
Zur Zukunft der Handfehlbildungschirurgie in Österreich
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Hildegunde Piza-Katzer
ehem. Vorständin der Klinik für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Innsbruck
Autor:
Dr. Lisa Mailänder
Abteilung für Chirurgie, Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck<br>E-Mail: dr.mailaender@gmx.at
30
Min. Lesezeit
30.03.2017
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<p class="article-intro">Handfehlbildungen zählen zu den seltenen Erkrankungen. Wer in Österreich Kinder mit einer Handfehlbildung behandeln soll, ist derzeit nicht geregelt, und wer dies am besten kann, ist nicht bekannt. Voraussetzung für eine optimale Behandlung ist die Erstellung eines individuellen Konzeptes, um mit so wenigen Eingriffen wie möglich das beste funktionelle Ergebnis zu erzielen. Dafür ist eine hohe Expertise der Behandler notwendig und Betroffene sollten raschen Zugang zu den Abteilungen mit der höchsten Fachkompetenz erhalten. </p>
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<p class="article-content"><h2>Stiefkind Handfehlbildungschirurgie?</h2> <p>Die Hände sind für ein Kind das Tor zur Umwelt. Durch sie begreift und kommuniziert es. Handfehlbildungen zählen mit einer Inzidenz von 1/2.000 bis 1/10.000 Lebendgeborenen zu seltenen Erkrankungen. Sie können als isolierte Fehlbildung einseitig oder beidseitig vorkommen oder im Rahmen einer Mehrfachfehlbildung/eines Syndroms auftreten. Kaum eine Handfehlbildung derselben Entität gleicht einer anderen. Manche sind so selten, dass auch die erfahrensten Spezialisten nur kleine Fallzahlen überblicken können.<br />Dies stellt – ob die Fehlbildung pränatal bekannt ist oder nicht – sowohl die Eltern als auch die behandelnden Ärzte vor eine Vielzahl an Herausforderungen. Es gilt, für jedes Kind einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen, der die Gesamtsituation des Kindes und seinen Entwicklungsstand mit einbezieht. Beim Vorliegen von Mehrfachfehlbildungen (kardial, intestinal, zerebral oder an den unteren Extremitäten) muss ein Gesamtkonzept zur Reihung der Dringlichkeit der notwendigen Eingriffe erstellt werden. Liegt auch eine Entwicklungsverzögerung vor, gilt es, andere Maßstäbe anzulegen als bei einem regulär entwickelten Kind. Das erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Therapeuten und Ärzten vieler Disziplinen (Neonatologie, Kinderkardiologie, Pädiatrie, Anästhesie und Kinderintensivstation, Radiologie, Neurochirurgie, Orthopädie).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s30.jpg" alt="" width="1454" height="1792" /></p> <p><br />Die Einbindung der pädiatrisch geschulten Ergotherapeuten zur Anpassung von Schienen und die Beratung bezüglich Hilfsmittel (Griffverlängerung für das Fahrrad, Schmuckprothesen) sind ebenso selbstverständlich wie die Möglichkeit, Nahtentfernungen bei Kleinkindern in Narkose durchzuführen. <br />Ziel eines guten Konzeptes ist es, in wenigen Eingriffen das beste funktionelle Ergebnis zu erzielen. Das bedeutet, dass beispielsweise beim Vorliegen einer beidseitigen Handfehlbildung auch eine einzeitige, beidseitige Korrekturoperation in Betracht gezogen werden soll – oder, wenn alle vier Extremitäten betroffen sind, zumindest eine Hand und ein Fuß in einer Narkose korrigiert werden. Dies spart insgesamt Narkosezeit, Bettentage und Zeit, in der ein Kind durch eine Verbandanordnung gehandicapt ist. Es verhindert aber auch, dass ein Kind viele Wochen seiner Kindheit wegen zahlreicher Eingriffe im Krankenhaus verbringen muss und die Eltern Arbeitstage verlieren. <br />Jedes Kind hat nur eine Chance auf die optimale Behandlung. Um eine hohe Qualität zu gewährleisten, ist die genaue Analyse des Kindes in jeder Entwicklungsphase durch erfahrene Ärzte unabdingbar. Den Besonderheiten des sich entwickelnden Skelettes muss ebenso Rechnung getragen werden wie dem im Wachstum befindlichen Weichteilmantel. Die Operationen sind sehr häufig technisch höchst anspruchsvoll, da nicht nur die Komplexität der Handfunktionen respektiert werden muss, sondern auch darauf geachtet werden soll, dass die durch die Operation gesetzten Narben oder fehlverheilte Knochen im Lauf des Wachstums zu keiner Funktionseinschränkung führen. <br />Regelmäßige Kontrollen der Kinder bis zum Wachstumsabschluss sind notwendig, um Korrekturen rechtzeitig durchführen zu können. Daraus ergibt sich