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Schmerztherapie am Lebensende

<p class="article-intro">Keiner möchte unter Schmerzen leiden – schon gar nicht am Lebensende. Wie man Schmerzen bei Palliativpatienten behandelt und wie wichtig hierbei ein multimodaler Ansatz ist, berichtete Dr. med. Susanne Zwahlen, Oberärztin im Palliativzentrum am Inselspital Bern, am Update Refresher Allgemeine Innere Medizin.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Wann immer m&ouml;glich, sollten Schmerzen bei Palliativpatienten kausal behandelt werden, zum Beispiel mit Antibiotika, einer Operation, Chemo- oder Radiotherapie. Zur symptomatischen Schmerzlinderung stehen diverse Behandlungen zur Verf&uuml;gung. &laquo;Nachdem wir die klinische Situation eingesch&auml;tzt haben, die &Uuml;berlebenszeit, die Lebensumst&auml;nde und die pers&ouml;nlichen Wertvorstellungen, legen wir mit jedem Patienten individuell ein Behandlungsziel fest, das realisierbar sein sollte&raquo;, sagte Zwahlen. Zu bevorzugen sei eine orale Therapie mit fixen Einnahmezeiten. Gem&auml;ss Stufenschema der WHO beginnt man auf Stufe I mit Nicht-Opioiden, also Paracetamol, Metamizol oder NSAR. Auf Stufe II stehen schwache Opioide wie Tramadol, Tilidin oder Codein zur Verf&uuml;gung, auf Stufe III starke Opioide wie Morphin, Hydromorphon, Tapentadol, Fentanyl, Buprenorphin, Oxycodon oder Methadon (Abb. 1). Auf jeder Stufe k&ouml;nnen zus&auml;tzlich Koanalgetika wie Antidepressiva oder Antiepileptika eingesetzt werden. Nebenwirkungen der Opioide, wie Obstipation oder &Uuml;belkeit, sollten zeitnah erfasst und behandelt werden. &laquo;Gewisse Opioidnebenwirkungen sind aber durchaus erw&uuml;nscht&raquo;, sagte Zwahlen. &laquo;Zum Beispiel k&ouml;nnen Opioide antitussiv, euphorisierend oder beruhigend wirken.&raquo; Jeder Mensch ist unterschiedlich ausgestattet mit Opioidrezeptoren und die Opioide wirken an den verschiedenen Rezeptoren unterschiedlich. &laquo;Deshalb kann man nicht vorhersagen, wie gut das jeweilige Opioid einem Patienten hilft&raquo;, erkl&auml;rte die &Auml;rztin.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1703_Weblinks_s8.jpg" alt="" width="1528" height="1111" /></p> <h2>Opioide bei starken Schmerzen</h2> <p>Hat ein Patient starke Schmerzen, geh&ouml;rt Morphin immer noch zu den Mitteln der ersten Wahl. Es ist preisg&uuml;nstig und hat keinen klinisch relevanten Ceiling-Effekt, die Schmerzlinderung nimmt also mit steigender Dosierung stetig zu. Morphin hat aber den Nachteil, dass es bei Niereninsuffizienz akkumuliert und die Gefahr einer &Uuml;berdosierung besteht. Neuropathische Schmerzen sprechen zudem oft ungen&uuml;gend auf Morphin an. Bei peroraler Gabe ist es individuell sehr unterschiedlich, bei welcher Dosis das Medikament wirkt. Nebenwirkungen wie Harnverhaltung, &Uuml;belkeit, Erbrechen oder Verstopfung k&ouml;nnen bereits dann auftreten, wenn das Morphin die Schmerzen noch nicht gen&uuml;gend lindert. &laquo;Diese Nebenwirkungen muss man rechtzeitig symptomatisch behandeln, etwa mit Antiemetika oder Laxanzien&raquo;, sagte