
Pro und Contra bei einem breiten Einsatz von Cannabidiol
Autorin: Dr. med. Kerstin Alexandra Klotz
Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen
Abteilung für Epileptologie der Klinik für Neurochirurgie
Universitätsklinik Freiburg
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Reines Cannabidiol, ein nichtpsychotroper Bestandteil der Cannabispflanze, ist eine neue Behandlungsmöglichkeit bei Epilepsien. Auf der einen Seite liegen für bestimmte Epilepsiesyndrome solide Daten vor, die eine Wirksamkeit belegen, auf der anderen Seite ist die Wirkung für viele andere Epilepsien nicht sicher belegt. Bei hohen Therapiekosten stellt sich daher die Frage, inwieweit ein breiter Einsatz von CBD gerechtfertigt ist.
Keypoints
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Pharmakologisch gibt es keinen Grund, von einer selektiven Wirksamkeit des CBD auszugehen.
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Die Kosten für die Therapie eines Erwachsenen liegen zurzeit bei etwa 3000 Euro pro Monat.
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Basierend auf den Studiendaten zur TSC-assoziierten Epilepsie und zahlreichen «Open label»-Studien ist der Einsatz bei anderen pharmakorefraktären Epilepsien gerechtfertigt, ein vorher festgelegter Therapiezeitraum mit Re-evaluation der Wirksamkeit ist aber dringend zu empfehlen.
In den letzten fünf Jahren hat der Einsatz von Cannabinoiden, allen voran Cannabidiol (CBD), in der Epilepsietherapie deutlich zugenommen.1 In den USA steht seit 2018 das erste FDA-genehmigte Fertigarzneimittel mit Cannabidiol (Epidiolex®) zur Therapie von Dravet- und Lennox-Gastaut-Syndrom zur Verfügung, in Europa wird das Medikament unter dem Handelsnamen Epidyolex® vertrieben und ist seit 2019 zugelassen.
Über den Einsatz von CBD in der Epilepsietherapie dieser beiden Syndrome liegen randomisierte, placebokontrollierte Studien vor, welche die Überlegenheit von CBD gegenüber Placebo zeigen. Somit wird in diesem Bereich auch wenig über den Einsatz diskutiert. Ganz anders sieht es aus bei anderen Epilepsien. Das gesellschaftliche und mediale Interesse an einer Therapie mit medizinischem Cannabis im Allgemeinen und mit CBD im Speziellen ist riesig. Epileptologen werden in hoher Frequenz zu dieser neuen Therapieoption von Patienten oder Angehörigen angefragt.2 Insofern kam rasch die Frage auf, inwieweit CBD auch bei anderen, schwer verlaufenden Epilepsien indiziert sein könnte. Da das Medikament als Pflanzenstoff häufig mit einer besseren Verträglichkeit assoziiert wird, wird inzwischen sogar zunehmend die Frage diskutiert, ob man CBD nicht auch als erstes oder zweites Medikament in der Behandlung einsetzen könne.
Mit der Fragestellung «Ist ein breiter Einsatz von CBD gerechtfertigt?» beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag. Hierbei sollen medizinische und ökonomische Aspekte gleichermassen diskutiert werden.
