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Trainingstherapie bei gebrechlichen alterstraumatologischen Patienten

<p class="article-intro">Seit 10 Jahren wird die Trainingstherapie als eine Methode der Sekundärprävention bei Senioren und gebrechlichen Patienten propagiert. Der Slogan lautet: «Exercise is medicine.» Die meisten alterstraumatologischen Patienten haben einen Sturz erlitten und sich eine osteoporotische Fraktur («fragility fracture») zugezogen. Wie stark ist die Evidenz heute, dass eine gezielte Trainingstherapie weitere Stürze und damit auch Frakturen verhindern kann?</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Aus zwei Metaanalysen ergeben sich Hinweise, dass die Zahl sturzbedingter Frakturen durch eine spezifische Trainingstherapie reduziert werden kann.<sup>1, 2</sup> Die Daten zu Wirbelfrakturen sind jedoch unklar. Eine Limitation der beiden Metaanalysen besteht darin, dass die einzelnen zusammengefassten Studien sehr klein und das Patientenkollektiv heterogen waren. Wichtig w&auml;re zudem eine getrennte Betrachtung von relativ robusten, leicht gebrechlichen (&laquo;prefrail agers&raquo;) und gebrechlichen (&laquo;frail&raquo;) &auml;lteren Patienten. Dieser Unterschied ist wichtig, da das Ausmass der Gebrechlichkeit ein wesentlicher Risikofaktor f&uuml;r erneute Sturzereignisse sowie deren Folgen darstellt.</p> <h2>Studien</h2> <p>In der Z&uuml;rcher H&uuml;ftbruchstudie zu 173 mehrheitlich gebrechlichen Patienten mit akutem H&uuml;ftbruch und einem Durchschnittsalter von 84 Jahren (79 % Frauen) konnten durch ein im Akutspital instruiertes einfaches Heimprogramm, das &uuml;ber ein Jahr zu Hause weitergef&uuml;hrt wurde, eine Sturzreduktion von 25 % (signifikant) und eine Frakturreduktion von 56 % (p=0,08) erreicht werden.<sup>3</sup> Das Programm bestand aus einfachen Kr&auml;ftigungs&uuml;bungen f&uuml;r Beine (H&uuml;ft- und Kniestrecker sowie Abduktoren), Arme und Schultermuskeln mit Theraband und einer statischen Gleichgewichts&uuml;bung (Abb. 1).<br /><br /> In einer finnischen Studie mit 407 zu Hause lebenden Frauen im Alter von 70 bis 80 Jahren, die im Jahr zuvor einen Sturz erlitten hatten, wurde ebenfalls ein Heimprogramm mit Kr&auml;ftigungs- und Gleichgewichts&uuml;bungen untersucht.<sup>4</sup> Die Teilnehmer nahmen neben dem Heimprogramm im ersten Jahr zweimal pro Woche und im 2. Jahr einmal pro Woche an einer Gruppentherapie teil. Bei der Auswertung nach 2 Jahren liess sich zwar kein Unterschied zwischen der Anzahl an Sturzereignissen feststellen, allerdings hatte die Trainingsgruppe 55 % (signifikant) weniger St&uuml;rze, die zu schweren Verletzungen oder Hospitalisationen f&uuml;hrten.<sup>4</sup> Die Trainingsgruppe zeigte zudem, verglichen mit der Kontrollgruppe, eine signifikante Verbesserung bez&uuml;glich Beinkraft, Ganggeschwindigkeit und &laquo;repeated chair stands&raquo;, was m&ouml;glicherweise erkl&auml;rt, warum es bei den Personen in der Trainingsgruppe zu weniger Verletzungen kam.<br /><br /> In einer grossen franz&ouml;sischen Studie mit 706 Teilnehmerinnen im Alter von 75 bis 85 Jahren konnte ebenfalls ein Effekt eines gezielten Gleichgewichts- und Kr&auml;ftigungstrainingsprogramms nachgewiesen werden.<sup>5</sup> Bei dieser Studie wurden zu Hause lebende Sturzrisikopatientinnen eingeschlossen (Personen mit verminderter Ganggeschwindigkeit und eingeschr&auml;nktem Gleichgewicht). Nach 2 Jahren Trainingsintervention verbesserten sich die Patientinnen der Trainingsgruppe signifikant in allen Funktionstests und hatten 19 % (signifikant) weniger St&uuml;rze mit Verletzungen, verglichen mit der Kontrollgruppe. In der LIFE-Studie mit 1635 zu Hause lebenden Senioren im Alter von 70 bis 89 Jahren, die mindestens 400 Meter in 15 Minuten gehen konnten, wurde ein kombiniertes moderates Trainingsprogramm durchgef&uuml;hrt. Die Teilnehmer sollten jede Woche mindestens 150 Minuten gehen (dynamisches Gleichgewichtstraining) und zweimal pro Woche ein leichtes Kr&auml;ftigungsprogramm der unteren Extremit&auml;ten und ein einfaches statisches Gleichgewichtsprogramm durchf&uuml;hren. Die Autoren konnten zeigen, dass sich die Trainingsgruppe in den funktionellen Tests wie &laquo;Short Physical Performance Battery&raquo; (SPPB) und &laquo;sit-to-stand&raquo; leicht verbesserte. Allerdings hatte das Trainingsprogramm keinen Effekt auf die Inzidenz von Gebrechlichkeit (&laquo;Frailty&raquo;, gem&auml;ss SOF-Definition).<sup>6</sup> Ausserdem zeigte sich in der Trainingsgruppe &uuml;ber 2,6 Jahre Follow-up eine 10 % ige Verminderung der Anzahl an St&uuml;rzen mit schweren Verletzungen.