
Therapie von Erfrierungen
Autoren:
Dr. med. Bita Tafrishi
Dr. med. Lisanne Grünherz
Dr. med. Daniel Rittirsch
Prof. Dr. med. Nicole Lindenblatt
Plastische Chirurgie und Handchirurgie
Universitätsspital Zürich
E-Mail: nicole.lindenblatt@usz.ch
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Erfrierungen treten auf, wenn das Gewebe über eine gewisse Zeit einer Temperatur von unter 0°C ausgesetzt ist. Je nach Schweregrad werden sie konservativ oder chirurgisch behandelt, wobei die Heilungsdauer unter Umständen sehr lange sein kann.
Keypoints
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Erfrierungen Grad II sollten konservativ behandelt werden, auch wenn die Heilungsdauer sehr lange sein kann.
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Eine chirurgische Intervention sollte bis zur vollständigen Demarkierung der Nekrosen abgewartet werden, um möglichst viel vitales Gewebe zu erhalten.
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Eine Therapie mittels Iloprost kann bei schwerwiegenden Erfrierungen das Risiko für eine Amputation verringern.
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Das Management von Erfrierungen erfordert ein spezialisiertes Team.
Wenn das Gewebe einer Temperatur von unter 0°C über einen gewissen Zeitraum exponiert ist, kommt es zu Erfrierungen. Diese treten vor allem an kälteexponierten Körperstellen mit niedriger Durchblutung auf, was entweder auf eine schlechtere vaskuläre Ausgangslage oder eine periphere Vasokonstriktion zurückzuführen ist. Aus diesem Grund sind die Akren wie Nase, Ohren, Finger und Zehen am meisten betroffen.
Pathophysiologie
Die pathophysiologischen Prozesse werden in direkte und indirekte Veränderungen unterteilt. Die direkten Veränderungen resultieren durch die intra- und extrazelluläre Bildung von Eiskristallen. Dies führt zur Zelldehydrierung, Elektrolytstörung, Zerstörung der Lipidproteine und infolgedessen zu einem thermalen Schock. Folglich tritt der Zelluntergang im Gewebe ein. Die indirekten pathophysiologischen Änderungen entstehen durch mikrovaskuläre Verschlüsse und sind schwerwiegender als die direkten Veränderungen. Durch die mikrovaskulären Thromben kommt es zur Minderdurchblutung des Gewebes und zu einem Zelluntergang. Die hiermit einhergehenden Endothelverletzungen, die Erhöhung der inflammatorischen Mediatoren und freien Radikale sowie die entstehenden Thrombosen führen zur progredienten Ischämie.
Einteilung
Klinisch tritt bei den Patienten vorerst ein Kälteempfinden der betroffenen Areale auf, dieses beginnt bei einer Hauttemperatur von 28°C. Nach Absinken auf 20°C setzt das Schmerzempfinden ein, welches dann bei einer Temperatur von unter 10°C in eine Parästhesie übergeht. Klinisch präsentieren sich bei oberflächlichen Erfrierungen Grad-I-Parästhesien, Erytheme, weisse oder gelbe Flecken (Tabelle 1). Bei Erfrierungen Grad II (Abbildung 1) kommt es zur Entwicklung von Blasen mit klarer Flüssigkeit, welche umgeben sind von einem Erythem und Ödem. Bei Erfrierungen Grad III (Abbildung 2) kommt es zur Formation von hämorrhagischen Blasen, welche innerhalb der ersten 24h auftreten. Bei Erfrierungen Grad IV zeigen sich bereits Nekrosen der Dermis, des Subkutangewebes und ggf. der Muskulatur.
Abb. 1: (A) Es zeigen sich Grad-II-Erfrierungen am Mittel- und Ringfinger der Hand mit typischer Blasenbildung. (B) Nach initialem Débridement der Blasen zeigt sich im Verlauf eine deutliche Krustenbildung mit sukzessiver Epithelisierung und Wundheilung. (C) Drei Monate später zeigt sich eine abgeschlossene Heilung ohne Narbenbildung
Abb. 2: (A) Grad-III-Erfrierung des gesamten Vorfusses. (B) Über einen Zeitraum von 3 Monaten erfolgten tägliche Verbandswechsel mit Iodgaze. (C, D) Nach vollständiger Demarkierung der Nekrosen erfolgte die Grenzzonenamputation der 1.-3. Zehe
Klinisches Management
Die betroffenen Areale sollten vorsichtig und ohne mechanische Reibung aufgewärmt werden. Dieser Prozess kann sehr schmerzhaft sein und sollte daher gut analgetisch abgedeckt werden. Das Auftreten von Blasen ist ein Zeichen für das Auftauen des Gewebes. Bei der Bildung von hämorrhagischen Blasen sollten diese intakt gelassen werden.1 Eine prophylaktische antibiotische Therapie ist umstritten und sollte nicht routinemässig eingeleitet werden.2 Zusätzlich muss ein bestehender Tetanusschutz überprüft werden.
