<p class="article-intro">Nur ein geringer Teil aller Patienten mit einer Fragilitätsfraktur erhält eine medikamentöse Osteoporosetherapie. In Anbetracht des hohen Risikos für weitere Frakturen fällt Orthopäden und Unfallchirurgen neben der unmittelbaren Frakturversorgung auch eine entscheidende Rolle bei der Schließung dieses „osteoporosis care gap“ zu. Etwa jede zweite osteoporoseassoziierte Fraktur im Alter könnte verhindert werden, denn effektive Therapiemöglichkeiten sind vorhanden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Auch nach Fragilitätsfrakturen erhält der überwiegende Teil der Patienten keine Abklärung bzw. Therapie der zugrunde liegenden Osteoporose.</li> <li>Durch eine konsequente Behandlung der Osteoporose könnte das hohe Risiko für Folgefrakturen signifikant gesenkt werden.</li> <li>Die Abklärung und Therapie sollten bereits im Rahmen des stationären Aufenthaltes erfolgen, um dem in der Literatur beschriebenen „osteoporosis care gap“ entgegenzutreten.</li> <li>Alle Patienten sollten eine Basistherapie in Form von Vitamin D3 und Kalzium erhalten.</li> <li>Bisphosphonate stellen noch immer die First-Line-Therapie dar. Mit Denosumab steht eine zweite antiresorptive Substanz zur Verfügung, die insbesondere auch bei eingeschränkter Nierenfunktion angewendet werden kann.</li> </ul> </div> <p>In vielen Fällen stellt die Fraktur im Alter die „Erstmanifestation“ einer Osteoporose dar. Bei postmenopausalen Frauen sind distale Radiusfrakturen oft die ersten Frakturen (Indikatorfraktur). Später treten zunehmend Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen auf und bestimmen den weiteren Krankheitsverlauf der Osteoporose. Wiederholte Stürze mit Frakturen und den damit einhergehenden Schmerzen sowie zunehmende Immobilisierung mindern die Lebensqualität und Selbstständigkeit der Patienten. Osteoporose stellt somit eine kaskadenartige Erkrankung mit initial lediglich verminderter Knochendichte dar, die sich jedoch im weiteren Verlauf auf unterschiedliche Organsysteme, die Lebensführung, Mobilität, Selbstständigkeit sowie Morbidität und Mortalität negativ auswirkt.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Bis vor wenigen Jahren wurde Osteoporose allein über den T-Score, also die Abweichung von der altersgesunden Knochendichte, definiert. In der aktuellen Leitlinie des Dachverbandes Osteologie (DVO) kann bei typischen osteoporotischen radiologischen und/oder klinischen Aspekten von Wirbelkörperfrakturen bzw. proximalen Femurfrakturen in Abhängigkeit von der individuellen klinischen Gesamtsituation auf eine Knochendichtemessung verzichtet werden (www. dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/dvoleitlinie- 2017). Der FRAX<sup>®</sup>-Score ist hier hilfreich. Dieser errechnet das 10-Jahres- Risiko für osteoporotische Frakturen sowie für hüftnahe Frakturen (www.shef. ac.uk/FRAX). Eine Therapieindikation ergibt sich bei einem 10-Jahres-Risiko vom > 20 % für osteoporotische Frakturen insgesamt und > 3,5 % für eine Hüftfraktur. Zur sicheren Planung der weiteren pharmakologischen Therapie sollte laut DVO-Leitlinie vor Beginn ein Basislabor durchgeführt werden. Die notwendigen Parameter dafür lassen sich meist problemlos in ein Routinelabor integrieren. Spezielle Parameter in Hinblick auf den Knochenstoffwechsel sind in der Regel nicht erforderlich.</p> <h2>Basistherapie</h2> <p>Kalzium und Vitamin D3 stellen weiterhin die Basistherapie dar. Gerade im Alter ist die Kalziumaufnahme über die Nahrung nicht ausreichend, sodass man um eine Supplementation nicht herumkommt. Empfohlen wird eine orale Supplementation von 500 bis max. 1000 mg täglich. Da die Therapieadhärenz bei der Einnahme von Kalzium eher gering ist, sollte die Einnahme getrennt von der Einnahme von Vitamin D3 erfolgen. Vitamin D3 ist für den Organismus und auch für den Knochenstoffwechsel als vorrangig anzusehen. Die Dosierung von Vitamin D3 beträgt 1000–2000 IE täglich. Bei einem nachgewiesenen Mangel an Vitamin D3 können kurzfristig auch höhere Dosen gegeben werden, z. B. 20000 IE täglich für 7 bis 14 Tage.</p> <h2>Spezifische Therapie</h2> <p>Neben der generell empfohlenen Basismedikation steht mittlerweile eine Reihe von spezifischen Medikamenten zur Frakturrisikoreduktion zur Verfügung: Bisphosphonate, Parathormon, Raloxifen und Denosumab (Tab. 1). Durch unterschiedliche Darreichungsformen (oral, subkutan oder intravenös) besteht die Möglichkeit, die Auswahl an die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten älterer Menschen anzupassen.