Pro
Die ersten drei randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien zu CBD bei Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) und Dravet-Syndrom führten zur Zulassung von Epidiolex® (pflanzliches, hochgereinigtes CBD). Devinsky et al. untersuchten 120 Kinder mit Dravet-Syndrom. Unter einer Dosis von 20mg/kg/d kam es zu einer signifikant grösseren Reduktion der konvulsiven Anfälle von 12,4/Monat auf 5,9/Monat als unter Placebo (14,9 auf 14,1; p=0,01). In der Frequenz nicht konvulsiver Anfälle gab es keinen signifikanten Unterschied und auch die Anzahl an Patienten mit einer Reduktion der konvulsiven Anfälle ≥50% ergab knapp keinen signifikanten Unterschied (CBD 43%, Placebo 27%; p=0,08).3 In den beiden Studien zu Lennox-Gastaut-Syndrom wurden Kinder und Erwachsene eingeschlossen. Thiele et al. untersuchten CBD 20mg/kg/ Tag versus Placebo, bei Devinsky et al. wurden 10 und 20mg/kg/Tag untersucht. In beiden Studien zeigte sich CBD gegenüber Placebo überlegen in der Reduktion der Sturzanfälle.4,5 Während man beim Dravet-Syndrom noch eine Ätiologie-spezifische Wirkung vermuten konnte, ist das Lennox-Gastaut-Syndrom ein elektroklinisch definiertes Krankheitsbild mit einer sehr variablen Ätiologie. Auch aus den präklinischen Untersuchungen ergibt sich kein Hinweis auf eine krankheitsspezifische Wirkung bei einem speziellen Epilepsiesyndrom. Die antikonvulsiven Effekte von Cannabidiol wurden in verschiedenen akuten und chronischen Epilepsiemodellen, inklusive Kindling-, Elektroschock- und chemischer Modelle, gezeigt, welche als Modell für eine Vielzahl «breiter» wirkender Antiepileptika eingesetzt werden.6,7 Hinzu kommt, dass inzwischen die Daten einer randomisierten placebokontrollierten Studie von Epidiolex bei Patienten mit tuberöser-Sklerose-assoziierter Epilepsie veröffentlicht wurden.8 Auch hier zeigt sich CBD in einer Dosierung von 25mg/kg/d und 50mg/kg Placebo überlegen. Auch wenn es sich bei der TSC um eine ätiologisch sehr viel homogenere Gruppe handelt als beim Lennox-Gastaut-Syndrom, so ist doch eine grosse Parallelität zu anderen fokalen, insbesondere strukturelle, Epilepsien zu sehen.
Somit lässt sich als Fazit pro einen breiten Einsatz von CBD in der Epilepsietherapie sagen, dass es solide Daten für einzelne Epilepsieformen und Ätiologien gibt, die sich auf pathophysiologischer Grundlage zumindest im Ansatz auf andere Epilepsien übertragen lassen. Placebokontrollierte, randomisierte Studien sind natürlich zu fordern (z.B. für eine Gruppe pharmakoresistenter Epilepsien ohne nähere Eingrenzung), nach bereits erfolgter, indikationsbezogener Zulassung aber oft schwer zu erreichen. Daher ist ein engmaschig begleiteter Therapieversuch mit CBD bei Menschen mit pharmakorefraktärer Epilepsie über die Zulassungsindikationen hinaus zu befürworten.
Contra
Die Erwartungen von Patienten und Angehörigen gegenüber der Therapie mit CBD sind hoch, wahrscheinlich deutlich höher als bei anderen Antiepileptika.9 In den randomisierten, placebokontrollierten Studien zeigt sich ein sehr deutlicher Placeboeffekt (Rückgang der Anfälle in der Placebogruppe um 25%).8 Daher ist beim Einsatz von CBD noch mehr als bei anderen Antiepileptika auf die vorliegende Evidenz zu achten. Diese ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt begrenzt auf drei Epilepsieformen, die zusammen nur einem sehr kleinen Anteil aller Epilepsien entsprechen. Hinzu kommt, dass Cannabidiol eine teure Behandlungsoption ist. Während selbst neuere, noch nicht als Generikum verfügbare und somit teurere Antiepileptika Behandlungskosten von bis zu 700 Euro pro Monat mit sich bringen können, können diese bei einem schweren Erwachsenen unter Therapie mit CBD rasch bis zu 4000 Euro pro Monat betragen. Für viele andere Therapeutika (Phytotherapeutika, Homöopathika) wird das Vorliegen