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„Return to sport“ nach VKB -Ersatz
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Silke Aldrian
Universitätsklinik für Unfallchirurgie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: silke.aldrian@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
13.07.2017
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<p class="article-intro">Die erfolgreiche und rasche Rückkehr zum Sport nach Kreuzbandersatz hängt unter anderem von den postoperativen Rehabilitationsmaßnahmen ab. Diese sind im Wesentlichen auf den Einheilungs- und den Umbauprozess des Kreuzbandtransplantates abgestimmt. Eine übermäßig aggressive Rehabilitation während dieser vulnerablen Phase würde zu einem Ungleichgewicht zwischen Belastung und Belastbarkeit des Transplantats führen und den Operationserfolg gefährden. Der Zeitpunkt des Wiedereinstiegs sollte im Idealfall vom Operateur und vom Physiotherapeuten festgelegt werden, der Prozess sollte risikoarm verlaufen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Für eine physiologische Belastbarkeit nach VKB-Plastik sind die Entstehung eines Neoligamentes mit normaler Gewebemorphologie und mechanischen Eigenschaften sowie die Entstehung einer stabilen Knochen-Band-Verbindung essenziell.</li> <li>Bis zum sportlichen Wiedereinstieg ist die Aufklärung des Patienten über die Hintergründe des Rehabilitationsplanes essenziell, sodass er sich der Risiken während der vulnerablen Phase des Transplantatumbaus bewusst ist.</li> <li>Zurzeit gibt es keine Evidenz, um einen konkreten Zeitpunkt festzulegen, zu dem eine volle sportliche Belastung nach VKB-Plastik erlaubt ist. Im Allgemeinen sollte nicht nur der Faktor Zeit postoperativ ausschlaggebend sein. Vor allem Muskelkraft, Gelenksfunktion und neuromuskuläre Kontrolle sind wichtige individuelle Parameter, um den optimalen Zeitpunkt für die Rückkehr zum Sport zu bestimmen.</li> <li>Einbeinige Sprungtests sind in der klinischen Praxis leicht durchführbar und eignen sich dazu, die dynamische Stabilität des Kniegelenks zu beurteilen. Sie sind Prädiktoren für eine gute Kniegelenksfunktion.</li> </ul> </div> <p>Nach einer vorderen Kreuzbandplastik (VKB-Plastik) unterliegt das Kreuzbandtransplantat dem Einheilungsprozess an den Insertionsstellen und einem biologischen Umbauprozess, dem sogenannten „Graftremodeling“.</p> <h2>Transplantateinheilung</h2> <p>Autologe Sehnentransplantate mit Knochenblöcken, wie die Patellasehne und die Quadrizepssehne, haben den Vorteil, dass es zu einer direkten Knochen-Knochen- Heilung kommt und dieser Vorgang wie die Frakturheilung nach 4–6 Wochen abgeschlossen ist. Es kommt dabei zu einer höheren Steifigkeit und Belastbarkeit direkt nach der Operation im Vergleich zur Verwendung von freien Sehnentransplantaten. Es konnte aber in Studien bestätigt werden, dass auch freie Sehnentransplantate bei extrakortikaler Verankerung über eine direkte Bandinsertion binnen 12 Wochen einheilen können. Obwohl insgesamt Unterschiede im zeitlichen Verlauf der biologischen Knochen-Band-Heilung in Abhängigkeit von der Fixierung und der Transplantatwahl bestehen, konnten in klinischen Studien keinerlei Unterschiede bezüglich der langfristigen Stabilität, Rerupturrate und des subjektiven Wohlbefindens zwischen den verschiedenen Techniken festgestellt werden.