
Hepatitis-A-Ausbrüche in den USA
Autor:
Dr. Sebastian Wendt, DTM, BA
Stabsstelle Krankenhaushygiene
Universitätsklinikum Halle (Saale)
Vorstandsmitglied der Deutschen Fachgesellschaft für Reisemedizin e.V. (DFR)
E-Mail: sebastian.wendt@uk-halle.de
Zwischen 2016 und 2022 kam es in den USA zu einer unerwarteten Häufung von Hepatitis-A-Ausbrüchen. Besonders betroffen waren sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen mit eingeschränktem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Ausbrüche verdeutlichen bestehende Immunitätslücken in Hochrisikogruppen und zeigen strukturelle Defizite in der Prävention und Kontrolle von Hepatitis-A-Virus(HAV)-Infektionen auf.
Keypoints
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Trotz hoher Impfquoten gegen Hepatitis A in der Allgemeinbevölkerung bestanden in den USA lange Zeit erhebliche Immunitätslücken in Risikogruppen.
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Die Ausbrüche ab 2016 betrafen vorwiegend Erwachsene.
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Der Altersgipfel lag bei den 30- bis 49-Jährigen – einer Population mit niedriger HAV-Impfquote bzw. geringer Antikörperprävalenz.
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Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens wurden häufig durch Ressourcenmangel, unzureichende Surveillance-Systeme und institutionelle Hürden erschwert.
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Eine erfolgreiche Eindämmung der Transmission war durch gezielte, niedrigschwellige Präventionsprogramme möglich.
Epidemiologische Entwicklung
Die Hepatitis-A-Ausbrüche in den USA zwischen 2016 und 2022 markieren eine epidemiologische Wende im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor. Während die Fallzahlen nach Einführung der Impfung gegen Hepatitis-A-Viren (HAV) 1995 kontinuierlich gesunken waren, kam es seit 2016 zu einem deutlichen Anstieg (Abb.1). Insgesamt wurden über 44900 laborbestätigte HAV-Fälle gemeldet, darunter 27450 Hospitalisierungen (61%) und 423 Todesfälle („case fatality rate“; Fallsterblichkeit: 0,9%).1–3 Die Inzidenz stieg im Zeitraum 2016–2020 auf 2,8 pro 100000 Einwohner, was einem mehr als vierfachen Anstieg gegenüber dem Tiefststand von 0,6 im Jahr 2015 entspricht.1
Räumlich konzentrierten sich die Ausbrüche insbesondere auf die östlichen und südostlichen US-Bundesstaaten. Kentucky meldete zwischen 2017 und 2019 mehr als 4000 Fälle, West Virginia über 2700, während Michigan allein im Jahr 2018 mehr als 900 Fälle dokumentierte.2 In diesen Regionen zeigte sich eine Fallkorrelation zu strukturell unterversorgten Bevölkerungsgruppen, fehlender präventiver Infrastruktur, Drogenkonsum sowie Wohnungslosigkeit. Auch urbane Räume mit hoher Bevölkerungsdichte und prekären Wohnverhältnissen, wie San Diego (Kalifornien) oder Tampa (Florida), waren besonders betroffen.2
Die Reaktion des öffentlichen Gesundheitswesens wurde häufig durch Ressourcenmangel, unzureichende Surveillance-Systeme und institutionelle Hürden erschwert. In mehreren betroffenen Regionen mussten Ad-hoc-Impfkampagnen eingerichtet werden, häufig gestützt durch Kooperationen mit Nichtregierungsorganisationen (NGO) und kommunalen Partnern. Dankwa et al. zeigten anhand einer Modellierung für Louisville (Kentucky), dass zur Eindämmung der Ausbreitung eine Impfquote von mindestens 76% in den Zielgruppen notwendig sei. Trotz zielgerichteter Interventionsmaßnahmen kam es über längere Zeit zu anhaltenden Infektionsketten.4
