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ESO-WSO 2020

Schlaganfallforschung im Fokus

Die Virtual ESO-WSO 2020 Conference ist der größte und wichtigste Kongress zum Thema Schlaganfall. Aktuelle Ergebnisse klinischer Studien zum Schlaganfall werden präsentiert, Trends und Entwicklungen diskutiert und jüngste Forschungsergebnisse vorgestellt.

Prof. Michael Brainin, WSO-Präsident, ebenfalls Co-Vorsitzender der Konferenz-Planungsgruppe, wies auf die Bedeutung dieses Treffens internationaler Schlaganfallexperten hin: „Wir haben arbeitsreiche Monate hinter uns, aber es hat sich ausgezahlt! Wir freuen uns über mehr als 600 Präsentationen und über 1100 E-Poster.“ Die Eröffnungsplenarsitzung umfasste Präsentationen zu den folgenden Studien.

RACECAT-Studie

Die endovaskuläre Schlaganfalltherapie hat das Outcome von Patienten mit schweren Schlaganfällen und Verschlüssen von großen Hirngefäßen erheblich verbessert. Allerdings gibt es noch immer Kontroversen über die optimale prähospitale Triage von diesen Schlaganfallpatienten. Die RACECAT-Studie, die auf der ESO-WSO Conference 2020 vorgestellt wurde, liefert erste Erkenntnisse aus einer randomisierten kontrollierten Studie. Es wird das klinische Outcome nach 90 Tagen von Patienten, die direkt in ein endovaskuläres Schlaganfallzentrum (EVT-SC; „Mothership“-Konzept) gebracht wurden, mit dem von Patienten verglichen, die zuerst in das nächstgelegene lokale Schlaganfallzentrum (Local-SC) eingewiesen und erst anschließend in ein endovaskuläres Schlaganfallzentrum weiterverlegt wurden („Drip and ship“-Konzept).

RACECAT (Direct Transfer to Endovascular Center of Acute Stroke Patients with Suspected Large Vessel Occlusion in the Catalan Territory) wurde in Katalonien zwischen März 2017 und Juni 2020 durchgeführt und nach der zweiten vordefinierten Zwischenanalyse abgebrochen. Unter 7475 Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall wurde bereits im Rettungsauto der RACE-Score bei allen bis auf 536 erhoben. 1401 Patienten mit einem RACE-Score ≥5 kamen schließlich für die Studie infrage und wurden entweder in die Local-SC- oder die EVT-SC-Gruppe randomisiert. Die durchschnittliche Ankunftszeit betrug in der Local-SC-Gruppe 142 Minuten, die der EVT-SC-Gruppe 216 Minuten. Etwa ein Fünftel der in die Studie eingeschlossenen Patienten hatte eine intrazerebrale Blutung und bei 46% der Fälle wurde ein ischämischer Schlaganfall aufgrund eines Verschlusses großer Gefäße bestätigt. Der mediane NIHSS bei Ankunft im ersten Krankenhaus lag in beiden Gruppen bei 17.

Der Anteil der Patienten, die eine intravenöse Thrombolyse erhielten, war in der Local-SC-Gruppe entsprechend der früheren Eintreffzeit signifikant höher als in der EVT-SC-Gruppe (60,4% versus 47,5%; p<0,001). Der Anteil der Patienten, die eine endovaskuläre Schlaganfalltherapie erhielten, war hingegen in der EVT-SC-Gruppe höher (50,0% versus 40,9%; p=0,003). Die Zeitspanne zwischen Symptombeginn und Start der intravenösen Thrombolyse betrug 120 Minuten in der Local-SC-Gruppe im Vergleich zu 155 Minuten in der EVT-SC-Gruppe, und die Zeitspanne zwischen Symptombeginn und Beginn der Angiografie betrug 270 bzw. 214 Minuten.

Der primäre klinische Endpunkt der Studie war die Shift-Analyse der modifizierten Rankin-Skala (mRS) in der „Intention to treat“-Population (nur Patienten mit ischämischem Schlaganfall). Die Verteilungen der mRS-Kategorien nach 90 Tagen waren in beiden Interventionsgruppen exakt gleich (Common Odds-Ratio: 1,0). Dieses Ergebnis war in verschiedenen Untergruppen konsistent nachweisbar.