Zwahlen. Schwierig sei es, wenn neurotoxische Nebenwirkungen, speziell kognitive St&ouml;rungen, auftr&auml;ten, bevor eine ausreichende Schmerzlinderung erreicht sei. &laquo;Bei schwer kontrollierbaren Schmerzen, vor allem kurz vor dem Tod, kann man das aber mit Zustimmung des Patienten in Kauf nehmen&raquo;, sagte die Rednerin. Heutzutage stehen verschiedene Opioidpr&auml;parate zur Verf&uuml;gung. &laquo;Bei der Wahl ist entscheidend, dass der Arzt mit dem von ihm verabreichten Pr&auml;parat vertraut ist.&raquo; Das Opioid wird fix dosiert und bei Bedarf ein kurz wirksames Reserve-Opioid dazugegeben. Bei instabilen Schmerzen bevorzugt die &Auml;rztin eine intraven&ouml;se oder subkutane Schmerzmitteltherapie. Wirkt Morphin nicht oder nicht ausreichend, hat der Patient eine Nieren- oder Leberinsuffizienz oder zu viele Nebenwirkungen, steigt man auf ein anderes Opioid um. <br />Mit Opioid-Umrechnungstabellen und -kalkulatoren kann man die entsprechende &Auml;quivalenzdosis berechnen. Bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz oder wenn keine perorale Medikamenteneinnahme m&ouml;glich ist, eignet sich die transkutane Applikation von Fentanyl oder Buprenorphin in Form eines Pflasters. Fentanyl- Pflaster seien allerdings f&uuml;r die Behandlung instabiler Schmerzen nicht geeignet. &laquo;Fentanyl braucht 12 bis 24 Stunden, bis der wirksame Blutspiegel erreicht ist. Eventuell muss man bis dahin mit einem rasch wirksamen Opioid &uuml;berbr&uuml;cken&raquo;, so Zwahlen. Bei kachektischen Patienten setzt sie Fentanyl-Pflaster selten ein, weil die Patienten nicht gen&uuml;gend Fettdepots haben, in denen das Opioid gespeichert werden kann. Die subkutane oder intraven&ouml;se Auftitrierung von Fentanyl f&uuml;r instabile Schmerzsituationen muss gut &uuml;berwacht werden. &laquo;Die parenterale Einstellung der Schmerzmittel sollte man lieber einem Experten unter station&auml;ren Bedingungen &uuml;berlassen&raquo;, riet Zwahlen. Als Reservemedikation kann Fentanyl auch in einer oralen, kurz wirksamen Form eingesetzt werden. &laquo;Manche Patienten sch&auml;tzen das, aber die Medikamente sind teuer&raquo;, so Zwahlen. Bei Durchbruchsschmerzen sei auch Fentanyl-Nasenspray praktisch, denn das k&ouml;nnten auch die Angeh&ouml;rigen applizieren.<br />Bei opioidresistenten neuropathischen Schmerzen gibt Zwahlen gerne zus&auml;tzlich zum Opioid Methadon. &laquo;Das wirkt bei Mischschmerzen gut, weil sich die Wirkung damit an verschiedenen Schmerzrezeptoren entfaltet.&raquo; Methadon ist komplett oral bioverf&uuml;gbar. Es wird &uuml;ber die Leber metabolisiert und haupts&auml;chlich f&auml;kal ausgeschieden &ndash; deshalb l&auml;sst es sich problemlos bei Niereninsuffizienz einsetzen. Ausserdem ist es sehr preiswert. Die Halbwertszeit ist sehr lang, individuell verschieden und nicht vorhersehbar, weshalb man aufpassen muss, dass es nicht akkumuliert. Den NMDA-Rezeptor-Antagonisten Ketamin setzt Zwahlen unter station&auml;ren Bedingungen ein, wenn die Schmerzen trotz optimierter Opioidtherapie nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Ketamin wirkt nur schwach agonistisch am Opioidrezeptor. &laquo;Ketamin putzt quasi die Opioidrezeptoren wieder frei&raquo;, sagte die &Auml;rztin. &laquo;Manchmal hat man damit durchschlagenden Erfolg, manchmal nicht.