Demografische Verschiebung der Krankheitslast
Die Altersverteilung der Betroffenen verschob sich im Vergleich zu früheren Jahrzehnten: Während HAV-Infektionen in der Vergangenheit eher im Kindesalter auftraten, betrafen die Ausbrüche ab 2016 vorwiegend Erwachsene. Der Altersgipfel lag bei den 30- bis 49-Jährigen – einer Bevölkerungsgruppe mit historisch niedriger HAV-Impfquote bzw. geringer Antikörperprävalenz.1 Männer waren dabei überrepräsentiert (ca. 65% der Fälle), ebenso nichthispanische Weiße und Personen mit chronischen Lebererkrankungen oder viralen Hepatitis-Koinfektionen.2,3
Regionale Unterschiede in Morbidität und Mortalität
Die Hospitalisierungsrate schwankte erheblich zwischen den Staaten und spiegelte Unterschiede in der Schwere der Krankheitsverläufe sowie in der Versorgungslage wider. Kentucky verzeichnete eine Hospitalisierungsrate von 58%, während West Virginia mit bis zu 70% noch höhere Werte meldete.3 Diese hohen Raten sind insbesondere auf eine hohe Prävalenz von potenziellen Risikofaktoren – etwa Alkohol- und Drogenkonsum sowie vorbestehende Lebererkrankungen – zurückzuführen.
Die Letalität war insbesondere in Gruppen mit multiplen Komorbiditäten erhöht. Fast alle dokumentierten Todesfälle betrafen Personen mit eingeschränktem Zugang zur medizinischen Versorgung und mindestens einem bekannten Risikofaktor wie Obdachlosigkeit, Substanzgebrauch oder chronischer Hepatopathie.3
Risikofaktoren
Die epidemiologische Analyse zeigt, dass bis zu 56% der infizierten Personen intravenöse oder nichtintravenöse Drogen konsumierten (Tab.1); in manchen Regionen wurden sogar Werte von über 60% gemeldet.2 Personen ohne festen Wohnsitz machten zwischen 14 und 16% der Fälle aus. Zudem waren Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), sowie Personen mit chronischer Hepatitis-B- oder -C-Infektion gefährdet.2 Ferner erhöhte die Kombination mehrerer Risikofaktoren die Krankheitsschwere und -last. Hofmeister et al. berichten von einer kumulativen Odds Ratio von über 5 für Hospitalisierung bei Vorliegen von Substanzkonsum und chronischer Lebererkrankung.3
Stigmatisierung und soziale Exklusion erschwerten die Erreichbarkeit dieser Gruppen. Viele Betroffene mieden medizinische Einrichtungen aus Angst vor Kriminalisierung oder Diskriminierung, was eine frühzeitige Diagnose und die Prävention der Weiterverbreitung verhinderte.2
Impfquote und Immunitätslage
Die nationale HAV-Impfquote stieg zwischen 1999–2006 und 2015–2020 von 16,3% auf 41,9%, wobei jedoch große Unterschiede zwischen den Altersgruppen und Ethnien bestanden.1 Kinder unter 19 Jahren wiesen eine Immunisierungsrate von über 76% auf, während Erwachsene über 40 Jahre nur zu 32,8% geimpft waren.1 Unter hispanischen Personen war die Seropositivität aufgrund früherer natürlicher Infektionen höher, während nicht-hispanische Weiße mit nur 18,6% die geringste Immunitätsrate aufwiesen.1
Gezielte Impfprogramme für „persons experiencing homelessness“ (PEH) und „people who use drugs“ (PWUD) wurden unter anderem in Kalifornien, Kentucky und West Virginia etabliert. Erfolgsfaktoren waren mobile Impfteams, Impfangebote in Justizvollzugsanstalten sowie Kooperationen mit Streetwork-Initiativen.2,4 Als Reaktion auf die Ausbrüche wurden bestehende Impfempfehlungen in den USA entsprechend angepasst: Das Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) empfiehlt seit 2019 explizit die Hepatitis-A-Impfung auch für Personen ohne festen Wohnsitz (PEH) im Sinne einer zusätzlichen Risikogruppe.2 In Louisville konnte durch diese Maßnahmen die Impfquote in der Zielgruppe innerhalb weniger Monate merklich erhöht werden, was auch mit einem deutlichen Rückgang der Neuinfektionen einherging.4
