
DAIR: «Debridement and implant retention»
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. med. Martin Clauss1,2
Priv.-Doz. Dr. med. Mario Morgenstern1,2
Prof. Dr. med. Parham Sendi1,3,4
1 Zentrum für muskuloskelettale Infektionen, Universitätsspital Basel
2 Klinik für Orthopädie und Traumatologie, Universitätsspital Basel
3 Klinik für Infektiologie & Spitalhygiene, Universitätsspital Basel
4 Institut für Infektionskrankheiten, Universität Bern
Korrespondierender Autor:
Priv.-Doz. Dr. med. Martin Clauss
E-Mail: martin.clauss@usb.ch
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Gelenkprotheseninfektionen («periprosthetic joint infection», PJI) sind eine der gefürchtetsten Komplikationen nach Implantation eines Kunstgelenks. Obwohl die Inzidenz der Infektionen nach primären Knie- und Hüftprothesen bei «nur» ca. 1–2% liegt, ist die PJI mittlerweile der zweithäufigste Grund für eine Prothesenrevision. Das DAIR-Vorgehen ist die einzige kurative prothesenerhaltende Behandlungsoption bei akuten Infektionen von Kunstgelenken.
Keypoints
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Die Patientenauswahl ist einer der entscheidenden Faktoren für ein erfolgreiches DAIR. In der Literatur ist kein Zeitpunkt definiert, ab dem kein DAIR mehr erfolgreich durchgeführt werden kann. Es ist jedoch unbestritten, dass bei kürzerer Symptomdauer die Erfolgsaussichten besser sind.
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Ein früh postoperativ durchgeführtes DAIR hat ein Jahr postoperativ keinen negativen Einfluss auf das funktionelle Outcome der Prothese oder ihr Langzeitüberleben.
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Die DAIR-Prozedur besteht aus einer radikalen Synovektomie und dem Austausch der mobilen Prothesenteile und ist somit eine Prothesenrevision, die von einem erfahrenen Prothetiker durchgeführt werden sollte.
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Das arthroskopische DAIR ist in der Literatur eindeutig mit schlechteren Ergebnissen assoziiert und sollte nicht mehr durchgeführt werden.
PJI können als akut (postoperativ oder hämatogen) oder chronisch klassifiziert werden.1 Eine akute postoperative Infektion wird definiert als Manifestation innerhalb der ersten vier Wochen nach Implantation. Eine akute hämatogene Infektion liegt bei einer Symptomdauer von maximal 3 Wochen, unabhängig vom Implantationszeitpunkt, vor.2,3 Treffen diese Kriterien nicht zu, wird die Infektion als chronisch definiert. Auch wenn der Übergang zwischen einer akuten und einer chronischen Infektion eher fliessend ist und der Cut-off der Zeitintervalle in der Definition die Biologie der Infektion nicht vollends reflektiert, helfen diese Definitionen in der Entscheidungsfindung bezüglich des Behandlungsplans.
Als kurative Behandlung einer PJI gilt der Erhalt der Gelenkfunktion bei gleichzeitiger Eradikation der Infektion. Es stehen hierfür drei chirurgische Optionen zur Verfügung:
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der 2-zeitige Prothesenwechsel,
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der 1-zeitige Prothesenwechsel,
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die Prothesenerhaltung mit Débridement des inflammatorischen Areals.
Letzteres wird in der Literatur häufig als DAIR abgekürzt («debridement, antibiotics and implant retention»).
Die Wahl der chirurgischen Therapie hängt von verschiedenen gut definierten Faktoren ab,2 wird aber häufig auch durch institutionsinterne «Regeln» geprägt. Während vielerorts der 2-zeitige Wechsel als Goldstandard gilt, divergieren die Meinungen (und Outcome-Resultate) zum DAIR stark.4 In diesem Artikel möchten wir einige der aus unserer Sicht wichtigsten Eckpunkte für ein erfolgreiches DAIR darstellen.
Vier Faktoren für ein erfolgreiches DAIR
Grundvoraussetzungen, die unabdingbar für ein erfolgreiches DAIR sind:
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ein stabil verankertes Implantat,
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ein intakter Weichteilmantel ohne Fistel- oder Abszessbildung,
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ein Mikroorganismus, der empfindlich gegenüber biofilmgängigen Antibiotika ist,2,3
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eine adäquate Einschätzung der Infektionsdauer.