von Evidenz der Wirksamkeit gefordert, bevor die Krankenkassen und somit das Solidarsystem mit einer Kostenübernahme belastet werden. Warum also sollte das für CBD anders sein? Auf der anderen Seite gibt es eine gewisse Evidenz und sicher einen hohen «medical need» in der Gruppe der pharmakorefraktären Patienten, welche nicht selten bereits 10–15 verschiedene Antiepileptika erfolglos eingesetzt haben. Ein Kompromiss könnte sein, die Therapie zunächst für einen bestimmten Zeitraum zu vereinbaren und zeitgleich auch «Zielkriterien» zu definieren, welche für eine Weiterbehandlung erfüllt sein müssen (z.B. Reduktion der Anfälle um mindestens 50% oder Reduktion gefährdender Anfälle wie Sturzanfälle). Ein weiterer Punkt, der gegen den breiten Einsatz von CBD in der Epilepsietherapie spricht, ist, dass zumindest ein gewisser Teil der Wirksamkeit auf der Kombination von CBD mit Clobazam beruht. Wäre also womöglich der gleiche Effekt mit der sehr viel günstigeren Variante Clobazam ohne CBD zu erreichen? Die Subgruppen-Analysen der randomisierten, placebokontrollierten Studien zeigen, dass Clobazam zwar zur Wirksamkeit beiträgt, aber CBD durchaus auch alleine eine ausreichende antikonvulsive Wirkung mit sich bringt.10 Weitere Studien, bei denen die Wirksamkeit unter Ausschluss einer Comedikation mit Clobazam nachgewiesen wird, wären aber zu fordern.
Zusammenfassend lässt sich als Contra bezüglich eines breiten Einsatzes von CBD in der Epilepsietherapie sagen, dass es über die Zulassungsstudien hinaus keine qualitativ hochwertigen Studien mit anderen Indikationen gibt und hohe Therapiekosten bestehen. Auch sollte die Rolle von Clobazam noch deutlicher bestimmt werden.
Interessenkonflikte:
Dr. med. Kerstin Alexandra Klotz hat Honorare für Berater- und Vortragstätigkeiten von Zogenix, GW pharmaceuticals, PTC Therapeutics bekommen.
Literatur:
1 Perucca E: Cannabinoids in the treatment of epilepsy: hard evidence at last? J Epilepsy Res 2017; 7: 61-76. https://doi.org/10.14581/jer.17012 2 Klotz KA et al.: Cannabidiol for treatment of childhood epilepsy - a cross-sectional survey. Front Neurol 2018; 9: 731. https://doi.org/10.3389/fneur.2018.00731 3 Devinsky O et al.: Trial of cannabidiol for drug-resistant seizures in the Dravet syndrome. N Engl J Med 2017; 377: 699-700. https://doi.org/10.1056/NEJMc1708349 4 Devinsky O et al.: Effect of cannabidiol on drop seizures in the Lennox-Gastaut syndrome. N Engl J Med 2018; 378: 1888-97. https://doi.org/10.1056/NEJMoa1714631 5 Thiele EA et al.: Cannabidiol in patients with seizures associated with Lennox-Gastaut syndrome (GWPCARE4): a randomised, double-blind, placebo-controlled phase 3 trial. Lancet 2018; 391(10125): 1085-96. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30136-3 6 Jones NA et al.: Cannabidiol displays antiepileptiform and antiseizure properties in vitro and in vivo. J Pharmacol Exp Ther 2010; 332: 569-77. https://doi.org/10.1124/jpet.109.159145 7 Klein BD et al.: Evaluation of cannabidiol in animal seizure models by the epilepsy therapy screening program (ETSP). Neurochem Res 2017; 42: 1939-48. https://doi.org/10.1007/s11064-017-2287-8 8 Thiele EA et al.: Add-on cannabidiol treatment for drug-resistant seizures in tuberous sclerosis complex: a placebo-controlled randomized clinical trial. JAMA Neurol 2020. https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2020.4607 9 Klotz KA et al.: Expectations and knowledge of cannabidiol therapy for childhood epilepsy - a German caregiver survey. Epilepsy Behav 2020; 111: 107268. https://doi.org/10.1016/j.yebeh.2020.107268 10 Gunning B et al.: Cannabidiol in conjunction with clobazam: analysis of four randomized controlled trials. Acta Neurol Scand 2021; 143: 154-63. https://doi.org/10.1111/ane.13351
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