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11 European Headache Federation Congress

Posttraumatische Kopfschmerzen: häufig, aber oft nicht korrekt diagnostiziert

<p class="article-intro">Kopfschmerzen nach einem Trauma kommen häufig vor, werden aber oft nicht korrekt diagnostiziert und klassifiziert. Doch eine korrekte Diagnose sei wichtig, erklärte Dr. med. Mark Braschinsky aus Estland kürzlich auf dem europäischen Kopfschmerz-Kongress in Rom, denn die Therapie müsse man individuell anpassen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Braschinsky ist Neurologe an der Tartu- Universit&auml;t in Estland und Pr&auml;sident der estnischen Kopfschmerz-Gesellschaft. &laquo;Diagnostiziert man zu sp&auml;t, ist das Risiko hoch, dass die Schmerzen chronifizieren&raquo;, so Braschinsky in Rom. Je nach Schwere des Traumas bekommen 10 bis 95 % der Patienten nach einem Hirntrauma Kopfschmerzen.<sup>1&ndash;3</sup> In manchen F&auml;llen resultieren die Schmerzen aus dem Gewebeschaden beim Trauma, zum Beispiel durch Knochenfrakturen oder Sch&auml;den an peripheren Nerven oder am Nervenplexus. Die Kopfschmerzen k&ouml;nnen aber auch sekund&auml;r entstehen, etwa durch Spastiken, abnormale Kopfhaltungen oder periartikul&auml;re Knochenneubildungen.<sup>4, 5</sup> In der neuen Internationalen Klassifikation f&uuml;r Kopfschmerzen<sup>6</sup> sind posttraumatische Kopfschmerzen an erster Stelle unter den sekund&auml;ren Kopfschmerzformen aufgef&uuml;hrt (Tab. 1). Treten Kopfschmerzen zum ersten Mal und in engem zeitlichem Zusammenhang mit einem Trauma oder einer Verletzung von Kopf oder Hals auf, klassifiziert man dies als &laquo;sekund&auml;re Kopfschmerzen zur&uuml;ckzuf&uuml;hren auf Trauma oder Verletzung von Kopf oder Hals&raquo;. Dies ist auch der Fall, wenn die neu aufgetretenen Kopfschmerzen prim&auml;ren Kopfschmerzen &auml;hneln, etwa Migr&auml;ne oder Spannungskopfschmerzen. Hatte ein Patient schon vorher prim&auml;re Kopfschmerzen und sind diese in engem zeitlichem Zusammenhang mit einem Trauma oder einer Verletzung schlimmer geworden, bekommt der Patient zwei Diagnosen: prim&auml;re Kopfschmerzen &ndash; etwa Migr&auml;ne &ndash; und posttraumatische Kopfschmerzen.<br /> &laquo;Dass so viele Menschen nach einem Kopftrauma Kopfschmerzen haben, ist nicht erstaunlich&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Peter Sandor, &Auml;rztlicher Direktor Neurologie und Mitglied der Unternehmensleitung an der RehaClinic in Bad Zurzach, der an der Klassifikation posttraumatischer Kopfschmerzen mitgearbeitet hat. &laquo;Der Schmerz ist ja ein Zeichen daf&uuml;r, dass am oder im Kopf etwas verletzt ist, und das Schmerzsystem hat seine Aufgabe erf&uuml;llt.&raquo; Warum bei manchen Patienten die Schmerzen chronisch werden, sei noch nicht gekl&auml;rt. &laquo;Eine Hypothese ist, dass es &auml;hnlich wie bei Medikamenten- induzierten Kopfschmerzen zu einem Teufelskreis kommt.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1801_Weblinks_s8_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="771" /></p> <h2>Nach 3 Monaten: Diagnose &laquo;persistierend&raquo;</h2> <p>Posttraumatische Kopfschmerzen &auml;ussern sich wie eine der prim&auml;ren Kopfschmerzformen, also etwa wie Migr&auml;ne, Spannungskopfschmerzen, Cluster-Kopfschmerzen oder als zervikogene Schmerzen. F&uuml;r die Diagnose &laquo;akute posttraumatische Kopfschmerzen&raquo; muss nat&uuml;rlich ein Trauma oder eine Verletzung nachgewiesen werden. Die Kopfschmerzen m&uuml;ssen sich innerhalb von sieben Tagen nach dem Trauma entwickelt haben oder innerhalb von sieben Tagen nachdem der Patient nach einer Bewusstlosigkeit sein Bewusstsein wiedererlangt hat und &uuml;ber Schmerzen berichten kann (Tab. 2). Die Angabe mit den sieben Tagen sei etwas willk&uuml;rlich, geben die Autoren der neuen Klassifikation zu, abgesehen davon k&ouml;nnten sich die Kopfschmerzen bei manchen Patienten auch erst nach l&auml;ngerer Zeit entwickeln. Die Kopfschmerzen k&ouml;nnen isoliert auftreten oder im Zusammenhang mit anderen Beschwerden, wie M&uuml;digkeit, Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten, Ged&auml;chtnisproblemen, leichter Reizbarkeit, Angst oder Pers&ouml;nlichkeitsver&auml;nderungen. Liegen mehrere dieser Symptome vor, ist die Diagnose eines Postkonkussionssyndroms zu erw&auml;gen. Dauern die Schmerzen mehr als drei Monate nach dem Trauma an, werden sie als &laquo;persistierende posttraumatische Kopfschmerzen&raquo; klassifiziert (Tab. 3).