© Getty Images/iStockphoto

15. ÖGN-Jahrestagung

Tagung der Neurologen im Zeichen neuer Wege

<p class="article-intro">Es gibt wenige Bereiche in der Medizin, in denen während der letzten beiden Jahrzehnte eine derart rasante Entwicklung stattgefunden hat wie in der Neurologie. Zahlreiche Vorträge und Sitzungen bei der ÖGN-Tagung in Linz zeigten auf, wie sich die Neurologie in den letzten Jahren von einem rein diagnostischen Spezialfach in ein Akutversorgungsfach wandelte und wie in manchen Gebieten Paradigmenwechsel stattfanden. Um das Zusammenspiel und die Vernetzung mit anderen medizinischen Fachgebieten zu fördern, gingen die Organisatoren heuer neue Wege.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Erstmals Angebote f&uuml;r junge Neurologen und Allgemeinmediziner</h2> <p>In einer perfekten neurologischen Versorgungskette braucht es gut funktionierende Schnittstellen. Das f&auml;ngt bei der Laieninformation &uuml;ber das richtige Verhalten im Akutfall an und geht &uuml;ber ein Grundverst&auml;ndnis bei Allgemeinmedizinern bis zu einem erweiterten Basiswissen bei anderen Fach&auml;rzten wie beispielsweise Augen&auml;rzten oder Chirurgen. Dieses wichtige Zusammenspiel ist nun gef&auml;hrdet. Mit der 2015 in Kraft getretenen &Auml;rzteausbildungsordnung wurde die Neurologie in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner als Pflichtfach abgeschafft. &bdquo;Wir haben mehrfach vor gef&auml;hrlichen Wissensl&uuml;cken bei der zuk&uuml;nftigen &Auml;rzteschaft gewarnt &ndash; und sehen unsere Bef&uuml;rchtungen leider zunehmend best&auml;tigt. Die Erfahrungen zeigen uns, dass angehende Allgemeinmediziner tats&auml;chlich kaum mit der Neurologie in Ber&uuml;hrung kommen&ldquo;, er&ouml;rterte Prim.<sup>a</sup> Univ.-Doz.<sup>in</sup> Dr.<sup>in</sup> Elisabeth Fertl, Pr&auml;sidentin der &Ouml;GN. Darauf m&uuml;sse die &Ouml;GN dringend reagieren. Es brauche eine Novelle zur Ausbildungsordnung, die sicherstelle, dass k&uuml;nftig wieder jeder Allgemeinmediziner neurologische Erfahrungen und Fertigkeiten vermittelt bekomme.</p> <p>Ein Zeichen diesbez&uuml;glich setzten daher auch die Organisatoren der &Ouml;GN-Tagung und gestalteten den diesj&auml;hrigen Kongress sehr offen. Kongresspr&auml;sident Prim. Dr. Tim von Oertzen, meinte dazu: &bdquo;Um auch Allgemeinmediziner und vor allem die n&auml;chste &Auml;rztegeneration &uuml;ber die laufenden Fortschritte unseres Fachgebietes zu informieren, gab es am Kongress diesmal zahlreiche Veranstaltungen f&uuml;r Nichtneurologen und spezielle Angebote f&uuml;r Jungmediziner.&ldquo;</p> <h2>Fortschritte in der Schlaganfallbehandlung</h2> <p>Der Schlaganfall ist das beste Beispiel f&uuml;r die Entwicklung der Neurologie hin zum Akutversorgungsfach. Dank vieler neuer Erkenntnisse und des in &Ouml;sterreich vorbildlichen Stroke-Unit-Netzwerks konnten erhebliche Fortschritte erzielt werden. Mit der Thrombektomie besteht seit einigen Jahren die M&ouml;glichkeit, auch gr&ouml;&szlig;ere Gef&auml;&szlig;verschl&uuml;sse zu entfernen. Bisher galt dabei die Maxime, dass eine erfolgreiche Behandlung nur in einem Zeitfenster von sechs bis acht Stunden nach dem Schlaganfall m&ouml;glich sei.