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Supraorbitale Nervenstimulation bei Migräne
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19.10.2017
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<p class="article-intro">Zur Prävention von Migräneattacken wird zurzeit am häufigsten Topiramat eingesetzt. Doch bei einigen Patienten wirkt das Medikament nicht oder sie nehmen es wegen der Nebenwirkungen nicht. Eine Alternative könnte die transkutane supraorbitale Nervenstimulation (t-SNS) mit dem Cefaly<sup>®</sup>-Gerät sein.</p>
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<p class="article-content"><p>Eine Studie von 2013 belegte die Sicherheit und die gute Verträglichkeit der Behandlung mit Cefaly<sup>®</sup>.<sup>1</sup> Das Gerät wurde daraufhin in den USA und 2015 auch in der EU zur Prävention von episodischer Migräne zugelassen.<sup>2</sup> Nun ist es in einer weiteren Studie getestet worden. In die prospektive Untersuchung wurden 35 Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne eingeschlossen, bei denen eine Prophylaxe mit Topiramat versagt hatte, wobei der häufigste Grund dafür das Auftreten von Nebenwirkungen gewesen war. Drei Monate lang wurden die Patienten mit der supraorbitalen Nervenstimulation behandelt, ohne zusätzliche medikamentöse Prophylaxe. Während der Behandlung nahm die Zahl der Tage ab, an denen die Probanden Kopfschmerzen hatten, und der Kopfschmerz war von geringerer Intensität. Nach den drei Monaten mussten die Patienten weniger Akutmedikamente gegen Migräneattacken nehmen.<sup>3</sup> 23 Patienten waren zufrieden und wollten die Behandlung mit dem Gerät fortführen. Vier Patienten hatten technische Probleme mit Cefaly<sup>®</sup>, die sich aber durch telefonische Unterstützung lösen liessen. Zwölf Studienteilnehmer berichteten als Nebenwirkung milde lokale Parästhesien, die mit der Zeit nachgelassen hatten.<br /> Wir haben PD Dr. med. Andreas Gantenbein, den Präsidenten der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft, gefragt, wie er dieses Gerät beurteilt und welchen Patienten er es empfehlen würde.<br /><br /> <strong>Herr Gantenbein, was ist das Problem in der heutigen Migränetherapie?<br /> A. Gantenbein:</strong> Manchmal ist es schwierig, das für den jeweiligen Patienten passende Medikament zu finden, also eines, das er gut verträgt und auch über längere Zeit einnimmt.<br /><br /> <strong>Wie viele Patienten sprechen auf die gängigen Therapien nicht an?<br /> A. Gantenbein:</strong> Das fehlende Ansprechen ist nicht unbedingt das Problem, es ist nur einer von vielen Faktoren. Kollegen aus New York haben in einer Studie mit 8233 Patienten mit episodischer Migräne festgestellt, dass bei 56 Prozent von ihnen nach zwei Stunden die Schmerzen nicht weg waren und mehr als die Hälfte auch noch nach 24 Stunden Schmerzen hatten. Von den 44 Prozent, die nach zwei Stunden schmerzfrei gewesen waren, litt jeder Vierte nach 24 Stunden erneut unter Kopfschmerzen.<sup>4</sup> Wenn die Leute nach 24 Stunden noch Kopfschmerzen hatten, lag dies auch an einer Übertherapie mit Medikamenten. In einer Untersuchung der Mayo Clinic mit 1254 Patienten mit chronischer Migräne wurden nur 56, also nur 4,5 Prozent, korrekt versorgt: Das heisst, sie gingen zum richtigen Spezialisten und bekamen eine korrekte Diagnose sowie die richtige Therapie.<sup>5</sup> Wir haben in der Schweiz zwar keine Zahlen dazu, aber auch hierzulande gibt es Migränepatienten, die keine ausreichende Behandlung bekommen.<br /><br /> <strong>Liegt das häufig auch an Nebenwirkungen?