
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen variiert stark
Autorinnen:
Dr. med. Semra Uyulmaz
Prof. Dr. med. Nicole Lindenblatt
Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie Universitätsspital Zürich
E-Mail: nicole.lindenblatt@usz.ch
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Das chronische Lymphödem ist eine progressive und potenziell invalidisierende Erkrankung. Lymphrekonstruktive Operationen bieten einen kausalen Therapieansatz und gelten seit dem 1. Juli 2021 als Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Um unsere Diskussionsgrundlage im Kontakt mit Krankenversicherungen zu optimieren, durchleuchteten wir die Entscheide aus drei Jahren am Universitätsspital Zürich. Hier die Ergebnisse unserer retrospektiven Analyse.
Keypoints
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Das Lymphödem ist eine progressive und potenziell invalidisierende Erkrankung, bei der es aufgrund eines beeinträchtigten Lymphgefässsystems zu einer chronischen Ansammlung proteinreicher interstitieller Flüssigkeit kommt, die u.a. zu einer Umfangsvermehrung betroffener Körperteile führt. Die Lebensqualität der Patienten wird durch das Fortschreiten der Erkrankung beeinträchtigt.
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67% der lymphrekonstruktiven mikrochirurgischen Eingriffe von 2017 bis 2020 am Universitätsspital Zürich wurden nach Antrag auf Kostenübernahme letztlich von den Krankenkassen bewilligt, obwohl im Schweizer Gesundheitssystem keine Leistungspflicht bestand. Bei einem Drittel der Patienten konnte keine Behandlung erfolgen.
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Diese im Kanton Zürich erarbeiteten Ergebnisse gelten möglicherweise nicht für jeden einzelnen Kanton in der Schweiz, sind aber wahrscheinlich repräsentativ für die Schweiz.
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Seit dem 1. Juli 2021 besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse bei rekonstruktiver Lymphchirurgie, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Beim Lymphödem kommt es aufgrund einer Insuffizienz des Lymphgefässsystems zu einer chronischen Ansammlung proteinreicher interstitieller Flüssigkeit im Gewebe. Diese Insuffizienz kann angeboren oder z.B. nach Krebsbehandlungen erworben sein. Langfristig führt dieser Zustand zu Umbauprozessen im Gewebe und über verschiedene Stadien zu einer irreversiblen Sklerosierung der Lymphbahnen sowie einer Umfangsvermehrung des betroffenen Körperteils. Dies beeinträchtigt neben der Ästhetik und Funktionalität des betroffenen Körperteils die lokale Immunabwehr, wodurch ein erhöhtes Risiko für Hautinfektionen besteht. Betroffene Patienten sind nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastet. Die komplexe physikalische Therapie stellt den Goldstandard für die Behandlung symptomatischer Lymphödeme dar. Sie ist sehr häufig wirksam, muss aber oft lebenslang angewendet werden, da sie die zugrunde liegende anatomische Ursache nicht behandelt.
Unser standardisierter institutioneller Algorithmus
Am Universitätsspital Zürich führten wir die mikrochirurgische Behandlung des Lymphödems 2016 ein. Dabei werden mit modernsten Mikroskopen und mikrochirurgischen Instrumenten neue Verbindungen der kompromittierten Lymphbahnen angelegt, die einen physiologischen Abfluss der sich anstauenden Lymphflüssigkeit erlauben. Technisch handelt es sich um die Anlage lymphovenöser Anastomosen (LVA) und den vaskularisierten Lymphgewebstransfer (VLNT).
Gemeinsam mit Kollegen der Angiologie und der Abteilung für Physiotherapie entwickelten wir einen standardisierten institutionellen Algorithmus zur Auswahl und Nachbehandlung der Patienten, bei dem u.a. das Krankheitsstadium und der Allgemeinzustand berücksichtigt werden.1
Patienten, die seit 3 Jahren an einem sekundären Lymphödem leiden und ein Lymphödemstadium I–II aufweisen, haben in der Regel eine geringe Fibrose und zumeist noch intakte Lymphgefässe. LVA werden in diesen Fällen angelegt, um ein Fortschreiten der Krankheit zu verhindern und bereits bestehende Lymphödeme im Frühstadium zu behandeln.
Bei Patienten, die seit mehr als 3 Jahren ein Lymphödem im Stadium II–III haben, und solchen mit primärem Lymphödem sind die Lymphgefässe oft sklerotisch, nicht funktionsfähig oder fehlen. Diese Patienten kommen für den VLNT infrage. Wann immer möglich werden auch in diesen Fällen LVA angelegt, um eine rasche zusätzliche Entstauung zu ermöglichen. Die Eingriffe werden unter Vollnarkose durchgeführt und die Patienten bleiben für zwei bis vier Nächte stationär. Zusätzlich ist oft eine Liposuktion notwendig und kann bei Lymphödempatienten im Stadium II–III nach einer Lymphrekonstruktion sekundär zur Umfangsreduktion beitragen oder aber primär in gleicher Sitzung nach den mikrochirurgischen Eingriffen durchgeführt werden.
Exzisionseingriffe werden auf krankhafte Lymphödeme im Stadium IV (Elefantiasis) oder bei Hautüberschuss nach Liposuktion beschränkt. Ein interdisziplinär angefertigtes Standardprotokoll sieht vor, dass alle Patienten zusammen mit dem Physiotherapeuten in unserer Ambulanz 2 Wochen, 3 Monate, 1 Jahr und 2 Jahre postoperativ nachuntersucht werden. Die Physiotherapie mit Kompressionskleidung, Bandagen und manueller Lymphdrainage wird stufenweise nach 2 Wochen postoperativ intensiviert.
