
«Derma Hacks» aus der Praxis
Autor:
Dr. med. Thomas Gutersohn
Facharzt FMH
für Dermatologie und Venerologie
Zofingen
E-Mail: thomas@gutersohn.ch
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Ein «Hack», ein Begriff entliehen aus der Computerwelt, beschreibt eine Abkürzung, besser noch die Überlistung eines etablierten Systems. Ein wenig «dunkle Materie» ist im Begriff «Hack» enthalten und macht das Thema attraktiv. Um diese «Hacks» ans Licht zu bringen, bitte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die Abbildungen zu diesem Artikel mittels des Links am Ende des Textes «aufzuhacken». Im folgenden Beitrag finden Sie dann meine wichtigsten «Dermatochirurgischen Hacks». Es gilt: «Now and again a problem arises that requires physical resolution.»
Life finds a way …
Abb. 1: Sekundäre Wundheilung im Gesicht: grüne Areale eignen sich gut, rote Areale eignen sich schlecht, gelbe Areale eignen sich mittelmässig
Wir wissen, dass bestimmte Areale im Gesicht sehr schön sekundär verheilen (Abb. 1). Bei offener Wundheilung ist das Infektrisiko sehr klein und der Patient kann das Gesicht inklusive Haaren normal waschen. Es reicht ein (Sicht-)Schutzverband.
Die zentrofazial gelegenen, konkaven Areale (Abb. 2–5) gelten für eine sekundäre Wundheilung als günstiger als die konvexen Areale (Abb. 6). Die sekundäre Wundheilung funktioniert aber auch in weniger bekannten Arealen oder sogar in «roten» Arealen überraschend gut – s. bitte Beispiele vom Ohr (Abb. 7–11), von der Stirn (Abb. 12–15) und der Wange (Abb. 16–21). «Life finds a way» gilt eben nicht nur im Jurassic Park, sondern auch beim Homo sapiens. Gerade polymorbide Patienten können so leicht, sicher und im wahrsten Sinn des Wortes «bedside» behandelt werden. Zur anschliessenden Blutstillung benutzt man idealerweise einen Kauter. Bei Besuchen in Alters-/Pflegeheimen sind aber auch Silbernitrat-Stäbchen ausreichend.
Um den Patienten (resp. den Betreuungspersonen) den postoperativen, bedrohlich erscheinenden, entzündlich-exsudativen Heilungsverlauf zu erklären, benutze ich eine sehr realistische Moulage von «Medical Effects Germany» (Abb. 22). Damit visualisiere ich, dass «das Gelbe» eben nicht Eiter, sondern «gestocktes Heilwasser» ist, und die zartrosa Rötung der Wunde zum normalen Heilungsprozess gehört und keinen Infekt anzeigt. Auch warne ich, dass gerne (erst) ein bis zwei Wochen postoperativ eine Blutung aus dem aufschiessenden, stark vaskularisierten Granulationsgewebe (Abb. 23) auftritt. Die Patienten werden genau instruiert, dass sie geduldig und ohne nachzuschauen, ob die Wunde noch blutet, 30 Minuten komprimieren müssen. Bei einer Gerinnungsstörung gebe ich zusätzlich Silbernitrat-Stäbchen mit, die der Patient oder seine Angehörigen auf die blutende Stelle drücken können.
Grundsätzlich wird für die tangentiale Exzision meist eine flache scharfe Klinge benutzt, wobei in der Schweiz nur noch das «BiopsiBlade» von Kai Medical (Japan) (Abb. 24) erhältlich ist. Dieses Blade hat den Nachteil einer schmalen Klinge und eines dicken «Bauches», was die Führung der Klinge, v.a. bei grösseren Tumoren, erschwert. Ich benutze deshalb einen Rasierklingenhalter von «Stonfo Italy», der eigentlich zum Trimmen der «Fliege» beim Fliegenfischen gedacht ist. Die breite, tiefe Klinge und der grössere Abstand zwischen der Schnittfläche und dem Griff, erlaubt ein viel kontrolliertes Manövrieren im Gewebe, als beim Blade. Gerade bei grossflächigen Veränderungen, wie hier eine schwierig zu beurteilende, melanozytäre Läsion (Abb. 25), kann der Tumor sehr flach exzidiert werden und trotzdem schon vollständig histologisch untersucht werden. Falls die Veränderung dysplastisch oder maligne ist, verfügt man im Gegensatz zu einer Stanzbiopsie schon über alle Informationen und muss nicht befürchten, dass sich die Tumortiefe im Nachexzisat noch ändert. Falls die Veränderung gutartig ist, heilt dieser oberflächliche Defekt annähernd narbenfrei ab (Abb. 26–31). Die sterilen Rasierklingen sind ein Wegwerfartikel, der Klingenhalter kann sterilisiert werden.
… und falls nicht: Verschiebelappen und Vollhauttransplantate
Abb. 35, 37, 39: Exzisiondefekt bis auf das Perichondrium (35). Direkte Deckung mit Subkutis reichem Vollhauttransplantat (37). Vollständiges Überleben des Transplantates bei der Entfernung des Schaumstoffdruckverbandes nach 2 Wochen (39).
