
Wiederkehrende Harnwegsinfekte oder urethrale Schmerzen?
Autor:innen:
Dr.med. Julia Münst
Dr.med. Irena Zivanovic-Benedetto
Prof. Dr.med. Volker Viereck
Korrespondierende Autorin:
Dr.med. Julia Münst
Blasen- und Beckenbodenzentrum
Frauenklinik
Kantonsspital Frauenfeld
E-Mail:
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Wiederkehrende Harnwegsinfekte gelten als typisches Frauenleiden. Trotz ausgeprägter Beschwerden können im Urin oft keine Erreger nachgewiesen werden. Könnte die Patientin ein urethrales Schmerzsyndrom haben?
Wenn man von rezidivierenden Harnwegsinfekten spricht, ist in der gynäkologischen Praxis meist die unkomplizierte Zystitis der Frau gemeint, also ein Infekt der Blase bei einer gesunden prämenopausalen Frau. Rezidivierende Harnwegsinfekte werden definiert als mindestens drei Infektepisoden pro Jahr oder zwei Episoden in sechs Monaten. Rezidivierende Zystitiden gelten als typisches Frauenproblem und werden oft vom Umfeld der Patientin nicht ernst genommen. Bei den Betroffenen besteht allerdings ein hoher Leidensdruck und sie suchen verzweifelt nach Heilungsmöglichkeiten. Von der unkomplizierten Zystitis abzugrenzen sind die Pyelonephritis sowie komplizierte Harnwegsinfekte.
Leitliniengerechte Abklärung und Prophylaxe
Die fachgerechte Abklärung und Therapie rezidivierender Harnwegsinfekte kann herausfordernd sein. Es gilt, die Infektursachen zu finden und zu behandeln sowie das Abwehrsystem des Körpers zu stärken. Verschiedene Leitlinien und Algorithmen (SGGG, EAU, SSI, RECAP; Tab. 1) stehen dazu zur Verfügung. Die Basisdiagnostik beinhaltet eine genaue Anamnese, eine gynäkologische Untersuchung, die Urinanalyse mit Schnelltest und gegebenenfalls Kultur sowie eine Restharnbestimmung. Zur erweiterten Diagnostik zählen Urethralabstriche, die Pelvic-Floor-Sonografie und die Zystoskopie.
Infektbegünstigende Faktoren sollten im Sinne einer kausalen Therapie behandelt werden. Eine Trinkmenge von über zwei Litern schwemmt Bakterien aus. Die lokale Östrogenisierung mit estriolhaltigen Cremes oder Vaginalsuppositorien kann die Infektfrequenz um den Faktor 10 reduzieren. Bei Unverträglichkeit ist ein Wechsel auf ein anderes Präparat oft hilfreich. Laktobazillenpräparate bauen das nach multiplen antibiotischen Therapien gestörte Vaginalmilieu wieder auf. Auch ein Aufbau der Darmflora und eine Obstipationsbehandlung sind sinnvoll, falls gleichzeitig diesbezügliche Probleme bestehen. Adäquate Intimpflege mit Haut-pH-neutralen und rückfettenden Produkten sorgt für ein gesundesHautmilieu. Verschiedene Phytotherapeutika sowie D-Mannose wirken antibakteriell. Eine Immunstimulation wird insbesondere bei wiederholtem Nachweis von E. coli empfohlen, ist aber auch bei anderen Keimen möglich. Intravesikale Instillationen mit GAG-Schicht aufbauenden Substanzen stellen eine relativ invasive, aber wirksame Behandlungsmöglichkeit nach Ausschöpfen der genannten Massnahmen dar.
Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten sollten immer auch mögliche Differenzialdiagnosen bedacht werden. Bei negativen Urinbefunden kann bei vorwiegender Drangsymptomatik eine OAB (überaktive Blase) vorliegen. Bei im Vordergrund stehenden Schmerzen kommt eine interstitielle Zystitis in Betracht. Auch Blasentumoren können Symptome einer Zystitis verursachen.
Könnte ein urethrales Schmerzsyndrom vorliegen?
Eine weitere Differenzialdiagnose bei rezidivierenden Harnwegsinfekten ist das urethrale Schmerzsyndrom, oder «urethral pain syndrome» (UPS), eine Unterform des chronischen Beckenschmerzsyndroms. Dieser Begriff hat 2002 den Begriff des Urethralsyndroms ersetzt.1,2
Die Prävalenz ist unbekannt. Die Patientinnen klagen über Schmerzen in der Urethra, Dysurie und Dyspareunie, oft kommt es zu einer postkoitalen Exazerbation.3 Auch psychischer Stress und Kälte sind weitere mögliche Auslöser. Pollakisurie und Nykturie können auftreten. Gelegentlich kommt es aufgrund von Urethralspasmen zu Blasenentleerungsstörungen mit Restharn. Der typische Befund ist eine schmerzhafte und verhärtete Urethra bei meist prämenopausalen Frauen. Das UPS ist eine Ausschlussdiagnose. Es dürfen keine Infektion oder andere offensichtliche Pathologie vorliegen. Das UPS ist ein chronischer Zustand mit sechs Monaten Mindestdauer. Die verzweifelten Patientinnen geraten in einen Teufelskreis aus Depressionen, Angst und Beckenbodendysfunktion.3,4 Die Entstehung des UPS ist unklar. Wir sehen es oft nach einer Urethritis. Eine chronische Entzündung der paraurethralen Drüsen mit schwer kultivierbaren Keimen (Ureaplasmen und Chlamydien) wird postuliert.5,6 Auch Östrogenmangel, Traumata, neurogene oder anatomische Ursachen sowie psychosomatische Störungen können ein UPS verursachen.