Krankheitslast und ökonomische Folgen
Die ökonomische Belastung der Ausbrüche war erheblich: Die mittleren direkten Krankenhauskosten beliefen sich auf über 16232 USD pro Fall, wobei insbesondere schwere Verläufe und längere Aufenthalte in Kliniken hohe Kosten verursachten.3 Indirekte Kosten durch Arbeitsausfälle, Erwerbsunfähigkeit und Langzeitkomplikationen sind nicht vollumfänglich quantifiziert, werden jedoch auf mehrere hundert Millionen USD geschätzt.5 Horn et al. betonen, dass eine frühzeitige präventive Durchimpfung in Hochrisikogruppen nicht nur die hohe Krankheitslast, sondern auch die volkswirtschaftlichen Schäden hätte vermeiden können.5
Diskussion und Ausblick
Die Hepatitis-A-Ausbrüche in den USA zwischen 2016 und 2022 verdeutlichen strukturelle Schwächen im öffentlichen Gesundheitssystem der USA. Trotz hoher Impfquoten in der Allgemeinbevölkerung bestanden lange Zeit erhebliche Immunitätslücken in Risikogruppen wie Personen ohne festen Wohnsitz, Personen mit Drogenkonsum, Männern, die Sex mit Männern haben, und Menschen mit chronischen Lebererkrankungen.1–3
Diese Gruppen waren überproportional von HAV-Infektionen und Hospitalisierungen betroffen.3 Die Ausbrüche konzentrierten sich auf Regionen mit prekären Wohnverhältnissen, Armut und eingeschränkter Gesundheitsversorgung.2 Eine erfolgreiche Kontrolle war nur durch gezielte, niedrigschwellige Präventionsprogramme möglich, um die Transmissionen letztlich einzudämmen.4
Präventionsstrategien müssen neben adaptierten Impfstrategien auch soziale Determinanten berücksichtigen. Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Hygiene (z.B. Hände- und Lebensmittelhygiene, Nutzung von sterilem Spritzenbesteck), der Wohnsituation und des Zugangs zu Gesundheitsdiensten sind essenziell.2,3 Zudem sind standardisierte und effektive Surveillance-Systeme notwendig, um Ausbrüche und assoziierte Risikogruppen frühzeitig identifizieren zu können.3 Angesichts hoher Krankenhauskosten ist die Investition in präventive Impfprogramme nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll.
Langfristig erfordert die Hepatitis-A-Prävention in den USA einen integrativen „Public-Health-Ansatz“, der medizinische Versorgung mit sozialen Interventionen verbindet. Auch in den europäischen Ländern sollten die bestehenden Impf- und Präventionsempfehlungen bezüglich Hepatitis A neu evaluiert werden.
Literatur:
1 Hofmeister MG et al.: Trends and opportunities: Hepatitis A virus infection, seroprevalence, and vaccination coverage – United States. Public Health Rep 2023; 21: 333549231184007 2 Foster MA et al.: Widespread hepatitis A outbreaks associated with person-to-person transmission – United States, 2016–2020. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2022; 71(39): 1229-34 3 Hofmeister MG et al.: Preventable deaths during widespread community hepatitis A outbreaks – United States, 2016–2022. Morb Mortal Wkly Rep 2023; 72(42): 1128-33 4 Dankwa EA et al.: Estimating vaccination threshold and impact in the 2017–2019 hepatitis A virus outbreak among persons experiencing homelessness or who use drugs in Louisville, Kentucky. Vaccine 2021; 39(7): 1140-7 5 Horn W et al.: The burden of hepatitis A outbreaks in the United States. Health outcomes, economic costs, and management strategies. J Infect Dis 2024; 230(1): e199-e218
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