</p> <h2>Graftremodeling</h2> <p>Beim Transplantatumbau kommt es zu strukturellen Veränderungen im Transplantat, welche die mechanische Stabilität phasenweise deutlich herabsetzen und zu erheblichen Schwankungen der Reißfestigkeit während des Heilungsverlaufes führen. In der Literatur werden 4 Heilungsphasen des Sehnentransplantates unterschieden, wobei 8 Wochen postoperativ die geringste Zugfestigkeit und Elastizität bestehen (Tab. 1). Diese Erkenntnisse sind vor allem für die therapeutische Intervention nach Kreuzbandoperation relevant, da die biologische Transplantatheilung kaum beeinflusst werden kann. Das Sehnentransplantat ist während des biologischen Umbaus mechanisch geschwächt und minder belastbar. Zum Endzustand des Transplantatumbaus – und damit der bestmöglichen biomechanischen Transplantatfunktion – gibt es in der Literatur unterschiedliche Angaben. Demnach ist der Umbau 1 bis 3 Jahre postoperativ abgeschlossen. Andere Untersuchungen über die Integration der Kreuzbandplastik konnten nachweisen, dass 1 Jahr postoperativ freie Nervenendigungen in Patellasehnentransplantaten vorhanden waren. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sollen einige wichtige Punkte zur gezielten postoperativen Rehabilitation nach Kreuzbandersatz erörtert werden, denn die Heilung erfordert ihre Zeit und auch der Prozess des sportlichen Wiedereinstiegs verläuft in Phasen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s23_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="344" /></p> <h2>Rehabilitation (Tab. 2)</h2> <p><strong>Phase 1 (0–6 Wochen)</strong><br /> In der frühen Phase der Rehabilitation nach VKB-Plastik ist neben der Wiederherstellung der Gelenkhomöostase die Erlangung der freien Kniegelenksbeweglichkeit und der neuromuskulären Kontrolle wichtig. Weder subjektiv noch objektiv konnte ein signifikanter Unterschied durch das postoperative Tragen von Orthesen gezeigt werden. Im Falle eines relevanten Ergusses wird die Kniegelenkspunktion empfohlen, um die Kapseldehnung und die damit verbundene Bewegungseinschränkung zu reduzieren. Zudem ist bekannt, dass Reizergüsse durch aggressive Mediatoren die Transplantatheilung stören können.<br /> Rezente Studien deuten darauf hin, dass Übungen sowohl in der offenen als auch in der geschlossenen kinetischen Kette während der frühen Rehabilitationsphase nach VKB-Rekonstruktion das Transplantat ähnlich belasten und vergleichbare Effekte auf die Heilung zeigen. Dabei sollte in den ersten 2 Wochen das Quadrizepstraining nur in der geschlossenen isometrischen kinetischen Kette durchgeführt werden, um eine vermehrte Translation zu vermeiden und das Transplantat nicht zu schädigen.<br /> Lymphdrainage und Patellamobilisierung sollten angewendet werden, um dem Entzündungsreiz mit drohenden fibrotischen Veränderungen in der frühen postoperativen Phase entgegenzuwirken. Hingegen erhöhen schmerzhafte Übungen und frühes Krafttraining das Risiko der Arthrofibrose. Bewegungen mit der Motorschiene könnten intraartikulären Adhäsionen entgegenwirken und unterstützen auch die physiologische Knorpelernährung.<br /> Die teilbelastende Mobilisierung mit Krücken unterstützt in den ersten Tagen die Regeneration des intraartikulären Milieus. Eine anschließende frühzeitige Vollbelastung reduziert den vorderen Kniegelenksschmerz und hat keinen Einfluss auf die Kniegelenkstabilität. Weitere Vorteile der frühen physiologischen Belastung sind die Knorpelernährung und die Förderung der Kollagenreorganisation während der Transplantatheilung. Die meisten Patienten kehren zwischen dem 7. und 14. postoperativen Tag zur Vollbelastung zurück. Ausreichende neuromuskuläre Kontrolle und ein nicht hinkendes Gangmuster sind Kriterien für das Gehen ohne Krücken.<br /> Sprungübungen sollten während der ersten 6 Wochen postoperativ wegen der fehlenden Propriozeption nicht durchgeführt werden. Stabilitätsprüfungen und isokinetische Tests sind während der ersten 8 Wochen nach der Operation nicht ratsam.