
3D-Druck in der Medizin – Hightech zum Anfassen
Unser Gesprächspartner:
PD Dr. mult. Florian M. Thieringer, MHBA
Kaderarzt/Co-Leiter 3D Print Lab
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsspital Basel
E-Mail: florian.thieringer@usb.ch
Das Interview führte
Jasmin Gerstmayr, MSc
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3D-Drucktechnologien erlauben es den Anwendern, komplexe Geometrien mithilfe von Hochleistungsmaterialien herzustellen. Besonders im Bereich der Chirurgie eröffnen 3D-Druckverfahren spannende Möglichkeiten: von der Anfertigung patientenspezifischer anatomischer Modelle, welche das chirurgische Team z.B. bei der Planung eines Eingriffs unterstützen können, bis zur hochpräzisen Herstellung passgenauer Implantate. Privatdozent Florian M. Thieringer, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg, hat gemeinsam mit dem Radiologen Dr. med. Philipp Brantner vor fast 6 Jahren am Universitätsspital Basel das 3D Print Lab gegründet und mit uns über die faszinierende Technologie des 3D-Drucks gesprochen.
Wie kam es zum Einsatz von 3D-Druckverfahren in der Medizin?
F. M. Thieringer: 3D-Druckverfahren gibt es schon relativ lange, mehr als dreissig Jahre. Wesentlich für die Entwicklung waren der Siegeszug der Computertomografie (CT) und die Möglichkeit, aus einem CT-Scan ein dreidimensionales virtuelles Modell zu erstellen. Die ersten anatomischen Modelle wurden in den 1980er-Jahren im «Rapid Prototyping»-Verfahren angefertigt, etwa Schädelmodelle, welche sich zur Planung operativer Eingriffe als sehr hilfreich erwiesen haben. Durch diese 3D-Modelle erhielten Ärzt*innen erstmals die Möglichkeit, die Anatomie ihrer Patient*innen noch vor einem Eingriff in den Händen zu halten, also buchstäblich zu «begreifen». Anhand der Modelle war es ausserdem möglich, Implantate, z.B. zur Stabilisierung von Knochenbrüchen oder zum Knochenersatz, perfekt vorzuformen und im Operationssaal wertvolle Zeit zu sparen.
Anfangs waren noch teure Hochleistungscomputer für den 3D-Druck notwendig, mittlerweile sind handelsübliche Computer mit einer «Gaming GPU» («graphics processing unit») und kostengünstige 3D-Drucker ausreichend. Mein damaliger Chef und Mentor Professor Hans-Florian Zeilhofer hat das Wissen und die Anwendung der 3D-Drucktechnologie im Universitätsspital Basel etabliert, als er vor 20 Jahren zum Chefarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie berufen worden ist. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, dass weiter an dieser innovativen Technologie geforscht wird, besonders im Bereich der patientenspezifischen Implantatherstellung.
Wie darf man sich den 3D-Druckprozess vorstellen?
F. M. Thieringer: Wie bereits erwähnt werden ein Computer mit einer ordentlichen Grafikkarte und ein 3D-Drucker benötigt. Diese sind in verschiedenen Grössen und Preisklassen, von einigen 100 bis zu mehreren Millionen Franken, erhältlich. Im Unterschied zu einem herkömmlichen Papierdrucker kann ein 3D-Drucker die dritte Dimension drucken, indem Schicht für Schicht Material auf eine bewegliche Bauplattform aufgetragen wird. Es ist dabei sogar schon möglich, in einem Druckvorgang harte und weiche oder verschiedenfarbige Materialien zu kombinieren. Die erzeugten Werkstücke werden nach dem Druckprozess je nach Einsatzzweck nachbearbeitet, gereinigt, gewaschen und für den Einsatz im OP sterilisiert.
Wofür werden am Unispital Basel 3D-Druckverfahren eingesetzt?
F. M. Thieringer: Gern nutzen wir die Technologie des 3D-Drucks zur Herstellung von patientenspezifischen Modellen, welche es dem Chirurgenteam ermöglichen, einen Eingriff genau zu planen und im interdisziplinären Team zu diskutieren. Nicht selten wurde ein bereits erstellter Operationsplan von Chirurg*innen nach Erhalt eines 3D-Modells wieder geändert und der anatomischen Situation angepasst. Das gesamte Team kann dank der hochpräzisen Modelle perfekt vorbereitet den Operationssaal betreten. Die Planung kann jedoch auch bereits am digitalen Modell erfolgen – gleich einer digitalen Landkarte, welche aus den CT-, seltener aus den Magnetresonanz-Tomografie-Daten berechnet wird. An diesem werden in meinem Fachgebiet z.B. Fehlstellungen im Kieferbereich oder Asymmetrien gut sichtbar. Der Datensatz kann ausserdem mit Oberflächendaten, z.B. von Zähnen und der Mundhöhle, angereichert werden.
Unsere Modelle finden jedoch nicht nur im Zuge der Operationsvorbereitung Anwendung, auch während des Eingriffs können z.B. die farbcodierten Modelle für Übersicht sorgen und dem Chirurgen etwa visualisieren, wo Schnitte zur Entfernung eines Tumors gesetzt werden müssen. Weiters lassen sie sich hervorragend bei der Ausbildung und beim Training unserer jungen Kollegen einsetzen. Auch für die Patienten persönlich sind die Modelle spannend: Der Chirurg kann anhand des spezifischen Modells dem Patienten den bevorstehenden Eingriff veranschaulichen und Ängste mildern; nach der Operation können auch Therapeut*innen die Modelle nutzen, was die Compliance der Patienten erhöhen kann.
Warum macht es Sinn, auch Implantate mit 3D-Druckverfahren anfertigen zu lassen?
