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Genitalchirurgie – prägt ärztliche Haltung Normen?

<p class="article-intro">Frauen haben viele Gründe, warum sie intimchirurgische Maßnahmen in Anspruch nehmen. Funktionelle Gründe haben laut einer im Jahr 2016 durchgeführten Befragung Schweizer Gynäkologen und plastischer Chirurgen immer weniger Bedeutung, der Stellenwert ästhetischer Gründe nimmt zu, psychische Gründe scheinen auf einem niedrigen Niveau zu bleiben.<sup>1</sup> Ästhetische Normen unterliegen aber einem Wandel.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Genitalregion galt lange Zeit als Tabuzone und blieb so von &auml;sthetischen Anspr&uuml;chen verschont. Das hat sich mit leicht zug&auml;nglichen Informationen im Internet vollkommen ver&auml;ndert. Intimit&auml;t und ihre Normen sind ein &ouml;ffentliches Gut geworden. Sch&ouml;nheitsnormen gelten auch hier, ein Abweichen davon verunsichert verst&auml;ndlicherweise. &Auml;rzte scheinen bei verunsicherten Betroffenen einen wichtigen Stellenwert als Korrekturfaktor einzunehmen. In einer 2016 durchgef&uuml;hrten Studie gaben 97 % der befragten Allgemeinmediziner an, von Frauen gefragt worden zu sein, was denn im &bdquo;Genitalbereich normal sei&ldquo;. 35 % der Ratsuchenden waren j&uuml;nger als 18 Jahre alt.<sup>2</sup> Allgemeinmediziner gelten f&uuml;r 39 % der Frauen als Ansprechpartner f&uuml;r intime Fragen, f&uuml;r 47 % sind es die Gyn&auml;kologen.<sup>3</sup></p> <h2>Sind sich Gyn&auml;kologen und plastische Chirurgen einig, was &bdquo;normal&ldquo; ist?</h2> <p>W&auml;hrend die einen finden, dass es sich bei Labien von 5cm oder mehr um eine Labienhypertrophie handelt,<sup>4</sup> finden andere &bdquo;nicht die Ma&szlig;e der Labia minora f&uuml;r eine Operation ausschlaggebend, sondern den Leidensdruck; allerdings sollte 1cm nicht unterschritten werden&ldquo;.<sup>5</sup> Was f&uuml;r eine Bandbreite! Wenn Frauen vermessen werden, die sich als &bdquo; normal&ldquo; definieren, welches Spektrum zeigt sich dann? Eine im Jahr 2005 in London durchgef&uuml;hrte Vermessung weiblicher Genitalien zeigte folgendes Spektrum:<sup>6</sup></p> <ul> <li>L&auml;nge der Klitoris: 5&ndash;35mm</li> <li>Breite der Klitoris: 3&ndash;10mm</li> <li>L&auml;nge der Labia minora: 20&ndash;100mm</li> <li>Breite der Labia minora: 7&ndash;50mm</li> <li>L&auml;nge der Labia majora: 70&ndash;120mm</li> <li>L&auml;nge der Vagina: 65&ndash;125mm</li> </ul> <p>Es zeigt sich also, dass &Auml;rzte keine engen Vorgaben haben. Daher w&auml;re es wichtig, die angegebenen Motive der Patientinnen zu hinterfragen. Was bewegt sie, den &Auml;rzten diese Frage nach der Norm zu stellen? Bei diesem Dialog sollten sich &Auml;rzte/Operateure ihrer pathologisierenden Sprache bewusst sein, appellierte bereits im Jahr 2010 Braun<sup>7</sup> in ihrem Artikel zur genitalen Sch&ouml;nheitschirurgie: Durch Definition eines Organs als pathologisch (nicht normal) erschiene nur die operative Anpassung als therapeutisch, Chirurgen br&auml;chten kulturell gepr&auml;gte pers&ouml;nliche Meinungen und Vorlieben in ihre Berufsaus&uuml;bung, ohne die Spannbreite der Normalit&auml;t zu ber&uuml;cksichtigen.<sup>7</sup> Diesen Eindruck best&auml;tigen leider sehr viele Webseiten genitalchirurgisch t&auml;tiger Kollegen.<br /> Die Akzeptanz des eigenen K&ouml;rpers in seiner Einmaligkeit bedarf einer ungest&ouml;rten (psychosexuellen) Entwicklung. Gerade die Integration des sich ver&auml;ndernden K&ouml;rperbildes in der Pubert&auml;t stellt eine gro&szlig;e Herausforderung f&uuml;r Jugendliche dar. Der/die Jugendliche muss sich vom kindlichen Erscheinungsbild seines Genitale verabschieden und ein ihm fremdes annehmen. Die Genitalien haben nun eine ganz andere Funktion, n&auml;mlich eine sexuelle Lockfunktion, und die unterliegt nicht &auml;sthetischen Normvorgaben. Es bedarf deswegen eines sehr achtsamen Umganges mit diesem Thema, nicht nur von den Eltern und den Medien, sondern auch von uns &Auml;rzten. Je besser w&auml;hrend