</p> <p><strong>Phase 2 (6–12 Wochen)</strong><br /> Diese Phase umfasst neben der Behandlung von Schwellungen, Schmerzen und Bewegungsdefiziten den Muskelaufbau für die Aktivitäten des täglichen Lebens, ohne den Heilungsprozess des Transplantats zu stören. Am Ende dieser Phase sollte sich ein normales Gangbild zeigen und Sport auf niedrigem Level, wie leichtes Radfahren, sollten möglich sein.<br /> Schmerzen und Schwellungen können mit Kryotherapie und verschiedenen Taping- Techniken behandelt werden. Zur Verbesserung der Kniegelenksbeweglichkeit können manuelle Therapietechniken angewendet werden. Die postoperative Bewegungseinschränkung ist eine der häufigsten Komplikationen und kann das postoperative Ergebnis beeinflussen. Die Wiedererlangung des vollen aktiven und passiven Bewegungsumfangs im Kniegelenk hat daher in dieser Phase Priorität. Die Kräftigung der Quadrizeps- und Hamstringsmuskulatur ist von wesentlicher Bedeutung, um die Muskelkraft wiederherzustellen und das Kniegelenk aktiv zu stabilisieren. Außerdem sollten die Hüftabduktoren adressiert werden, um das Gangmuster zu normalisieren. Hüftmuskeln, insbesondere die Abduktoren und die Außenrotatoren, sind sehr wichtig, um dem dynamischen Valgus und einer muskulär bedingten Achsenfehlstellung entgegenzuwirken. Beides sind Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit einer Reruptur des Transplantates erhöhen.<br /> Für den sportlichen Wiedereinstieg und um das Risiko einer Reruptur zu verringern, ist das neuromuskuläre Training mit statischen und dynamischen Balanceübungen essenziell. Dynamische Balanceübungen umfassen Schrittbewegungen in verschiedenen Richtungen auf ebenen oder instabilen Flächen mit dem Ziel, das Knie während der Landephase stabil zu halten. Damit können vor allem die Muskelaktivierung optimiert und abnorme Translationsbewegungen besser beherrscht werden.</p> <p><strong>Phase 3</strong><br /> Da die Zugfestigkeit des Transplantats 12 Wochen postoperativ zunimmt, können in dieser Phase Kraftübungen mit zusätzlichem Gewicht und mehr Widerstand in der offenen kinetischen Kette implementiert werden, um die Quadrizepskraft zu erhöhen.<br /> Die späte Phase der Rehabilitation konzentriert sich auf die Wiedererlangung der dynamischen Gelenkstabilität, um funktionale Bewegungsmuster für sportliche Aktivitäten zu ermöglichen. Die dynamische Kniestabilität ist die Fähigkeit des Kniegelenks, während schnell wechselnder Belastungen, wie beim Laufen und Springen, stabil zu bleiben. Sie wird durch das neuromuskuläre System gewährleistet und basiert auf der neuromuskulären Kraft.<br /> Sowohl der Verlust der neuromuskulären Kontrolle als auch eine Verminderung der Muskelkraft der unteren Extremität werden als die zwei Hauptdefizite nach VKB-Rekonstruktion beschrieben. Muskelkrafttraining und neuromuskuläre Ausbildung sollten in dieser Phase mit besonderem Augenmerk auf die individuellen Defizite fortgesetzt werden. Während dieses Trainings ist es wichtig, dass die Patienten in der Lage sind, Knie und Hüfte in einer aufrechten, achsengerechten Position zu halten, um Fehlbelastungen im Kniegelenk zu vermeiden. Darüber hinaus wurden sportspezifische Trainingseinheiten beschrieben, um arthrokinetische Reflexe zu verbessern und das Risiko einer erneuten Verletzung zu reduzieren. Ziele sind vor allem die Optimierung der Landungsstabilisatoren, das Training von Richtungswechseln und Reaktionsschnelligkeit.