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Periprothetische Frakturen bei geriatrischen Patienten
Jatros
Autor:
Dr. Maria Anna Smolle
E-Mail: maria.smolle@medunigraz.at
Autor:
Prof. Dr. Franz-Josef Seibert
Autor:
Dr. Werner Maurer-Ertl
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Graz
30
Min. Lesezeit
07.05.2020
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<p class="article-intro">Die osteoporotische Knochenstruktur älterer Patienten verkompliziert eine frühzeitig belastungsstabile operative Versorgung, welche aber wiederum für eine baldige Mobilisierung der Patienten unumgänglich ist.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Periprothetische Frakturen sind – nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung, des erhöhten körperlichen Anspruchs im Alter sowie der zunehmenden Implantationszahlen insbesondere für Hüft- und Knietotalendoprothesen – in den letzten Jahren häufiger geworden. Daher wird davon ausgegangen, dass in den kommenden Jahren die Inzidenz periprothetischer hüftgelenksnaher, kniegelenksnaher und schultergelenksnaher Frakturen weiter steigen wird. Das oftmals ältere Patientenkollektiv stellt die behandelnden Personen nicht nur aus chirurgischer, sondern auch aus internistischer, anästhesiologischer, physiotherapeutischer und pflegerischer Sicht vor Herausforderungen. Insbesondere gilt es, bei alten, multimorbiden Patienten zwischen der Größe des operativen Eingriffs und den damit verbundenen perioperativen Risiken sowie den möglichen Folgen einer suboptimalen operativen Versorgung sorgfältig abzuwägen.</p> <h2>Patienten und Methoden</h2> <p>Alle Patienten im Alter ab 80 Jahren, die zwischen 2006 und 2017 an der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Medizinische Universität Graz, aufgrund einer hüftnahen periprothetischen Fraktur operativ behandelt worden waren, wurden in die Studie eingeschlossen. Von den insgesamt 49 eingeschlossenen Patienten waren 42 weiblich (85,7 % ), und 7 männlich (14,3 % ), mit einem mittleren Alter von 84,7 Jahren (±3,5 Jahre). Es wurden Informationen zu Art der Fraktur, Operation, Aufenthaltsdauer, Morbidität und Mortalität erhoben.</p> <h2>Resultate</h2> <p>Im Median 6,4 Jahre (Interquartilbereich [IQB]: 4,5–10,2 Jahre) nach Primärimplantation der HTEP kam es bei den Patienten zu einer periprothetischen Fraktur. Am häufigsten waren Vancouver-Typ-B-Frakturen (n=41; 83,7 % ), gefolgt von -Typ-C-Frakturen (n=5; 10,2 % ) und -Typ-A-Frakturen (n=3; 6,1 % ) (Abb. 1). Bei 10 Patienten wurde im Sinne einer Akutversorgung die Operation innerhalb der ersten Stunden direkt aus der Ambulanz heraus in die Wege geleitet. Dadurch haben diese Patienten eine Notfallnarkosetauglichkeitseinschätzung durch den behandelnden Anästhesisten ohne ASA-Angabe erhalten. Jene 39 Patienten, die präoperativ einen ASA-Score erhalten hatten, wurden am häufigsten mit ASA 3 eingestuft (61,5 % ; n=24), gefolgt von ASA 4 (28,2 % ; n=11). Drei Patienten wurden mit ASA 2 eingestuft (7,7 % ) und eine Patientin mit ASA 0 (2,6 % ), wobei diese Patientin dennoch operiert wurde. Im Median lag der gesamte Krankenhausaufenthalt aller Patienten bei 13 Tagen (IQB: 10–16 Tage), wobei die präoperative zeitliche Verzögerung von Aufnahme bis Operation im Median bei 2 Tagen (IQB:1–3,5 Tage) lag.