Einfluss des OP-Zeitpunktes bei hüftnahen Brüchen

<p class="article-intro">Der optimale Zeitpunkt für die chirurgische Versorgung akuter hüftnaher Frakturen wird nach wie vor kontroversiell diskutiert. Die Empfehlungen dazu basieren zum Teil auf niedriger Evidenz. Ziel des durchgeführten systematischen Reviews und der Metaanalyse war es, einen umfassenden Überblick zu dieser Thematik im höchsten Evidenzlevel zu ermöglichen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>H&uuml;ftnahe Br&uuml;che stellen eine gro&szlig;e Belastung f&uuml;r &ouml;ffentliche Gesundheitsversorgungssysteme dar. Sie sind eine typische Verletzung der &auml;lteren Bev&ouml;lkerung. Die j&auml;hrliche Inzidenz h&uuml;ftnaher Br&uuml;che steigt mit zunehmendem Alter. Die Sterblichkeitsrate (ar) innerhalb eines Jahres nach einem h&uuml;ftnahen Bruch wird zwischen 14 % und 36 % angegeben. Innerhalb der ersten drei Monate ist ein 5- bis 8-fach erh&ouml;htes Sterblichkeitsrisiko (rr) bei &auml;lteren Patienten nachgewiesen.<br /> Die Prognose der &auml;lteren Patientenpopulation nach H&uuml;ftfraktur wird von Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Antikoagulationstherapie, dem allgemeinen Gesundheitszustand und vom Zeitpunkt der chirurgischen Versorgung beeinflusst. Internationale Behandlungsrichtlinien empfehlen die chirurgische Versorgung akuter h&uuml;ftnaher Br&uuml;che innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Einlieferung in das Krankenhaus. Teilweise basieren diese Richtlinien auf niedrigem Evidenz-Level. Der optimale Zeitpunkt der operativen Versorgung wird nach wie vor kontroversiell diskutiert.<br /> Simunovic et al. haben in einem systematischen Review aus dem Jahr 2010 gezeigt, dass die chirurgische Versorgung innerhalb von 24 bis 72 Stunden die Mortalit&auml;t bei Patienten &auml;lter als 60 Jahre um bis zu 19 % verringern kann. Dennoch gibt es Publikationen, welche die Empfehlung einer operativen Versorgung innerhalb von 48 Stunden kontroversiell beurteilen.<br /> Als Gr&uuml;nde f&uuml;r eine Verz&ouml;gerung der operativen Versorgung werden angef&uuml;hrt: patientenassoziierte Faktoren, wie die Notwendigkeit der Optimierung vorbestehender Komorbidit&auml;ten oder Antikoagulation, und organisatorische H&uuml;rden, wie ein Mangel an akuter OP-Kapazit&auml;t und Personal, insbesondere an Wochenenden und Feiertagen.</p> <p>Ziel dieses Forschungsprojektes war es, einen umfassenden systematischen Review zu den Auswirkungen des Zeitpunktes der Operation bei &auml;lteren Patienten mit akutem h&uuml;ftnahen Bruch zu erarbeiten. Im Gegensatz zu fr&uuml;heren &Uuml;bersichtsarbeiten, welche ausschlie&szlig;lich auf die Mortalit&auml;t fokussiert waren, wurde zus&auml;tzlich versucht, weitere patientenrelevante Endpunkte wie perioperative Komplikationen, Funktionalit&auml;t und Lebensqualit&auml;t zu untersuchen. Dar&uuml;ber hinaus wurden allf&auml;llige Effekte des Operationszeitpunktes auf unterschiedliche Patientensubgruppen, z.B. unter oraler Antikoagulation oder mit schlechtem Allgemeinzustand, analysiert.</p> <h2>Material und Methoden</h2> <p>F&uuml;r den nunmehr publizierten systematischen Review wurde eine Arbeitsgruppe mit Klinikern, Epidemiologen und Mitarbeitern von Cochrane Austria zusammengestellt.<br /> Zur Literaturrecherche wurden folgende Datenbanken nach Publikationen (J&auml;nner 1997 bis Mai 2017) durchsucht: MEDLINE (Ovid), PubMed (non-MEDLINE content), Embase.com und The Cochrane Library (Wiley). Dar&uuml;ber hinaus wurden die Studienregister &bdquo;WHO International Clinical Trials Registry Platform&ldquo; und &bdquo;ClinicalTrials. gov&ldquo; sowie Referenzlisten relevanter Publikationen und von Jahrestagungen ausgew&auml;hlter Fachgesellschaften &uuml;berpr&uuml;ft.