<br /> A. Gantenbein:</strong> Ja, das ist ein häufiges Problem. Deshalb versuchen wir, die Medikamente langsam aufzudosieren – dadurch vertragen die Patienten sie besser. Allerdings setzt die schmerzlindernde Wirkung oft erst verzögert ein.<br /><br /> <strong>Könnte Cefaly<sup>®</sup> eine Alternative für bestimmte Migränepatienten werden?<br /> A. Gantenbein:</strong> Keine Alternative, aber eine sehr gute Ergänzung, die wirksam und gut verträglich ist.<br /><br /> <strong>Was halten Sie von der Studie über Cefaly<sup>®</sup>?<br /> A. Gantenbein:</strong> Sie zeigt interessante Einsatzmöglichkeiten dieser neuen Therapieform in der Akutbehandlung und zur Prävention. Die Einschlusskriterien der Studie sind gut gewählt: eine relativ homogene Gruppe von Migränepatienten mit episodischen respektive chronischen Schmerzen. Es wurden mit 35 Studienteilnehmern aber nur wenige Patienten untersucht, und es fehlt eine Kontrollgruppe.<br /><br /> <strong>Wie funktioniert das Gerät?<br /> A. Gantenbein:</strong> Cefaly<sup>®</sup> arbeitet mit transkutaner elektrischer Nervenstimulation. Den genauen Mechanismus kennen wir aber noch nicht. Eine italienisch-belgische Studie lässt vermuten, dass das zentrale Schmerzverarbeitungssystem moduliert wird.<sup>6</sup><br /><br /> <strong>Gibt es das Gerät in der Schweiz schon?<br /> A. Gantenbein:</strong> Das TENS-Gerät für Migräne ist seit Mitte 2016 auch in der Schweiz erhältlich. Unter bestimmten Bedingungen wird die Therapie von der Grundversicherung erstattet.<br /><br /> <strong>Wem empfehlen Sie das Gerät?<br /> A. Gantenbein:</strong> Im Prinzip könnte es jeder Migränepatient ausprobieren. Wenn es nicht wirkt oder er unangenehme Nebenwirkungen bekommt, kann er es an den Hersteller zurückschicken. Die Patienten haben damit eine nebenwirkungsarme Therapie zur Verfügung, sowohl zur prophylaktischen Anwendung als auch für die Attacke. Aufgrund der Evidenzlage empfehle ich es derzeit aber nur zur Prophylaxe, entweder statt Medikamenten oder parallel zu diesen; denn hier hat eine randomisierte klinische Studie gezeigt, dass die Stimulation wirkt.<sup>7</sup> Der therapeutische Gewinn war mit 26 Prozent ungefähr so gross wie der durch präventiv wirkende Medikamente oder andere nicht medikamentöse Antimigränetherapien. Zur Akuttherapie haben wir bisher nur Daten aus Pilot- oder retrospektiven Studien. Für einige Patienten mit eher okzipitaler Betonung der Kopfschmerzen kann das Cefaly<sup>®</sup> Arnold Kit zur Stimulation der Okzipitalnerven eine sinnvolle Ergänzung sein, Studien hierzu stehen jedoch noch aus.<br /><br /> <strong>Wie beurteilen Sie das Nebenwirkungsprofil?<br /> A. Gantenbein:</strong> Insgesamt als sehr gut. In den Studien berichteten 5 bis 15 Prozent der Patienten leichte bis vernachlässigbare Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen der elektrischen Nervenstimulation auf der Stirn, die sich in Form von Parästhesien äussern können, merken die Patienten sofort. Wenn ihnen das zu unangenehm ist, können sie die Anwendung stoppen. Darüber hinaus haben Patienten angemerkt, dass die Stimulation manchmal müde macht, was abends aber durchaus erwünscht sein kann.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Magis D et al.: J Headache Pain 2013; 14: 95 <strong>2</strong> Cefaly<sup>®</sup> Technology. http://www. cefalytechnology.com/. Zuletzt aufgerufen am 22. 7. 2017 <strong>3</strong> Vikelis M et al.: BMC Neurology 2017; 17: 97 <strong>4</strong> Lipton RB et al.: Headache 2016; 56(10): 1635-48 <strong>5</strong> Dodick DW et al.: Headache 2016; doi: 10.1111/head.12774 <strong>6</strong> Russo A et al.: Front Neurol 2017; 8: 282 <strong>7</strong> Schoenen J et al.: Neurology 2013; 80: 697-704</p>
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