Wichtigste Schlussfolgerungen

Die Beurteilung von Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall mittels RACE-Scores ist im Rettungsauto gut durchführbar und prädiktiv für das Vorliegen eines Verschlusses großer Gefäße. Beide prä-hospitalen Transferprotokolle („mothership“ versus „drip and ship“) funktionierten in dieser lang erwarteten, qualitativ hochwertigen randomisierten Studie gleich gut.

REDUCE Trial – Langzeitergebnisse

Optimale Strategie nach „kryptogenem“ Schlaganfall und persistierendem Foramen ovale

Bei 15 bis 40% der ischämischen Schlaganfälle kann zunächst keine eigentliche Ursache festgestellt werden. Die Medizin spricht dann von einem „kryptogenen“ Schlaganfall. Ein Defekt des Herzens, das „patent foramen ovale“ (PFO), ist eine potenzielle Ursache für einen solchen kryptogenen Schlaganfall. Dabei handelt es sich um einen klappenartigen Durchgang, der bei allen Föten zwischen der linken und rechten oberen Herzkammer (Vorhof) besteht und sich normalerweise im Säuglingsalter verschließt. Er kann jedoch fortbestehen, sodass Thromben durchfließen und das Gehirn erreichen können. Das Verschließen dieses Defekts per Kathetereingriff stellt hier laut einer aktuellen Untersuchung die beste Strategie dar.

Drei Studien, die auf der ESOC 2017 präsentiert wurden, zeigten die Wirksamkeit des Transkatheter-PFO-Verschlusses gegenüber einer medikamentösen Therapie, darunter die primären Ergebnisse der REDUCE-Studie.

Bei der REDUCE-Studie handelte es sich um eine randomisierte und kontrollierte Open-Label-Studie mit 664 Patienten, die zwei Gruppen im Verhältnis 2:1 zugeteilt waren. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 45 Jahre, und 81% von ihnen hatten mittlere bis große Vorhofseptumdefekte: Zwei Drittel der Patienten unterzogen sich einem Transkatheter-PFO-Verschluss, bei dem ein Septumokkluder eingeführt wurde, gefolgt von der etablierten Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern zur Thromboseprophylaxe (kombinierte Therapiegruppe). Ein Drittel der Patienten erhielt nur die Thrombozytenaggregationshemmer-Therapie (Kontrollgruppe). An der Studie nahmen Zentren in sieben Ländern (Kanada, Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden, Großbritannien und USA) teil. Der Beobachtungszeitraum betrug fünf Jahre.

Insgesamt erwies sich die Kombination aus Transkatheter-PFO-Verschluss und Thrombozytenaggregationshemmung zur Thromboseprophylaxe als deutlich wirksamer bei der Prävention eines nachfolgenden ischämischen Schlaganfalls als die Thrombozytenaggregationshemmung allein: Die Kombinationstherapiegruppe hatte ein um 69% geringeres Schlaganfallrisiko (Hazard-Ratio von 0,31) als die Kontrollgruppe (ausschließlich thrombozytenaggregationshemmende Therapie).

Rechnerisch ergab sich daraus ein jährliches Schlaganfallrisiko pro 100 Patientenjahre von 0,39 für die Kombinationstherapiegruppe im Vergleich zu 1,26 für die Kontrollgruppe. Bei den 441 Teilnehmern, die sich einem Transkatheter-PFO-Verschluss und einer präventiven medikamentösen Therapie unterzogen, traten im Beobachtungszeitraum acht Schlaganfälle auf (Häufigkeit: 1,8%), während bei den 223 Patienten der Kontrollgruppe 12 Schlaganfälle auftraten (Häufigkeit: 5,4%). Die Zahl derer, die nach 5 Jahren behandelt werden mussten, betrug 25. Vorhofflimmern und Vorhofflattern traten in der Verschlussgruppe signifikant häufiger auf, persistierendes oder permanentes Vorhofflimmern jedoch nur bei 2,7% der Patienten.

Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass bei jüngeren Patienten mit kryptogenem Schlaganfall und PFO der Nutzen des Verschlusses mindestens 5 Jahre anhält, mit einem geringen Komplikationsrisiko.

BASICS

Endovaskuläre Therapie nach Verschluss der Basilararterie des Gehirns

Bei bestimmten Schlaganfallpatienten mit einem Verschluss der Basilararterie im Gehirn, einem akuten Krankheitsgeschehen mit bisher schlechter Prognose, könnte ein Kathetereingriff (endovaskuläre Therapie/EVT) zur Beseitigung des Gefäßverschlusses (Entfernung des Gerinnsels oder Auflösung per Thrombolyse) Vorteile bieten. Dies ist eines der Resultate der international durchgeführten BASICS-Studie mit 300 Patienten.

Der Hintergrund: In den vergangenen Jahren haben Kathetereingriffe nach größeren ischämischen Schlaganfällen die Prognose bei solchen akuten Erkrankungen deutlich verbessert. Bisher gab es allerdings wissenschaftlich basierte Daten über den Nutzen (und potenzielle Komplikationen) ausschließlich für Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall der vorderen Hirngefäße. Eine einzige kontrollierte, randomisierte klinische Studie aus China bei Verschluss der Basilararterie im Bereich des Stammhirns zeigte eine mögliche, aber nicht sichere Wirkung.

In die BASICS-Studie wurden zwischen Dezember 2011 und Dezember 2019 insgesamt 300 Patienten in sieben Ländern innerhalb von sechs Stunden nach Auftreten eines akuten Verschlusses der Basilararterie aufgenommen. Nach dem Zufallsprinzip wurden 154 der Patienten jener Gruppe zugeteilt, bei welcher eine endovaskuläre Intervention (EVT) zusätzlich zur etablierten optimalen Therapie („best medical management“ – BMM) erfolgte. 146 Patienten erhielten hingegen ausschließlich die etablierte optimale sonstige Behandlung. Bei der Mehrheit (79%) aller Patienten wurde zuvor die derzeitige Standardtherapie, eine intravenöse Thrombolyse (IVT), gegeben. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug etwa 67 Jahre, etwas mehr als zwei Drittel waren Männer.

Beim Hauptkriterium zur Beurteilung der Wirkung in der Studie wurde kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt: Der Anteil der Patienten mit einem guten Behandlungsergebnis nach 90 Tagen (modifizierte Rankin-Skala; mRS: mit einem Wert <3: höchstens moderate Beeinträchtigung) war 44,2% mit EVT bzw. 37,7% ohne EVT. Diese absolute Risikoreduktion von 6,5% war statistisch nicht signifikant – ganz ähnlich wie in der Gruppe der Patienten mit sehr gutem Status nach 90 Tagen (mRS-Wert <2: höchstens leichte Beeinträchtigung): 35,1% in der Gruppe mit endovaskulärem Eingriff bzw. 30,1% in der Vergleichsgruppe. Die Mortalität innerhalb von 90 Tagen war zwischen den beiden Gruppen auch nicht verschieden. Die Rate des Auftretens von Gehirnblutungen war mit 3,9% (EVT) und 0,7% (BMM) gering, der Unterschied ebenfalls nicht statistisch signifikant. In einer Subgruppenanalyse zeigte sich allerdings, dass Patienten mit einem schwereren Krankheitsbild bei Diagnose (mehr als 10 Punkte auf der 42 Punkte umfassenden NIHSS-Schlaganfallskala) signifikant mehr von einer endovaskulären Therapie profitieren als ohne EVT. Dieses Resultat ist laut den Autoren mit Vorsicht zu betrachten, weil es sich dabei um eine Subgruppenanalyse nach Abschluss der Studie handelt. Nur weitere randomisiert-kontrollierte Studien könnten beweisen, ob solch schwerere Schlaganfälle mit Verschluss der Basilararterie wirklich von einer EVT profitieren.

Medienmitteilung des ESO-WSO-PR-Komitees

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