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DKOU 2016

Zurück in die Zukunft

<p class="article-intro">Auf die orthopädisch-unfallchirurgische Versorgung zwischen Tradition und Innovation fokussierte der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2016. Wie sich Fortschritt und Tradition vereinen lassen, wurde in wissenschaftlichen und praxisrelevanten Sitzungen und Expertenrunden erörtert.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Unter dem Motto &bdquo;Zur&uuml;ck in die Zukunft&ldquo; konnten die mehr als 11.000 Besucher des Deutschen Kongresses f&uuml;r Orthop&auml;die und Unfallchirurgie 2016 nicht nur neue OP- und Medizintechnik kennenlernen, sondern auch Antworten auf ganz praktische Fragen der Gegenwart finden.</p> <h2>Bremsweg nach Wirbels&auml;ulenoperation</h2> <p>Eine der h&auml;ufigsten Fragen von Patienten nach einer Wirbels&auml;ulenoperation ist, wann sie wieder Auto fahren d&uuml;rfen. Dr. Ulf Krister Hofmann und Kollegen von der Orthop&auml;dischen Universit&auml;tsklinik T&uuml;bingen setzten deshalb 27 Patienten vor und 3 und 12 Monate nach einer lumbalen Fusionsoperation sowie einmalig 24 gesunde Kontrollpersonen in einen Fahrsimulator, um die Bremsreaktionszeit zu ermitteln.<sup>1</sup> Viele Patienten blieben unter kritischen Grenzwerten, aber ein Drittel zeigte noch ein Jahr nach der Operation bedenklich verlangsamte Reaktionen. Eine mediane Bremsreaktionsgeschwindigkeit von &uuml;ber 600ms zeigten 8 % der Kontrollpersonen, aber 31 % der Patienten vor wie auch 3 Monate nach der OP und mehr als ein Jahr danach sogar 41 % . Der mittlere Unterschied in der Bremsreaktionszeit zwischen Patienten und Kontrollen betrug nach einem Jahr 111ms, das entspricht einem um 3,1m verl&auml;ngerten Bremsweg. Im Verdachtsfalle m&uuml;sse man Patienten einen solchen Bremsreaktionstest anraten, meinte Hofmann. Selbstverst&auml;ndlich bleibe das Ergebnis unter Verschluss. Als Risikofaktoren f&uuml;r eine verlangsamte Bremsreaktion nannte er h&ouml;heres Alter, weibliches Geschlecht, starke Schmerzen und eine multisegmentale Fusion.</p> <h2>Mancher lernt&rsquo;s nie</h2> <p>Seit 40 Jahren gilt in Deutschland die Gurtpflicht im Auto. Einige Unbelehrbare gibt es immer noch, berichtete Priv.-Doz. Dr. Christian W. M&uuml;ller von der Medizinischen Hochschule Hannover. In der Auswertung von zwei Unfallregistern in Dresden und Hannover waren zwischen 1999 und 2014 4 % der beteiligten Autoinsassen nicht angeschnallt gewesen &ndash; immerhin 1.533 von 36.787 Unfallbeteiligten insgesamt.2 Die nicht Angeschnallten hatten ein signifikant h&ouml;heres Risiko f&uuml;r t&ouml;dliche Verletzungen als Angeschnallte (1,3 vs. 0,2 % der registrierten Unf&auml;lle; p&lt;0,001) und auch deutlich mehr relevante Verletzungen (17,8 vs. 4,9 % ; p&lt;0,001). Die Verletzungsschwere war bei nicht angeschnallten Unfallopfern im Mittel an allen Lokalisationen h&ouml;her. Besonders h&auml;ufig nicht angeschnallt waren junge M&auml;nner und erwachsene Mitfahrer auf der R&uuml;ckbank.</p> <h2>Metall drinnen lassen oder rausnehmen?