
Microfracturing: auch in der Schulter eine Option
Jatros
Autor:
Dr. Werner Anderl
Vienna Shoulder & Sports Clinic<br> Schulter und Sport Zentrum Mödling<br> E-Mail: ordination@anderl.at
Autor:
Dr. Julia Katharina Frank
II. Orthopädische Abteilung, Herz Jesu Krankenhaus Wien<br> E-Mail: JuliaKatharina.Frank@kh-herzjesu.at
30
Min. Lesezeit
15.11.2018
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<p class="article-intro">Durch die steigende Anzahl an durchgeführten Schulterarthroskopien werden auch bei jüngeren Patienten vermehrt glenohumerale Knorpelläsionen diagnostiziert. Die Therapie solcher Läsionen stellt in diesem Patientenkollektiv eine Herausforderung für die behandelnden Ärzte dar. Ziel der Behandlung ist, neben der Wiederherstellung bestmöglicher Funktion, eine Progression zur Omarthrose zu verzögern und einen frühen Gelenkersatz zu vermeiden. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Knorpelläsionen bedeuten für den Patienten neben Schmerzen auch eine Einschränkung der Funktion und führen in weiterer Folge zur Progression einer Omarthrose. Während die Therapieoptionen für diffuse Knorpelschäden in einem älteren, sportlich inaktiven Patientenkollektiv im Sinne einer endoprothetischen Versorgung hinlänglich bekannt sind, so stellen isolierte, umschriebene Knorpelläsionen vor allem bei jüngeren Patienten eine therapeutische Herausforderung dar.<sup>1, 2</sup> Konservative Therapieoptionen bestehen hauptsächlich aus oraler Medikation mit antiinflammatorischen Präparaten, intraartikulären Injektionen oder physikalischer Therapie.<sup>1</sup> Jedoch hat sich in der Literatur gezeigt, dass es bei diesen Knorpelläsionen nahezu nie zu einer selbstständigen Heilung bzw. vollständigen Beschwerdebesserung kommt, unabhängig davon, ob die Läsion akut, chronisch oder degenerativ auftritt.<sup>3, 4</sup><br /> Letztlich ist somit oft eine chirurgische Therapie indiziert. Für die Wahl des chirurgischen Verfahrens sind vor allem Größe, Tiefe und Lokalisation des Defekts entscheidend. Zu berücksichtigen sind weiters die Stabilität des Gelenks, Begleitpathologien sowie patientenspezifische Faktoren.</p> <h2>Diagnose</h2> <p>Die Diagnose osteochondraler Läsionen lässt sich glenohumeral nicht immer eindeutig stellen. Hohen Stellenwert haben einerseits die klinische Untersuchung, andererseits die radiologische Bildgebung. Mittels Standardröntgen der Schulter kommen allerdings meist nur sehr große Knorpeldefekte des Humeruskopfes und Glenoids zur Darstellung. Goldstandard der radiologischen Bildgebung osteochondraler Läsionen ist die MRT, wobei die Sensitivität hierbei durch die Knorpeldicke der glenohumeralen Gelenkspartner limitiert ist.<sup>5</sup> In einer Studie von Krishnan et al.<sup>6</sup> zeigt sich dabei, dass mittels MRT 70 % der nachfolgend arthroskopisch bestätigten chondralen Läsionen identifiziert werden. Bei jüngeren Patienten können fokale chondrale Läsionen oft nur als Ausschlussdiagnose gestellt werden.<sup>7</sup> Die Prävalenz symptomatischer chondraler Läsionen (Outerbridge II–IV)<sup>8</sup> in diagnostischen Arthroskopien wurde dabei mit bis zu 17 % beschrieben.<sup>9, 10</sup></p> <p>Während im Kniegelenk seit Steadman et al.<sup>11</sup> der positive Effekt knochenmarkstimulierender Verfahren bereits gründlich erforscht und in der Literatur belegt ist, zeigt sich im Vergleich dazu im Bereich des Schultergelenks nur eine sehr spärliche Datenlage. Morphologisch zeigen sich jedoch signifikante Unterschiede zwischen dem Knie und dem Schultergelenk mit einer geringeren Knorpeldicke vor allem im Bereich des Glenoids und des Humeruskopfes von etwa 1,88mm bzw. 1,24mm.<sup>12, 13</sup></p> <p>Die Indikation zur arthroskopischen Mikrofrakturierung der Schulter kann bei hochgradigen fokalen Knorpelschäden von limitierter Ausdehnung gestellt werden.