
Einfluss des OP-Zeitpunktes bei hüftnahen Brüchen
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Prof. DDr. Thomas Klestil
Stv. Leiter am Department für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung, Donau-Universität Krems<br> Vorstand der Abteilung Orthopädie & Traumatologie, Landesklinikum Baden/Mödling, Satellitendepartment Landesklinikum Hainburg<br> E-Mail: thomas.klestil@donau-uni.ac.at
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15.11.2018
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<p class="article-intro">Der optimale Zeitpunkt für die chirurgische Versorgung akuter hüftnaher Frakturen wird nach wie vor kontroversiell diskutiert. Die Empfehlungen dazu basieren zum Teil auf niedriger Evidenz. Ziel des durchgeführten systematischen Reviews und der Metaanalyse war es, einen umfassenden Überblick zu dieser Thematik im höchsten Evidenzlevel zu ermöglichen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Hüftnahe Brüche stellen eine große Belastung für öffentliche Gesundheitsversorgungssysteme dar. Sie sind eine typische Verletzung der älteren Bevölkerung. Die jährliche Inzidenz hüftnaher Brüche steigt mit zunehmendem Alter. Die Sterblichkeitsrate (ar) innerhalb eines Jahres nach einem hüftnahen Bruch wird zwischen 14 % und 36 % angegeben. Innerhalb der ersten drei Monate ist ein 5- bis 8-fach erhöhtes Sterblichkeitsrisiko (rr) bei älteren Patienten nachgewiesen.<br /> Die Prognose der älteren Patientenpopulation nach Hüftfraktur wird von Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Antikoagulationstherapie, dem allgemeinen Gesundheitszustand und vom Zeitpunkt der chirurgischen Versorgung beeinflusst. Internationale Behandlungsrichtlinien empfehlen die chirurgische Versorgung akuter hüftnaher Brüche innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Einlieferung in das Krankenhaus. Teilweise basieren diese Richtlinien auf niedrigem Evidenz-Level. Der optimale Zeitpunkt der operativen Versorgung wird nach wie vor kontroversiell diskutiert.<br /> Simunovic et al. haben in einem systematischen Review aus dem Jahr 2010 gezeigt, dass die chirurgische Versorgung innerhalb von 24 bis 72 Stunden die Mortalität bei Patienten älter als 60 Jahre um bis zu 19 % verringern kann. Dennoch gibt es Publikationen, welche die Empfehlung einer operativen Versorgung innerhalb von 48 Stunden kontroversiell beurteilen.<br /> Als Gründe für eine Verzögerung der operativen Versorgung werden angeführt: patientenassoziierte Faktoren, wie die Notwendigkeit der Optimierung vorbestehender Komorbiditäten oder Antikoagulation, und organisatorische Hürden, wie ein Mangel an akuter OP-Kapazität und Personal, insbesondere an Wochenenden und Feiertagen.</p> <p>Ziel dieses Forschungsprojektes war es, einen umfassenden systematischen Review zu den Auswirkungen des Zeitpunktes der Operation bei älteren Patienten mit akutem hüftnahen Bruch zu erarbeiten. Im Gegensatz zu früheren Übersichtsarbeiten, welche ausschließlich auf die Mortalität fokussiert waren, wurde zusätzlich versucht, weitere patientenrelevante Endpunkte wie perioperative Komplikationen, Funktionalität und Lebensqualität zu untersuchen. Darüber hinaus wurden allfällige Effekte des Operationszeitpunktes auf unterschiedliche Patientensubgruppen, z.B. unter oraler Antikoagulation oder mit schlechtem Allgemeinzustand, analysiert.</p> <h2>Material und Methoden</h2> <p>Für den nunmehr publizierten systematischen Review wurde eine Arbeitsgruppe mit Klinikern, Epidemiologen und Mitarbeitern von Cochrane Austria zusammengestellt.