</h2> <p>Dass Metallimplantate nicht zwingend entfernt werden m&uuml;ssen, belegten zwei auf dem DKOU vorgestellte Studien. Dr. Hans-Ulrich Rudolph von der BG Unfallklinik in Frankfurt am Main berichtete &uuml;ber 5-Jahres-Ergebnisse der Versorgung von komplexen distalen Radiusfrakturen mit multidirektional-winkelstabilen Plattensystemen.<sup>3</sup> Der Funktionsscore DASH (Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand) lag nach einem Jahr immer noch durchschnittlich bei 9,1 Punkten, nach 5 Jahren signifikant niedriger bei 3,8 Punkten. Dabei war es unerheblich, ob das Metall entfernt worden war oder nicht. Bei 10 Patienten (13,2 % ) traten Komplikationen auf, die bei 7 Patienten (9,2 % ) zu einer operativen Revision f&uuml;hrten, meist innerhalb von 6 Monaten nach dem prim&auml;ren Eingriff. Sp&auml;tkomplikationen mehr als ein Jahr nach dem prim&auml;ren Eingriff traten nicht auf. In Anbetracht des geringen Anteils an elektiven Metallentfernungen scheint das Implantat daher, wenn es korrekt eingebracht wurde, langfristig nicht zu st&ouml;ren, so Rudolphs Schlussfolgerung.<br /> Daf&uuml;r spricht auch eine Auswertung von Komplikationen bei der Entfernung von winkelstabilen und nicht winkelstabilen Osteosynthesen.<sup>4</sup> Winkelstabile Implantate senken zwar die Raten von Pseudarthrosen und sekund&auml;ren Fehlstellungen, gehen aber mit mehr Komplikationen bei der Materialentfernung einher. Bei 110 von 620 retrospektiv ausgewerteten F&auml;llen traten materialbedingte Komplikationen im Zusammenhang mit der Metallentfernung auf. Der Anteil bei nicht winkelstabiler Plattenosteosynthese lag bei 12,6 % , bei winkelstabiler bei 26,1 % (p&lt;0,01). H&auml;ufigste Ursachen waren ausgedrehte Schraubenk&ouml;pfe, ausgerissene/gebrochene Schrauben und der Einsatz von Spezialwerkzeug.</p> <h2>Balance auf High Heels</h2> <p>Schuhwerk mit hohem Fersenabsatz birgt nicht nur ein hohes Risiko f&uuml;r Distorsionen des oberen Sprunggelenks. Viele Frauen berichten auch von chronischen Nacken-, R&uuml;cken- und Knieschmerzen, ohne dass die Ursachen im Einzelnen klar sind. PD Dr. Georg Osterhoff und Kollegen vom Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich untersuchten 23 Frauen, die im Alltag nicht st&auml;ndig hohe Abs&auml;tze tragen, im Niedrigdosis- Ganzk&ouml;rper-R&ouml;ntgen, um herauszufinden, wie die sagittale Balance bei der starken Absatzerh&ouml;hung aufrechterhalten wird.<sup>5</sup> Tats&auml;chlich war der Anteil der Kompensation nicht &ndash; wie oft vermutet &ndash; im Rumpfbereich besonders hoch, sondern in den unteren Extremit&auml;ten: Die Untersucher fanden vor allem eine erh&ouml;hte Flexion in H&uuml;ften, Knien und Sprunggelenk, bei einigen Frauen mit geringerer Knieflexion auch noch eine zervikale Lordose. Das k&ouml;nnte das unterschiedliche Bild von Knie- und Nackenbeschwerden bei habituellen High-Heels-Tr&auml;gerinnen erkl&auml;ren. Eine lumbale Lordose wurde dagegen kaum beobachtet. M&ouml;glicherweise reagiert hier eher das muskul&auml;re System auf eine starke Belastung mit Schmerzen, meinte Osterhoff. Intraoss&auml;re Nervenablation beim chronischen Lumbalschmerz Bei chronischen lokalen R&uuml;ckenschmerzen im unteren R&uuml;ckenbereich kann die intraoss&auml;re Ablation der basivertrebralen Nerven mit dem System Intracept&trade; die Beschwerden lindern. Darauf weist eine erste Auswertung der randomisierten, doppelblinden und Sham-kontrollierten Phase- I-Studie SMART hin, die Priv.