Die Diagnostik erfordert eine empathische Anamnese inklusive Blasen- und Darmfunktion und des Sexualverhaltens. Mithilfe eines Miktionstagebuchs kann die funktionelle Blasenkapazität ermittelt werden. Bei der körperlichen Untersuchung erfolgen eine Restharnmessung und eine gynäkologische Untersuchung inklusive rektaler Untersuchung. Typische Befunde sind hier die druckdolente und indurierte Urethra sowie ein erhöhter Beckenbodentonus. In der Urinkultur und in Urethralabstrichen wird nach Harnwegs- und Urethritiserregern gesucht. Die vaginale und Pelvic-Floor-Sonografie sowie eine Sonografie der Nieren zählen zur primären Bildgebung. Als erweiterte Diagnostik steht die Zystoskopie zur Verfügung, die allerdings die Schmerzen oft triggert und bei sehr starken urethralen Schmerzen nur in Narkose durchgeführt werden kann. Ein Uroflow, eine Urodynamik und eine MRT des Beckens können erwogen werden. Die Labordiagnostik und Bildgebung erbringen typischerweise keine relevanten Pathologien.
Es existiert keine evidenzbasierte Therapie des UPS. Die Datenlage ist schlecht und es fehlen randomisierte Studien.7,8 Da man die Ursache nicht wirklich kennt, existiert eine Vielzahl an Therapien. Meist wird eine multimodale Therapie empfohlen. Eine schwedische Studie von 2019 führt in absteigender Häufigkeit folgende Massnahmen an: lokale Kortikosteroide, lokale Östrogene, Harnröhrendilatation, Lokalanästhetika, Antibiotika, Physiotherapie, Urethralmassage, Antidepressiva, Psychotherapie, Alphablocker, Beta-Agonisten, Muskelrelaxanzien, Botox, Silbernitrat, Akupunktur.9 Weitere hier nicht erwähnte Therapien sind Probiotika, sakrale Neuromodulation, pudendale Nervenstimulation und Pessare.
Multimodale UPS-Therapie
Im Blasen- und Beckenbodenzentrum in Frauenfeld haben wir in den letzten 30 Jahren in der Behandlung des UPS gute Erfahrungen mit einem multimodalen Therapiekonzept gemacht, welches Pessare, lokale Östrogene, Physiotherapie, Tetracycline und Psychoedukation umfasst. Die Pessartherapie mit vorzugsweise Urethraringpessaren übt auf den suburethralen Raum einen leichten Druck aus und führt zu einer Desensibilisierung der Urethra (Abb. 1a und 1b). Die Tetracyclinbehandlung wirkt einerseits antibiotisch bei oft schwer kultivierbaren Erregern wie Chlamydien und Ureaplasmen, andererseits antiinflammatorisch. Die Physiotherapie durch erfahrene Beckenbodentherapeut:innen entspannt den Beckenboden, verbessert die Durchblutung und löst schmerzhafte Triggerpunkte. Eine ambulante Psychotherapie wird oft ergänzend eingesetzt, wobei die Patientinnen vor allem Entspannungstechniken und Stressmanagement erlernen. Wichtig ist es, viel Zeit für die verzweifelten, frustrierten und leidenden Patientinnen einzuplanen.
Neue Lasertherapie zur Behandlung von UPS
Seit Neuestem führen wir in Frauenfeld auch eine Pilotstudie zur intraurethralen Lasertherapie bei UPS durch. Das Ziel der Studie ist, herauszufinden, ob eine Erbium:YAG-Lasertherapie der Harnröhre die UPS-Symptome lindern kann.9–14 Es handelt sich dabei um die weltweit erste Laserstudie zu dieser Indikation. Geplant sind insgesamt 30 Patientinnen.
Fallbeispiel
Die 35-jährige nullipare Patientin H.J. wird erstmals vom Hausarzt wegen rezidivierender Harnwegsinfekte in unserer Sprechstunde in Frauenfeld vorgestellt. Die Patientin ist verzweifelt. Sie hat seit Januar einen neuen Partner. Seit Februar 2021 kommt es immer wieder zu Dysurie und Harnröhrenschmerzen, bei meist unauffälligem Urinbefund. Insbesondere nach dem Geschlechtsverkehr bestehen sehr starke Beschwerden, weshalb sie aus Angst den Verkehr vermeidet und ihre Beziehung leidet. Anamnestisch wurde in den letzten 12 Monaten dreimal eine Blasenentzündung mit Monuril® behandelt, wobei einmal in der Urinkultur E. coli nachgewiesen wurde. Ganz beschwerdefrei war sie nie. Die Patientin trinkt 1,5 Liter und hat bisher keine spezifische Prophylaxe angewendet.