<br /> Zur Literaturrecherche wurden folgende Datenbanken nach Publikationen (Jänner 1997 bis Mai 2017) durchsucht: MEDLINE (Ovid), PubMed (non-MEDLINE content), Embase.com und The Cochrane Library (Wiley). Darüber hinaus wurden die Studienregister „WHO International Clinical Trials Registry Platform“ und „ClinicalTrials. gov“ sowie Referenzlisten relevanter Publikationen und von Jahrestagungen ausgewählter Fachgesellschaften überprüft.<br /> Es wurde ausschließlich nach randomisierten Kontrollstudien und prospektiven kontrollierten Kohortenstudien gesucht. Die Patienten mussten mindestens 60 Jahre alt sein und einen hüftnahen Bruch erlitten haben, welcher chirurgisch versorgt wurde. Studien wurden ferner nur dann eingeschlossen, wenn ein Vergleich zwischen frühzeitiger und verspäteter Operation durchgeführt wurde. Als primärer Endpunkt wurde die Mortalität, als sekundäre Endpunkte wurden perioperative Komplikationen, Funktionalität und Lebensqualität definiert.<br /> Zu Beginn des Projektes wurde das Studienprotokoll veröffentlicht; zum Abschluss wurden der systematische Review und die Metaanalyse publiziert.</p> <h2>Methodik der Metaanalyse</h2> <p>Zur Zusammenfassung von Ergebnissen einzelner Studien wurde die inverse Varianz- Methode verwendet. Daten wurden nur dann zusammengefasst, wenn mindestens drei Studien vergleichbare Cut-offs für „frühe“ und „verspätete“ Operationen verwendeten und über denselben Endpunkt berichteten. Allfällige Hazard-Ratios (HR) oder Odds-Ratios (OR) wurden in ein relatives Risiko (RR) umgerechnet. Beobachtungsstudien mit unadjustierten Ergebnissen wurden nur für Sensitivitätsanalysen in die Metaanalysen aufgenommen.<br /> Zur Quantifizierung des Ausmaßes der Heterogenität wurden der Chi-Quadrat- Test und das Maß I2, für alle statistischen Analysen RevMan, Version 5.3, verwendet. Für Ergebnisse, für die keine Metaanalysen möglich waren, wurden die Daten narrativ zusammengefasst. Ebenso wurde vorgegangen, wenn die erhobenen Daten für die Durchführung von Subgruppenanalysen nicht ausreichend waren.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Von vorerst 3237 Publikationen konnten entsprechend den Einschlusskriterien 28 prospektive Kohortenstudien mit insgesamt 32 537 Patienten eingeschlossen werden. 15 Arbeiten hatten ein niedriges oder mäßiges und 13 Arbeiten ein hohes „risk of bias“. Die meisten Arbeiten hatten als Cut-off für eine verzögerte chirurgische Versorgung 24 oder 48 Stunden festgelegt, lediglich drei Arbeiten 7, 36 oder 72 Stunden.</p> <p>In 25 Studien wurde die Mortalität dokumentiert: Davon haben 9 Studien adjustierte Daten und 16 Studien unadjustierte Daten präsentiert.<br /> Das absolute Risiko, innerhalb eines Monats nach der Operation zu versterben, lag bei Patienten mit verzögerter Operation bei 9 % . Eine Metaanalyse von 3 Studien mit 7161 Patienten ergab ein 15 % geringeres Risiko für Patienten, die innerhalb von 48 Stunden operiert wurden, im Vergleich zu Patienten, die erst nach der 48-Stunden-Grenze operiert wurden.<br /> Die Langzeitmortalität (innerhalb von 12 Monaten) zeigte sich in einer Metaanalyse von 4 Studien (2396 Patienten) bei einer Operation innerhalb von 48 Stunden um 20 % verringert.<br /> 6 Studien berichteten über adjustierte Daten für Komplikationen. Während ein Cut-off von 6 Stunden keine signifikant unterschiedlichen Komplikationsraten zeigte, erlitten Patienten, die innerhalb von 24 oder 48 Stunden operiert wurden, seltener Komplikationen.<br /> Keine der eingeschlossenen Studien hat den Einfluss des Operationszeitpunktes auf die Lebensqualität untersucht.