-Doz. Dr. J&ouml;rg Franke aus Magdeburg in Berlin vorstellte.<sup>6</sup> Die Einf&uuml;hrung der kr&uuml;mmbaren Nadel an die &ndash; vorher in der Magnetresonanztomografie definierten &ndash; Stellen erfolgt &uuml;ber das basisvertebrale Foramen unter Fluoroskopiekontrolle. Die kontrollierte Ablation ben&ouml;tigt laut Franke etwa eine halbe Stunde pro Wirbelk&ouml;rper. 147 von insgesamt 225 Studienteilnehmern hatten die aktive Ablation erhalten. Der prim&auml;re Endpunkt war die Reduktion des Oswestry Disability Index (ODI) nach 3 Monaten. Es zeigte sich ein sehr gutes Ergebnis bei Sham-Behandlung mit einer Abnahme von 16,2 Punkten (35,0 % ) nach der &bdquo;Intent-totreat&ldquo;- Analyse. Doch die minimal invasive intraoss&auml;re Ablation war noch signifikant besser mit einer Abnahme um 20,5 Punkte (48 % , p=0,045). Die Besserung hielt &uuml;ber 12 Monate an und spiegelte sich auch in einer gr&ouml;&szlig;eren Abnahme der Schmerzen gegen&uuml;ber der Sham-Behandlung auf einer visuellen Analogskala und einer deutlicheren Verbesserung der Lebensqualit&auml;t nach dem Short-Form-36-Fragebogen wider. Unerw&uuml;nschte Ereignisse waren in beiden Gruppen vergleichbar in H&auml;ufigkeit und Schwere. F&uuml;r Franke stellt das Verfahren eine echte Alternative zu konservativen Therapien wie auch operativen Verfahren beim chronischen lumbalen R&uuml;ckenschmerz dar. In den USA hat die FDA das Verfahren auf Basis von ersten 24-Monats-Daten bereits im M&auml;rz 2016 zugelassen.</p> <h2>Negativergebnisse sind auch erhellend</h2> <p>Der Blutverlust im Rahmen der Implantation einer Knieprothese kann betr&auml;chtlich sein. Um das Risiko der Fremdblutgabe zu reduzieren, werden Retransfusionssysteme verwendet, bei denen Blut aufgefangen wird und zur&uuml;cktransfundiert werden kann. Eine prospektiv randomisierte Studie an der Universit&auml;t D&uuml;sseldorf fand aber keine signifikante Reduktion der Fremdblutgaben bei Einsatz eines allogenen Retransfusionssystems im Vergleich zu einer Sham-Behandlung.<sup>7</sup> Auch die postoperativen H&auml;moglobinverl&auml;ufe waren nicht verbessert. Da die Systeme zudem teuer sind, muss der Einsatz bei der Implantation von Knieprothesen infrage gestellt werden. &bdquo;Wir machen es nicht mehr&ldquo;, sagte der Autor Dr. Ioannis Giannakopoulos.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), 25.–28. Oktober 2016, Berlin </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hofmann UK et al: DKOU 2016; WI29-576 <strong>2</strong> M&uuml;ller CW et al: DKOU 2016; WI29-1192 <strong>3</strong> Rudolph HU et al: DKOU 2016; WI28-931 <strong>4</strong> Neumann H et al: DKOU 2016; WI28-760 <strong>5</strong> Osterhoff G et al: DKOU 2016; WI29-847 <strong>6</strong> Franke J et al: DKOU 2016; BV17-2517 <strong>7</strong> Giannakopoulos I et al: DKOU 2016; WI28-931</p> </div> </p>
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