Die vorgängig aufgeführten Punkte verdeutlichen, dass die Patientenauswahl für ein erfolgreiches DAIR ausschlaggebend ist. Der vierte Faktor ist der schwierigste im klinischen Alltag: die adäquate Einschätzung der Infektionsdauer! Die Infektionsdauer kann (sollte) nicht mit der Symptomdauer gleichgesetzt werden. Sobald Mikroorganismen in Kontakt mit dem Metall kommen, entsteht ein Biofilm, welcher zur PJI führt. Je länger dieser Prozess dauert, desto grösser und reifer wird der Biofilm. Ab einem gewissen Zeitpunkt sind die Reife und Dichte des Biofilms so stark, dass er sich nicht mehr adäquat behandeln lässt, weder chirurgisch noch antibiotisch. Aus diesem Grund ist bei chronischen Infektionen ein kurativer Ansatz nur mit einem Wechsel der Prothese möglich. Die Symptomdauer ist eine Approximation der Infektionsdauer. Bei akuten postoperativen Infektionen kann bei Wundheilungsstörungen und Infektionsverdacht das Zeitintervall von Implantation bis Infektionsmanifestation relativ einfach gezählt werden. Dies ist bei akuten hämatogenen Infektionen mehrere Jahre nach Implantation schon schwieriger. Manchmal kann sich eine chronische stille Infektion reaktivieren und eine akute Erstinfektion vortäuschen. Die Dynamik der Biofilmbildung kann sowohl durch die Bakterienspezies als auch den Bakterienklon bedingt sein. Diese pathogenetischen Möglichkeiten illustrieren die Schwierigkeit, die Dauer der Infektion – den vierten Faktor – bei jedem Patienten korrekt einzuschätzen. Eine detaillierte Anamnese, eine gute Schulung von Patienten, die Einbindung von Hausärzten, die rasche Zuweisung bei Infektionsverdacht und ein spezialisiertes, interdisziplinäres Team sind hilfreiche Elemente für die Einschätzung der Dauer der Infektion.5,6
In einer eigenen Serie von 45 Patienten konnten wir eine Heilungsrate von 93% nach DAIR publizieren,4 bei der ausschliesslich Patienten mit den oben genannten strikten Einschlusskriterien und einer Symptomdauer von maximal 4 Wochen2,3 eingeschlossen wurden. Trotz der hervorragenden Ergebnisse haben wir einen Unterschied zwischen den postoperativen PJI (Heilungsrate 100%) und den hämatogenen PJI (Heilungsrate 83%) gefunden.
Postoperative Wundinfektion als Indikation für DAIR
PJI sind mit beträchtlichem Leid für den Patienten verbunden. Aber auch beim behandelnden Chirurgen können nicht zu unterschätzende Schuldgefühle entstehen, welche im schlimmsten Fall zu einer Skotomisierung des Problems führen können. Aus unserer Sicht sollte speziell bei Patienten mit einer verlängerten Wundsekretion (>7–10 Tage) die Differenzialdiagnose PJI aktiv ausgeschlossen werden. In einem ersten Reflex wird von behandelnden Chirurgen häufig der Verdacht eines oberflächlichen Wundinfekts («surgical site infection», SSI) gestellt.7 Schaut man sich die Unterscheidung zwischen einem oberflächlichen und einem tiefen SSI im Detail an (Tab. 1), so zeigt sich, dass der grösste Schwachpunkt dieser Definition darin liegt, dass der (behandelnde) Chirurg selbst festlegen kann, ob die Infektion oberflächlich oder tief ist. Berbari et al. konnten jedoch bereits 1998 in einer Matched-pair-Analyse zeigen, dass das Risiko für die Entwicklung einer tiefen chronischen PJI nach der Behandlung einer oberflächlichen SSI ohne ein tiefes, bis auf die Prothese reichendes Debridement um das 36-Fache erhöht war (Odds Ratio: 35,9 [95% CI: 8,3–154,6]), verglichen mit Patienten mit ungestörter Wundheilung.8 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass eine oberflächliche SSI nach Prothesenimplantation ein (praktisch) nicht existierender Mythos ist.
Tab. 1: Definition der postoperativen Wundinfektion (SSI, «surgical site infection») laut CDC (nach Horan TC et al., 1992)7
Bei der Beurteilung einer postoperativen Wunde mit verlängerter Sekretionsdauer muss der behandelnde Chirurg immer zwischen dem Risiko einer verpassten akuten PJI und den Auswirkungen eines DAIR auf das funktionelle Outcome des Patienten sowie das Langzeitüberleben der Prothese abwägen. Barros et al. haben kürzlich eine Studie publiziert, in der sie in einer Gruppe von Patienten mit primären Hüft- und Knieprothesen mit und ohne DAIR das funktionelle Outcome zwei Jahre postoperativ verglichen haben.9 Sie konnten dabei weder einen Unterschied im funktionellen Outcome (HOOS/KOOS-Score) noch schwerwiegende Folgen der antibiotischen Therapie feststellen bei einer Heilungsrate der PJI von 89,5% (34/38 Fälle). In einer eigenen Studie fanden wir ebenfalls keine negativen Auswirkungen des DAIR auf das Langzeitüberleben von Hüftprothesen.10
Unter Berücksichtigung dieser beiden Aspekte möchten wir dringend dazu raten, bei Patienten mit einer postoperativ gestörten Wundheilung mit klinischem Verdacht auf eine postoperative PJI ein im schlimmsten Fall «unnötiges» DAIR durchzuführen, um das Gelenk zu erhalten anstatt das Risiko einzugehen, eine PJI zu verpassen und einen späteren Komplettwechsel durchführen zu müssen.
