Die Trauma-TLIF-Technik zur Rekonstruktion der vorderen Säule bei thorakolumbalen Frakturen

<p class="article-intro">Für die dauerhafte Wiederherstellung der individuellen anatomischen Wirbelsäulenachse nach Wirbelkörperbrüchen ist unter anderem die Rekonstruktion der vorderen Säule entscheidend. Besonders bei instabilen Berstungsbrüchen kommt es ohne eine tragfähige ventrale Abstützung unter zyklischer Belastung oft zu einem deutlichen Höhenverlust und damit zur Ausbildung einer posttraumatischen segmentalen kyphotischen Fehlstellung. Über einen speziellen posterolateralen transforaminalen Zugangsweg kann die vordere Säule auch von dorsal erreicht werden, eine eventuell notwendige Dekompression des Spinalkanals kann erfolgen, geschädigte Bandscheibenanteile können entfernt und mit autologen oder homologen Beckenspänen kann eine Defektrekonstruktion erzielt werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die beschriebene OP-Methode vereinigt die Vorteile der dorsalen Stabilisierung mit den Vorteilen von strukturierten, tragf&auml;higen autologen ventralen Transplantaten. Der Eingriff erfolgt aber einzeitig und nur von dorsal.</li> <li>Allf&auml;llig vorhandene Fragmente k&ouml;nnen aus dem Wirbelkanal entfernt und damit R&uuml;ckenmark oder Cauda sehr effektiv dekomprimiert werden.</li> <li>Bez&uuml;glich des Korrekturpotenzials, aber auch der nur geringen durchschnittlichen Korrekturverluste ist die Methode als gleichwertig mit dorsoventralen Korrektureingriffen einzustufen, wobei aber die Operationszeiten k&uuml;rzer und die allgemeinen Komplikationen geringer sind.<sup>8, 19, 30</sup></li> <li>Die Rate ventrodorsaler Fusionen ist mit ca. 90 % als sehr hoch zu bewerten.</li> <li>Die Methode kann sowohl beim akuten Notfall als auch bei elektiven Stellungskorrekturen angewendet werden und ist als eine wertvolle Alternative zu aufwendigen dorsoventralen Eingriffen zu sehen.</li> </ul> </div> <p>Bei hoch instabilen Wirbels&auml;ulenverletzungen an der thorakolumbalen Wirbels&auml;ule (Th10&ndash;L5) ist die Notwendigkeit der chirurgischen Stabilisierung allgemein anerkannt.<sup>1&ndash;8</sup> Entsprechend der AO-Klassifikation nach Magerl et al handelt es sich dabei um Typ-B- und Typ-C-Verletzungen.<sup>9</sup> Die Behandlung von reinen Wirbelk&ouml;rperfrakturen (Typ-A-Verletzungen) wird allerdings nach wie vor sehr gegens&auml;tzlich gesehen. Die Indikation zur operativen Versorgung wird &uuml;blicherweise aufgrund der prim&auml;ren neurologischen St&ouml;rung bei Spinalkanalstenose und vor allem der posttraumatischen segmentalen Kyphose, definiert durch das Ausma&szlig; der Wirbelk&ouml;rperkompression, gestellt.<sup>10</sup><br /> Die chirurgischen Behandlungstechniken reichen von einer alleinigen transpedikul&auml;ren Wirbelk&ouml;rperaugmentation mit Knochenzement, welche vor allem bei &auml;lteren Patienten mit osteoporotischen Knochenverh&auml;ltnissen infrage kommt, &uuml;ber die rein dorsale oder ventrale Stabilisierung bis hin zu dorsoventralen Stellungskorrekturen von 360&deg;.<sup>11&ndash;16</sup> Bei Letzterem kommen nicht selten sogar Wirbelk&ouml;rperersatzimplantate aus Fremdmaterialien zur Anwendung.<sup>17&ndash;20</sup> Das Ziel aller Behandlungsoptionen ist die Wiederherstellung der urspr&uuml;nglichen statischen, dynamischen und protektiven Funktionen des verletzten Wirbels&auml;ulenabschnittes.