</p> <p><strong>Schlaganfallpatienten auch noch nach 24 Stunden rettbar</strong><br />Gleich zwei Studien (DAWN, DEFUSE 3) belegen nun, dass eine solche Behandlung auch bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis erfolgreich sein kann.<sup>1, 2</sup> Die wichtigste Voraussetzung daf&uuml;r ist die Erweiterung der bildgebenden Diagnostik: W&auml;hrend bisher nur gepr&uuml;ft werden musste, ob der f&uuml;r den Schlaganfall verantwortliche Thrombus in einem Bereich der Hirnarterien sitzt, der mit dem Katheter erreicht werden kann, muss bei sehr sp&auml;t einsetzender Behandlung zus&auml;tzlich herausgefunden werden, ob die betroffenen Gehirnteile noch zu retten oder bereits abgestorben sind. &bdquo;Dass wir in Zukunft noch mehr Patienten retten werden k&ouml;nnen, ist erfreulich, zwingt uns aber nicht nur zu medizinischen, sondern auch technischen &ndash; und datenschutztechnischen &ndash; Anpassungen, beispielsweise beim Austausch der Bilder zwischen Bundesl&auml;ndern oder Krankenhaustr&auml;gern. Wenn wir die neuen Chancen f&uuml;r unsere Patienten nutzen wollen, m&uuml;ssen wir rechtzeitig f&uuml;r entsprechende Rahmenbedingungen sorgen&ldquo;, betonte Fertl.</p> <h2>Tagungsschwerpunkt Epilepsie</h2> <p>Die Epilepsie wird h&auml;ufig immer noch zu Unrecht als seltene Erkrankung angesehen. Tats&auml;chlich aber sind in &Ouml;sterreich 0,8 Prozent der Gesamtbev&ouml;lkerung betroffen, also mehr als 60 000 Menschen. Dass dieses Thema bei der &Ouml;GN-Tagung besonders intensiv behandelt wurde, hat vor allem den Grund, dass in diesem Teilbereich der Neurologie die Kluft zwischen Patientenbed&uuml;rfnissen und medizinischen M&ouml;glichkeiten auf der einen Seite und der Behandlungsrealit&auml;t auf der anderen Seite immer gr&ouml;&szlig;er wird.</p> <p><strong>M&ouml;glichkeiten der Gehirnchirurgie noch zu wenig genutzt</strong><br />Die L&uuml;cke zwischen dem Machbaren und dem, was gemacht wird, ist bei jenen Patienten besonders gro&szlig;, die auf die verf&uuml;gbaren Epilepsiemedikamente nicht ansprechen. Rund ein Drittel der Epilepsiepatienten ist therapieresistent, wobei diese Resistenz definiert ist durch das Ausbleiben der Anfallsfreiheit mit zwei Antiepileptika in Mono- oder Kombinationstherapie bei ausreichender Dosierung und Einsatz von Antiepileptika, die f&uuml;r das jeweilige Epilepsiesyndrom bzw. den Anfallstyp ad&auml;quat sind.<sup>3</sup> Der technische Fortschritt sowohl auf dem Gebiet der bildgebenden Diagnostik als auch auf dem Gebiet der Neurochirurgie erm&ouml;glicht es, dass ein Teil der therapieresistenten Patienten heute mit immer besserer Langzeiteffektivit&auml;t operiert werden kann. Dies wurde unter anderem in einer rezenten Studie<sup>4</sup> mit 9523 Patienten gezeigt. 58 Prozent der Erwachsenen waren ein Jahr nach einem solchen Eingriff vollst&auml;ndig anfallsfrei. Wenn der Epilepsie ein gutartiger Tumor zugrunde lag, waren es sogar 63,5 Prozent. Bei Kindern lag die Erfolgsrate bei 65 Prozent.