Subjektive Ergebnisse objektiv erfassen
Zur Qualitäts- und Erfolgskontrolle werden an unserer Klinik zu den oben genannten Zeitpunkten physiotherapeutische Messungen der Gliedmassen vorgenommen. Ausserdem werden prä- und postoperativ an definierten Zeitpunkten Fragebögen durch die Patienten beantwortet, die die Lebensqualität und das subjektive Empfinden nach den Eingriffen erfassen. Die Resultate objektiv zu erfassen, ist nicht einfach, weshalb die Studienlage aufgrund mangelnder Daten oder mangelhaftem Studiendesign lange Zeit keine gesicherten Empfehlungen erlaubte. Für manche Patienten ergibt sich eine verbesserte Lebensqualität bereits aus einer Druckminderung in der Extremität, der Reduktion der jährlichen Frequenz an Hautinfektionen, einer Reduzierung der Kompressionsstrumpfklasse oder der Verlangsamung der Krankheitsprogression. Messgrössen, wie etwa das Auswerten standardisierter Patienten-Fragebögen (z.B. LYMPH-Q) über subjektive Ergebnisse, werden dazu beitragen, ein besseres Verständnis der Resultate zu erlangen.2 Diesbezüglich laufen an unserer Klinik grössere Langzeitstudien.
Die Kostenübernahme durch Krankenversicherungen
Seit der Einführung in unsere Klinik bestand im Schweizer Gesundheitssystem keine Leistungspflicht für den Einsatz rekonstruktiver Lymphchirurgie zur Behandlung von Lymphödemen. Es war in jedem Fall ein schriftliches Gesuch erforderlich. Wir hatten festgestellt, dass die Kostenübernahme verschiedener Krankenversicherungen stark variierte und oft unklar blieb, warum bei ähnlichen Fällen anders entschieden wurde. Wir analysierten daher die Entscheidungen der Versicherungen auf unsere Kostengutsprachegesuche mit dem Ziel, die Gründe für die Entscheide zu verstehen und eine bessere Diskussionsgrundlage für zukünftige Korrespondenzen zu schaffen.1 Wir erhoben alle klinischen Daten von Patienten, die zwischen 2017 und 2020 an unserer Klinik operiert wurden, und prüften die Korrespondenzen zwischen Arzt und Versicherung bezüglich der Kostenübernahme. Anschliessend kontaktierten wir die jeweilige Krankenversicherung direkt und informierten uns auf ihrer Webpräsenz bezüglich lymphchirurgischer Eingriffe.
Insgesamt waren unsere Patienten bei 9 Versicherungen, die im Vergleich eine sehr unterschiedliche Kostenübernahmerate hatten. Manche Versicherungen lehnten die Hälfte aller Gesuche ab, manche akzeptierten alle Gesuche. Auf unsere direkte Nachfrage per E-Mail/Telefon und Recherche im Internet stellten wir fest, dass keine einheitlichen Kriterien definiert waren, die erfüllt sein mussten, um die Kostenübernahme herbeizuführen. Obwohl keine Leistungspflicht bestand, wurden im Untersuchungszeitraum 67% der lymphrekonstruktiven mikrochirurgischen Operationen am Universitätsspital von den Krankenkassen auf Antrag bewilligt, obwohl die Behandlung nicht offiziell vom Schweizer Gesundheitssystem anerkannt war. Das bedeutete, dass eine gewisse Akzeptanz zur Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Methoden bestand. Andererseits wurde ein Drittel aller Anträge abgelehnt, was beweist, dass die Kostenträger nach wie vor auf individueller Basis über die Kostenübernahme der lymphatischen Mikrochirurgie entscheiden. Diese Zahlen zeigen, dass der Versicherungsschutz ein Hindernis für den Zugang der Patienten zu diesen innovativen und vielversprechenden Therapien darstellt.
Da die Ergebnisse aus dem Universitätsspital für Zürich stammen, müssen sie nicht für die ganze Schweiz gelten, sind aber mindestens repräsentativ. Erst 2020 wurden in Österreich und in Deutschland lymphrekonstruktive Eingriffe (LVA, VLNT) als neue chirurgische Therapien des Lymphödems in den Leistungskatalog aufgenommen. Seit dem 1. Juli 2021 besteht neuerdings auch in der Schweiz eine Leistungspflicht der Krankenkasse bezüglich rekonstruktiver Lymphchirurgie (LVA, VLNT). Die Aufnahme in die Krankenpflege-Leistungsverordnung erfolgte nach Entscheid der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) und entspricht der Empfehlung einer fachübergreifenden Arbeitsgruppe. Aktuell gilt die Leistungspflicht in Evaluation bis 2025/6, weshalb weiterhin ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden muss. Dieser darf von der Krankenkasse allerdings nicht mehr abgelehnt werden, wenn ein ungenügendes Ansprechen der mit dem Lymphödem verbundenen Schmerzen und Funktionseinschränkungen auf dokumentierte, leitlinienkonforme konservative komplexe physikalische Entstauungstherapie festgestellt wird. Dazu gehören eine manuelle Lymphdrainage, Bewegungsübungen, Kompression und Hautpflege über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten.
Literatur:
1 Uyulmaz S et al.: Insurance coverage policies for reconstructive lymphatic microsurgery procedures in Switzerland. Swiss Med Wkly 2021; 16(151): w20456 2 Grünherz L et al.: Cultural adaption and multicenter validation of the German version of the LYMPH Q Upper Extremity Module. Journal of Vascular Surgery: Venous and Lymphatic Disorders 2022; 3: S2213-333X(22)00066-X
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