F. M. Thieringer: Ähnlich wie bei den Modellen ermöglicht das 3D-Druckverfahren bei Implantaten eine individuelle, exakt auf den Patienten zugeschnittene Herstellung. Diese patientenspezifischen Implantate (PSI) passen perfekt und müssen nicht, im Gegensatz zu teil- oder gar nicht vorgeformten Standardimplantaten, mit der Hand während einer Operation angepasst werden. Durch den Einsatz von PSI verkürzt sich die Dauer von Operationen signifikant, also auch die Zeit, in der der Patient narkotisiert ist, was folglich das Komplikationsrisiko erniedrigt. Ebenso können passgenaue Implantate in Kombination mit einer 3D-Operationsplanung das OP-Team dabei unterstützen, die bestmöglichen minimal invasiven Zugangswege zu finden. Dies kommt natürlich ebenso dem Patienten zugute, mit wiederum verringertem Komplikationsrisiko und rascherer Gesundung nach dem Eingriff.
Die Implantate werden aus Hochleistungskunststoffen oder Titan hergestellt und können mit unterschiedlichen Beschichtungen und auch Löchern zur Drainage (z.B. bei Schädelimplantaten) versehen werden. Wichtig ist natürlich auch, dass die Implantate stets eine hohe Biokompatibilität und Sicherheit aufweisen. Im Vergleich zu den bei uns am Unispital angefertigten anatomischen Modellen müssen die PSI anspruchsvollere Zertifizierungsprozesse durchlaufen. Es ist allerdings ein grosser Vorteil, dass wir die Modelle und künftig auch Implantate direkt bei uns im Haus herstellen können.
Sie haben 2016 mit Ihrem Kollegen Dr. Philipp Brantner das 3D Print Lab am Unispital Basel gegründet.
F. M. Thieringer: Das ist korrekt, wir können nun die benötigten 3D-Modelle und bald auch Implantate direkt bei uns im Spital anfertigen lassen (Abb. 1). Davor wurden diese ausserhalb der Klinik hergestellt, was oft längere Zeit, zum Teil mehrere Wochen, in Anspruch nahm und mit hohen Kosten verbunden war. Dadurch war die Herstellung eines Modells zur Planung und Durchführung eines operativen Eingriffs oftmals keine wirkliche Option. Durch die Herstellung im Haus können wir kurze Wege und Prozesszeiten garantieren und Kosten minimieren. Normalerweise nimmt z.B. die Herstellung eines Anschauungs- und Biegemodells bei einem Patienten mit Hüftfraktur 24–36 Stunden in Anspruch. Wir haben nun in zeitkritischen Situationen sogar die Möglichkeit, mehrere unserer 3D-Drucker zeitgleich zu benutzen und die einzelnen Werkteile danach zusammenzusetzen, wodurch der Prozess auf ca. 6 Stunden verkürzt werden kann. Der reine Druckprozess z.B. eines Unterkiefermodells nimmt gar nur etwa zwei Stunden in Anspruch – wir können also wirklich schnell auf die Bedürfnisse der Ärzt*innen am Universitätsspital Basel eingehen.
Abb. 1: Implantate werden bald direkt am Unispital Basel 3D-gedruckt
Unser 3D-Print-Labor arbeitet in enger Kollaboration mit den Kolleg*innen aus der Radiologie und Chirurgie. Erstere haben grosse Expertise im Bereich der Bilddiagnostik, Zweitere bereichern uns mit ihrem Erfahrungsschatz aus dem Operationssaal. Die Räumlichkeiten unseres Labors befinden sich deshalb auch in der Radiologie, in unmittelbarer Nähe zum Operationssaal. Auf jeden Fall gibt es bei uns eine «Politik der offenen Tür» – die Fachärzt*innen können sich jederzeit mit ihren Fragen an uns wenden und wir bieten auch kurzfristige Termine an. Wir arbeiten auch mit vielen anderen Kliniken und Institutionen zusammen, etwa mit der Fachhochschule Nordwestschweiz, und es freut mich, sagen zu können, dass sich das Unispital Basel im Bereich 3D-Operationsplanung und 3D-Druck auch international bereits hohes Ansehen erarbeiten hat können (Abb. 2).
Abb. 2: Das Universitätsspital Basel ist Pionier im Bereich 3D-Druck im Krankenhaus
An welchen Projekten forschen Sie und Ihre Kolleg*innen derzeit im 3D Print Lab?
F. M. Thieringer: Da wäre etwa unser MIRACLE-Projekt, an welchem wir gemeinsam mit mehreren Forschungsgruppen am Department of Biomedical Engineering der Universität Basel arbeiten. Es wird dankenswerterweise von der Werner Siemens-Stiftung unterstützt. Das Akronym MIRACLE steht für «minimally invasive robot-assisted computer-guided laserosteotome». Konkret soll es darum gehen, den gesamten Operationsvorgang in der virtuellen Realität zu planen, erkrankte Knochen oder Knorpel mit einer intelligenten Roboter-Lasersäge präzise zu schneiden und 3D-gedruckte, personalisierte Implantate in einem minimal invasiven chirurgischen Eingriff einzusetzen. Die Chirurgie soll zukünftig also mehr und mehr individualisiert und dem zu behandelnden Patienten angepasst werden.
Bei einem anderen unserer Leuchtturmprojekte, welches in den kommenden fünf Jahren durchgeführt werden wird, werden wir mit Bioprinting-Verfahren zum biologischen Gewebeersatz arbeiten. Dabei werden menschliche Zellen mit einem 3D-Gerüst gedruckt werden, etwa um altersbedingter Knorpeldegeneration entgegenzuwirken. Der Innovationsfokus liegt hier auf dem Bereich der modernen regenerativen Chirurgie – zum Wohle unserer Patient*innen am Universitätsspital Basel.
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