dieser Phase die Integration des sich entwickelnden Erwachsenenk&ouml;rpers in das bestehende K&ouml;rperbild gelingt, desto gr&ouml;&szlig;er ist die Akzeptanz des neuen Erscheinungsbildes und desto unwahrscheinlicher ist es, dass &auml;sthetische Gr&uuml;nde der Anlass f&uuml;r operative Eingriffe sind. Unsicherheiten, die in dieser vulnerablen Phase entstanden sind, sollten daher durch sexualp&auml;dagogische und -therapeutische Begleitung ausgeglichen werden, denn sie haben zus&auml;tzlich negative Auswirkungen auf die Sexualit&auml;t. Aus sexualmedizinischer Sicht ist neben den operativen Fertigkeiten auch eine achtsame &auml;rztliche Haltung im Umgang mit Ma&szlig;nahmen, die das K&ouml;rperbild ver&auml;ndern, enorm wichtig. Jeder Eingriff im Genitalbereich sollte auf fundiertem sexualmedizinischem Wissen basieren.</p> <h2>Beispiele des sexualmedizinischen Zuganges</h2> <ul> <li>Wurde die Patientin, die Schmerzen beim Geschlechtsverkehr aufgrund von Labienhypertrophie angibt, gefragt, ob sie vor der Penetration so erregt ist, dass sich ihre Labien (durch die zunehmende Vasokongestion) entfalten und auseinanderweichen?</li> <li>Wurde die sexuelle Entwicklung der jungen Frau mit Schamgef&uuml;hl wegen ihrer hervortretenden Labia minora erhoben? Ist eine k&ouml;rperliche/sexuelle Nachreifung angebracht?</li> <li>Wurde bei der Frau mit geringer vaginaler Empfindung eine sexualmedizinische Mikroanamnese erhoben, um zu erfahren, ob sie eine optimale Vasokongestion der kavern&ouml;sen Strukturen und damit den Aufbau der orgastischen Manschette erlebt?</li> <li>Wurde bei Frauen mit dem Wunsch nach Vaginalstraffung durch eine genaue Sexualanamnese ihre Sexualit&auml;t erfragt und vor allem die Sexualfunktion des Mannes? Frauen mit Erregungsst&ouml;rungen und M&auml;nner mit Erektionsst&ouml;rungen bringen sehr oft dieses Thema auf.</li> <li>Wurde die Patientin mit Wunsch nach einer Hymenrekonstruktion befragt, welche Umst&auml;nde sie dazu dr&auml;ngen? Soll es das blutige Leintuch der Hochzeitsnacht sein oder die &bdquo;Unber&uuml;hrtheit&ldquo; f&uuml;r den Partner? Beide be- d&uuml;rfen keiner Hymenrekonstruktion. Daf&uuml;r gibt es sehr g&uuml;nstige und von der Frau selbst einzuf&uuml;hrende Jungfernh&auml;utchen, die k&uuml;nstliches Blut abgeben.</li> <li>Wurden mit der Patientin, die sich beklagt, bei enger Kleidung die Labia minora als st&ouml;rend zu empfinden, andere Therapieoptionen besprochen?</li> <li>Wurde erfragt, ob Frauen die Bandbreite der Genitalnormen kennen, und haben sie gutes Aufkl&auml;rungsmaterial dazu bekommen?</li> </ul> <h2>Conclusio</h2> <p>Jedes Anliegen der Patientinnen, aber auch die eigenen L&ouml;sungsangebote sollten danach hinterfragt werden, ob die angebotene L&ouml;sung die bequemste oder die passende ist. Nur Letztere rechtfertigt den operativen Eingriff.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Umbricht-Sprungli RE, Gsell M: Surgical Interventions on the external female genitalia in Switzerland. Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76: 396-402 <strong>2</strong> Simonis M et al.: Female genital cosmetic surgery: a cross-sectional survey exploring knowledge, attitude and practice of general practitioners. BMJ Open 2016; 6: e013010 <strong>3</strong> Shifren JL et al.: Sexual problems and distress in United States women: prevalence and correlates. Obstet Gynecol 2008; 112: 970-8 <strong>4</strong> Maas SM, Hage JJ: Functional and aesthetic labia minora reduction. Plast Reconstr Surg 2000; 105: 1453-6 <strong>5</strong> Gress S: [Aesthetic and functional corrections of the female genital area]. Gynakol Geburtshilfliche Rundsch 2007; 47: 23-32 <strong>6</strong> Lloyd J et al: Female genital appearance: "normality" unfolds. Bjog 2005; 112: 643-6 <strong>7</strong> Braun V: Female genital cosmetic surgery: a critical review of current knowledge and contemporary debates. J Womens Health (Larchmt) 2010; 19: 1393-407</p> </div> </p>
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