<sup>14</sup> Die maximale Defektgröße, bei der das Verfahren sinnvoll ist, wird mit ca. 25mm im Durchmesser angegeben.<sup>15</sup><br /> Ziel dieser Operationstechnik ist die Stimulation von Knorpelersatzgewebe. Durch Perforation des subchondralen Knochens soll eine Blutung induziert werden.<sup>16</sup> Nach dem Wolff’schen Gesetz können sich undifferenzierte Stammzellen aus dem Knochenmark (Fibroblasten) in Abhängigkeit von der mechanischen Beanspruchung zu Tenozyten (unter Zugbeanspruchung), Osteozyten (unter Druck) oder Chondrozyten (unter wechselnden Druck- und Zugkräften bzw. Scherkräften) ausdifferenzieren.<sup>17, 18</sup><br /> Gelangen Fibroblasten mit einem Blutkoagel aus dem Knochenmark in einen Knorpeldefekt, so kann sich das Koagel unter günstigen mechanischen Bedingungen (Gelenkbewegungen ohne Überbelastung) zu Faserknorpel entwickeln und eine Defektauffüllung bewirken. Im angloamerikanischen Raum wird in diesem Zusammenhang oft der Begriff des „Superclots“ verwendet, welcher das große Potenzial eines Blutkoagels mit entwicklungsfähigen Zellen und Zytokinen beschreibt.<sup>19, 20</sup> Entscheidend hervorzuheben ist, dass der Ersatzknorpel nicht die Qualität eines hyalinen Knorpels aufweist, wobei der Anteil an Kollagen Typ II unter 50 % liegt.<sup>21–23</sup></p> <h2>OP-Technik</h2> <p>Zunächst wird im Rahmen einer diagnostischen Arthroskopie eine Evaluation des Knorpelschadens vorgenommen. Die Lokalisation und Ausdehnung des Defektes müssen inspektorisch und durch Tasthakenuntersuchung bestimmt werden. Eine Beurteilung möglicher Begleitverletzungen der Rotatorenmanschette, des Labrums oder der Bizepssehne ist obligat. Nach Überprüfen der Indikation wird zunächst ein sorgfältiges Débridement durchgeführt. Degeneratives Knorpelgewebe muss radikal und vollständig bis in die Randbereiche des Defektes entfernt werden. Entscheidend für den Erfolg der Technik ist die Schaffung einer stabilen Schulter am Defektrand. Nur dadurch wird ein mechanisch geschützter Hohlraum geschaffen, in dem die Organisation eines Blutkoagels stattfinden kann.<sup>15</sup> Für die eigentliche Mikrofrakturierung stehen gebogene Ahlen mit verschiedenen Winkelgraden zur Verfügung. Der subchondrale Knochen wird nun von peripher beginnend perforiert. Die Löcher sollten mindestens 3–4mm auseinanderliegen, um einen Kollaps der Knochenbrücken zu verhindern.<sup>11</sup></p> <h2>Nachbehandlung</h2> <p>Die postoperative Therapie wurde nach dem Vorbild des arthroskopischen Microfracturing am Kniegelenk modifiziert. Das Tragen und Heben von schweren Gewichten soll unterlassen werden. Eine passive und assistive Physiotherapie ist bereits direkt postoperativ möglich, während eine aktive Physiotherapie erst nach 6 Wochen begonnen werden soll.<sup>24</sup> Das postoperative Nachbehandlungsschema muss jedoch je nach Behandlung der Begleitpathologie adaptiert werden.<sup>16</sup><br /> Bereits publizierte mittel- bis langfristige Ergebnisse in der Literatur zeigen sich vielversprechend. Mikrofrakturierung im Schulterbereich erzielt demnach gute Ergebnisse zur Reduktion der Schmerzsymptomatik und der Bewegungseinschränkung. Einige Autoren postulieren, dass die Erfolgsrate abhängig von der Lokalisation des Knorpelschadens ist und bessere Ergebnisse bei isolierten humeralen Defekten erzielt werden können.<sup>24–26</sup> Eine Studie von Kerr und McCarty<sup>25</sup> verglich unipolare mit bipolaren Läsionen und konnte zeigen, dass Patienten mit unipolaren Läsionen höhere Outcome-Scores aufwiesen. Hünnebeck et al.