eine langjährige Arzt-Patienten-Beziehung. Hilfestellung bei der Schul- und Berufswahl sowie bei der Auswahl einer möglichen Sportart oder des passenden Musikinstrumentes soll gegeben werden können, um das heranwachsende Kind und seine Familie zu unterstützen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s31.jpg" alt="" width="1454" height="1241" /></p> <h2>Es besteht Handlungsbedarf</h2> <p>Es gibt wenige Kinder mit Handfehlbildungen in Österreich. Um wie viele Patienten es sich genau handelt, wissen wir leider nicht. Die Methoden der Pränataldiagnostik schaffen immer früher in der Schwangerschaft die Möglichkeit, Fehlbildungen oder das Vorliegen eines Syndroms zu erkennen. Anzunehmen ist, dass dadurch auch weniger fehlgebildete Kinder zur Welt kommen. Daten über die Anzahl der aus medizinischer Indikation beendeten Schwangerschaften bei vorliegenden Fehlbildungen gibt es auch nicht, ebenso liegen keine Daten über Fehlbildungen bei Spontanaborten vor. <br />Auch bei lebend geborenen Kindern mit einer Fehlbildung wird diese nicht erfasst oder in ein Fehlbildungsregister eingegeben, lediglich bei Kindern, die im Rahmen von reproduktionsmedizinischen Maßnahmen gezeugt worden sind, werden Fehlbildungen grob erfasst. Ein flächendeckendes österreichisches Fehlbildungsregister fehlt.</p> <h2>Zukunftskommission Handfehlbildungschirurgie</h2> <p>Die Österreichische Gesellschaft für Handchirurgie hat es sich vor über zwei Jahren im Rahmen der Zukunftskommission Handfehlbildungschirurgie zum Ziel gesetzt, alle Fachrichtungen und Abteilungen einzubinden, die Kinder mit Handfehlbildungen behandeln. Es soll ein Überblick geschaffen werden, wie viele Kinder mit welchen Fehlbildungen es verteilt auf Österreich gibt und wie und wo sie behandelt werden. Durch die ermittelten Daten sollen Informationen für Zuweiser und betroffene Eltern bereitgestellt werden können, die es ermöglichen, ein Kind prä- und postpartal so rasch wie möglich an einer kompetenten Einrichtung vorzustellen. Auch die Aus- und Fortbildung für Medizinstudenten und Kollegen der verschiedensten Fachrichtungen sowie Ergotherapeuten soll in diesem hochspezialisierten Gebiet gefördert werden. <br />Die Datenerhebung gestaltet sich schwierig, da die ICD-Codes die einzelnen Fehlbildungen nur mangelhaft repräsentieren. Keine Fehlbildung gleicht der anderen und sie ist auch nicht immer exakt zu klassifizieren. <br />Für die Codierung der Operationen existieren nur zwei Codes: für die Korrektur der einfachen oder die der komplexen Handfehlbildung. Die Codierung erfolgt pro Eingriff, nicht pro Patient. Es liegt also in der Erfahrung des Behandlers, wie häufig ein Kind operiert werden muss und wie eine Handfehlbildung und deren Therapie verschlüsselt werden. Somit kann durch die derzeit mögliche Datenerhebung weder auf die Anzahl der Operationen noch auf die Anzahl der betroffenen Kinder ein Rückschluss gezogen werden und auch nicht darauf, wie oft ein und derselbe Patient operiert wurde. <br />In Zukunft soll die Behandlung der Kinder auf wenige Ärzte mit höchster Fachkompetenz und Erfahrung konzentriert werden. Das entspricht auch der Umsetzung des Nationalen Aktionsplanes zur Behandlung seltener Erkrankungen. Ein verpflichtendes österreichisches Fehlbildungsregister soll Aufschluss über die Entwicklung der Patientenzahlen geben.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Ladurner J, Voigtländer T: National and European concepts for the bundling of expertise for rare diseases. Pediatric Paedolog Austria 2015; 50(S2): 66-73 • Lamb DW, Wynne-Davies R: Inheritance and other possible causes of congenital deformities. In: Buck-Gramcko D (Hg.): Con­genital malformations of the hand and forearm. Churchill Livingstone, 1998, p3-7 • Piza-Katzer H, Mailänder L, Wenger A: Hand malformation surgery in Austria. Pediatric Paedolog Austria 2016; 51(S2): 59-62 • Piza-Katzer H, Wenger A: Angeborene Fehlbildungen der Hand. In: Towfigh H et al (Hg.): Handchirurgie. Heidelberg: Springer, 2011, S. 470-526 • Voigtländer T, Ladurner J: National and European concepts for the bundling of expertise for rare diseases. Pediatric Paedolog Austria 2015; 50(S2): 74-80 • Waldhauser F, Deutsch J, Gobara S: Kompetenzzentren und Versorgungsnetzwerke für Kinder und Jugendliche mit seltenen Erkrankungen. Pädiatrie & Pädologie 2015; 50(S2): 25-8</p>
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