Die Untersuchungen bei der Erstkonsultation 7/2021 sind unauffällig bis auf eine ausgeprägte Druckdolenz suburethral mit tastbarer Induration der Harnröhre. Die Urethralabstriche sind schmerzhaft. Die Restharnmessung ist mit 20ml normwertig. Urinkultur und Urethralabstrich sind auf Chlamydien negativ, der Ureaplasmentiter ist positiv. Zystoskopie und Pelvic-Floor-Sonografie sind unauffällig. Wir stellen die Diagnose rezidivierender Zystitiden und Urethritis und besprechen mit der Patientin, die Trinkmenge auf zwei Liter zu erhöhen sowie eine Phytotherapie mit Blasentee zu beginnen. Aufgrund der Urethritis beginnen wir eine Therapie mit Doxycyclin 100 mg 2x täglich für sieben Tage inklusive Partnertherapie.
Bei der ersten Kontrolle 9/2021 berichtet die Patientin über eine nur geringe Besserung. Immer wieder Dysurie und fast ständige Urethraschmerzen, vor allem postkoital. Die Urinbefunde sind immer negativ. Ein Versuch mit Monuril® brachte keine Besserung. Die Harnröhre ist bei der Untersuchung druckdolent. Urethralabstriche und Urinkultur sind negativ. Wir beginnen eine Pessartherapie mit RECAfem Gr. 1 mit lokaler Estriolcreme.
Bei der zweiten Kontrolle 11/2021 berichtet die Patientin über eine weitere Besserung, nur noch 2–3x täglich leicht stechende Schmerzen am Meatus urethrae. Neu klagt sie über eine Pollakisurie mit 10 Miktionen tagsüber bei 2,5 Liter Trinkmenge. Sie hatte 1x einen Harnwegsinfekt mit Nachweis von E. coli. Wir stellen die Pessartherapie auf ein Urethraringpessar Gr. 55 um.
Bei der dritten Kontrolle 2/2022 bestehen immer noch eine mässige Pollakisurie und gelegentliche Urethraschmerzen. Die Pessartherapie wird fortgesetzt und ab 4/2022 ausgeschlichen. Beginn mit Spasmo-Urgenin® und Physiotherapie.
Bei der Abschlusskontrolle 9/2022 berichtet die Patientin, seit Mai 2022 völlig beschwerdefrei und zufrieden zu sein. Geschlechtsverkehr ist problemlos möglich. Die Pessartherapie und Spasmo-Urgenin® werden abgesetzt.
Literatur:
1 Abrams P et al.: The standardization of terminology of lower urinary tract function: report from the standardization sub-committee of International Continence Society.Am J Obstet Gynaecol 2002; 187(1): 116-26 2 Doggweiler R et al.: [Urethral syndrome and urethral pain: Do we treat people or diagnoses?] Aktuelle Urol 2016; 47(4): 315-20 3 Kaur H, Arunkalaivanan AS: Urethral pain syndrome and its management. Obstet Gynecol Surv 2007; 62(5): 348-51 4 Dreger NM et al.: [Urethral pain syndrome: fact or fiction--an update]. Urologe A 2015; 54(9): 1248-55 5 Yoon SM et al.: Treatment of female urethral syndrome refractory to antibiotics. Yonsei Med J 2002; 43(5): 644-51 6 Daley GM et al.: Mycoplasma genitalium: a review. Int J STD AIDS 2014; 25(7): 475-87 7 Phillip H et al.: Enigma of urethral pain syndrome: why are there so many ascribed etiologies and therapeutic approaches? Int J Urol 2014; 21(6): 544-8 8 Ivarsson LB et al.: Treatment of urethral pain syndrome (UPS) in Sweden. PLoS One 2019; 14(11): e0225404 9 Lukac M et al.: Dual tissue regeneration: non-ablative resurfacing of soft tissues with FotonaSmooth® mode Er:YAG laser. J Laser Health Acad 2018; 1: 1-15 10 Fistonic I et al.: Minimally invasive laser procedure for early stages of stress urinary incontinence (SUI). J Laser Health Acad 2012; 1: 67-74 11 Gambacciani M et al.: Vaginal erbium laser: the second-generation thermotherapy for the genitourinary syndrome of menopause. Climacteric 2015; 18(5): 757-63 12 Kuszka A et al.: Erbium:YAG laser treatment of female stress urinary incontinence: midterm data. Int Urogynecol J 2020; 31(9): 1859-66 13 Gaspar A, Brandi H: Non-ablative erbium YAG laser for the treatment of type III stress urinary incontinence (intrinsic sphincter deficiency). Lasers Med Sci 2017; 32(3): 685-91 14 Gaspar A et al.: Intraurethral Erbium:YAG laser for the management of urinary symptoms of genitourinary syndrome of menopause: A pilot study. Lasers Surg Med 2018; 50(8): 802-7