<br /> 8 der eingeschlossenen Studien haben die Selbstständigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit von Patienten in Bezug auf den Operationszeitpunkt untersucht. Früh operierte Patienten hatten eine vergleichbare oder gesteigerte Selbstständigkeit.<br /> Die eingeschlossenen Arbeiten berichten einheitlich darüber, dass ein hohes Alter, das männliche Geschlecht sowie ein hoher ASA-Score mit einem höheren Mortalitätsrisiko in Verbindung stehen, unabhängig vom Zeitpunkt der Versorgung.<br /> Sechs Publikationen haben den Effekt des OP-Zeitpunktes in den unterschiedlichen Subgruppen untersucht. Keine Studie hat den Einfluss des Operationszeitpunkts bei Patienten mit und ohne Antikoagulationstherapie untersucht.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die vorliegende Arbeit zeigt, dass eine operative Behandlung innerhalb von 48 Stunden das Mortalitätsrisiko signifikant senkt. Die 1-Monats-Mortalität wird um 14 % , die 12-Monats-Mortalität sogar um 20 % reduziert. Bei anderen Cut-offs konnte dieser signifikante Unterschied nicht nachgewiesen werden.<br /> Gründe, die zu einer verzögerten operativen Behandlung führen, können patientenassoziierte und organisatorische Faktoren sein.<br /> Es besteht generelles Einvernehmen darüber, dass vorbestehende Erkrankungen, welche rasch optimierbar sind, entsprechend behandelt werden und nicht zu einer verzögerten Operation führen sollten.<br /> Organisatorische Gründe für eine verzögerte Operation beinhalten den Mangel an akuter OP-Kapazität, insbesondere an Wochenenden und Feiertagen. Cha et al. konnten nachweisen, dass 75 % aller verzögerten Operationen durch organisatorische Faktoren begründet sind.<br /> Derzeit sind keine randomisierten Kontrollstudien zu diesem Thema publiziert. Aus diesem Grund basiert die derzeitige Evidenz auf Beobachtungsstudien.</p> <h2>Schlussfolgerungen</h2> <p>Bei älteren Patienten mit hüftnahen Brüchen ist die operative Behandlung innerhalb von 48 Stunden nach der Aufnahme mit geringerer Mortalität und weniger perioperativen Komplikationen assoziiert. Patienten, welche innerhalb von 48 Stunden operiert werden, haben eine um 20 % niedrigere 1-Jahres-Mortalität.<br /> Dennoch bleibt die Einhaltung dieser Zeitgrenze eine Herausforderung in Bezug auf die multidisziplinäre Koordination und die akute OP-Kapazität mit entsprechend verfügbaren personellen und apparativen Ressourcen.<br /> Keine der untersuchten Studien konnte einen Vorteil bei verzögerter operativer Versorgung nachweisen. Künftige Studien sollten den Effekt einer frühzeitigen operativen Versorgung in Subgruppen untersuchen, z.B. in Bezug auf schwere Komorbiditäten oder auf Antikoagulanzien. Ferner sollten Daten zu patientenrelevanten Ergebnissen berücksichtigt werden, z.B. „quality of life“. Kurzfristig verbesserbare Komorbiditäten sollten nicht zu einer verzögerten Operation führen. Ferner sind randomisierte Kontrollstudien erforderlich, um potenzielles Confounding auszuschließen.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Klestil T et al.: Immediate versus delayed surgery for hip fractures in the elderly patients: a protocol for a systematic review and meta-analysis. Syst Rev 2017; 6: 164 • Klestil T et al.: Impact of timing of surgery in elderly hip fracture patients: a systematic review and meta-analysis. Sci Rep 2018; 8(1): 13933</p> <p><br /><strong><span style="text-decoration: underline;">Weitere Literatur:</span></strong></p> <p>beim Autor</p>
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