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Was ist die korrekte Therapie?
Jatros
30
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06.09.2018
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<p class="article-intro">Ältere Menschen mit Depressionen werden häufig nicht adäquat thera- piert, so Prof. Robert Perneczky aus München. Wir haben den Psychiater gefragt, warum das so ist und wie die korrekte Behandlung aussieht.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Professor Perneczky, warum sind Senioren mit Depressionen untertherapiert?<br /> R. Perneczky:</strong> Viele bekommen überhaupt keine Therapie oder eine zu geringe Dosis des Antidepressivums oder sie werden zu kurz behandelt. Dabei ist es besonders wichtig, ältere Menschen mit Depressionen gut zu behandeln, denn die Prognose einer unbehandelten Depression scheint bei älteren Patienten schlechter zu sein und sie haben ein höheres Suizidrisiko im Vergleich zu jüngeren Patienten.<br /><br /><strong> Woran liegt das?<br /> R. Perneczky:</strong> Depressionen können somatische Erkrankungen verschlechtern, unter denen Ältere häufiger leiden als Jüngere, zum Beispiel Diabetes oder Bluthochdruck. Andersherum erhöhen diese Erkrankungen selbst das Risiko für eine Depression.<br /><br /><strong> Warum ist das so?<br /> R. Perneczky:</strong> Das ist einerseits psychosozial zu verstehen, andererseits gibt es wahrscheinlich auch biologische Verbindungen zwischen somatischen und psychischen Erkrankungen. Vermutete Mechanismen, die im Rahmen einer Depression körperliche Erkrankungen begünstigen, umfassen beispielsweise eine vegetative Dysregulation, eine Verminderung der Herzraten-Variabilität mit Aktivierung des Sympathikus und die Hochregulation der Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse.<br /><br /><strong> Die Symptome sind bei Älteren nicht unbedingt anders als bei Jüngeren. Warum ist die Diagnose trotzdem manchmal schwierig?<br /> R. Perneczky:</strong> Weil die Beschwerden doch oft etwas anders sind, sodass man nicht gleich darauf kommt. Ältere Menschen klagen öfter über somatische Beschwerden wie Erschöpfung, Gewichtsverlust, diffuse Schmerzen oder Vergesslichkeit. Bei diesen Symptomen denkt man als Arzt nicht gleich an eine Depression.<br /><br /><strong> Wie behandelt man Senioren mit Depressionen?<br /> R. Perneczky:</strong> Das Grundprinzip ist so wie bei Jüngeren: Medikamente in Kombination mit Psychotherapie, die in leichteren Fällen zunächst ausreicht. In erster Linie wird eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen. Weitere Therapiebausteine sind körperliche Aktivität, Milieutherapie und soziale Aktivierung, also die Umgebung umgestalten: ausreichend Tageslicht, Stressreize eliminieren und den Betroffenen kognitiv stimulieren. Außerdem ist es wichtig, die Angehörigen mit einzubeziehen.<br /><br /><strong> Aber diese leiden oftmals ja sehr unter einem depressiven Angehörigen. Wie sorgen sie dafür, dass es ihnen selbst gut dabei geht und sie nicht in die Depression „mit hineingezogen“ werden?<br /> R. Perneczky:</strong> Ich rate den Angehörigen, sich nicht selbst aufzugeben und nicht nur noch in der Rolle des Betreuers oder Pflegers zu existieren. Einen Menschen mit Depression über einen längeren Zeitraum zu unterstützen, kann sehr anstrengend sein und führt auch öfter dazu, dass der Betreuende selbst somatisch oder psychisch erkrankt. Die Angehörigen sollten sich daher ausreichend Freiräume schaffen, sich Zeit für sich selbst nehmen und Hilfe von außen akzeptieren.<br /><br /><strong> Bei mittel- bis schwerergradiger Depression kommen wie bei Jüngeren Medikamente zum Einsatz. Was ist bei Älteren zu beachten?<br /> R. Perneczky:</strong> Sie sprechen zwar ähnlich gut auf Antidepressiva an wie Jüngere, aber der antidepressive Effekt ist mit steigendem Alter geringer, was wahrscheinlich sowohl an zu niedrig verordneten Dosen liegt als auch an somatischen Komorbiditäten. Ausgeprägte zerebrovaskuläre Läsionen sind zum Beispiel häufig mit Depression assoziiert. Man behandelt dann nur die Symptome, aber nicht die eigentliche Ursache, was den Therapieerfolg einschränkt im Vergleich zu einer rein „endogenen“ Depression.<br /><br /><strong> Welche Antidepressiva verschreibt man am besten?<br /> R. Perneczky:</strong> Erste Wahl sind selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), denn sie haben weniger kardiale und anticholinerge Nebenwirkungen und sind einfacher aufzudosieren als die klassischen trizyklischen Antidepressiva. Außerdem ist das Risiko einer lebensgefährlichen Überdosierung geringer (siehe Tab. 1).<br /><br /><strong> Was macht man bei therapierefraktärer Depression?<br /> R. Perneczky:</strong> Die Dosis steigern, verschiedene Präparate kombinieren, also zum Beispiel einen SSRI mit Mirtazapin, auf eine andere Wirkstoffklasse wechseln, also zum Beispiel von SSRI auf ein dual wirksames Präparat (Noradrenalin- Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer), oder zusätzliche Medikamente zur Augmentation dazugeben wie Lithium, Antipsychotika oder Schilddrüsenhormone. Und parallel hilft es, die Psychotherapie und andere nicht medikamentöse Maßnahmen zu intensivieren.<br /><br /><strong> Wie lange brauchen die Senioren Antidepressiva?<br /> R. Perneczky:</strong> Hierzu gibt es nur wenig Evidenz. Es gibt aber Hinweise, dass die Älteren die Erhaltungstherapie mit SSRI oder Trizyklika gut vertragen. Die Behandlung lohnt sich: Nehmen Senioren das Antidepressivum weiter, haben 18 Prozent Rückfälle, ohne Erhaltungstherapie sind es 36 Prozent.<br /><br /><strong> Einschlägige Richtlinien empfehlen für ältere Patienten die Dosis der Akutphase für mindestens ein Jahr. Wann kann man das Antidepressivum absetzen?<br /> R. Perneczky:</strong> Wenn es innerhalb dieses Jahres zu keinem erneuten depressiven Einbruch gekommen ist, kann man in den meisten Fällen die medikamentöse Therapie guten Gewissens beenden. Bekommt der Betroffene aber eine zweite depressive Phase, sollte man über mindestens drei Jahre oder lebenslang das Antidepressivum weiternehmen. Bei der Therapieentscheidung sollten aber immer auch der Patientenwunsch, der Schweregrad der Depression, der Abstand zwischen den Episoden, Nebenwirkungen und die soziale Einbindung berücksichtigt werden. Ein starker sozialer Rückhalt ist ebenso wichtig für eine effektive Rückfallprophylaxe wie eine konsequent weitergeführte Pharmakotherapie.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1804_Weblinks_s29_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="1795" /></p> <p>Lesen sie auch: <a href="1000000555">Depressiver Senior? 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