&raquo; <br />Einige Patienten profitieren von Koanalgetika: Bei neuropathischen Schmerzen helfen beispielsweise Antidepressiva wie Amitriptylin oder Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Gabapentin oder Pregabalin. Auch Kortikoide k&ouml;nnen bei neuropathischen Schmerzen wirken. Sie werden auch eingesetzt bei Knochenschmerzen, bei Leberkapselspannung oder Hirndruck. Patienten mit opioidbedingter Obstipation sind meist langfristig auf eine adjuvante Behandlung mit Natrium-Picosulfat oder Macrogol angewiesen. &Uuml;belkeit und Erbrechen treten oft nur f&uuml;r wenige Tage zu Beginn der Einstellungsphase auf und werden mit Metoclopramid und Haloperidol behandelt. <br />In Kooperation mit den Kollegen des Schmerzzentrums am Inselspital f&uuml;hrt Zwahlen auch interventionelle Schmerz- therapien wie Neurolysen oder epidurale und intrathekale An&auml;sthesien durch.</p> <h2>F&uuml;r jeden: Reservemedikament gegen Durchbruchsschmerzen</h2> <p>&laquo;Jedem Patienten unter Opioidtherapie muss man eine Reservemedikation gegen Durchbruchsschmerzen, also pl&ouml;tzlich auftretende Schmerzspitzen, die aus einem mit Opiaten gut eingestellten chronisch-stabilen Grundschmerz entstehen, verschreiben&raquo;, betonte Zwahlen. Diese Durchbruchsschmerzen k&ouml;nnen durch Husten oder Bewegung ausgel&ouml;st werden, spontan auftreten oder ein Zeichen daf&uuml;r sein, dass die Dosis des Basisopioids nicht mehr reicht. &laquo;Wenn man weiss, was den Durchbruchsschmerz ausl&ouml;st, kann man das Reservepr&auml;parat je nach Applikationsart 10 bis 30 Minuten vorher geben&raquo;, riet Zwahlen. Zum Beispiel vor der Mobilisation durch den Physiotherapeuten oder vor schmerzhaften Lagerungen f&uuml;r diagnostische oder radiotherapeutische Interventionen. &laquo;Es ist wichtig, dem Patienten die Notfallmedikation gut zu erkl&auml;ren. Dies gibt ihm die Sicherheit, Schmerzsituationen zu Hause selbstst&auml;ndig zu bew&auml;ltigen&raquo;, sagte Zwahlen. &laquo;Wichtig ist, dass auch die Angeh&ouml;rigen Bescheid wissen.&raquo;</p> <h2>Multimodale Schmerztherapie</h2> <p>Zu einer guten Schmerztherapie geh&ouml;ren nicht nur Medikamente. &laquo;Bei der Entstehung der Schmerzen spielen noch ganz andere Faktoren eine Rolle, die man auch behandeln muss&raquo;, sagte Zwahlen. Angst vor dem Tod oder vor Kontrollverlust, Depressionen oder Aggressionen k&ouml;nnen Schmerzen ebenso verst&auml;rken wie Scham, Sorge um Angeh&ouml;rige, finanzielle Probleme oder Selbstvorw&uuml;rfe sowie Verzweiflung und Wut dar&uuml;ber, an Krebs erkrankt zu sein. Diesen Aspekten begegnet die multimodale Schmerztherapie mit verschiedenen Therapiebausteinen: Neben Medikamenten werden zum Beispiel Physiotherapie, Psychotherapie, Seelsorge, Musik- oder Maltherapie, soziale Unterst&uuml;tzung und Hilfsprogramme f&uuml;r Angeh&ouml;rige eingesetzt. &laquo;Wir wollen damit die gesunden Seiten betonen und f&ouml;rdern&raquo;, erkl&auml;rte Zwahlen. &laquo;Man muss mit dem Patienten seine Erwartungen kl&auml;ren. Lernt er, unrealistische Vorstellungen aufzugeben und seine Erwartungen an die Realit&auml;t anzupassen, kann das helfen, das Leiden zu vermindern und sich an dem, was noch m&ouml;glich ist, zu freuen.