<sup>21, 22</sup> Eine m&ouml;glichst kurzstreckige Stabilisierung und eine solide kn&ouml;cherne Segmentfusion gelten als erkl&auml;rtes Behandlungsziel. Dies sollte bei m&ouml;glichst geringer Weichteilsch&auml;digung und geringstm&ouml;glichem Komplikationsrisiko geschehen. Eine sofortige Mobilisierbarkeit, am besten ohne zus&auml;tzliche &auml;u&szlig;ere St&uuml;tzorthesen, ist f&uuml;r die weiterf&uuml;hrende Rehabilitation und zur Vermeidung von Immobilisationssch&auml;den von gro&szlig;em Vorteil.<br /> Bereits Whitesides hat darauf hingewiesen, dass rein dorsale Stabilisierungen h&auml;ufig mit einem deutlichen Korrekturverlust einhergehen, und hat daher die Abst&uuml;tzung der ventralen S&auml;ule mit Rippen-, Fibula- oder trikortikalen Beckensp&auml;nen empfohlen.<sup>23</sup> Kaneda konnte zeigen, dass auch &uuml;ber einen alleinigen vorderen Zugang eine Dekompression des Spinalkanals, ein Defektaufbau mit Knochen, eine ventrale Verplattung und ventrale Segmentfusion in einem hohen Prozentsatz erreicht werden k&ouml;nnen, wenngleich die Korrekturm&ouml;glichkeiten von ventral nur sehr bescheiden waren.<sup>14</sup> Biomechanische Studien unter Laborbedingungen haben gezeigt, dass bei einer ventralen Knochenspan- oder Cage-Abst&uuml;tzung die Prim&auml;rstabilit&auml;t im Vergleich zur rein dorsalen transpedikul&auml;ren Instrumentation wesentlich h&ouml;her ist.<sup>4, 24</sup> Die h&ouml;chste Stabilit&auml;t bei geringstem Korrekturverlust kann erwartungsgem&auml;&szlig; durch eine dorsoventrale Stabilisierung erzielt werden. Diese Operationen k&ouml;nnen ein- oder zweizeitig erfolgen und sind damit operationstechnisch entsprechend aufwendig. Ein klinischer Vorteil einer derartigen Maximalversorgung konnte allerdings bislang noch nicht bewiesen werden.<sup>3, 4, 25</sup><br /> Dass die ventrale S&auml;ule auch von dorsal zu erreichen ist und Wirbelk&ouml;rperdefekte so versorgt werden k&ouml;nnen, konnte Daniaux mit der transpedikul&auml;ren intrakorporellen, sp&auml;ter auch mit der interkorporellen Spongiosaplastik zeigen. Dabei wird ein winkelstabil abst&uuml;tzendes Implantat dorsal verwendet und &uuml;ber den transpedikul&auml;ren Zugangsweg minimal invasiv der intervertebrale Bandscheibenraum mit geeigneten Instrumenten partiell ausger&auml;umt. &Uuml;ber denselben Zugangsweg werden zerkleinerte kortikospongi&ouml;se Transplantate im Defekt verdichtet, um eine interkorporelle Fusion zu erreichen. Bei der Versorgung von Hinterwandausbr&uuml;chen und einer posttraumatischen Kanalstenose wurde allerdings von Dariaux bereits vorwiegend der parapedikul&auml;re Weg gew&auml;hlt und &uuml;ber das interlamin&auml;re Fenster nicht nur das HW-Fragment, sondern auch der Wirbelk&ouml;rper und der Bandscheibenraum erreicht und adressiert. Die Trauma-TLIF/PLIF-Technik wurde daraus als standardisiertes OP-Verfahren weiterentwickelt.<br /> Der transforaminelle ein- oder beidseitige Zugang zur Bandscheibe ist seit Langem beschrieben und fand bislang vorwiegend bei verschiedensten degenerativen und entz&uuml;ndlichen Wirbels&auml;ulenpathologien Anwendung.