<br /> Bezüglich der spezifischen Pharmakotherapie sollte man zwischen Patienten mit Vortherapie und solchen ohne Vortherapie differenzieren. Bei Patienten ohne Vortherapie sind Bisphosphonate immer noch First-Line-Therapie. Der Wirkmechanismus beruht auf der Hemmung von Osteoklasten, es handelt sich somit um eine antiresorptive Therapie. Bisphosphonate stehen sowohl oral als auch als parenteral zur Verfügung. Sie haben keinen signifikanten Einfluss auf die Frakturheilung. Eine Therapie mit oralen Bisphosphonaten kann somit unmittelbar nach der Fraktur begonnen werden. Allerdings sollte bei einer parenteralen Gabe ein Abstand zur Fraktur von mindestens 2 Wochen eingehalten werden, da ansonsten im ersten Jahr nach der Fraktur kein positiver Effekt zu erwarten ist. Eine eingeschränkte Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance < 35 ml/min) stellt eine generelle Kontraindikation für die Anwendung von Bisphosphonaten dar. Schluckbeschwerden und Ulkuserkrankungen sind dagegen lediglich Kontraindikationen für orale Bisphosphonate. Bis auf Alendronat 70 mg wöchentlich sowie Ibandronat in allen Dosierungen und Applikationen haben alle anderen Bisphosphonate die Zulassung für Männer und postmenopausale Frauen.<br />Eine Alternative zu den Bisphosphonaten ist Denosumab. Dieser monoklonale Antikörper bindet an RANK-L. Durch die Unterbrechung der Interaktion von RANK und RANK-L werden Bildung, Funktion und Überleben der Osteoklasten inhibiert und damit wird die Knochenresorption gehemmt. Es handelt sich somit ebenfalls um eine antiresorptive Therapie. Für die Frakturprävention liegen positive Daten für alle Altersgruppen vor. Daten aus der FREEDOM-Studie zeigten, dass Denosumab keinen Einfluss auf die Frakturheilung hat. Ein zeitlicher Abstand ist daher nicht erforderlich, auch Infektionen traten in dieser Subgruppe nicht vermehrt auf. Denosumab ist sowohl für postmenopausale Frauen als auch für Männer zugelassen. Im Gegensatz zu allen anderen Substanzen stellt eine eingeschränkte Nierenfunktion keine Kontraindikation dar. Denosumab 60 mg wird alle 6 Monate subkutan appliziert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s29_tab1_gosch.jpg" alt="" width="800" height="1083" /></p> <h2>Therapiewechsel</h2> <p>Differenzierter sind die therapeutischen Überlegungen bei Patienten mit einer bereits bestehenden spezifischen Osteoporosetherapie. Wann und wie soll eine vorbestehende Therapie bei einer Fragilitätsfraktur umgestellt werden bzw. wann geht man von einem Therapieversagen aus? Grundsätzlich gilt es zu bedenken, dass eine spezifische Osteoporosetherapie das Frakturrisiko lediglich senken, aber nicht eliminieren kann. Eine allgemein gültige Definition des „Therapieversagens“ gibt es bis heute nicht. Folgt man der DVO, so sollte eine Umstellung der Therapie erwogen werden, wenn es unter der Therapie mit Bisphosphonaten, Denosumab oder Raloxifen zu einem deutlichen Abfall der Knochendichte (≥ 5 %) kommt bzw. wenn unter einer Therapie ≥ 2 osteoporotische Frakturen innerhalb von 3 Jahren auftreten. Berücksichtigt man die aktuellen NICE-Leitlinie zur Osteoporose, so liegt ein ungenügendes Ansprechen vor, wenn nach einer Therapiedauer über 1 Jahr eine neuerliche Fragilitätsfraktur auftritt, sowie bei einer verminderten Knochendichte gegenüber dem Ausgangsbefund.<br /> Eine Arbeitsgruppe der International Osteoporosis Foundation (IOF) unter Diez- Perez definiert das Therapieversagen, wenn einer der folgenden Punkte zutrifft:</p> <ul> <li>≥ 2 neue Fragilitätsfrakturen</li> <li>eine neue Fragilitätsfraktur und erhöhte Ausgangswerte der β-Crosslaps oder P1NP ohne signifikante Reduktion unter der Behandlung oder eine Abnahme der Knochendichte</li> <li>keine Reduktion von β-Crosslaps oder P1NP und eine signifikante Abnahme der Knochendichte</li> </ul> <p>Aktuell gibt es allerdings keine Evidenz für die Effektivität einer alternativen Therapie nach einem Therapieversagen. Eine Arbeitsgruppe der IOF unter Kanis et al. hat aber folgende allgemeine Regeln formuliert:</p> <ul> <li>Eine schwach wirksame antiresorptive Therapie sollte durch eine potentere ersetzt werden.</li> <li>Eine orale Therapie sollte durch eine parenterale ersetzt werden.</li> <li>Eine antiresorptive Therapie sollte durch eine anabole ersetzt werden.</li> </ul> <p>Als anabole Therapie ist aktuell nur Teriparatid zugelassen. Die Applikation erfolgt täglich in Form einer subkutanen Injektion von 20 μg mittels eines Pens. Entsprechend der Zulassung ist die Therapiedauer auf 24 Monate beschränkt, im Anschluss sollte wiederum eine antiresorptive Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab durchgeführt werden. Wegen der Applikationsart, die eine hohe Therapieadhärenz voraussetzt, des Risikos in Hinblick auf Osteosarkome sowie der hohen Kosten ist die Indikation exakt zu prüfen bzw. sollte diese mit einem in der Osteoporosetherapie versierten Arzt abgesprochen werden. Für Teriparatid gibt es Hinweise auf einen positiven Effekt auf die Frakturheilung, allerdings fehlen größere randomisierte Studien. Die Evidenz bezüglich positiver Effekte auf die Frakturheilung ist aktuell noch zu gering, um hier eine eindeutige Empfehlung abgeben zu können. Teriparatid hat die Zulassung für postmenopausale Frauen sowie für Männer. Eine eingeschränkte Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min) gilt als Kontraindikation.<br />Eine ganz neue Therapieoption ergibt sich mit dem Antikörper Romosozumab. Es handelt sich hierbei um einen Antikörper gegen Sklerostin mit einem anabolen Effekt auf den Knochen. Positive Daten zur Fraktursenkung liegen vor. Für 2019 kann mit der Zulassung gerechnet werden.</p></p>
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