Chirurgische Aspekte des DAIR
Ein vollständiges DAIR besteht aus einer radikalen Synovektomie zur Reduktion der planktonischen Keimlast und von Mikroabszessen in der Synovia sowie einem Austausch der mobilen Prothesenteile zur Reduktion des Biofilms (Abb. 1). Dies ist nachvollziehbarerweise nur als offener chirurgischer und nicht als arthroskopischer Eingriff möglich und erklärt aus unserer Sicht auch die schlechten Ergebnisse des arthroskopischen DAIR in der Literatur.11 Der Eingriff sollte beim nicht septischen Patienten so lange verschoben werden, bis die mobilen Teile zum Wechsel zur Verfügung stehen.
Abb. 1: 78-jähriger Patient mit akut hämatogenem Knieprotheseninfekt rechts (S. aureus, Rifampicin-S), Symptomdauer 8 Tage. (A) unmittelbar nach Arthrotomie, (B) nach durchgeführter radikaler Synovektomie, Poplitea vor (C) und nach (D) Débridement
Sämtliche nationalen Prothesenregister, die DAIR dokumentieren, erfassen diese als Revisionsprothetik. Wie alle Prothesenrevisionen sollte ein DAIR nicht mitten in der Nacht durch einen unerfahrenen Chirurgen erfolgen, sondern tagsüber als Routineeingriff durch einen erfahrenen Revisionsprothetiker und/oder durch ein spezialisiertes «Infektteam» in einem Infektzentrum.4
Schlussfolgerung
Das DAIR ist der einzige kurative, Prothesen-erhaltende Revisioneingriff bei infiziertem Kunstgelenk. Die Patientenauswahl anhand definierter Kriterien ist dabei ein entscheidender Faktor für den Erfolg. Das früh postoperativ durchgeführte DAIR hat keinen negativen Einfluss auf das funktionelle Outcome ein Jahr postoperativ oder das Langzeitüberleben der Prothese. Die DAIR-Prozedur ist eine offene (nicht arthroskopische) Prothesenrevision, welche, wann immer möglich, tagsüber als Routineeingriff durch einen erfahrenen Revisionsprothetiker und/oder ein spezialisiertes «Infektteam» in einem Infektzentrum durchgeführt werden sollte.
Literatur:
1 Zimmerli W, Sendi P: Orthopedic implant-associated infections. In: Bennett JE et al. (Eds.): Mandell, Douglas and Bennett’s principles and practice of infectious diseases. Saunders, 2014 2 Zimmerli WA et al.: Prosthetic-joint infections. N Engl J Med 2004; 351(16): 1645-54 3 Osmon DR et al.: Diagnosis and management of prosthetic joint infection: clinical practice guidelines by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2013; 56(1): e1-25 4 Sendi P et al.: Debridement and implant retention in the management of hip periprosthetic joint infection. Outcome following guided and rapid treatment at a single centre. Bone Joint J 2017; 99-B(3): 330-6 5 Sendi P et al.: [Periprosthetic joint infections - a review for general practitioners ]. Praxis (Bern 1994) 2011; 100(13): 787-92 6 Eyer M, Sendi P: [Periprosthetic joint infections: a practical overview for family physicians]. Rev Med Suisse 2014; 10(445): 1871-5 7 Horan TC et al.: CDC definitions of nosocomial surgical site infections, 1992: a modification of CDC definitions of surgical wound infections. Infect Control Hosp Epidemiol 1992; 13(10): 606-8 8 Berbari EF et al.: Risk factors for prosthetic joint infection: case-control study. Clin Infect Dis 1998; 27(5): 1247-54 9 Barros LH et al.: Early debridement, antibiotics and implant retention (DAIR) in patients with suspected acute infection after hip or knee arthroplasty - safe, effective and without negative functional impact. J Bone Jt Infect 2019; 4(6): 300-5 10 Clauss M et al.: Debridement, antibiotics and implant retention for hip periprosthetic joint infection: analysis of implant survival after cure of infection. J Bone Jt Infect 2020; 5(1): 35-42 11 Johns BP et al.: Open debridement is superior to arthroscopic debridement for the infected total knee arthroplasty. J Arthroplasty 2020; 35(12): 3716-23