© Getty Images/iStockphoto

Stellenwert des Dual-Mobility-Systems in der Hüfttotalendoprothetik

<p class="article-intro">Das Dual-Mobility-Konzept ist eine bewährte Methode in der Hüftendoprothetik, insbesondere bei Patienten mit einem stark erhöhten Luxationsrisiko bzw. bei stattgehabten Luxationen. Es bieten sich multiple Anwendungsmöglichkeiten in der Primär- und insbesondere der Revisionsendoprothetik. Mittel- und langfristige Daten zeigen bisher ein Überleben von >90 % . Das System bewirkt keinen erhöhten Abrieb im Vergleich zur Standardpfanne. Implantatspezifische Komplikationen sind die intraprothetische Dislokation und das Psoasimpingement bei großen Pfannen. Ein Dual-Mobility- System sollte zum Standardarmamentarium einer auf Endoprothetik spezialisierten Abteilung gehören.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Luxation ist nach wie vor eine der h&auml;ufigsten Komplikationen in der Prim&auml;rendoprothetik des H&uuml;ftgelenkes. Die Wahrscheinlichkeit einer postoperativen Luxation ist zwar durch den routinem&auml;&szlig;igen Einsatz von 36mm-K&ouml;pfen, minimal invasiven OP-Techniken und nicht zuletzt durch bessere pr&auml;operative Planung deutlich geringer als in der Vergangenheit, dennoch ist die Instabilit&auml;t des H&uuml;ftgelenkes ein Hauptrevisionsgrund nach Prim&auml;reingriffen. Die Problematik der H&uuml;ftgelenksinstabilit&auml;t steigt in der Revisionschirurgie und Tumororthop&auml;die exponentiell an und stellt hier eine gro&szlig;e orthop&auml;dische Herausforderung dar.<br /> H&auml;ufig ist die Dislokation ein multifaktorielles Geschehen. Implantlage und Position (kombinierte Version, Drehzentrum &ndash; femoraler und acetabul&auml;rer Offset), Kopfgr&ouml;&szlig;e, Weichteilsituation, operativer Zugangsweg etc. sind wichtige Faktoren, welche die Stabilit&auml;t beeinflussen. Risikofakoren f&uuml;r eine Luxation sind neurologische Erkrankungen (Spastik, L&auml;hmungen, Insult, Parkinson etc.), Adipositas, Sarkopenie, Alter &gt;75 Jahre, Revisionsoperationen, posttraumatische und sonstige Fehlstellungen, gro&szlig;e Knochen- und/oder Weichteildefekte, Schenkelhalsfrakturen etc. Es gibt daher eine Vielzahl von implantattechnischen L&ouml;sungen (&uuml;berh&ouml;hte Inlays, K&ouml;pfe ab 40mm, &bdquo;constrained liner&ldquo; etc.) und auch verschiedene Weichteileingriffe mit und ohne Kunstbandaugmentation, die in der Literatur pr&auml;sentiert worden sind.<br /> Das Ziel dieser Arbeit soll sein, Konzept, Ergebnisse und Anwendungsbeispiele des Dual-Mobility-Systems in der Prim&auml;r- und Revisionsendprothetik zu beschreiben. Gilles Bousquet, Andr&eacute; Rambert, Jean Rieu und Daniel Noyer aus St. Etienne, Frankreich, entwickelten in der fr&uuml;hen 1970er-Jahren, basierend auf den Modell von Christiansen, das Dual-Mobility- Konzept der HTEP, um Abrieb und Stabilit&auml;t zu verbessern. Es beinhaltet eine zementierbare oder zementfreie metallische Pfanne und ein mobiles Polyethylengleitlager, das einen Metall- oder Keramikkopf umschlie&szlig;t. 1977 wurde erstmals der &bdquo;Tripod&ldquo;, eine zementierbare Dual- Mobility-Pfanne, implantiert. Ab 1979 waren die ersten zementfreien Pfannen &ndash; eine Aluminiumoxid-beschichtete Pfanne aus rostfreiem Stahl mit dem Namen &bdquo;Novae&ldquo; und