakt einzelne Allergene, zum Beispiel Api m3 bei Bienengiftallergie oder Stoffe, die die Immun­antwort verstärken, hinzufügt.</p> <h2>Fortschritte in der Biologika-Therapie</h2> <p>Weiter fortgeschritten ist die personalisierte Therapie mit Biologika, die gezielt in gestörte Signalwege eingreifen. Mehr als ein Dutzend Wirkstoffe werden zurzeit in Studien an Allergiepatienten ge­testet, zwei Therapeutika sind bereits auf dem Markt.<sup>2</sup> Die Biologika blockieren Botenstoffe, die für die Allergie verantwortlich sind. Der Antikörper Omalizumab wurde in der Europäischen Union 2005 und in der Schweiz 2006 gegen schweres Asthma zugelassen; in Wien wurde nun ein weiterer Antikörper vorgestellt: Mepolizumab, der seit Anfang 2016 erhältlich ist. <br />Als „wissenschaftlichen Durchbruch“ bezeichneten viele Allergologen in Wien Dupilumab, den neuen Wirkstoff gegen Neurodermitis. „Darauf haben wir zwanzig Jahre lang gewartet“, sagte Doz. Wöhrl. „Wir haben nichts, womit wir schwere Fälle behandeln können.“ Der Hersteller reicht demnächst den Antrag zur Zulassung in den USA ein. In den Zulassungsstudien SOLO-1, SOLO-2 und CHRONOS erhiel­ten insgesamt 2.119 Patienten entweder Dupilumab oder Placebo 1x pro Woche oder 1x alle 2 Wochen injiziert.<sup>3, 4</sup> Bei rund 40 % der Patienten verschwanden die Hautläsionen unter Dupilumab fast oder vollständig, bei denen unter Placebo in rund 10 % . In der mit einem Jahr am längsten dauernden CHRONOS-Studie erreichten 64 % der Patienten mit Dupilumab und 22 % derjenigen mit Placebo einen sogenannten EASI-Score von 75, das ist ein Maß für die Größe und die Schwere der Hautveränderungen. „Die Studienergebnisse klingen sehr vielversprechend“, sagte Prof. Thomas Bieber, Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie an der Uni in Bonn, „aber wir müssen natürlich noch abwarten, bis die Behörde sie geprüft hat. Gibt sie grünes Licht, könnte es sein, dass Dupilumab im kommenden Jahr in den USA und später auch in Europa zugelassen wird.“ <br />Milde Formen von Neurodermitis haben Patienten mit Juckreiz stillenden und entzündungshemmenden Salben ganz gut im Griff. In schweren Fällen werden Immunsuppressiva verschrieben, welche aber aufgrund der Nebenwirkungen nicht dauerhaft eingenommen werden dürfen. „Manche Patienten müssen sich eine Woche lang im Spital messerdick mit Salben eincremen, um den Ausschlag unter Kontrolle zu bekommen“, so Doz. Wöhrl. „Doch zu Hause kommt er rasch wieder – die Betroffenen leiden fürchterlich.“ Gegen Neurodermitis wurden zwar schon einige Biologika getestet, die Studien waren jedoch entweder zu klein, oder die Medikamente wirkten nicht oder lösten erhebliche Nebenwirkungen aus. Dupilumab blockiert Rezeptoren für die Botenstoffe Interleukin 4 (IL-4) und IL-13. Dr. Claudio Rhyner, Molekularbiologe am Schweizerischen Institut für Allergieforschung in Davos, hält den Ansatz für eine gute Idee. „Bei Neurodermitis werden vermehrt IL-4 und IL-13 produziert, was über verschiedene Signalwege dazu führt, dass die Haut durchlässiger wird“, erklärte er. „So können Bakterien, Viren und andere Substanzen aus der Umwelt leichter in die Haut eindringen, und sie reagiert mit Entzündung und juckendem Ausschlag.