<br /> Es wurde ausschlie&szlig;lich nach randomisierten Kontrollstudien und prospektiven kontrollierten Kohortenstudien gesucht. Die Patienten mussten mindestens 60 Jahre alt sein und einen h&uuml;ftnahen Bruch erlitten haben, welcher chirurgisch versorgt wurde. Studien wurden ferner nur dann eingeschlossen, wenn ein Vergleich zwischen fr&uuml;hzeitiger und versp&auml;teter Operation durchgef&uuml;hrt wurde. Als prim&auml;rer Endpunkt wurde die Mortalit&auml;t, als sekund&auml;re Endpunkte wurden perioperative Komplikationen, Funktionalit&auml;t und Lebensqualit&auml;t definiert.<br /> Zu Beginn des Projektes wurde das Studienprotokoll ver&ouml;ffentlicht; zum Abschluss wurden der systematische Review und die Metaanalyse publiziert.</p> <h2>Methodik der Metaanalyse</h2> <p>Zur Zusammenfassung von Ergebnissen einzelner Studien wurde die inverse Varianz- Methode verwendet. Daten wurden nur dann zusammengefasst, wenn mindestens drei Studien vergleichbare Cut-offs f&uuml;r &bdquo;fr&uuml;he&ldquo; und &bdquo;versp&auml;tete&ldquo; Operationen verwendeten und &uuml;ber denselben Endpunkt berichteten. Allf&auml;llige Hazard-Ratios (HR) oder Odds-Ratios (OR) wurden in ein relatives Risiko (RR) umgerechnet. Beobachtungsstudien mit unadjustierten Ergebnissen wurden nur f&uuml;r Sensitivit&auml;tsanalysen in die Metaanalysen aufgenommen.<br /> Zur Quantifizierung des Ausma&szlig;es der Heterogenit&auml;t wurden der Chi-Quadrat- Test und das Ma&szlig; I2, f&uuml;r alle statistischen Analysen RevMan, Version 5.3, verwendet. F&uuml;r Ergebnisse, f&uuml;r die keine Metaanalysen m&ouml;glich waren, wurden die Daten narrativ zusammengefasst. Ebenso wurde vorgegangen, wenn die erhobenen Daten f&uuml;r die Durchf&uuml;hrung von Subgruppenanalysen nicht ausreichend waren.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Von vorerst 3237 Publikationen konnten entsprechend den Einschlusskriterien 28 prospektive Kohortenstudien mit insgesamt 32 537 Patienten eingeschlossen werden. 15 Arbeiten hatten ein niedriges oder m&auml;&szlig;iges und 13 Arbeiten ein hohes &bdquo;risk of bias&ldquo;. Die meisten Arbeiten hatten als Cut-off f&uuml;r eine verz&ouml;gerte chirurgische Versorgung 24 oder 48 Stunden festgelegt, lediglich drei Arbeiten 7, 36 oder 72 Stunden.</p> <p>In 25 Studien wurde die Mortalit&auml;t dokumentiert: Davon haben 9 Studien adjustierte Daten und 16 Studien unadjustierte Daten pr&auml;sentiert.<br /> Das absolute Risiko, innerhalb eines Monats nach der Operation zu versterben, lag bei Patienten mit verz&ouml;gerter Operation bei 9 % . Eine Metaanalyse von 3 Studien mit 7161 Patienten ergab ein 15 % geringeres Risiko f&uuml;r Patienten, die innerhalb von 48 Stunden operiert wurden, im Vergleich zu Patienten, die erst nach der 48-Stunden-Grenze operiert wurden.<br /> Die Langzeitmortalit&auml;t (innerhalb von 12 Monaten) zeigte sich in einer Metaanalyse von 4 Studien (2396 Patienten) bei einer Operation innerhalb von 48 Stunden um 20 % verringert.<br /> 6 Studien berichteten &uuml;ber adjustierte Daten f&uuml;r Komplikationen. W&auml;hrend ein Cut-off von 6 Stunden keine signifikant unterschiedlichen Komplikationsraten zeigte, erlitten Patienten, die innerhalb von 24 oder 48 Stunden operiert wurden, seltener Komplikationen.<br /> Keine der eingeschlossenen Studien hat den Einfluss des Operationszeitpunktes auf die Lebensqualit&auml;t untersucht.