<br /> Insgesamt wurde bei 53,1 % der Patienten (n=26) eine ORIF („open reduction, internal fixation“) mit Platten und/oder Cerclagen durchgeführt (Abb. 2), während bei 46,9 % der Patienten (n=23) ein Tausch der Prothese notwendig wurde (Abb. 3). Bezogen auf den vorliegenden Vancouver-Frakturtyp gab es keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Art der operativen Versorgung (p=0,371) (Abb. 4). Auch war die Operationszeit zwischen den beiden Gruppen mit 132,0 Minuten für ORIF und 132,5 Minuten für Prothesenwechsel vergleichbar (p=0,964).<br /> Bei 10 Patienten wurde nach Entlassung eine erneute stationäre Aufnahme aufgrund von Komplikationen notwendig (20,4 % ). Der Grund dafür war bei 5 Patienten mit vorangegangenem Prothesenwechsel eine Luxation sowie bei je einem Patienten nach ORIF ein Implantatversagen, chronische implantatassoziierte Schmerzen, eine periprothetische Refraktur, ein postoperatives Hämatom und eine aseptische Lockerung. Es konnte zwischen Patienten, die länger als 2 Tage auf die Operation gewartet hatten, und jenen, die innerhalb dieses Zeitraums operiert worden waren, kein signifikanter Unterschied hinsichtlich postoperativer Komplikationen festgestellt werden (30,0 % vs. 14,3 % ; p=0,186).<br /> Der mediane Nachbeobachtungszeitraum betrug 21 Monate (IQB: 9–58 Monate). Drei Patienten starben im Nachsorgezeitraum (6,1 % ), wobei die Todesfälle – unabhängig von der ursprünglichen periprothetischen Fraktur – frühestens 7 Monate nach Operation eintraten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s26_abb1_smolle.jpg" alt="" width="475" height="271" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s27_abb2_smolle.jpg" alt="" width="850" height="355" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s27_abb3_smolle.jpg" alt="" width="250" height="407" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s28_abb4_smolle.jpg" alt="" width="475" height="262" /></p> <h2>Diskussion und Schlussfolgerungen</h2> <p>Generell hängt die Versorgung von hüftnahen periprothetischen Frakturen von der Frakturklassifikation, dem liegenden Implantat sowie der Knochenstruktur ab.<sup>1</sup> Insbesondere die osteoporotische Knochenstruktur älterer Patienten verkompliziert eine frühzeitig belastungsstabile operative Versorgung, welche aber wiederum für eine baldige Mobilisierung der Patienten unumgänglich ist.<br /> In einer retrospektiven Studie an 43 Patienten mit Vancouver-Typ-B2- und -B3-Frakturen mit einem mittleren Alter von 78 Jahren konnte eine Heilungsrate von 93 % erreicht werden.<sup>2</sup> Allerdings beobachteten die Autoren bei 16,3 % der Patienten mit Prothesenwechsel postoperative Dislokationen, vergleichbar mit unseren Resultaten. Auch in einer Studie mit Patienten jenseits des 75. Lebensjahres, die aufgrund von Vancouver-Typ-B2- und -B3-Frakturen operiert worden waren, lag die Komplikationsrate bei 28,5 % ,<sup>3</sup> vergleichbar mit unserer Komplikationsrate von 20,4 % . Von jenen 28 Patienten, die in der Studie von El-Bakoury et al. untersucht worden waren, entfielen von den 8 postoperativen Komplikationen 3 auf eine Luxation, 4 auf eine erneute periprothetische Fraktur und eine auf ein Implantatversagen.<sup>3</sup><br /> In der Vergangenheit wurde immer wieder beobachtet, dass eine Verzögerung der operativen Versorgung hüftnaher Frakturen mit einer erhöhten perioperativen Morbidität und Mortalität einherzugehen scheint.<sup>4</sup> Gerade bei geriatrischen, oftmals multimorbiden Patienten ist allerdings die Optimierung der präoperativen Ausgangssituation wichtig, um das perioperative Risiko möglichst gering und die passenden Implantate bereitzuhalten sowie erfahrene Operateure im Dienst zu haben.