<sup>24</sup> konnten gute klinische Ergebnisse sowohl bei isolierten humeralen als auch isolierten glenoidalen Knorpelläsionen zeigen. Eigene Untersuchungen zeigten bei einem Nachuntersuchungszeitraum von 10 Jahren sehr gute klinische Ergebnisse sowohl für isolierte humerale als auch isolierte glenoidale Läsionen. In der Mehrzahl der Fälle konnte radiologisch keine Progression der Arthrose festgestellt werden. Bei bipolaren Läsionen zeigten sich klinisch schlechtere Ergebnisse. An dieser Stelle muss jedoch festgehalten werden, dass in sämtlichen Studien die Anzahl der bipolaren Läsionen innerhalb der Gruppen sehr klein war und somit nur eine eingeschränkte Aussage diesbezüglich getroffen werden kann.<br /> Bei allen klinisch guten Ergebnissen muss beachtet werden, dass die Patienten auch eine Behandlung von Begleitpathologien erhielten, welche ebenfalls einen Einfluss auf das gute klinische Outcome haben.<sup>12, 24, 25</sup><br /> Nach Hünnebeck et al.<sup>24</sup> beeinflusst die Mikrofrakturierung nicht die radiologische Arthroseprogression. Bei Patienten ohne radiologische Arthrosezeichen präoperativ erbringt die Behandlung bessere Ergebnisse und stellt somit eine gute langfristige Therapieoption bei akzidentell entdeckten Chondralschäden der Schulter dar. Vorteile der Mikrofrakturierung sind die vergleichsweise einfache technische Durchführbarkeit, die geringe Patientenmorbidität und die Kosteneffektivität.<sup>2</sup><br /> Auf Basis der bestehenden Literatur zeigt sich die arthroskopische Mikrofrakturierung als zuverlässig und erfolgreich, sowohl als eigenständiges als auch als begleitendes Verfahren. Weitere Studien sind jedoch erforderlich, um die Effektivität und Ökonomie im Vergleich zu konkurrierenden Verfahren zu untersuchen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s13_abb1.jpg" alt="" width="350" height="341" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Millett PJ et al.: Arthroscopy 2009; 25(8): 856-63 <strong>2</strong> Elser F et al.: Arthroscopy 2010; 26(5): 685-96 <strong>3</strong> McCarty LP, Cole BJ: Arthroscopy 2005; 21(9): 1131-42 <strong>4</strong> Mundi R et al.: Am J Sports Med 2016; 44(7): 1888-95 <strong>5</strong> Carroll KW et al.: Am J Roentgenol 2001; 176(2): 393-7 <strong>6</strong> Krishnan SG et al.: J Bone Joint Surg Am 2007; 89(4): 727-34 <strong>7</strong> Bhatia S et al.: Adv Orthop 2012; 2012: 846843 <strong>8</strong> Steadman JR et al.: Arthroscopy 2003; 19(5): 477-84 <strong>9</strong> Paley K J et al.: Arthroscopy 2000; 16(1): 35-40 <strong>10</strong> Gartsman GM, Taverna E: Arthroscopy 1997; 13(4): 450-5 <strong>11</strong> Steadman JR et al.: Clin Orthop Relat Res 2001; (391 Suppl): S362-9 <strong>12</strong> Frank RM et al.: Am J Sports Med 2010; 38(4): 772-81 <strong>13</strong> Yeh LR et al.: Skeletal Radiol 1998; 27(9): 500-4 <strong>14</strong> Outerbridge RE: J Bone Joint Surg Br 1961; 43-B: 752-7 <strong>15</strong> Banke IJ et al.: Orthopäde 2011; 40(1): 85-92 <strong>16</strong> Hensley CP, Sum J: Int J Sports Phys Ther 2011; 6(1): 10-26 <strong>17</strong> Buckwalter JA: J Orthop Sports Phys Ther 1998; 28(4): 192-202 <strong>18</strong> Buckalter JA: Clin Orthop Relat Res 2002; (402): 21-37 <strong>19</strong> Gill TJ et al.: J Orthop Sports Phys Ther 2006; 36(10): 728-38 <strong>20</strong> Lewis PB et al.: J Orthop Sports Phys Ther 2006; 36(10): 717-27 <strong>21</strong> Cuéllar A et al.: Arthrosc Tech 2016; 5(2): e223-7 <strong>22</strong> Gillogly SD et al.: J Orthop Sports Phys Ther 1998; 28(4): 241-51 <strong>23</strong> Browne JE, Branch TP: J Am Acad Orthop Surg 8(3): 180-9 <strong>24</strong> Hünnebeck SM et al.: Obere Extrem 2017; 12(3): 165-70 <strong>25</strong> Kerr BJ, McCarty EC: Clin Orthop Relat Res 2008; 466(3): 634-8 26 Snow M, Funk L: Int J Shoulder Surg 2008; 2(4): 72</p>
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