</p> <p>&bdquo;Leider wird diese M&ouml;glichkeit noch viel zu wenig genutzt. Und wenn, dann h&auml;ufig viel zu sp&auml;t: Wie die Studie zeigt auch unsere t&auml;gliche Praxis an der neuen medizinischen Fakult&auml;t in Linz, wo wir einen eigenen Forschungsschwerpunkt Epilepsie eingerichtet haben, dass die Betroffenen durchschnittlich erst 16 Jahre nach der Erstdiagnose zur Operation kommen. Dabei m&uuml;sste in jedem dieser F&auml;lle nach sp&auml;testens drei bis f&uuml;nf Jahren erkennbar gewesen sein, dass es sich um Patienten handelt, die auf Medikamente nicht ansprechen&ldquo;, kommentierte von Oertzen. Die H&uuml;rden f&uuml;r die Zuweisung zu einer epilepsiechirurgischen Abkl&auml;rung sind vielf&auml;ltig und &auml;u&szlig;ern sich in Fehleinsch&auml;tzungen &uuml;ber die Epilepsiechirurgie aufseiten der &Auml;rzte<sup>5</sup> und Vorbehalten aufseiten der Patienten6. &bdquo;Wir haben mit der Epilepsiechirurgie</p> <p>&bdquo;Wir haben mit der Epilepsiechirurgie eine effektive Behandlung zur Verf&uuml;gung und suchen daf&uuml;r Patienten mit einer therapieresistenten fokalen Epilepsie, die fr&uuml;h im Krankheitsverlauf stehen. Je fr&uuml;her wir sie identifizieren und von ihren Anf&auml;llen befreien, umso gr&ouml;&szlig;er ist die Chance auf eine langfristige Anfallsfreiheit und umso h&ouml;her wird auch der sozio&ouml;konomische Effekt sein, den wir erzielen&ldquo;, fasste von Oertzen die aktuelle Lage zusammen. Um Epilepsiepatienten mit einer Therapieresistenz fr&uuml;h zu erreichen, bed&uuml;rfe es jedoch eines Paradigmenwechsels in der Betreuung der Epilepsiepatienten. Dieser verlangt eine engere Patientenf&uuml;hrung und ein konsequentes Auf-/ Umdosieren. Es w&auml;re notwendig, enger als bisher mit den Patienten zusammenzuarbeiten &ndash; auch der Einsatz von Case- Managern w&auml;re zu &uuml;berlegen, die sich aktiv mit den Patienten in Verbindung setzen. &bdquo;Wir brauchen in der Epilepsietherapie eine fr&uuml;he kurative Behandlung &ndash; die haben wir. Wir m&uuml;ssen sie nur nutzen!&ldquo;, so von Oertzen.</p> <p><strong>Schwierige Themen in der Epilepsiesprechstunde</strong><br />Dr. Iris Unterberger, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Neurologie der Medizinischen Universit&auml;t Innsbruck, sprach bei der &Ouml;GN-Tagung &uuml;ber kontroverse Themen, die in der Epilepsiesprechstunde mit Patienten besprochen werden. Die individuelle Betreuung des einzelnen Patienten stehe dabei im Vordergrund, so Unterberger. Daher steht f&uuml;r Unterberger das Prinzip &bdquo;Zuh&ouml;ren &ndash; hinsehen &ndash; hinterfragen &ndash; wiederholen&ldquo; in einem vertrauten Setting bei ausreichenden Zeitressourcen an oberster Stelle, wenn es darum geht, in der Epilepsiesprechstunde heikle Themen, die leicht zu Missverst&auml;ndnissen oder Konflikten f&uuml;hren k&ouml;nnen, zu besprechen.</p> <p>&bdquo;Kann ich an Epilepsie sterben?