<sup>26, 27</sup> Die dargestellte Trauma-PLIF/TLIF-Technik erm&ouml;glicht nun auch bei den allermeisten operationsbed&uuml;rftigen Frakturen eine 360&deg;-Segmentfusion &uuml;ber den alleinigen dorsalen Zugang. Die Wirbelk&ouml;rperh&ouml;henminderung sollte dabei allerdings 50 % nicht &uuml;berschreiten. Berstungs-Spaltfrakturen (A3.2) stellen hingegen &uuml;blicherweise keine Einschr&auml;nkung dar.<br /> Diese Technik erlaubt in einem Eingriff die bestm&ouml;gliche instrumentelle Stellungskorrektur und dorsale Fixation sowie eine tragf&auml;hige, sofort belastbare Rekonstruktion der vorderen S&auml;ule. In Hinblick auf Korrekturpotenzial, Ausma&szlig; der Spinalkanaldekompression, Korrekturverlust, Fusionsrate, aber vor allem auch hinsichtlich des klinischen Outcomes hat sich diese Methode den dorsoventralen OP-Methoden als ebenb&uuml;rtig erwiesen.<sup>24, 28, 29</sup></p> <h2>Indikation</h2> <p>Alle inkompletten, kranialen oder kaudalen Wirbelk&ouml;rperberstungsfrakturen, mit oder ohne Hinterwandbeteiligung, mit oder ohne dorsale kn&ouml;cherne oder ligament&auml;re Zusatzverletzung (Typ-A-, -B- und C-Verletzungen). Wirbelk&ouml;rperh&ouml;henminderung bis 50 % .</p> <h2>Logistik, Lagerung und OP-Verlauf</h2> <p>Bei allen Stabilisierungsoperationen von Wirbelfrakturen ist es vorteilhaft, eine Reposition durch L&auml;ngszug und Lordosierung noch pr&auml;operativ am OP-Tisch durchzuf&uuml;hren. Die lordotische Bauchlagerung auf einem Wirbels&auml;ulenpolster vermindert den ven&ouml;sen R&uuml;ckstau aus dem Abdomen und somit auch den intraoperativen Blutverlust. Die Zug&auml;nglichkeit der Region mit R&ouml;ntgenbildverst&auml;rker in ap. und seitlichem Strahlengang muss gegeben und &uuml;berpr&uuml;ft sein. Als erster Schritt erfolgt die Entnahme von mehreren kortikospongi&ouml;sen, monokortikalen Knochensp&auml;nen aus dem hinteren Beckenkamm. Die Spanentnahme erfolgt subperiostal, submuskul&auml;r an der Au&szlig;enfl&auml;che des Os ileum unter Erhaltung der Integrit&auml;t der Crista iliaca (Breitner). Daraufhin erfolgen der dorsale, paraspinale Standardzugang und das Einbringen monoaxialer Pedikelschrauben in den kranial und kaudal gelegenen Wirbel.<br /> Der Zugang nach ventral erfolgt vorteilhafterweise auf jener Seite, auf welcher der Wirbelk&ouml;rper st&auml;rker destruiert ist, was zumeist auch mit einem allf&auml;lligen Hinterwandfragment korreliert. Nach Resektion des inter- und supraspinalen Bandes und der beiderseitigen Gelenkkapseln sowie Entknorpelung der Wirbelgelenke wird das Segment mit einem Osteotomiespreizer interspin&ouml;s aufgedehnt. Nach Resektion des Lig. flavum erfolgt die einseitige Resektion des unteren Gelenkfortsatzes und sodann die Resektion des oberen Gelenkfortsatzes des Frakturwirbels. Nach Resektion der ventralen Gelenkkapsel ist ein freier Zugang zu den abgehenden Spinalnerven, dem Hinterwandfragment und dem Bandscheibenring gegeben (Abb. 1).<br /> Nach Resektion des zug&auml;nglichen Bandscheibenringes k&ouml;nnen der Nukleus und die Endplatten erreicht und partiell entfernt werden. Zumeist erst dann ist das Hinterwandfragment so weit gel&ouml;st und mobil, dass es in den Defekt nach ventral hin mobilisiert und entfernt oder stabil impaktiert werden kann. Der intervertebrale Defekt wird abschlie&szlig;end mit geeigneten kortikospongi&ouml;sen Knochensp&auml;nen aufgef&uuml;llt (Abb. 2, 3). Nach Abnahme des interspin&ouml;sen Spreizers verklemmen sich die Sp&auml;ne unverr&uuml;ckbar und durch zus&auml;tzliche dorsale Verk&uuml;rzung kann eine gew&uuml;nschte Lordosierung des Segments erreicht werden. Der Spinalkanal wird abschlie&szlig;end kontrolliert und es erfolgt die interlamin&auml;re und interspinale Transplantatanlagerung.