<br /> Bei der akuten und bei der persistierenden Form wird weiterhin jeweils unterschieden, ob es ein mildes oder ein moderates bis schweres Trauma war. Letzteres bedeutet, dass der Patient mindestens eines der folgenden Kriterien erf&uuml;llt: Er war l&auml;nger als 30 Minuten bewusstlos, es liegen ein Glasgow-Coma-Scale-Wert von &lt;13, eine posttraumatische Amnesie, die l&auml;nger als 24 Stunden dauert, &Auml;nderungen des Bewusstseinslevels f&uuml;r mehr als 24 Stunden oder der Nachweis einer traumatischen Hirnverletzung in der Bildgebung, zum Beispiel einer intrakraniellen Blutung und/oder einer Hirnkontusion vor. Ein mildes Trauma liegt dann vor, wenn keines der obigen Kriterien erf&uuml;llt ist, der Patient aber eine oder mehrere der folgenden Beschwerden zeigt: vor&uuml;bergehende Verwirrtheit, Desorientiertheit oder eingeschr&auml;nktes Bewusstsein, Ged&auml;chtnisverlust in Bezug auf Ereignisse kurz vor oder nach dem Kopfunfall, zwei oder mehr andere Symptome, die auf ein mildes Hirntrauma hinweisen, wie &Uuml;belkeit, Erbrechen, Sehst&ouml;rungen, Schwindel, Ged&auml;chtnisprobleme und/oder Konzentrationsst&ouml;rungen.<br /> Seit L&auml;ngerem versuchen Forscher zu verstehen, was das Risiko f&uuml;r posttraumatische Kopfschmerzen erh&ouml;ht. In einigen Studien wurde eine h&ouml;here Pr&auml;valenz nach mildem Hirntrauma als nach moderatem bis schwerem Trauma festgestellt. &laquo;Eine wissenschaftliche Erkl&auml;rung hierf&uuml;r gibt es nicht&raquo;, sagt Prof. Sandor. &laquo;M&ouml;glicherweise sind bei nur leicht verletztem Gehirn die Hirnfunktionen noch so intakt, dass es Schmerzreize umfassend wahrnimmt und Schmerzsignale weitergibt. Bei schwer verletztem Gehirn k&ouml;nnte dies nicht mehr so gut m&ouml;glich sein.&raquo; Forscher aus den Niederlanden dokumentierten bei 628 Erwachsenen ab 16 Jahren mit Hirntrauma ein h&ouml;heres Risiko f&uuml;r akute posttraumatische Schmerzen bei j&uuml;ngeren Personen, bei Frauen, bei denjenigen mit Auff&auml;lligkeiten in der Computertomografie und &ndash; nicht &uuml;berraschend &ndash; bei denen, die schon in der Notaufnahme Kopfschmerzen hatten.<sup>7</sup> Dass Frauen h&auml;ufiger betroffen seien, habe vermutlich mit der erblichen Veranlagung zu Migr&auml;ne zu tun, sagt Prof. Sandor. &laquo;Migr&auml;ne kommt bei Frauen doppelt so h&auml;ufig vor wie bei M&auml;nnern. Ist ein Mensch genetisch pr&auml;disponiert f&uuml;r Kopfschmerzen, ist das Hirn quasi empfindlicher und ein Trauma l&ouml;st bei den Betroffenen eher Kopfschmerzen aus.&raquo; Warum junge Menschen h&auml;ufiger akute Kopfschmerzen nach einem Trauma bekommen, ist in Studien nicht belegt. Eine Erkl&auml;rungsm&ouml;glichkeit k&ouml;nne sein, so Prof. Sandor, dass das Schmerzsystem mit dem &Auml;lterwerden nachlasse und weniger sensitiv auf Reize wie ein Trauma reagiere. In der niederl&auml;ndischen Studie berichteten Patienten mit akuten und chronischen posttraumatischen Kopfschmerzen zudem h&auml;ufiger &uuml;ber &Auml;ngstlichkeit oder Depressionen nach dem Trauma. Verschiedene Mechanismen im Hirn l&ouml;sen diese Symptome aus, erkl&auml;rt Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Chefarzt an den Universit&auml;ren Psychiatrischen Diensten in Bern. &laquo;Zum einen kann eine Hirnverletzung zu einem akuten Psychotrauma f&uuml;hren, was sich mit Depressionen und &Auml;ngsten &auml;ussert.&raquo; Zum anderen betreffen vor allem leichte Hirnverletzungen oft den Frontallappen. &laquo;Der enth&auml;lt wichtige Nervenzentren, die Emotionen regulieren und hemmen. Sind die neuronalen Netzwerke durch den Unfall gest&ouml;rt, kann das direkt Angst oder Depressionen ausl&ouml;sen.