&ldquo; Das sei eine dieser heiklen Fragen, die Patienten selten in dieser Art formulieren, die &Auml;rzte in der Sprechstunde mit den Patienten zu kl&auml;ren aber gefordert seien, so Unterberger. Das Risiko, pl&ouml;tzlich und unerwartet vorzeitig zu versterben, ist bei Epilepsiepatienten 20-fach h&ouml;her als in der Allgemeinbev&ouml;lkerung. SUDEP (&bdquo;sudden unexpected death in epileptic patients&ldquo;) z&auml;hlt neben Unf&auml;llen und Status epilepticus sowie tonisch-klonischen Anf&auml;llen zu den h&auml;ufigsten epilepsiebezogenen Todesursachen. Die Inzidenz liegt bei 1,2/1000 Patienten mit chronischer Epilepsie.</p> <p>Die SUDEP-Aufkl&auml;rung so durchzuf&uuml;hren, dass dem Patienten die Risikofaktoren und vorbeugenden Ma&szlig;nahmen n&auml;hergebracht werden, ohne dass Angst gesch&uuml;rt wird, ist eine besondere Herausforderung. &bdquo;Die aktuellen Empfehlungen gehen klar in die Richtung, so fr&uuml;h wie m&ouml;glich &uuml;ber SUDEP aufzukl&auml;ren. Tools wie SUDEPChecklist k&ouml;nnen dabei zur Unterst&uuml;tzung herangezogen werden&ldquo;, erkl&auml;rte Unterberger. Diese Checkliste ist unter https://sudep. org/checklist abrufbar.</p> <p>Eine weitere wichtige Frage, die immer wieder vor allem von unter medikament&ouml;ser Therapie anfallsfreien Epilepsiepatienten gestellt wird, ist jene nach dem Absetzen der Medikation. &bdquo;Basierend auf bisherigen Studien erleidet circa ein Drittel der anfallsfreien Patienten &ndash; egal ob an ihnen ein epilepsiechirurgischer Eingriff vorgenommen wurde oder nicht &ndash; nach einem Absetzversuch einen R&uuml;ckfall. Eine rezente Studie weist nun jedoch darauf hin, dass die R&uuml;ckfallsrate &uuml;ber die Zeit gemessen weit h&ouml;her liegt, n&auml;mlich zwischen 46 und 48 Prozent&ldquo;, er&ouml;rterte Unterberger. Diese Analyse individueller Patientendaten hat acht Pr&auml;diktoren f&uuml;r einen Relaps identifiziert. Das individuelle Rezidivrisiko eines Epilepsiepatienten kann anhand dieser Pr&auml;diktoren mithilfe eines AE-Risikokalkulators (abrufbar unter http://epilepsypredictiontools.info) ermittelt werden. Unterberger ist &uuml;berzeugt: &bdquo;Dieser Risikokalkulator ist ein wertvolles Hilfsmittel zur Unterst&uuml;tzung des Arztes in seiner Betreuungsfunktion und bei der Risiko-Nutzen-Abw&auml;gung, wenn ein Absetzversuch angedacht wird. Er kann auch in der Epilepsiesprechstunde recht gut angewendet werden.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 15. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, 21.–23. März 2018, Linz </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Thrombektomie im Zeitfenster zwischen 6 und 24 Stunden: die DAWN-Studie. Springer Medizin InFo Neurologie 2018; 20: 15. doi.org/10.1007/s15005-018-2463-7 <strong>2</strong> Albers GW et al.: Thrombectomy for stroke at 6 to 16 hours with selection by perfusion imaging. N Engl J Med 2018; doi: 10.1056/NEJMoa1713973 <strong>3</strong> Kwan P, Brodie MJ: N Engl J Med 2000; 342: 314-19 <strong>4</strong> Bl&uuml;mckel et al.: N Engl J Med 2017; 377: 1648-56 <strong>5</strong> Jett&eacute; N et al.: Lancet Neurol 2016; 15: 982-94 <strong>6</strong> Vakharia VN et al.: Ann Neurol 2018; ahead of print</p> </div> </p>
Back to top