<br /> In unserem Kollektiv lag die mediane Verzögerung bis zur operativen Versorgung nach Trauma bei 2 Tagen, ein Zeitraum, der womöglich das perioperative Outcome verschlechtert. Allerdings zeigte sich in unserer Studie kein Zusammenhang zwischen einer Verzögerung der Operation über 2 Tage und dem Auftreten von Komplikationen. Dies wurde auch in einer retrospektiven Studie mit 681 Patienten, die aufgrund einer periprothetischen hüftnahen Fraktur operativ behandelt worden waren, gezeigt.<sup>5</sup> Allerdings waren Faktoren wie ein fortgeschrittenes Patientenalter und eine vorbekannte Herzinsuffizienz mit einem erhöhten perioperativen Risiko vergesellschaftet.<br /> In unserer Studie wurde knapp die Hälfte der Patienten mittels ORIF versorgt, während bei den übrigen Patienten ein Prothesenwechsel notwendig wurde. Zwar handelt es sich bei der ORIF um eine weniger invasive Methode, sie ist aber gerade bei periprothetischen Frakturen mit lockerem Femurschaft (d. h. Vancouver Typ B2) kaum realisierbar. In einer Studie von Baum et al. konnte gezeigt werden, dass die Komplikationsrate von ORIF vs. Prothesenwechsel bei geriatrischen Patienten aufgrund einer periprothetischen Fraktur vergleichbar war, auch wenn die mediane Operationsdauer bei ORIF tendenziell kürzer war als bei Prothesenwechsel (135,5 vs. 160,0 Minuten).<sup>6</sup><br /> Die Gesamtmortalität in unserer Kohorte lag nach einem medianen Nachbeobachtungszeitraum von 21 Monaten bei 6,1 % . Diese ist deutlich niedriger als jene, die in der Studie von El-Bakoury et al. beobachtet worden war (22,2 % ).<sup>3</sup> Auch in der Studie von Baum et al. gab es mit 61,0 % eine deutlich höhere Gesamtmortalität.<sup>6</sup> Allerdings lag der mediane Nachsorgezeitraum in dieser Studie bei 4,4 Jahren, verglichen mit 1,8 Jahren in unserer Kohorte.<br /> Auch wenn das perioperative Risiko bei älteren, multimorbiden Patienten mit reduzierter Knochenqualität deutlich höher ist als in der Durchschnittsbevölkerung, sollte im Rahmen der operativen Versorgung das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer belastungsstabilen Versorgung und der damit womöglich einhergehenden längeren Vorbereitungs-, Operations- und Nachsorge-Dauer sorgfältig abgewogen werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Stoffel K et al.: Fracture fixation versus revision arthroplasty in Vancouver type B2 and B3 periprosthetic femoral fractures: a systematic review. Arch Orthop Trauma Surg 2020 [Epub ahead of print] <strong>2</strong> Moreta J et al.: Outcomes of Vancouver B2 and B3 periprosthetic femoral fractures after total hip arthroplasty in elderly patients. Hip Int 2019; 29(2): 184-90 <strong>3</strong> El-Bakoury A et al.: Management of Vancouver B2 and B3 periprosthetic proximal femoral fractures by distal locking femoral stem (cannulok) in patients 75 years and older. J Arthroplasty 2017; 32(2): 541-5 <strong>4</strong> Pincus D et al.: Association between wait time and 30-day mortality in adults undergoing hip fracture surgery. JAMA 2017; 318(20): 1994-2003 <strong>5</strong> Bovonratwet P et al.: Unlike native hip fractures, delay to periprosthetic hip fracture stabilization does not significantly affect most short-term perioperative outcomes. J Arthroplasty 2019; 34(3): 564-9 <strong>6</strong> Baum C et al.: Treatment of periprosthetic femoral fractures Vancouver type B2: revision arthroplasty versus open reduction and internal fixation with locking compression plate. Geriatr Orthop Surg Rehabil 2019; 10: 2151459319876859</p>
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