&raquo;<br /> In einer aktuellen Studie mit 33 Traumapatienten und 33 Kontrollpatienten zeigte sich bei denjenigen mit Trauma in der Magnetresonanztomografie (MRI) eine d&uuml;nnere Hirnrinde in den bilateralen frontalen Regionen und in den rechtsparietalen Hirnregionen.<sup>8</sup> Je h&auml;ufiger jemand Kopfschmerzen hatte, desto d&uuml;nner war die Hirnrinde in den linken und rechten oberen frontalen Regionen, was darauf hinweist, dass h&auml;ufigere posttraumatische Kopfschmerzattacken die Hirnmorphologie in diesen Gebieten ver&auml;ndern. &laquo;Schon aus fr&uuml;heren Studien wussten wir, dass nach leichtem Sch&auml;del- Hirn-Trauma die Hirnsubstanz abnimmt&raquo;, erz&auml;hlt Prof. Sandor. &laquo;Neu an der Studie ist, dass das Ausmass der Ausd&uuml;nnungen offenbar vom Ausmass der Kopfschmerzen abh&auml;ngt. &raquo; Das k&ouml;nne als Zeichen einer Gegenregulation interpretiert werden. &laquo;Vereinfacht gesagt: Die Hirnrinde nimmt ab, damit die bestehenden Schmerzreize nicht so stark wahrgenommen werden.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1801_Weblinks_s8_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="1047" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1801_Weblinks_s8_tab3.jpg" alt="" width="1417" height="981" /></p> <h2>Therapie: empirisch</h2> <p>In Studien wird immer wieder &uuml;ber Therapien posttraumatischer Kopfschmerzen berichtet, es gibt aber bislang keine standardisierte Behandlung. &laquo;Man muss mehr oder weniger empirisch therapieren und richtet sich nach dem vorherrschenden Beschwerdebild&raquo;, sagte Dr. Braschinsky. Migr&auml;ne- &auml;hnliche posttraumatische Kopfschmerzen behandelt man also zum Beispiel mit Triptanen, Cluster-&auml;hnliche Schmerzen mit Sumatriptan, Inhalationen mit 100 % igem Sauerstoff oder nasaler Instillation von Lidocain und Spannungstyp&auml;hnliche Schmerzen mit Analgetika. Unterst&uuml;tzend k&ouml;nnen nicht pharmakologische Massnahmen helfen, etwa Entspannungs&uuml;bungen, Physiotherapie, k&ouml;rperliche Bewegung oder Akupunktur. Die Therapie sei jedoch oft komplizierter, als sich das anh&ouml;re, sagt Prof. Sandor, denn die Patienten lassen sich mitunter nicht klar einem prim&auml;ren Kopfschmerztyp zuordnen. Neben der neurologischen Abkl&auml;rung r&auml;t Psychiater Prof. Hasler zu einer psychiatrischen Abkl&auml;rung, falls die Patienten neben den Kopfschmerzen unter anhaltenden &Auml;ngsten oder Depressionen leiden. Gehen Angst und Depressionen auf eine Sch&auml;digung des Frontallappens oder auf eine allgemeine Verunsicherung durch den Unfall zur&uuml;ck, r&auml;t er zu Psychoedukation, Stressmanagement, Verhaltensaktivierung und Achtsamkeits&uuml;bungen und, falls n&ouml;tig, Medikamenten. So gebe es zum Beispiel Antidepressiva, die sowohl &Auml;ngste und Depression lindern als auch Schmerzen.<br /> &laquo;Patienten mit Hirntrauma, die &uuml;ber Kopfschmerzen berichten, sollte man ernst nehmen und lieber fr&uuml;her als zu sp&auml;t zu Spezialisten schicken&raquo;, res&uuml;miert Prof. Sandor. &laquo;Behandelt man zu sp&auml;t oder nicht richtig, ist das Risiko hoch, dass die Schmerzen chronifizieren und die Lebensqualit&auml;t enorm leidet.&raquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 11<sup>th</sup> European Headache Federation Congress, 1. bis 3. Dezember 2017, Rom </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Uomoto JM, Esselman PC: Arch Phys Med Rehabil 1993; 74: 61-4 <strong>2</strong> Beetar JT et al.: Arch Phys Med Rehabil 1996; 77: 1298-302 <strong>3</strong> Lahz S, Bryant RA: Arch Phys Med Rehabil 1996; 77: 889-91 <strong>4</strong> Cooper PR: Head injury. 3rd Edn. Baltimore, MD, USA: Williams &amp; Wilkins, 1993. 1-27 <strong>5</strong> Ivanhoe CB, Hartman ET: J Head Trauma Rehabil 2004; 19: 29- 39 <strong>6</strong> International Classification of Headache Disorders. 3rd edition (Beta version); https://www.ichd-3.org <strong>7</strong> Yilmaz T et al.: Emerg Med J 2017; 34: 800-5 <strong>8</strong> Chong CD et al.: Headache 2017; online 15.11.2017</p> </div> </p>
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