
Der gestielte anterolaterale Oberschenkellappen als rekonstruktive Option
Autoren:
Dr. med. Stephan A. Steiner1
PD Dr. med. Riccardo Schweizer2
PD Dr. med. Holger Klein1, 2
Dr. med. Matthias Waldner2
Prof. Dr. med. Pietro Giovanoli2
Prof. Dr. med. Jan A. Plock1, 2
1 Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Kantonsspital Aarau
2 Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Universitätsspital Zürich
Korrespondierender Autor:
Prof. Dr. med. Jan A. Plock
E-Mail: jan.plock@ksa.ch
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In der Weichteilrekonstruktion haben sich gestielte Perforatorlappen zu einer modernen Option entwickelt. Ihre Vorteile sind vielfältig: Sie weisen eine geringere Morbidität der Spenderstelle auf, erfordern keine mikrovaskuläre Anastomosierung und sind gleichzeitig vielseitig und zuverlässig. Hier berichten wir über unsere Erfahrungen bei Rekonstruktionen der Abdomino-Inguino-Genitalregion.
Keypoints
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Gestielte anterolaterale Oberschenkellappen sind eine wertvolle rekonstruktive Option für Weichteildefekte, die im Bereich des unteren Abdomens, des Perineums oder des Genitals liegen.
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Sie weisen eine geringe Spendermorbidität bei gutem rekonstruktivem Weichteilangebot auf.
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Die dreidimensionale Rekonstruktion mit ALT-Lappen kann den Erhalt der physiologischen Funktionen im Empfängerareal ermöglichen.
Defekte des Perineums, des unteren Abdomens und des Genitalbereiches sind für plastische Chirurgen eine Herausforderung. Häufig resultieren sie von Tumorresektionen, Infektionen oder Traumata und sind von beträchtlicher Grösse mit entsprechender Schädigung des umliegenden Gewebes. Die Region ist hoher mechanischer Belastung beim Sitzen oder Liegen ausgesetzt. Wir stellen hier die Resultate mit dem gestielten Lappen von dem anterolateralen Oberschenkel («anterolateral thigh», ALT)1 zur Rekonstruktion dieser Region vor, wie sie in der Literatur nur in wenigen grösseren Serien beschrieben sind.
Ergebnisse aus 4 Jahren Erfahrung
Wir führten am Universitätsspital Zürich eine retrospektive, deskriptive Studie für den Zeitraum März 2014 bis Oktober 2018 zur Verwendung von gestielten ALT-Lappen für die Deckung eines Weichteildefektes vom Perineum, dem unteren Abdomen und Genital durch. Dabei erhoben wir Daten zu Alter, Geschlecht, Ursache des Defektes, Grösse und Zusammensetzung des Lappens sowie Beobachtungen während der Verlaufskontrollen. Die postoperativen Komplikationen klassifizierten wir nach Clavien-Dindo.2 Diese Studie wurde in Übereinstimmung mit der kantonalen Ethikkommission des Kantons Zürich durchgeführt.
Im genannten Zeitraum wurden am Universitätsspital Zürich 19 Rekonstruktionen mit gestielten ALT-Lappen an 15 Patienten durchgeführt, wobei 11 fasziokutane und 8 myokutane Lappen verwendet wurden. Das numerische Mittel des Alters der Patienten betrug 69 Jahre. Der Grund des Defektes war in 13 Fällen eine Tumorresektion und in 2 Fällen ein Defekt nach einer Fournier-Gangrän. In 5 Fällen erstreckten sich die Defekte über das untere Abdomen und in 14 Fällen über den Perineal-/Genitalbereich. Bei 4 Patienten wurden bilaterale ALT-Lappen verwendet, um umfangreiche und komplexe Weichteildefekte zu rekonstruieren. Der Median des Follow-ups betrug 6 Monate. In 7 Fällen klassifizierten sich die Komplikationen gemäss Clavien-Dindo nach Grad II oder tiefer und konnten konservativ behandelt werden. Es gab keine Komplikationen, die höher als Grad IIIb eingestuft wurden, wobei die Komplikationen, die eine chirurgische Intervention benötigten, in je 3 Fällen ein Serom oder Wunddehiszenz waren und in je einem Fall eine partielle Lappennekrose sowie ein Lappenverlust. Obwohl alle Rekonstruktionen komplex waren und bei Patienten mit multiplen Komorbiditäten durchgeführt wurden, führten 18 der 19 Lappen zu einer erfolgreichen Rekonstruktion ohne langfristige Morbidität an der Spenderstelle.
Fallbeispiel
Exemplarisch beschreiben wir eine 74-jährige Patientin mit einem perinealen Weichteildefekt nach Resektion eines vaginalen Plattenepithelkarzinoms, wobei sich postoperativ eine Nahtdehiszenz bei Pseudomonas-Besiedelung zeigte (Abb.1A). Wir planten einen fasziokutanen gestielten ALT-Lappen von links mit einer Grösse von 20x6cm (Abb.1B). Der Lappen wurde anschliessend in den Defekt eingeschwenkt und die Spitzen der Spindel deepithealisiert, um als Plombe in die Tiefe als periurethrale Abstützung einzuschlagen (Abb.1C). Beim Follow-up nach 3 Monaten (Abb.1D) war die Kontinenz der Patientin wiederhergestellt.