<br /> 8 der eingeschlossenen Studien haben die Selbstst&auml;ndigkeit bzw. Pflegebed&uuml;rftigkeit von Patienten in Bezug auf den Operationszeitpunkt untersucht. Fr&uuml;h operierte Patienten hatten eine vergleichbare oder gesteigerte Selbstst&auml;ndigkeit.<br /> Die eingeschlossenen Arbeiten berichten einheitlich dar&uuml;ber, dass ein hohes Alter, das m&auml;nnliche Geschlecht sowie ein hoher ASA-Score mit einem h&ouml;heren Mortalit&auml;tsrisiko in Verbindung stehen, unabh&auml;ngig vom Zeitpunkt der Versorgung.<br /> Sechs Publikationen haben den Effekt des OP-Zeitpunktes in den unterschiedlichen Subgruppen untersucht. Keine Studie hat den Einfluss des Operationszeitpunkts bei Patienten mit und ohne Antikoagulationstherapie untersucht.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die vorliegende Arbeit zeigt, dass eine operative Behandlung innerhalb von 48 Stunden das Mortalit&auml;tsrisiko signifikant senkt. Die 1-Monats-Mortalit&auml;t wird um 14 % , die 12-Monats-Mortalit&auml;t sogar um 20 % reduziert. Bei anderen Cut-offs konnte dieser signifikante Unterschied nicht nachgewiesen werden.<br /> Gr&uuml;nde, die zu einer verz&ouml;gerten operativen Behandlung f&uuml;hren, k&ouml;nnen patientenassoziierte und organisatorische Faktoren sein.<br /> Es besteht generelles Einvernehmen dar&uuml;ber, dass vorbestehende Erkrankungen, welche rasch optimierbar sind, entsprechend behandelt werden und nicht zu einer verz&ouml;gerten Operation f&uuml;hren sollten.<br /> Organisatorische Gr&uuml;nde f&uuml;r eine verz&ouml;gerte Operation beinhalten den Mangel an akuter OP-Kapazit&auml;t, insbesondere an Wochenenden und Feiertagen. Cha et al. konnten nachweisen, dass 75 % aller verz&ouml;gerten Operationen durch organisatorische Faktoren begr&uuml;ndet sind.<br /> Derzeit sind keine randomisierten Kontrollstudien zu diesem Thema publiziert. Aus diesem Grund basiert die derzeitige Evidenz auf Beobachtungsstudien.</p> <h2>Schlussfolgerungen</h2> <p>Bei &auml;lteren Patienten mit h&uuml;ftnahen Br&uuml;chen ist die operative Behandlung innerhalb von 48 Stunden nach der Aufnahme mit geringerer Mortalit&auml;t und weniger perioperativen Komplikationen assoziiert. Patienten, welche innerhalb von 48 Stunden operiert werden, haben eine um 20 % niedrigere 1-Jahres-Mortalit&auml;t.<br /> Dennoch bleibt die Einhaltung dieser Zeitgrenze eine Herausforderung in Bezug auf die multidisziplin&auml;re Koordination und die akute OP-Kapazit&auml;t mit entsprechend verf&uuml;gbaren personellen und apparativen Ressourcen.<br /> Keine der untersuchten Studien konnte einen Vorteil bei verz&ouml;gerter operativer Versorgung nachweisen. K&uuml;nftige Studien sollten den Effekt einer fr&uuml;hzeitigen operativen Versorgung in Subgruppen untersuchen, z.B. in Bezug auf schwere Komorbidit&auml;ten oder auf Antikoagulanzien. Ferner sollten Daten zu patientenrelevanten Ergebnissen ber&uuml;cksichtigt werden, z.B. &bdquo;quality of life&ldquo;. Kurzfristig verbesserbare Komorbidit&auml;ten sollten nicht zu einer verz&ouml;gerten Operation f&uuml;hren. Ferner sind randomisierte Kontrollstudien erforderlich, um potenzielles Confounding auszuschlie&szlig;en.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Klestil T et al.: Immediate versus delayed surgery for hip fractures in the elderly patients: a protocol for a systematic review and meta-analysis. Syst Rev 2017; 6: 164 &bull; Klestil T et al.: Impact of timing of surgery in elderly hip fracture patients: a systematic review and meta-analysis. Sci Rep 2018; 8(1): 13933</p> <p><br /><strong><span style="text-decoration: underline;">Weitere Literatur:</span></strong></p> <p>beim Autor</p> </div> </p>
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