in weiterer Folge die &bdquo;Lithia&ldquo; mit einer zus&auml;tzlichen Makrostruktur &ndash; am Markt erh&auml;ltlich (beide von der Fa. Serf, Frankreich). Modifikationen dieser ersten Generation, wie z.B. HA-Titanplasmaspray- Beschichtung, Reduktion des anterioren Overhang und nat&uuml;rlich auch die Entwicklung von &bdquo;highly crosslinked&ldquo; PE mit und ohne Vitamin E f&uuml;hrten zu einer weiteren signifikanten implantattechnischen Verbesserung der derzeit am Markt befindlichen Implantate.<br /> Die verschiedenen Varianten am Markt sind in Abbildung 1 zusammengefasst. Es muss erw&auml;hnt werden, dass sowohl beim MDM-X3-System als auch bei der LUMICPfanne ein gro&szlig;er Metall-Metall-Oberfl&auml;chenkontakt besteht, da die Shell bzw. das Metallinlay verpresst wird. Dies k&ouml;nnte langfristig zu einem erh&ouml;hten Metallabrieb f&uuml;hren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s16_abb1.jpg" alt="" width="684" height="1111" /></p> <h2>Funktionsmechanismus, Abrieb, Ergebnisse</h2> <p>Es gibt grunds&auml;tzlich zwei Bewegungsradien: Der erste liegt zwischen dem Kopf und der konkaven Seite des Polyethylens und der zweite zwischen PE und Pfanne. Bei kleinen Bewegungsumf&auml;ngen bewegt sich der Kopf innerhalb des PE-Gleitlagers. Der innere Bewegungsradius zwischen Kopf und Polyethylen erzielt beim 22mm-Kopf einen konischen Bewegungsradius von 51&deg; und beim 28mm-Kopf einen Radius von 76&deg; (Novae, Fa. Serf, Frankreich). Dar&uuml;ber hinaus kommt es zum Kontakt des Halses mit dem PE-Kopf und dieser beginnt sich mitzubewegen. Der zweite Bewegungsradius zwischen PE und Pfanne h&auml;ngt im Wesentlichen von der Pfannengr&ouml;&szlig;e ab. Hier ist der Radius bei einer 43er-Pfanne 126&deg; und bei einer 65er-Pfanne 140&deg; (Novae, Fa. Serf, Frankreich). Eine 53er-Pfanne, 45&deg; inkliniert und 20&deg; antevertiert, erreicht bei einem 11mm dicken Prothesenhals einen Bewegungsumfang von 126&deg; in Abduktion/ Adduktion, 186&deg; in Flexion/Extension und 220&deg; in der Rotation. Die Kontaktfl&auml;che zwischen Hals und PE-Kopf wird &bdquo;third articulation&ldquo; genannt und ist ebenfalls eine wichtige Stelle, an der Abrieb entsteht (Abb. 2). Studien zeigen entgegen dem h&auml;ufigen Vorurteil keinen erh&ouml;hten gesamtvolumetrischen Abrieb der Dual-Mobility-Systeme im Vergleich zu einer normalen Standardartikulation. Abriebstudien haben gezeigt, dass der lineare innere Abrieb ca. 8- bis 9-mal gr&ouml;&szlig;er ist als der &auml;u&szlig;ere Abrieb. Der volumetrische Abrieb zwischen innerem und &auml;u&szlig;erem Radius ist wiederum ann&auml;hernd gleich.<br /> Mehr als 95 % der Studien dazu wurden in den letzten 10 Jahren publiziert, obwohl das Konzept schon seit 40 Jahren bekannt ist. Zahlreiche Publikationen zeigen bei mittelfristigen Ergebnissen mit 5&ndash;8 Jahren Follow-up ein &Uuml;berleben von &gt;95 % . Die Studie mit dem l&auml;ngstem Follow-up zeigt ein 25-Jahres-&Uuml;berleben von &gt;90 % . Interessanterweise zeigen auch einige Studien f&uuml;r zementierte Pfannen ein 8-Jahres&Uuml;berleben von &gt;95 % . Eine m&ouml;gliche Erkl&auml;rung f&uuml;r das gute Abschneiden ist, dass bei der Dual-Mobility-Pfanne geringere Scherkr&auml;fte auf das Pfannenlager wirken, im Vergleich zum herk&ouml;mmlichen