“ Dupilumab verhindert die Bindung von IL-4 und IL-13, was die intrazelluläre Signalkaskade unterbricht, und der Ausschlag geht zurück. <br />Einen wichtigen Faktor stellt natürlich auch die Kostenfrage von Biologika-Therapien dar. „Wir müssen deshalb Marker finden, die uns Auskunft darüber geben, welche Patienten davon profitieren“, forderte Dr. Rhyner. „Die Interleukine zu blockieren würde zum Beispiel nur dann Sinn haben, wenn sie auch wirklich erhöht sind.“ Vor einem Einsatz des IL-5-Antikörpers Mepolizumab bestimmen die Ärzte die Eosinophilenzahl, die einen Hinweis für vermehrte IL-5-Bildung darstellt. Der Einsatz von Omalizumab ist hingegen nur bei erhöhten IgE-Spiegeln sinnvoll. Ähnliche Marker, um festzustellen, ob eine Therapie wirksam sein kann, versuchen Forscher aktuell auch für andere Therapien zu identifizieren. Diese Marker zu bestimmen, dauert mitunter mehrere Tage. Das Team um Dr. Claudio Rhyner hat daher ein Instrument entwickelt, mit dem sich solche Marker innerhalb von 10 Minuten direkt beim Patienten messen lassen. „Bis es auf dem Markt ist, kann es aber noch ein bis zwei Jahre dauern“, sagt Dr. Rhyner.</p> <div id="fazit"> <h2>Die 4-P-Medizin</h2> <p>„Nur“ personalisiert reicht den Forschern nicht. Der neue Ansatz ist eine „4-P-Medizin“: „Wir müssen noch viel mehr Biomarker finden, damit wir den Erfolg einer Therapie vorhersagen („to predict“) können – auch im Zuge der immer knapper werdenden Ressourcen“, sagte Prof. Nikos Papadopoulos, Professor für Allergologie an der Universität Manchester. Viel mehr geforscht werden müsse auch daran, wie man Allergien vermeiden („to prevent“) könne. Der Patient solle zudem aktiv am Therapieentscheidungsprozess mitwirken („to participate“). „Im Zuge der digitalen Medien geht das heute auch viel einfacher“, weiß Papadopoulos, zum Beispiel mit Asthma-Apps. „Mit 4-P-Medizin können wir die Forschung zum Patienten bringen – das ist die Zukunft der Allergiebehandlung.“</p> </div></p>
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<p><strong>1</strong> Schmid-Grendelmeier P, UniversitätsSpital Zürich, persönliche Mitteilung <br /><strong>2</strong> Runkel L: Novel biologics for asthma: steps on the long road to therapies for uncontrolled asthma. Citeline’s Pharmaprojects®, Trialtrove®, <a href="https://citeline.com/wp-content/uploads/Nov2015_Asthma_Laura-Runkel.pdf" target="_blank">https://citeline.com/wp-content/uploads/Nov2015_Asthma_Laura-Runkel.pdf</a>; letzter Zugriff 4. Juli 2016; 12:00 Uhr <br /><strong>3</strong><a href=" % 20http:/mediaroom.sanofi.com/sanofi-and-regeneron-announce-positive-dupilumab-topline-results-from-two-phase-3-trials-in-inadequately-controlled-moderate-to-severe-atopic-dermatitis-patients/" target="_blank"> http://mediaroom.sanofi.com/sanofi-and-regeneron-announce-positive-dupilumab-topline-results-from-two-phase-3-trials-in-inadequately-controlled-moderate-to-severe-atopic-dermatitis-patients/</a>; letzter Zugriff 4. Juli 2016; 13:00 Uhr <br /><strong>4</strong> <a href="http://mediaroom.sanofi.com/regeneron-and-sanofi-announce-that-dupilumab-used-with-topical-corticosteroids-tcs-was-superior-to-treatment-with-tcs-alone-in-long-term-phase-3-trial-in-inadequately-controlled-moderate-to-severe-a/" target="_blank">http://mediaroom.sanofi.com/regeneron-and-sanofi-announce-that-dupilumab-used-with-topical-corticosteroids-tcs-was-superior-to-treatment-with-tcs-alone-in-long-term-phase-3-trial-in-inadequately-controlled-moderate-to-severe-a/</a>; letzter Zugriff 4. Juli 2016; 14:00 Uhr</p>
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