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s23_tab2.jpg" alt="" width="2151" height="1062" /></p> <h2>„Return to sport“</h2> <p>Im Allgemeinen gibt es keinen einheitlichen Konsensus, wann die volle sportliche Belastung nach VKB-Plastik erlaubt werden sollte. Studienergebnisse zeigen, dass nur 33 % der Wettkampfsportler 12 Monate nach Kreuzbandrekonstruktion ihr Niveau vor der Verletzung wieder erreichen. Die Autoren empfehlen eine längere postoperative Rehabilitation, um eine erfolgreiche Rückkehr zum Sport nach Kreuzbandrekonstruktion zu gewährleisten. Eine andere Studie zeigte 2 Jahre postoperativ eine Rate der Rückkehr zum Freizeit- oder Wettkampfsport von 66 % , wobei nur 2 von 5 Athleten das sportliche Niveau vor der Verletzung erreichen konnten. Dass neben der körperlichen Funktion auch demografische Daten und psychologische Faktoren bei der Rückkehr zum Sport eine Rolle spielen, darf nicht außer Acht gelassen werden, denn dieser Prozess ist multifaktoriell.<br /> Das Risiko für eine erstmalige Ruptur des VKB beträgt ungefähr 0,04 % . Das Risiko für eine Reruptur einer VKB-Plastik wird in der Literatur mit 12 % im ersten postoperativen Jahr angegeben, danach fällt es auf 2 bis 8 % . Wichtige Risikofaktoren sind dabei das Patientenalter und der Transplantattyp. Junge Patienten mit Allografts haben mit bis zu 22 % die höchsten Rerupturraten, während ältere Patienten mit Autografts mit 0,6 % die niedrigsten Rerupturraten zeigten. Die Gelenkshomöostase ist das Zusammenwirken aller Gelenksstrukturen für einen ausgeglichenen funktionellen Istzustand. Sie könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum das Risiko für Überlastungsverletzungen gerade in der Rehabilitationsphase sehr hoch ist. Eine Untersuchung von 310 schwedischen Profifußballspielern zeigte für jene, die eine VKB-Ruptur erlitten hatten, im Rehabilitationsjahr ein 4,8-fach erhöhtes Risiko für Überlastungsverletzungen insgesamt. Die Autoren betonen, wie wichtig die Rehabilitation und eine dosierte Rückführung vom Rehabilitationsende ins Training bis hin zum Wettkampf ist.<br /> Es gibt drei Entscheidungsfaktoren, die vor der Wiederaufnahme des Sports berücksichtigt werden können. Der am häufigsten berücksichtigte ist der Faktor der Zeit nach der Operation. Typischerweise werden Pivoting-Sportarten und Vollkontaktsport nach 9 bis 12 Monaten erlaubt. Es besteht jedoch Evidenz, dass ein fest definierter Zeitraum als alleiniges Kriterium nicht ausreicht, um den optimalen Zeitpunkt der Rückkehr zum Sport festzulegen, da der Transplantatumbau selbst nach Ende des ersten Jahres nicht vollständig abgeschlossen ist. Wichtiger als der Zeitfaktor sind individuelle Kriterien, wie die Gelenksfunktion, die Muskelkraft in ihren verschiedenen Qualitäten und die neuromuskuläre Kontrolle. Wenn die Entscheidung für den Wiedereinstieg in den Sport fällt, sollte keine Ergussneigung bestehen und die Beweglichkeit und passive Stabilität sollten weitgehend der unverletzten Gegenseite entsprechen. Generell können Muskeldefizite auch bis zu 24 Monate nach Kreuzbandersatz bestehen. Jedoch sollten bei der Rückkehr zum Sport bei Messungen der Muskelkraft und des Oberschenkelumfanges keine Seitenunterschiede >15 % im Vergleich mit der Gegenseite vorliegen. Zur Evaluation der funktionellen Stabilität haben sich einfache einbeinige Sprungtests bewährt (Abb. 1). Dabei wird der LSI (Lower Limb Symmetry Index) meist anhand von 3 Sprungtests der operierten und der unverletzten Gegenseite gemittelt. Für die meisten Autoren ist ein LSI von >85 % als „Return to sports“-Kriterium ausreichend.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s24_abb1.jpg" alt="" width="2150" height="1084" /></p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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