Konservative Therapie
Erfrierungen ersten und zweiten Grades (Abbildung 1) sollten konservativ behandelt werden, auch wenn die Heilungsdauer oftmals mehrere Wochen betragen kann. Nach Débridement der mit klarer Flüssigkeit gefüllten Blasen sollten die Wunden mit einem Silikonverband, z.B. Mepitel, verbunden werden (siehe Behandlungsalgorithmus, Abbildung 3). Nach der exsudativen Phase können trockene Verbandswechsel erfolgen mit einer klinischen Kontrolle im Versorgungszentrum alle 7–10 Tage.
Chirurgische Therapie
Bei Erfrierungen dritten und vierten Grades (Abbildung 2) muss im Verlauf eine chirurgische Therapie erfolgen. Eine frühzeitige Amputation sollte in jedem Fall verhindert werden, um eine vollständige Demarkierung des Gewebes abzuwarten (siehe Behandlungsalgorithmus, Abbildung 3). Bei Vorliegen von hämorrhagischen Blasen sollten diese belassen werden. Während des Prozesses der Demarkierung, welcher mehrere Wochen andauern kann, sollten tägliche Verbandswechsel mit desinfizierenden Wundauflagen, beispielsweise einer Iodgaze, erfolgen. Im Falle einer feuchten Gangrän oder Infektion muss eine Amputation ggf. vorgezogen werden.
Unterstützende Therapien
Pharmakologische Therapien wie Iloprost oder Thrombolytika stellen eine vielversprechende Therapie bei schwerwiegenden Erfrierungen dar. Iloprost ist ein Prostazyklin-Analogon, welches vasodilatativ wirkt. Es reduziert ausserdem die kapilläre Permeabilität, die Thrombozytenaggregationshemmung und aktiviert die Fibrinolyse. Iloprost wird im stationären Rahmen intravenös zugeführt, sollte mit einer Dosis von 0,5ng/kg/min begonnen werden und kann bis auf maximal 2ng/kg/min gesteigert werden.3 Die Dosis richtet sich nach der Verträglichkeit des Medikamentes, da es oft zu Kopfschmerzen, Hypotonien und Schwindel kommt. Die Therapiedauer beträgt 6h täglich und wird über 5 bis 8 Tage fortgesetzt. Aufgrund der höheren Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen wird die Thrombolyse mittels rt-PA in der medikamentösen Therapie als zweitrangig angesehen. Diese sollte nur eingesetzt werden, wenn die Erfrierung sehr ausgeprägt ist und maximal innerhalb der letzten 24h aufgetreten ist. Zudem dürfen keine Kontraindikationen für eine Thrombolyse vorliegen, wie weitere Traumata oder kürzlich stattgefundene Operationen.
Eine weitere unterstützende Behandlung ist die hyperbare Sauerstofftherapie, welche nur in sehr wenigen Spitälern, z.B. in den Hôpitaux universitaires de Genève, durchgeführt werden kann. Diese soll durch einen erhöhten Sauerstoffdruck im Blut die Sauerstoffzufuhr begünstigen und somit die Gewebeperfusion und Wundheilung beschleunigen.
Komplikationen
Je nach Ausmass der Erfrierung und betroffenem Areal kann es zu einem Verlust der Funktionalität kommen. Dies ist besonders bei schwerwiegenden Erfrierungen der Fall. Viele Patienten zeigen langfristig eine Hypersensibilität gegenüber Kälte. Bei einigen kommt es zu bleibenden Parästhesien. Auch treten gehäuft chronische Schmerzen auf. Diese können mittels Co-Analgetika wie beispielsweise Amitriptylin oder Gabapentin behandelt werden. Zusätzlich kann es aufgrund von einer lokalisierten Osteoporose und subchondralem Knochenverlust zu einer frühzeitigen Arthrose kommen.4
Deshalb sollten die Patienten von einem multidisziplinären Team im weiteren Verlauf betreut werden. Dieses sollte aus plastisch-rekonstruktiven Chirurgen, Wundspezialisten, Physiotherapeuten und gegebenenfalls einem Orthopädietechniker zusammengestellt sein.
Literatur:
1 Handford C et al.: „Frostbite“. Emerg Med Clin North Am 2017; 35(2): 281-99 2 Fudge J: Preventing and managing hypothermia and frostbite injury. Sports Health 2016; 8(2): 133-9 3 Cauchy E et al.: A controlled trial of a prostacyclin and rt-PA in the treatment of severe frostbite. N Engl J Med 2011; 364(2): 189-90 4 Cauchy E et al.: A new proposal for management of severe frostbite in the austere environment. Wilderness Environ Med 2016; 27(1): 92-9