Für viele chirurgische Exzisionsdefekte ist die sekundäre Wundheilung trotz der oben beschriebenen Vorteile natürlich nicht ideal. Neben den Dehnungsplastiken kommen hier lokale Verschiebelappen und freie (Voll-)Hauttransplantate zum Zuge. Dabei werden in meinen Augen die Verschiebelappen gerne zu heroisch und die freien Vollhauttransplantate zu stiefmütterlich eingesetzt. Das liegt daran, dass die Vollhauttransplantate oft zu dünn gewählt werden (Abb. 32) und es zu einem auffälligen «Mismatch» (Abb. 33) kommen kann. Für diese beiden Probleme gibt es aber eine einfache Lösung, die das Einsatzfeld der freien Vollhauttransplantate deutlich erweitert. Was die Dicke betrifft, besagt ein gängiges chirurgisches Bonmot, dass ein Transplantat so dünn sein muss, «dass man die Zeitung durch dieses hindurch lesen kann». Das Transplantat solle also maximal entfettet werden, sonst habe es keine Chance zu überleben. Das stimmt nicht, wenn man einen dosierten Druck auf das Transplantat ausübt. Dazu kann ein simples Stück sterilisierter Schaumstoff aufgenäht werden.
Das Transplantat kann je nach notwendiger Grösse von präaurikulär, vom Hals, vom Oberarm oder vom Abdomen entnommen werden. Bei tiefen Defekten kann auch sehr viel Subkutis belassen werden und sollte dies nicht ausreichen, kann das Transplantat sogar noch mit zusätzlichem Fettgewebe unterfüttert werden. Der Schaumstoffdruckverband muss abhängig von der Transplantatdicke, den Komorbiditäten (Diabetes, Immunsuppression) und weiteren Risikofaktoren (v.a. Nikotin) für ein bis zwei Wochen (Abb. 34–44) belassen werden. Bei Antikoagulation (hier ein Patient mit Hämophilie A und mit einem Tumor in einem Naevus flammeus) ist es wichtig, zur Blutstillung auch gleich noch einen Schaumstoff auf die Entnahmestelle (hier Hals) aufzunähen (Abb. 45).
Auf der Kopfhaut sind Lappenplastiken wegen der schlechten Verschieblichkeit des Skalps schnell sehr aufwendig. Hier sind die freien dicken Vollhauttransplantate, meist vom Oberarm, besonders hilfreich. (Abb. 46–51). Falls der Patient noch Haare auf dem Kopf hat, entnimmt man das Vollhauttransplantat an einer behaarten Stelle, die gut mittels Dehnungsplastik verschlossen werden kann. Oft ist die ideale Entnahmestelle nicht nuchal, sondern oberhalb oder hinter den Ohren. Auch diese behaarten Transplantate überleben mit dem dosierten Druck eines «Tie-over» aus Schaumstoff. Natürlich fallen die transplantierten Haare kurzfristig aus, wachsen danach aber problemlos wieder nach (Abb. 52–58).
Dermabrasio bei Mismatch
Nach dem gezeigten «Schaumstoff-Hack», der es ermöglicht, auch dicke Transplantate mit viel Subkutis zu verpflanzen, komme ich zurück zum Problem des Mismatchs zwischen eingesetzter und umgebender Haut. Um die harten, unnatürlich anulären Konturen der Transplantate zu brechen, muss man die Ränder mittels Dermabrasio (z.B. mit dem Gerät Osada XL-30W, möglich aber auch mit einer Nagelfräse) anschleifen. Bei der Anpassung der Dicke muss bedacht werden, dass die Transplantate trotz Silikonverband und Massage anfangs noch geschwollen sind. Die Dermabrasio kann frühestens nach 8 Wochen durchgeführt werden. Nach dem Abschleifen sind die Transplantate kaum mehr zu erkennen (Abb. 59–65).
Fazit – «because only reality is real»
Bei Exzisionsdefekten, v.a. im Gesicht, wird gerne vergessen, wie schön und unkompliziert diese Verletzungen auch ohne weitere Intervention des Arztes «sekundär» heilen. Für die tangentiale Exzision der Tumoren benutzt der Operateur meist ein Blade (wie beschrieben ist in der Schweiz nur noch das «BiopsiBlade» erhältlich). Zweckmässiger ist wie bereits erläutert ein Gerät aus der Fischerei. Wenn eine sekundäre Wundheilung aber nicht geeignet ist und eine Lappenplastik notwendig wird, benutze ich öfter als allgemein üblich freie Vollhauttransplantate. Diese sind unter Berücksichtigung der oben aufgeführten «Hacks» viel besser als ihr unschicker Ruf.
Seit 2005 habe ich zusammen mit einem engen Kollegen der HNO/Gesichtschirurgie (Dr. med. Markus Gerber, Zofingen) rund 1500 freie Vollhauttransplantate im Gesicht operiert. Die Transplantate sind trotz der Mitnahme von dicker Subkutis problemlos eingeheilt. Die allermeisten Operationen führen wir mithilfe der gezeigten improvisierten «Hacks» in Lokalanästhesie durch, einzeitig und ambulant. Um wiederum mit einem Zitat aus «Ready Player One» die «Hacks» abzuschliessen: «A gifted human player could always triumph over the game’s AI, because software couldn’t improvise.»
Alle weiteren Abbildungen finden Sie online: HIER
Quelle:
Die Zitate entstammen dem Spielfilm «Ready Player One» von Steven Spielberg, 2018
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