<sup>7</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s70_abb1.jpg" alt="" width="700" height="515" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>Aufgrund der heutigen Datenlage muss das Trainingsprogramm f&uuml;r leicht gebrechliche und gebrechliche Patienten individuell angepasst werden. Sinnvollerweise besteht es aus einem aeroben Trainingsprogramm wie Laufen sowie gezielten Kr&auml;ftigungs&uuml;bungen der oberen und unteren Extremit&auml;ten, wie St&auml;rkung der H&uuml;ftstrecker/Rotatoren und Abduktoren. Bei den Kr&auml;ftigungs&uuml;bungen sind spezifische &Uuml;bungen zur St&auml;rkung der vorderen, hinteren und seitlichen Rumpfmuskulatur extrem wichtig. Die St&auml;rkung der Rumpfmuskulatur ist wesentlich, weil sich beim osteoporotischen Patienten die Statik der Wirbels&auml;ule stark ver&auml;ndert und sich der Schwerpunkt meistens nach vorne verlagert. Diese Ver&auml;nderung beg&uuml;nstigt &ndash; neben den anderen Faktoren wie gest&ouml;rtem Gleichgewichtssinn, eingeschr&auml;nktem Visus und reduziertem Gesichtsfeld &ndash; die Falltendenz.<br /> Die Rumpfkr&auml;ftigungs&uuml;bungen k&ouml;nnen nach einem akuten Trauma auch im Sitzen durchgef&uuml;hrt werden. Matten&uuml;bungen am Boden sind meistens nicht durchf&uuml;hrbar. Zudem sollte das Training im Verlauf mit statischen und dynamischen Gleichgewichts&uuml;bungen kombiniert werden.<sup>8</sup><br /> Gem&auml;ss Datenlage ist eine Kombination von Heim&uuml;bungen mit einer Gruppentherapie sinnvoll. Die Gruppentherapie d&uuml;rfte auch einen wesentlichen Faktor zur sozialen Interaktion darstellen. Nach einem Trauma wird in der Regel eine Einzeltherapie durchgef&uuml;hrt. Im Verlauf werden der Schweregrad der &Uuml;bungen und die Intensit&auml;t gesteigert. Allerdings sollten erfahrene Therapeuten in den Behandlungsprozess involviert sein, da multimorbide Patienten h&auml;ufig bereits voroperiert sind und mehrere Implantate tragen. Zudem wurden bei vielen Patienten auch Wirbels&auml;uleneingriffe mit Spondylodesen durchgef&uuml;hrt. Diese Voroperationen k&ouml;nnen das Therapiespektrum ebenfalls einschr&auml;nken.<br /> Die Kombination von dynamischem Gleichgewichtstraining mit Koordinations&uuml;bungen ist ebenfalls sinnvoll. Bei stark sturzgef&auml;hrdeten Patienten kann dieses Training nur mit einer Hilfsperson durchgef&uuml;hrt werden. In den letzten Jahren werden zunehmend Tanzgruppen f&uuml;r Senioren angeboten, welche die spezifische Dalcroze-Therapie mit Begleitmusik durchf&uuml;hren.<sup>9, 10</sup> Dies ist eine Kombination von dynamischem Gleichgewichtstraining, Koordinationstraining und kognitivem Training. Es ist heute noch nicht klar, ob diese Therapie vorwiegend sequenziell oder kombiniert durchgef&uuml;hrt werden soll.<br /> Die Indikationsstellung f&uuml;r eine gezielte Trainingstherapie sollte nach geriatrischer Abkl&auml;rung in einem Kompetenzzentrum erfolgen. Zur einfachen Evaluation des Sturzrisikos in der Hausarztpraxis k&ouml;nnen der Tandemstand und der 6-Meter- Gehtest genutzt werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Gillespie LD et al.: Interventions for preventing falls in older people living in the community. Cochrane Database Syst Rev 2012; (9): CD007146 <strong>2</strong> Kemmler W, Haberle L, von Stengel S: Effects of exercise on fracture reduction in older adults: a systematic review and meta-analysis. Osteoporos Int 2013; 24(7): 1937-50 <strong>3</strong> Bischoff-Ferrari HA et al.: Effect of high-dosage cholecalciferol and extended physiotherapy on complications after hip fracture: a randomized controlled trial. Arch Intern Med 2010; 170(9): 813-20 <strong>4</strong> Patil R et al.: Effects of a multimodal exercise program on physical function, falls, and injuries in older women: a 2-year community-based, randomized controlled trial. J Am Geriatr Soc 2015; 63(7): 1306-13 <strong>5</strong> El- Khoury F et al.: Effectiveness of two year balance training programme on prevention of fall induced injuries in at risk women aged 75-85 living in community: Oss&eacute;bo randomised controlled trial. BMJ 2015; 351: h3830 <strong>6</strong> Trombetti A et al.: Effect of physical activity on frailty: secondary analysis of a randomized controlled trial. Ann Intern Med 2018; 168(5): 309-16 <strong>7</strong> Gill TM et al.: Effect of structured physical activity on prevention of serious fall injuries in adults aged 70-89: randomized clinical trial (LIFE Study). BMJ 2016; 352: i245 <strong>8</strong> Gschwind YJ et al.: A best practice fall prevention exercise program to improve balance, strength / power, and psychosocial health in older adults: study protocol for a randomized controlled trial. BMC Geriatr 2013; 13: 105 <strong>9</strong> Kressig RW, Allali G, Beauchet O: Long-term practice of Jaques-Dalcroze eurhythmics prevents age-related increase of gait variability under a dual task. J Am Geriatr Soc 2005; 53(4): 728-9 <strong>10</strong> Trombetti A et al.: ["Jaques-Dalcroze eurhythmics" improves gait and prevents falls in the elderly]. Rev Med Suisse 2011; 7(299): 1305-8, 1310</p> </div> </p>
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