zementierten PE. Relativierend muss jedoch angemerkt werden, dass es sich hierbei immer um relativ kleine Studien mit 30&ndash;300 Patienten handelt. Weiters wissen wir, dass Entwicklerstudien immer bessere Ergebnisse als nachfolgende unabh&auml;ngige Studien bzw. Registerdaten erbracht haben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s16_abb2.jpg" alt="" width="684" height="983" /></p> <h2>Indikationen</h2> <p>Grunds&auml;tzlich kommen alle Patienten mit einem stark erh&ouml;hten Luxationsrisiko f&uuml;r das Dual-Mobility-Konzept infrage. In Abbildung 3 werden mehrere Anwendungsbeispiele gezeigt.<br /><br /> Beispiele in der Prim&auml;rendoprothetik:</p> <ul> <li>geriatrische Patienten</li> <li>Patienten mit neuromuskul&auml;ren Erkrankungen</li> <li>adip&ouml;se &bdquo;Low demand&ldquo;-Patienten/Pflegepatienten</li> <li>Schenkelhals- oder pertrochant&auml;re Fraktur beim alten Patienten</li> <li>hochgradige Glutealinsuffizienz</li> </ul> <p>Beispiele in der Revisionsendoprothetik:</p> <ul> <li>einfacher Pfannenwechsel bei zus&auml;tzlicher glutealer Insuffizienz</li> <li>Einzementieren einer DM-Pfanne in: a) bestehende Pfanne, b) Burch-Schneider, M&uuml;ller bzw. Ganzring, c) &bdquo;trabecular metal revision shell&ldquo;</li> <li>Mit dem MDM-X3-System (Fa. Stryker) k&ouml;nnen auch h&ouml;hergradige Acetabulumdefekte versorgt werden.</li> <li>LUMIC-Sockelpfanne (Fa. Implantcast) bei Beckendiskontinuit&auml;ten bzw. Beckenteilresektionen</li> <li>isolierter Kopfwechsel bei fester Pfanne nach &bdquo;Metal on metal&ldquo;(MOM)-Gro&szlig;kopfprothese</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s16_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="2236" /></p> <h2>Implantatspezifische Komplikationen</h2> <p>Das Dual-Mobility-System hat grunds&auml;tzlich zwei implantatspezifische Komplikationen:</p> <ul> <li>Intraprothetische Dislokation: Hier kommt es zu einer Dislokation des Keramik- bzw. Metallkopfes aus dem PEKopf. Typischerweise tritt diese Komplikation erst nach 6 Jahren oder sp&auml;ter auf. Urs&auml;chlich ist der Abrieb der &bdquo;second and third articulation&ldquo;. Eine Optimierung des Kontaktbereiches zwischen PE-Kopf und Hals hat diese Problematik im Vergleich zur ersten Generation verringert. Derzeit wissen wir jedoch nicht, ob diese Komplikation in Zukunft nicht doch h&auml;ufiger auftreten wird. Folgende Situationen forcieren den Abrieb an der Kontaktfl&auml;che zwischen Prothesenhals und PE-Kopf: Kopf mit Kragen; alte Sch&auml;fte mit dickem Hals, z.B. mit 14/16-Konus; Fehlpositionierung von Schaft und/oder Pfanne. Eine intraprothetische Dislokation muss offen revidiert werden und kann nicht geschlossen reponiert werden.</li> <li>Psoasimpingement: Es wurde zwar das Pfannendesign etwas verbessert, dennoch ist bei gro&szlig;er Pfanne und daher gro&szlig;em PE-Kopf die Wahrscheinlichkeit einer Irritation h&ouml;her als bei herk&ouml;mmlichen Pfannensystemen.</li> </ul> <p><br /> Das Dual-Mobility-System ist ein bew&auml;hrtes System in der H&uuml;ftendoprothetik mit bisher guten Daten bei Patienten mit hoher Luxationsgefahr. Zuk&uuml;nftige gr&ouml;&szlig;ere Studien und Registerdaten werden hoffentlich bald eine bessere Datenlage bringen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
Back to top