Abb. 1: 74-jährige Patientin mit perinealem Weichteildefekt: (A) Nahtdehiszenz nach Resektion eines vaginalen Plattenepithelkarzinoms, (B) präoperative Planungszeichnung für einen fasziokutanen gestielten anterolateralen Oberschenkellappen, (C) intraoperativ nach Einschwenken des Lappens, (D) Follow-up nach 3 Monaten
Etablierung und Einsatzgebiete
Das Ziel unserer retrospektiven Analyse war es, die Vielfalt des gestielten ALT-Lappens bei abdominalen, perinealen und genitalen Weichteilrekonstruktionen aufzuzeigen. Basierend auf unserer Analyse bot der gestielte ALT-Lappen eine adäquate Deckung voluminöser Defekte in diesen Regionen und erfüllte das Ziel der Wiederherstellung von Form und Funktion. Seit Song et al.1 1984 erstmals über die Verwendung eines ALT-Lappens berichteten, hat sich diese Technik für die Weichteilrekonstruktion im gesamten Körper etabliert, da der Lappen divers zusammengesetzt werden kann und eine geringe Spendermorbidität aufweist.3 Aufgrund der frühen und umfangreichen Erfahrungen mit freien ALT-Lappen für die Weichteilrekonstruktion im Kopf- und Halsbereich wurde der gestielte ALT-Lappen Teil des Armamentariums der plastischen Chirurgie.4
Obwohl der gestielte ALT-Lappen noch nicht in gleichem Masse wie der freie ALT-Lappen eingesetzt wird, wurde er bereits erfolgreich für die Rekonstruktion der an die Spenderstelle angrenzenden Regionen verwendet.5 Im Jahr 2012 verglichen Kayano et al. die Ergebnisse von freien und gestielten ALT-Lappen bei komplexen Bauchwandrekonstruktionen und stellten fest, dass einzig die Operationsdauer bei freien ALT-Lappen aufgrund der notwendigen mikrovaskulären Anastomosen verlängert ist und keine weiteren statistisch relevanten Unterschiede auftreten.6
Abdomino-Inguino-Genitalregion
Die Rekonstruktion von Weichteildefekten des Perineums, des unteren Abdomens und des Genitalbereichs stellt eine besondere Herausforderung für die plastische Chirurgie dar, da die Wunden in diesen Bereichen oft grossflächig, vorbestrahlt oder kontaminiert sind. Häufig können primäre oder sekundäre Verschlüsse, Hauttransplantationen und sogar lokale Lappenplastiken die Form und Funktion nicht angemessen wiederherstellen.
Angesichts der Lage und Grösse der Defekte unserer Kohorte sowie der häufigen Vorbestrahlung des umliegenden Gewebes schlossen wir Muskellappen als Rekonstruktionsoption aus. Andere regionale Lappen lagen oftmals in vorbestrahlten Gebieten oder hätten einen intraoperativen Lagerungswechsel erfordert. Weiter waren manchmal Alternativen, wie der Rectus-abdominis-Lappen, bei bereits vorbestehenden Stomata ausgeschlossen.
Die Verwendung des gestielten ALT-Lappens für die Rekonstruktion dieser Defekte bietet ein zuverlässiges Hautareal in Defektnähe und einen langen Stiel, der einen weiten Rotationsbogen und eine grosse Reichweite ermöglicht. Der ALT-Lappen kann zudem, um mehr Volumen zu gewinnen, mit Anteilen des M. vastus lateralis kombiniert werden.7 Weiter kann die Faszia lata ebenfalls eingearbeitet werden, um beispielsweise mehr Stabilität bei einer Bauchwandrekonstruktion zu erreichen. Zu den Nachteilen des ALT-Lappens gehören die grosse Variabilität der Gefässversorgung einzelner Perforatoren zwischen den einzelnen Patienten sowie sein ausgeprägtes Volumen bei adipösen Patienten.8
Unsere Schlussfolgerungen
Der gestielte ALT-Lappen erweist sich in seiner Variabilität als sehr gut zur Defektrekonstruktion des Perineums, des unteren Abdomens und im Genitalbereich geeignet. Seine Vorteile liegen in der Länge des Gefässpedikels sowie der Option, den Lappen in Grösse und Zusammensetzung variabel zu gestalten. Aufgrund der Lokalisation sind häufig dreidimensionale Rekonstruktionen gefragt, bei denen der ALT-Lappen gute Voraussetzungen bietet. Er zeichnet sich durch eine tiefe Spendermorbidität aus, weshalb wir bei grösseren Defekten eher bilaterale Lappen als grosse unilaterale Lappen, wie sie in der Literatur beschrieben sind, durchführen.
Literatur:
1 Song YG et al.: Br J Plast Surg 1984; 37(2): 149-59 2 Dindo D et al.: Ann Surg 2004; 240(2): 205-13 3 Wei FC et al.: Plast Reconstr Surg 2002; 109(7): 2219-30 4 Friji MT et al.: Ann Plast Surg 2010; 64(4): 458-61 5 Lin CT et al.: ANZ J Surg 2017; 87(6): 499-504 6 Kayano S et al.: J Plast Reconstr Aesthet Surg 2012; 65(11): 1525-9 7 di Summa PG et al.: Ann Plast Surg 2015; 75(1): 66-73 8 De Beule T et al.: Br J Radiol 2016; 89(1063): 20150920
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