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Schmid et al<sup>24, 28, 29</sup> konnten bei 100 konsekutiven Patienten und einer Nachuntersuchungsquote von 82 % nach einem durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 15,5 Monaten einen Korrekturverlust von nur durchschnittlich 3,3&deg; messen. In 89 % konnte eine interkorporelle kn&ouml;cherne Fusion nachgewiesen werden. Nur bei einem Patienten blieb sowohl die ventrale als auch dorsale Fusion aus. Mit einer bisegmentalen Stabilisierung konnten eine bessere Korrektur und auch ein geringerer Korrekturverlust erzielt werden. Planimetrische Untersuchungen zeigten, dass die Rate der pr&auml;operativen Spinalkanalstenosen von durchschnittlich 38 % pr&auml;operativ auf 8 % postoperativ gesenkt werden konnte.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Dickman CA et al: Spine 1994; 19: S2266-S2273<br /><strong>2</strong> Gertzbein SD: Spine 1992; 17: 528-40<br /><strong>3</strong> Reinhold M et al: Unfallchirurg 2008; 112(1): 33-42, 44-5 <br /><strong>4</strong> Reinhold M et al: Unfallchirurg 2009; 112(2): 149-67 <br /><strong>5</strong> Resch H et al: Unfallchirurg 2000; 103: 281-88 <br /><strong>6</strong> Shen WJ et al: Spine 2001; 26: 1038-45<br /><strong>7</strong> Vaccaro AR et al: J Spinal Disord Tech 2006; 19: 1-10 <br /><strong>8</strong> Verlaan JJ et al: Spine 2004; 29: 803-14 <br /><strong>9</strong> Magerl F et al: Eur Spine J 1994; 3: 184-201<br /><strong>10</strong> McCormack T et al: Spine (Phila Pa 1976) 1994; 19: 1741-44 <br /><strong>11</strong> Daniaux H: Unfallchirurg 1986; 89(5): 197-213<br /><strong>12</strong> Daniaux H et al: Spine 1991; 16: S125-S133<br /><strong>13</strong> Haas N et al: Spine 1991; 16: S100-S111<br /><strong>14</strong> Kaneda K et al: J Bone Joint Surg Am 1997; 79: 69-83<br /><strong>15</strong> Knop C et al: Eur Spine J 2009;18: 949-63<br /><strong>16</strong> Leferink VJ et al: Eur Spine J 2001; 10: 517-23<br /><strong>17</strong> Knop C, Blauth M: Unfallchirurg 2003; 106: 259-61<br /><strong>18</strong> Knop C et al: Eur Spine J 2000; 9: 472-85<br /><strong>19</strong> Lange U et al: Unfallchirurg 2006; 109: 733-42<br /><strong>20</strong> Reinhold M et al: Arch Orthop Trauma Surg 2009; 129: 359-62<br /><strong>21</strong> Panjabi MM et al: Spine 1995; 20: 1122-7<br /><strong>22</strong> Panjabi MM et al: Spine 1994; 19: 578-85<br /><strong>23</strong> Whitesides TE: Clin Orthop Relat Res 1977; 128: &nbsp;&nbsp; &nbsp;78-92 <br /><strong>24</strong> Schmid R et al: Injury 2012; 43(4): 475-9<br /><strong>25</strong> Knop C et al: Unfallchirurg 2001; 104: 583-600 <br /><strong>26</strong> Cloward RB et al: Surgery 1952; 32: 852-7<br /><strong>27</strong> Harms JG, Jeszensky D: Oper Orthop Traumatol 1998; 10: 90-102<br /><strong>28</strong> Schmid R et al: Eur Spine J 2011; 20(3): 395-402<br /><strong>29</strong> Schmid R et al: Eur Spine J 2010; 19(7): 1079-86 <br /><strong>30</strong> Knop C et al: Eur Spine J 2002; 11: 214-26</p> </div> </p>
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