&raquo;</p> <h2>Die Psyche mitbehandeln</h2> <p>&laquo;Die Psyche spielt bei der Schmerztherapie eine grosse Rolle&raquo;, sagte Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Chefarzt Universit&auml;re Psychiatrische Dienste (UPD) Bern. &laquo;Leiden wir unter Schmerzen, k&ouml;nnen wir versuchen, uns auf etwas anderes zu konzentrieren, etwa auf ein Enkelkind, eine sch&ouml;ne Landschaft oder ein angenehmes Gespr&auml;ch mit einer Bekannten. Dieses Wegfokussieren hilft, die Schmerzen zu lindern.&raquo; Gelingt es der Psyche jedoch nicht, vom Schmerz wegzufokussieren, k&ouml;nnen diese unertr&auml;glich werden. Typisch ist dies bei Depressionen oder Angstst&ouml;rungen: &laquo;Die Aufmerksamkeit Depressiver ist stark auf das Negative, eben auf die Krankheit oder den Schmerz, gerichtet und bei Patienten mit Angstst&ouml;rungen auf bedrohliche Reize&raquo;, erkl&auml;rte Hasler. &laquo;Das kann dazu f&uuml;hren, dass die Betroffenen die Schmerzen viel st&auml;rker wahrnehmen.&raquo; <br />Haus&auml;rzte k&ouml;nnen hier eingreifen: Sie k&ouml;nnen Schmerzpatienten raten, sich auch mit positiven Dingen zu besch&auml;ftigen. &laquo;Eine wirksame &Uuml;bung ist, jeden Abend in einem Tagebuch drei positive Ereignisse oder Gef&uuml;hle festzuhalten&raquo;, sagte Hasler. Achtsamkeits-basierte Techniken k&ouml;nnen helfen, den Fokus vom Schmerz wegzulenken. &laquo;Eine grosse Rolle spielen auch soziale Kontakte. Verbessert man diese, wird man resilienter gegen&uuml;ber Schmerzen.&raquo; Wie wichtig Resilienz ist, also die psychische Widerstandskraft, hat der Psychiater k&uuml;rzlich in einem Buch beschrieben.<sup xml:lang="de-DE">1</sup> &laquo;Als Hausarzt kann man ruhig spirituelle oder existenzielle Themen ansprechen. Ein Lebensr&uuml;ckblick, Nachdenken &uuml;ber den Sinn des Lebens oder R&uuml;ckbesinnen auf den Glauben &ndash; all das kann helfen, den Schmerz in einen gr&ouml;sseren Sinnzusammenhang zu stellen.&raquo; <br />Fast alle psychologischen Interventionen helfen besser, wenn man auch die Angeh&ouml;rigen einbezieht. &laquo;Viele Angeh&ouml;rige trauen sich nicht, die Betroffenen auf ihre Gesundheitsprobleme anzusprechen. Dies f&uuml;hrt oft zu einer Vereinsamung von Menschen, die ohnehin schon sehr leiden. Gemeinsame Gespr&auml;che mit dem Patienten und den Angeh&ouml;rigen bauen bei den Angeh&ouml;rigen &Auml;ngste ab, und diese merken, wie gut sie den Betroffenen unterst&uuml;tzen k&ouml;nnen &ndash; auch das kann dessen Schmerzen lindern&raquo;, schloss Hasler.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hasler G: Resilienz: Der Wir-Faktor. Gemeinsam Stress und &Auml;ngste &uuml;berwinden. Stuttgart: Schattauer, 2017</p> </div> </p>
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